Traumpaare in Blasen Nicht wirklich originell, aber schön: Bühnenpaare vom Stuttgarter Ballett, in Plastikblasen von Florian Mehnert fotografiert

Plastikblasen und Ballett

Das Stuttgarter Ballett in augenblicklicher Metamorphose: Sechs schöne Menschen in sechs eher schäbig anmutenden Plastikblasen. Ohne Blasen wären sie noch ausdrucksstärker! Foto: Florian Mehnert

Diese Plastikblasen stören. Aber sonst sind es hübsche Bilder, die der Künstler und Fotograf Florian Mehnert von Traumpaaren, die man von der Bühne des Stuttgarter Balletts kennt, in dramatischem Licht aufnahm. Mehnert will mit den Plastikblasen, die mannsgroß sind und in die je ein Mensch passt, die Isolation durch die Schutzmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie darstellen. Seit Herbst 2020 fotografiert er Leute aus unterschiedlichsten Milieus in den Plastikkugeln. Damit ist er nicht der Erste und wohl auch nicht der Letzte. Der Hersteller dieser Plastedinger macht vermutlich dank Corona ganz gute Geschäfte. Arshak Ghalumyan vom Staatsballett Berlin setzte jedenfalls auch schon im letzten Jahr auf den Charme der sichtlich mit Nähten zusammen geschweißten Plastikbälle und versuchte damit ein Ballett über Corona. Auch Ghalumyan ging es um den Effekt der Isolation. Besser wurde die Idee dadurch aber nicht. Um Emotionen in der Kunst metaphorisch umzusetzen, braucht es doch mehr Feingefühl, mehr Fantasie und sogar so etwas wie Esprit. Zumal die Plastebälle auch noch diesen Kugeln ähneln, in denen man Kaugummi am Automaten kauft. Immerhin sehen die von Mehnert hübsch in Pose gesetzten Ballerinen und Ballerinos vom Stuttgarter Ballett auch hinter dem ollen Plastik mit seinen Kratzern und Knitterfalten begehrenswert schön aus.  Und wer die Stücke erkennt, denen sie in ihren Kostümen hier scheinbar spontan entsprungen sind, wünscht sich nichts sehnlicher als sie endlich wieder live auf der Bühne zu sehen.

Da sind Elisa Badenes und Friedemann Vogel, und sie scheinen aus dem zweiten Akt von „Giselle“ direkt in ihre Plastikhöhle eingeflogen zu sein. Elisa hält die Blumen im Arm, die Albrecht nachts bei Mondenschein ans Grab von Giselle im Wald getragen hat. Und Friedemann kniet im Albrecht-Kostüm wie um Vergebung flehend in seinem Bubble, hingegeben an die knappe Luft und die Hitze unter dem Plastik.

Plastikblasen und Ballett

Elisa Badenes „entschwebt“ als Giselle mit Plastikbubble – und Friedemann Vogel als Abrecht kann nur noch aufs Traurigste nach ihr schmachten… Das Material bringt die Interpretation hervor, jedenfalls hier, beim Stuttgarter Ballett, in den Fotos von Florian Mehnert.

Eine andere Aufnahme lässt vermuten, dass Elisa „Giselle“ Badenes in ihrem Ufo aus durchsichtigem Plastik abheben kann. Schwebt sie hier nicht ein paar Dezimeter über dem Erdboden? Und er? Fliegt er mit? – Leider nein. Er hat ja keine Flügel und ist auch keine Wili, wie sie, also keine Geisterfrau, die nach dem Tod noch ewiglich im Dunkel des Waldes zu spuken vermag. Der Abschied der beiden im Ballett „Giselle“ ist herzzerreißend. Hier immerhin sind sie von den Plastikwänden für immer voneinander getrennt.

Das gilt auch für „Romeo und Julia“ alias Hyo-Jung Kang und Adhonay Soares da Silva. Beide stehen im Tendu rückwärts mit Plié im Standbein in ihrer Blase und bilden für den Zuschauer ein harmonisches Ensemble. Beide haben den äußeren Arm empor gehoben und scheinen sich damit wie von fern sachte zuzuwinken. Sie sehen sich auch an, und ihre nacheinander ausgestreckten Hände versuchen, sich bald zu berühren. Ach, ginge nur der Vorhang im Opernhaus wieder hoch – dann wären all diese Plastiksperenzien nicht nötig…

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Aber eines geht noch. Anna Osadcenko und David Moore trifft der Plastikbann dieses Mal, und sie repräsentieren Odette und Siegfried aus dem „Schwanensee“. Doch während sie ihn fest im Blick hat, scheint er vom Plastiknebel ganz benommen… und marschiert in die falsche Richtung. Nämlich weg von ihr… Man könnte nun rätseln, ob Mehnert damit andeuten möchte, dass Prinz Siegfried eigentlich schwul ist und damit mit einer Schwanenkönigin sowieso nicht so richtig glücklich werden könnte. Kennt Mehnert das Libretto und die Geschichte vom „Schwanensee“ überhaupt?

Man muss vermuten, dass er sich nicht allzu intensiv mit Ballett beschäftigt hat. Und andere Künstler hätten für die Plastiksache vielleicht Photoshop bemüht, aber Mehnert wollte es authentisch und ließ ein paar Runden im Plastikgefüge schwitzen.

Plastikblasen und Ballett

„Romeo und Julia“, nicht nur durch den Hass ihrer Familien aufeinander getrennt, sondern auch noch von zerkratzten Plastikhüllen. Puh! Ob das mal eine Inszenierung beim Stuttgarter Ballett wird? Hyo-Jung Kang als Julia und Adhonay Soares da Silva als Romeo lassen sich davon nicht irritieren. Ihnen glaubt man ihre Rollen auch in diesen Posen. Foto: Florian Mehnert

Berühmt wurde Florian Mehnert 2013 mit an unschuldige Bäume gehängten Mikrofonen, die wie Abhörorgane funktionabel waren und dann über Mehnerts Homepage die abgelauschten Gespräche und Geräusche weltweit hörbar machten. Nicht jedem erschloss sich der tiefe Sinn dieses künstlerischen Experiments. Manche sahen darin auch knallhart eine dümmliche Persönlichkeitsrechtsverletzung. „Waldprotokolle“, so der Titel der Arbeit, hätte man sich jedenfalls etwas naturschützerischer gewünscht.

Plastikblasen und Ballett

Anmut im Doppelpack, Eleganz hoch zehn! Anna Osadcenko als Odette und David Moore als Prinz Siegfried im „Schwanensee“-Outfit: immer ein Hingucker beim Stuttgarter Ballett. Sogar in Plastik gepackt, und zwar von Fotograf Florian Mehnert.

„Social Distance Stacks“ (etwa mit „Soziale Distanz-Stapel” zu übersetzen), so der Titel der Serie mit den Plastikkugeln, hat jedenfalls ein zeitliches Ende der brandheißen Aktualität. Hoffen wir, dass dieses bald eintreten und die Kunst wieder vollauf lebendig sein wird.
Gisela Sonnenburg

www.stuttgarter-ballett.de

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