Liebe überlebt den Tod; Liebe hält alles zusammen; Liebe sorgt dafür, dass Menschen ihr Schicksal akzeptieren können. So aufbauend ist die Message eines Abends, der nur auf den ersten Blick schwermütig oder gar frustrierend wirken könnte. Und es ist zwar schwer, nach ausführlichem Vorabbericht (siehe Artikel „Euphorische Erhabenheit“) noch mal alle schreiberische Aufmerksamkeit auf dasselbe Ziel zu lenken. Dennoch sei vermerkt, dass die Premiere des Stuttgarter Ballettabends „Hommage à MacMillan“ – bestehend aus zwei halbabstrakten Stücken von Kenneth MacMillan, die beide um die Themen Liebe und Trauer kreisen – erwartungsgemäß für ein ergriffenes und beglückt jubelndes Publikum sorgte.
„Das Lied von der Erde“, das nach dem gleichnamigen sinfonischen Gesangswerk des spätromantischen Komponisten Gustav Mahler kreiert wurde, schildert das Glück der Liebe in all ihren Facetten von Erwartung bis Erfüllung – sowie den Schmerz über Trennung und Verlust durch den Tod. Um die Stimmung zu reflektieren, kann man ein Gedicht des Mahler-Zeitgenossen Rainer Maria Rilke lesen, das „Der Engel“ betitelt ist:
„Mit einem Neigen seiner Stirne weist / er weit von sich was eingeschränkt und verpflichtet; / denn durch sein Herz geht riesig aufgerichtet / das ewig Kommende das kreist. / Die tiefen Himmel stehen ihm voll Gestalten, / und jede kann ihn rufen…“
„Der Ewige“ heißt die Figur eines Todesengels in MacMillans „Lied von der Erde“ – dieser Mann, der ins Jenseits vermittelt, trägt eine Maske und ist auch sonst so vieldeutig, wie es nur ein Gott, ein Teufel oder eben der Tod selbst sein kann. Der Erste Solist Marijn Rademaker, der im kommenden Jahr fest ins Holländische Nationalballett nach Amsterdam geht, verkörpert solche Symbolpersonen mit bestechend schlichter Galanterie – zu seinem Abschied aus Stuttgart einmal mehr.
Das zweite Stück des Abends, „Requiem“ nach der gleichnamigen Totenmessenmusik des Impressionisten Gabriel Fauré, wurde von MacMillan zum Andenken an den verstorbenen Stuttgarter Ballettdoyen John Cranko geschöpft. Auch hier passt ein Rilke-Gedicht. Es ist nach seiner ersten Zeile benannt:
„Ob auch die Stunden uns wieder entfernen: Wir sind immer beisammen im Traum / Wie unter einem aufblühenden Baum. / Wir werden die Worte, die laut sind, verlernen / Und von uns reden wie Sterne von Sternen…“
Schwebende Gefühligkeit, erhabene Euphorie: In seiner Grundfarbe ist das Fauré’sche Chorwerk wie der Tanz dazu von der Entschlossenheit beseelt, nicht aufzugeben. Da wird ein sinnvoll-sinnlicher und sinnlich-sinnvoller Umgang mit der unvermeidbaren Endlichkeit des menschlichen Seins propagiert. Da baut das Ensemble mächtige Türme und Cluster aus seinen Körpern. Da stiften manche Passagen berechtigte Wut, da spenden andere endlich Trost. Und aus den wechselnden Konstellationen der Tänzerinnen und Tänzer ergeben sich ständig neue Universen, in denen geliebt, gelitten und getrauert wird – bis lichterne Hoffnung aufkeimt und die Einsicht, dass das Leben für die Verbliebenen weiter gehen muss, über die Absicht, das Leben aufzugeben, obsiegt.
Gisela Sonnenburg
Wieder am 3., 5., 10. und 18. April im Opernhaus Stuttgart
Siehe auch: http://ballett-journal.de/euphorische-erhabenheit/
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