Kunst kommt von Können Die „Internationale Ballett-Gala: Weltstars zu Gast in Berlin“ im Rahmen des YGP Germany versprach nicht zuviel, sondern strotzte nur so vor Glamour

Glamourös: die Gala vom ersten YGP Germany

Elizaveta Kokoreva vom Bolschoi Ballett aus Moskau zu Gast in Berlin: umwerfend! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Gestern war nicht nur der Tag der Deutschen Einheit. Es war auch ein Fest des Balletts in Berlin, wie man es lange nicht erlebt hat. Mikhail Kaniskin, seit diesem Jahr Chef und sowieso auch Gründer des YGP Germany, lud zu einer Gala in den Admiralspalast, deren Titel bereits zusammen fasst, was trotz der Corona-Pandemie mittlerweile wieder möglich ist: Die „Internationale Ballett-Gala: Weltstars zu Gast in Berlin“ zelebrierte hochkarätiges Ballett vom Feinsten aus Paris, Moskau, Sankt Petersburg, Mailand, Berlin, Stuttgart, Dortmund – und aus aller Welt insofern, als die Finalist:innen vom Youth Grand Prix Germany (YGP) den Einstand mit einem köstlichen Grand Défilé gaben. Mit hautfarbenen Masken zeigten die jungen Leute tatkräftig, wofür ihr Herz schlägt: für Tanz, für Ballett!

Um „die Leidenschaft zu tanzen“ ging es auch in der Rede von Gastgeber Mikhail „Misha“ Kaniskin, als er das Publikum im fast ausverkauften Admiralspalast mit über 1700 Plätzen begrüßte.

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Voilà: Mikhail Kaniskin vom YGP Germany und Franziska Rengger vom Ballett- und Tanzstudio Zehlendorf bei der Ansage ihrer ersten gemeinsamen Supergala! Herzlichen Glückwunsch! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Ihm zur Seite nicht nur jetzt auf der Bühne stand Franziska Rengger vom Ballett- und Tanzstudio Zehlendorf, sie ist beim YGP für die Organisation und Logistik zuständig.

Man möchte vielleicht gar nicht wissen, ob es hinter den Kulissen auch so geordnet und perfekt zuging wie jetzt bei der großen Show. Anzunehmen ist, dass so ein neuer internationaler Wettbewerb allerhand Arbeit macht und unglaublich viele Mühe im Detail verlangt. Talenteförderung fällt nun mal nicht vom Himmel – und umso großartiger und bedankenswerter ist es, dass Berlin jetzt mit Kaniskins YGP Germany diese ernstzunehmende Plattform für angehende Ballerinen und Ballerinos hat.

Und die Gala! So ein Traum! Und doch wahr!

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Alexei Putintsev gibt sich die Ehre – auf höchstem Niveau. Foto vom „Talisman“ von Marius Petipa von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Keine geringeren als Elizaveta Kokoreva und Alexei Putintsev vom Bolschoi Ballett – an deren Akademie Mikhail Kaniskin zum Tänzer ausgebildet wurde – führten die Profiliga an und boten mit dem Grand Pas de deux aus „Le Talisman“ in der klassischen Choreografie von Marius Petipa einen ballettösen Leckerbissen de luxe.

Kokoreva und Putintsev gehören zur jungen Liga der Startalente vom Bolschoi, und nicht nur darum passen sie ganz vorzüglich auf eine Gala wie diese. Sie verströmen beide auch das ganz besondere Flair akademisch geschulter, aber pointiert von spürbarer Mühsal befreiter, hellauf mitreißender Klassik.

Jugend und absolute Professionalität vereinen sich hier zu einem Fest der Sinne.

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Elizaveta Kokoreva und Alexei Putintsev in „Der Talisman“ von Marius Petipa – fulminant schön. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Im Libretto geht es um eine Tochter des Himmels, die sich aus Liebe zu einem Mann für ein Leben auf der Erde entscheidet.

Himmel und Erde verheiraten sich sozusagen, und so der junge Mann hier für das irdische Prinzip steht, verkörpert die junge Dame die Kräfte der Unsterblichkeit.

1889 wurde das Ballett von Petipa in Sankt Petersburg uraufgeführt.

Kleine, feine, komplizierte Spitzentanzkombinationen ergänzen bei der weiblichen Hauptrolle die üblichen Arabesken und Drehungen. Ihre Partie ist im Ausdruck lyrisch und zart, hingebungsvoll und freudig erregt.

Schließlich hat dieses Mädchen den Mut, sich gegen ihre himmlische Verwandtschaft zu stellen, um einem Maharadscha – immerhin ist es ein reicher, prächtig ausgestatteter und attraktiver Bursche, den sie sich erwählte – die Hand fürs Leben zu geben.Da darf sie ruhig ein wenig übersprudeln vor Freude, ein wenig forcieren und drängeln, mit der Fröhlichkeit der Musik von Ricardo Drigo sozusagen um die Wette hüpfen. Sie weiß ja noch nicht, auf was sie sich einlässt!

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Alexei Putintsev verbeugt sich mit Galanz und Charme, Gefühl und Ehre: nach seinem Auftritt in „Der Talisman“ von Marius Petipa. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Für den männlichen Part aber heißt es: Springen, springen, springen! Er will seine junge Braut beeindrucken, will zeigen, dass die Erde auch lebendige Schätze hervorbrachte, die sich lohnen. Kraft und Schönheit, Verliebtheit und Respektabilität strahlt sein Tanz aus.

Und wie! Alexei Putintsev ist ein Ausbund an Temperament und kann glatt als kommender Nachfolger von Denis Rodkin gelten. Der übrigens auch schon im Admiralspalast gastierte, und zwar 2016 auf der Gala „Malakhov & Friends“. An dieses Event fühlt man sich denn auch mitunter erinnert.

Aber man hat keine Zeit, um allzu lange Gedanken der Vergangenheit nachzuhängen. Hier tobt das tänzerische Leben, und es ist mitreißend wie nie!

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Alexei Putintsev beim Applaus: huldvoll und bewunderungswürdig. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

„Le Talisman“ entstand übrigens für eine Benefiz-Vorstellung zu Gunsten einer italienischen Ballerina. 1895 brachte Petipa es dann in einer neuen Version mit der berühmten Pierina Legnani heraus. Es wurde ein Supererfolg, und wenn man Kokoreva und Putintsev gesehen hat, dann weiß man, wieso. Die tänzerischen Zutaten zu dem etwas wirren, aber durchaus logisch gestrickten Libretto begeistern und entfesseln Synergien, wie sie nur das Ballett aufbringen kann.

Dagegen hatte es Ava Arbuckle, eine vermutlich kommende Startänzerin aus Stuttgart – noch trainiert die Ballerina als Studentin der John Cranko Schule – ein wenig schwer.

 

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In ein sexy geschlitztes schwarzes Abendkleid gewandet, demonstriert die Noch-Studentin Gelenkigkeit und Geschmeidigkeit, Schnelligkeit und sehr schöne Proportionen. Am Boden, in der Luft, bei eher klassischen und eher zeitgenössischen Bewegungen. Dabei ist ihr Solo zugleich eine Chance und ein Handicap für sie.

Denn was Catherine Livengood und Brian Stevens sich da unter dem Titel „Woman“ („Frau“) nach einem gleichnamigem Song ausgedacht haben, ist zwar geeignet, um die turnerischen Qualitäten der Tänzerin zu demonstrieren. Aber inhaltlich ergibt sich eine glatte Null. Sexiness? Fehlanzeige. Der berühmte Schlitz im Kleid suggeriert zwar ein gewisses Maß an Laszivität, aber tänzerisch-darstellerisch wird das überhaupt nicht eingelöst.

Irgendwie beschleicht einen der Verdacht, hier könnte der Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts die Wahl der Staranwärterin getroffen haben. Dynamisch, schnell, oberflächlich – so stellt sich die Autofirma in Werbe- und Imagefilmen dar, und genau so wirkt dieses junge Mädel, das außer technischer Begabung noch nicht allzu viel zu bieten hat.

Ein Dreamteam auch backstage: Nicoletta Manni und Timofej Andrijashenko von der Mailänder Scala. Foto von Facebook: anonym

Dagegen haben Nicoletta Manni und Timofej Andrijashenko trotz ihrer Jugend schon eine Menge an Auftrittserfahrung. Aber auch ihr Pas de deux, den sie ganz in Weiß gewandet, herzeigen, entbehrt einer erkennbaren inhaltlichen Grundlage. „Luminous“ von Andras Lukács reitet auf der Erfolgswelle der Plätscherklänge von Max Richter im Ballett und lässt dazu die beiden Stars des Balletts der Mailänder Scala gleitende, erfreuende, aber eben nur rein dekorative Schritte ausführen. Trotzdem sind die verwirbelten Anteile dieser Choreo durchaus mitreißend – wie zwei quirlige Engel, die sich über die Langeweile im Himmel hinwegtrösten müssen, haben die beiden etwas Schwebend-Schalkhaftes.

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Elisa Carrillo Cabrera und Mikhail Kaniskin beim Applaus nach ihrem Duett aus dem „Lindentraum“ von Uwe Scholz. Sehr sublim und so modern-intensiv! Was für ein tolles Paar! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Ganz anders, nämlich tief innerlich, ist der Pas de deux „Jeunehomme“ („Junger Mann“) aus dem „Lindentraum“ von Uwe Scholz zur Musik von W. A. Mozart. Elisa Carrilla Cabrera und ihr Gatte und Gala-Gastgeber Mikhail Kaniskin beschwören in ihrem Tanz die Zartheit der Klassik und die Intensität der Moderne.

In schwarzen Kostümen (die Gala folgt dem Prinzip der Kontraste, nicht nur, aber auch, was die Kostüme angeht) findet und verliert sich hier ein Paar, um sich schließlich erneut zu vereinen.

Zu Beginn stehen sie lange mit dem Rücken zum Publikum mit kleiner Distanz zwischen sich nebeneinander: Sie erspüren die entzückende Mozart’sche Musik, teilen mit uns im Zuschauersaal diese Gefühl vom Bezaubertwerden allein durch Klänge.

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Auch privat sind sie ein gefestigtes Paar mit Töchterchen Maya: Elisa Carrillo Cabrera, Maya und Mikhail Kaniskin beim Schlussapplaus der ersten YGP-Gala in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Am Ende sind sie ein gefestigtes Paar, das mit Zuversicht in die Zukunft blicken kann. Aber dazwischen erleben sie die Höhen und Tiefen einer Beziehung, die Sehnsucht nacheinander und die Abstoßung voneinander. Die Einsamkeit, die man auch zu zweit empfinden kann, ebenso wie die unersetzbare Nähe zwischen zwei Liebenden.

In eleganten Hebungen und den für Scholz typischen kleinen Steigerungen entwerfen die Berliner Superstars das Szenario einer lebbaren Liebe.

Zum Stichwort „Superstars“ darf hier ausgeführt werden: Sie ist Trägerin des Benois Prix de la Danse, er hat eine fulminante Karriere als Primoballerino hinter sich – und beide sind bereits erfahrene Veranstalter. Elisa Carrillo Cabrera und Mikhail Kaniskin sind also wirklich Superstars, in gleich mehrfacher Hinsicht.

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Akkurat wird sich verbeugt, originell ist dabei der rechte Arm oben. So zeigen es Schüler:innen der Staatlichen Ballettschule Berlin auf der ersten YGP-Gala in Berlin. Yeah! Foto: Gisela Sonnenburg

So weit kommen nun nicht alle, die ins Profigewerbe des Tanzes drängen. Aber die Schüler:innen des 4. bis 9. Ausbildungsjahres der Staatlichen Ballettschule Berlin lassen sich von der Härte des Wettbewerbs in solchen Traumberufen nicht abschrecken. Mit Elan und Überzeugung, das Richtige zu tun, tanzen sie eine Choreografie namens „Opus 43“ („Werk 43“) ihres Lehrers Christoph Böhm zu Beethovens Musik „Die Geschöpfe des Prometheus“.

Es handelt sich allerdings eher um eine Trainingschoreografie, die sich mit vielen kleinen Pas de chats, eleganten Arabesken und auffallenden Pirouetten-Manövern vielleicht an Glanzwerken von George Balanchine wie der „Sinfonie in C“ zu orientieren versucht, die aber insgesamt kein künstlerisches, sondern ein erkennbar pädagogisches Stück ist.

Immerhin: Sie können zeigen, dass sie was können, die Kids, und sogar das Verbeugen – originellerweise als Gruppe mit erhobenem rechten Arm – klappt ganz vorzüglich.

Mikhail Kaniskin hatte darauf hingewiesen, dass der YGP Germany ohne die „Staatliche“ nicht hätte stattfinden können. Das fanden sicher auch viele Zuschauer:innen, was am Applaus zu merken war. Natürlich kommen Angehörige und Freund:innen, um die jüngsten Teilnehmer:innen einer solchen Gala zu sehen. Die Stars der großen Opernhäuser nehmen sie dann wie nebenbei als Draufgabe mit.

Andere kommen aber gerade wegen der großen Stars. Warum auch nicht?! Qualität hat noch nie geschadet in der Kunst, auch wenn man das in Deutschland manchmal drei Mal sagen und zusätzlich unterstreichen muss.

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Superstar Lucia Lacarra und Matthew Golding in „After the Rain“ von Christopher Wheeldon – unvergesslich! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Und bevor die Megaballerina Lucia Lacarra zu sehen sein wird, gibt es eine Kostprobe eines zukünftigen Stars zu sehen, dessen äußere Ähnlichkeit mit Vladimir Malakhov („Malakhov & Friends“) verblüffend ist.

Die Rede ist von Brady Farrar, dem aktuellen Gewinner der YAGP North American Finals. Wenn man so will, kann er als bestes Nachwuchstalent im Ballett der USA gelten. Aber solche Hochrechnungen sind eigentlich Unsinn, denn niemand weiß genau, wen es noch so alles gibt und wer sich wie entwickeln wird.

Dennoch zeugt es von einem rasanten Aufstieg für einen 16-Jährigen, auf seinem Gebiet bereits als bedeutendstes Talent der USA zu gelten. Er kommt aus Miami, Florida, tanzt, seit er fünf Jahre alt ist, und seine Mutter Tricia Farrar hat seine junge Karriere nach Kräften gefördert.

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Es gab Blumen für die Stars, hier für Lucia Lacarra an der Seite von Matthew Golding und für Elisa Carrillo Cabrera (rechts). Es sind so umwerfende Leistungen, die unsere Künstler:innen erbringen! Foto vom Schlussapplaus der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Tatsächlich ist es schier unfasslich, dass er noch so jung ist. Er wirkt reif wie ein Zwanzigjähriger, und die gängigen Techniken beherrscht er besser als so mancher Solist unserer Tage. Die Choreografie „And you’ll see me“ nach dem Song von Xiu Xiu stammt von Travis Wall, der bereits ein renommierter Choreograf und Ausbilder mit Schwerpunkt im Entertainment ist.

Er lässt den jungen Interpreten viele weite Spreizbewegungen der schönen langen Beine vollführen, und mal darf er melancholisch-sanft, dann wieder spritzig-mondän damit auftrumpfen.

Dramatisch sollen die Gefühle hier sein, sie schrammen aber nur knapp am oberflächlichen Niveau der Hitparade vorbei. Wirklich, das ist eine typische Möchte-Gewinner-Sein-Nummer, die ansonsten aber leider keinen Inhalt zu transportieren gedenkt.

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„After the Rain“ zeigt ein Paar, das um seine Liebe kämpft – und sich dabei immer näher kommt. Megaballerina Lucia Lacarra und Matthew Golding faszinieren in diesem Stück von Christopher Wheeldon. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Das ist beim nächsten Staraufgebot anders. „After the Rain“ von Christopher Wheeldon zählt zu den wichtigsten Pas de deux unserer Zeit, und mit Lucia Lacarra und ihrem aktuellen Partner Matthew Golding eröffnet sich jedes Mal, wenn man das Stück sieht, eine neue Welt.

„The Mirror in the Mirror” heißt das Musikstück von Arvo Pärt, das dazu gespielt wird, und „After the Rain“ ist bereits der zweite weltbekannte Paartanz, der dazu choreografiert wurde. Der erste entstammt dem abendfüllenden „Othello“-Ballett von John Neumeier und wurde 1985 als äußerst erotischer Entkleidungstanz kreiert.

Entkleidet wird übrigens der Mann, also Othello.Wheeldon, der fraglos in der Tradition von Neumeier steht, erfand dann 2005 – im Geburtsjahr von Brady Farrar übrigens – seine tänzerische Version zu der suggestiven minimal music, und das Duett wurde bei einer Gala zu Ehren des Geburtstags von George Balanchine in New York City uraufgeführt.

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Lucia Lacarra auf der Schulter von Matthew Golding in „After the Rain“ – ein Triumph der Liebe durch Geduld und Treue. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Es handelt sich bei diesem Pas de deux um das Abschlussstück des gleichnamigen Balletts von Wheeldon, dem ein Stück zu weiterer Musik von Pärt vorangeht.

In dem fulminanten Duett geht es aber nicht, wie bei Neumeier, um Entkleidung. Höchstens im metaphorischen Sinn. Denn das Paar, das sich mit „After the Rain“ („Nach dem Regen“) vorstellt, hat letztlich nichts mehr voreinander zu verbergen.

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Lucia Lacarra und Matthew Golding – man möchte mit ihnen fliegen, in Gedanken, in „After the Rain“. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Es geht um den Ausdruck stärkster Zuneigung. Der Mann hilft und stützt dabei die Frau, er zieht sie empor, hält sie, hebt sie. Umarmt sie. Oft.

Höhepunkt ist eine Hebung, bei der sie quer in der Luft liegt, mit durchgestreckten, etwas gespreizten Beinen – weit über seinem Kopf.

Ab da geht die Choreografie teilweise spiegelverkehrt zum Anfang zurück. Damit entspricht sie der Komposition von Pärt.

Im Rahmen ihres abendfüllenden Programms „Fordlandia“ haben Lacarra und Golding dieses tänzerische Goldstück bereits häufig zusammen getanzt. Aber die Magie der Sache beendet das keineswegs, im Gegenteil:

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Jedes Cambré eröffnet eine neue Gefühlswelt, wenn Lucia Lacarra es vornimmt. Hier mit Matthew Golding in „After the Rain“. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Wie es mit richtig guten Choreografien so ist, entfalten sie jedes Mal, wenn man sie sieht, erneut ihren Zauber, oftmals mit immer neuen Nuancen, Dimensionen und Facetten.

Der sanfte musikalische Impetus hier wirkt entrückend, und man weiß von Beginn an nicht genau, um es sich um ein Paar im Diesseits oder im Jenseits handelt.

Zu erkennen ist jedoch, dass sie gemeinsam einen nicht einfachen Weg gehen – tanzenderweise – und sich dabei des öfteren davon bedroht fühlen, dass die Aufgabe, die vor ihnen liegt, nicht zu schaffen ist.

Violine und Piano zirpen hier in den höchsten Tönen, um eine Atmosphäre des Unwirklichen zu schaffen. Und doch sind die Melodiestränge so klar und deutlich, dass man von einer beinahe göttlichen Reinheit sprechen könnte.

Wheeldon hat diesen Sound in eine ernsthafte Zielvorgabe umgewandelt.

Viele extreme und extrem schöne Cambrés der Dame werden konterkariert von den starken Armen des Herren, der sie hält und lenkt.

Die Rollenverteilung ist hier klassisch, aber genau dafür ist der zierliche Körper der Weltballerina Lucia Lacarra schließlich auch wie gemacht.

Durchschreiten die beiden nun die dornigen Wege ins Paradies?

Oder kommen sie von dort und müssen sich wie einst Adam und Eva auf der Erde zurecht finden?

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Der unumstrittene Festakt im Festakt: Auftritt Lucia Lacarra mit Matthew Golding in „After the Rain“. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

So oder so wird ein Schuh daraus, so oder so ergibt die Sache hier Sinn.

Es beschleicht einen sogar der Verdacht, dass das Leben an sich diese Ernsthaftigkeit an sich hat, auch wenn wir alles tun, um das zu vergessen.

Das Stück hat übrigens den heftigsten Applaus an diesem Abend, es überwältigt wohl wirklich jede und jeden, und die Publikumsliebe wird hier noch mehr angefacht als später bei Maria Khoreva und Kimin Kim.

Die Symbiose der beiden Liebenden in „After the Rain“ ist einfach bestechend. Es geht ja auch nicht um frische Verliebtheit darin, sondern im Gegenteil um den Erhalt der Liebe,  und das ist ganz und gar ungewöhnlich und originell gestaltet.

Eine berühmte Flugfigur aus dem Pas de deux steigert die Fantasie von der Liebe zu einem Freiflug ins Glück.

Freiheit, Seligkeit, Überhöhung – mit solchen Zielen tanzt das Paar hier, und dass die Liebe schließlich zum Boden führt, hat nicht nur erotischen Grund.

Möglicherweise geht es um ein Entschlafen für immer – die Choreografie lässt das offen, aber durchaus zu.

Und so mischt sich schlussendlich jene Traurigkeit in das Stück, der man von Beginn an mit Durchhaltegesten erfolgreich begegnet ist.

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Gemeinsam für die Liebe einstehen: Lucia Lacarra und Matthew Golding in „After the Rain“. Wow. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Fabelhaft. Lucia Lacarra tanzt das Stück besser denn je. Erhabener. Noch sinnlicher. Feminin weich und doch so stark. Ihr Körper strahlt Funken der Liebe aus, zwischen ihr und Matthew Golding floriert der Energieaustausch. Man könnte meinen, sie seien ein Organismus.

Sein etwas sturer Blick verleiht ihm dabei die Anmutung übergroßer Festigkeit. Er ist der Fels in der Brandung.  Das passt vorzüglich zu seiner Partie hier. Der „Brad Pitt des Balletts“ ist immer noch ein schöner, schillernder Mann, auch in dieser Rolle, in der er sich zu Gunsten seiner Dame zurückhalten muss.

Lucia erstrahlt derweil so schön und göttlich, wie wir sie kennen und lieben. Die langen, hier offen getragenen blauschwarzen Haare bilden einen Kontrapunkt zu ihren zarten hellen Gliedmaßen. Jede Bewegung sitzt und wirkt doch wie erstmals ausgeführt.

Man liebt und leidet mit ihr, kämpft mit ihr und geht mit ihr auf den letzten Weg.

Aber die Seele fliegt dabei!

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Hand in Hand auch beim Applaus: Lucia Lacarra und Matthew Golding nach „After the Rain“. Einfach schön. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Und so würde man dieses Stück am liebsten noch einmal sehen, und man muss schauen, auf welcher Gala es wohl kommen könnte. Mehr von Lucia und Matthew gibt es übrigens ab dem 16. Oktober 21 beim Ballett Dortmund, wo ihr neues Programm „In the Still oft he Night“ seine deutsche Premiere feiert.

Ich würde den nächsten Gala-Pas de deux in Berlin auch so gerne loben. Aber „Nachtmerrie“ von Marco Goecke, vorwiegend zu Klängen des Klavier-Jazz-Virtuosen Keith Jarrett getanzt, ist leider nur das Übliche, was man von Goecke kennt. Kaum zu fassen, dass sich ein schöpferischer Künstler so wenig weiter entwickelt. Es ist das jüngste Stück von Goecke, und das Einzige, das darin neu ist, ist ein Trick mit Streichhölzern: Die männliche Figur entflammt anscheinend so sehr in Liebe – was man körperlich oder mimisch aber überhaupt nicht sieht – dass er mit melodramatischer Geste ein Streichholz nach dem anderen abfackelt. Das soll hochpoetisch wirken und vielleicht an das arme „Mädchen mit den Streichhölzern“ erinnern – aber szenisch ist es einfach nur Kitsch.

Natürlich gibt es Leute, denen das gefällt. Kitsch kommt meistens ganz gut bis sogar sehr gut an. Aber wer mehr als zwei, drei Stücke von Goecke kennt, muss eigentlich schon ein wenig entsetzt darüber sein, wie wenig substanziell Neues ihm doch einfällt.

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Mackenzie Brown und Henrik Erikson vom Stuttgarter Ballett beim Applaus nach ihrer Show mit Marco Goeckes „Nachtmerrie“. Das Stück ist wahrlich ein Alptraum für Sensible… Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Im Vergleich zum Kanon des klassischen Tanzes sind seine Bewegungen derart reduziert und stilisiert – und ihrer Aussagekraft deutlich flacher – dass man zwar von einem eigenen prägnanten Stil sprechen kann. Aber keinesfalls von einer ausbaufähigen Grundlage für weitere Entwicklungen. Goeckes Stil ist eine Sackgasse.

Der Tanz findet wie immer bei Goecke zumeist im Stehen in modernen Hosen statt, wie ein Bollwerk der Textilbewerbung. Der Oberkörper darf dabei zappeln und sich hin- und herzerren, die Hände flattern, die Arme sprechen eine stotternde Sprache von Eintönigkeit.

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Ihre Mühe hat sich gelohnt: Mikhail Kaniskin und Franziska Rengger bei der Präsentation der ersten YGP-Gala in Berlin. Dankeschön! Foto: Gisela Sonnenburg

Ja, das moderne Leben ist schwer auszuhalten, scheint Goecke sagen zu wollen. Wieder und wieder. Diese Monotonie ist irgendwann kein Stilmittel mehr, sondern eine Art getanzte Bild-Zeitung der Vereinfachung. Aber Schlagzeile auf Schlagzeile – das macht nicht wirklich satt, nicht wirklich glücklich.

Wenn dann Lady Gaga vom Band rumnölt „I want your disease, I want your love”, dann ist der Pop-Kitsch-Verdacht endgültig erhärtet. Zu irgendeiner nachvollziehbaren Regung kommt es denn auch bei den Tänzer:innen nicht – sie müssen noch beim ärgsten musikalischen Schmonzes kühl und kalt bleiben wir Tanzroboter.

Bei Goecke soll das wohl die erkaltete Seele des 21. Jahrhundert darstellen. Aber faktisch wirkt es doch durchschaubar simpel.

Daran können Mackenzie Brown und Henrik Erikson, die noch jugendlichen Interpreten vom Stuttgarter Ballett, nichts ändern. Bestimmt sind sie vorzüglich. Aber wenn nur Altbekanntes mitzuteilen ist, schmeckt das nun mal wie lauwarmer, abgestandener Kaffee.

Dann doch lieber einen herzhaften, leicht gesüßten Café au lait!

Den liefern zwei Tänzer:innen, deren Spitzenklasse erwiesen ist und die mit ihrem Glanz so manches in den Schatten stellen können.

Dorothée Gilbert und Hugo Marchand – beide sind Étoiles beim Ballett der Pariser Opéra – zeigen das modern-romantischste Ballett überhaupt, es ist „Manon“ von Kenneth MacMillan.

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Dorothée Gilbert und Hugo Marchand reichen sich die Hände – in „Manon“ gelang ihnen das mit so viel Zauber! Foto von der ersten YGP-Gala: Gisela Sonnenburg

Die schwelgerischen Klänge von Jules Massenet stimmen sehnsüchtig, und wenn Marchand versonnen am Schreibpult sitzt, um zum Federkiel zu greifen, ist man schon ganz bei ihm.

Und ach, und wie süß und fraulich ist La Gilbert im Mieder als seine Geliebte! Natürlich hält sie ihn gekonnt von seinen Schreibarbeiten ab. Sie ist ein Weibchen durch und durch, eine Manon, die nicht durch scheinbare Unschuld, sondern durch deutlichen Lebenshunger bezaubert.

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Hugo Marchand beginnt die Szene aus „Manon“ verträumt am Schreibpult. Unübertrefflich poetisch! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Da trifft es sich gut, dass die beiden auch privat ein Paar sind. Man spürt schon, dass sie sich einfach gerne anfassen – und sie küssen und umarmen sich tatsächlich auch ein paar Mal öfter, als es die Originalchoreografie von MacMillan 1974 vorsieht.

Tänzerisches Kuscheln gehört hier aber in der Tat zum Programm. Die beiden – er als Student, sie als verhinderte Klostergängerin – sind auf der Flucht und hoffen, mit Manons Schönheit rasch zu Geld zu kommen.

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Auch privat sind sie so verliebt wie die Turteltäubchen: Dorothée Gilbert und Hugo Marchand aus Paris beim Applaus in Berlin. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Wie naiv und wie unredlich sie in ihrer Naivität doch sind! Und doch bewundert man ihre Liebe, die in all dem Schmutz des Alltags und in der Banalität des Daseins ein heller Lichtpunkt von Sternengüte zu sein scheint.

Und wie sich die Musik zu sinnlichen Höhen aufschwingt, so wirken auch die Hebungen und Drehungen hier leichthin und durchdrungen von der Macht der Herzen.

Es ist schwer zu sagen, ob Gilbert und Marchand den Pas de deux so fulminant tanzen, weil sie sich wirklich lieben – oder ob ihnen das die Sache zunächst sogar erschwert hat.

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Sie verstehen einander wirklich: Dorothée Gilbert und Hugo Marchand beim Applaus nach „Manon“. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Schließlich ist es ja kein rundum glückliches Pärchen, die Manon mit ihrem Des Grieux.

Soziale Umstände sprechen gegen die Verbindung, und die drohende Armut zwingt sie beide auf wirklich finstere Wege.

Wir wissen ja nun, wie tragisch die Geschichte enden wird. In dieser Szene, der „Schlafzimmer-Szene“, scheint es mit den Liebenden bergauf zu gehen, abenteuerliche Pläne würzen ihren Appetit aufeinander.

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Dorothée Gilbert als „Manon“ in den Armen von Hugo Marchand als Des Grieux in „Manon“ von Kenneth MacMillan. Wow! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Es ist absolut berückend, wie Dorothée Gilbert und ihr Hugo Marchand dieses beliebte Gala-Stück tanzen, und dass sie hier eine eher reife Frau ist und er eher der noch ganz junge Mann, verleiht der Geschichte eine neue Interpretation.

Diese Szene aus „Manon“ war übrigens eine Glanznummer von Vladimir Malakhov, der sie beim Staatsballett Berlin gern mit Julie Kent, damals Primaballerina beim American Ballet Theatre, als Gast gab.

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So ist die Liebe, jung, aber stark, von „Manon“: mit Dorothée Gilbert und Hugo Marchand aus Paris in Berlin. Foto von der ersten YGP-Gala: Gisela Sonnenburg

Dem Staatsballett Berlin gehört auch der nächste Auftritt, der vorletzte von den regulären: „Mare Crisium“ heißt das Stück von Arshak Ghalumyan nach der gleichnamigen Musik von Karl Jenkins. Es ist ein Quintett für schnelle Damen und kein Neuling mehr auf Galas. Mit seinen Blitzbewegungen, die schlängelnd und laufend die ebenfalls raschen gesungenen Läufe der Musik parieren, bietet es einen erfreulich erfrischenden Anblick.

"From Berlin with Love IV"

Iana Balova surrt durch die Luft, schnell wie ein Pfeil, aber viel hübscher. So zu sehen in „Mare Crisium“ von Arshak Ghalumyan. Im Admiralspalast tanzte allerdings eine andere Besetzung. Foto: Yan Revazov

Filipa Cavaco, Sarah Hees-Hochster, Krasina Pavlova, Eloise Sacilotto und Pauline Voisard vom Staatsballett Berlin tanzen das Stück mit hoher Präzision und wieselflinker Eifrigkeit. Das Leben ist ein ständiges Tun und Machen hierin, ein stets Auf und Ab, ein Hin und Her schier ohne Ende. Sprünge und gleitende Ausfallschritte garnieren hier die leichtfüßige Mühsal.

Großen Applaus erhält diese in sich geschlossene Gruppenfantasie, die auch davon lebt, dass die einzelnen Individuen fein aufeinander abgestimmt ein Ganzes ergeben.

Glamourös: die Gala vom ersten YGP Germany

Viel Atmosphäre gab es auf der Bühne wie im Zuschauersaal! Foto vom Schlussapplaus von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Und dann kommt das Paar, für das manch Zuschauer:in ganz speziell die Augen aufreißt: Maria Khoreva und Kimin Kim vom Mariinsky Theater in Sankt Petersburg schwirren für den Gala-trächtigen Grand Pas de deux mit orangenem Tutu aus „Don Quixote“ herbei. Das ist nochmal eine Delikatesse von Marius Petipa, wieder mit bestem russischen Flair und Können präsentiert.

Kunst kommt von Können – das ist nicht nur ein schöner Lehrsatz für junge Leute jedweder Art, das trifft auch auf Stars wie diese beiden zu.

Mit vollendetem Timing, großer Akkuratesse und unbändiger Lust am Tanzvortrag bieten die zwei einen großartigen Auftritt der Luxusklasse.

Glamourös: die Gala vom ersten YGP Germany

Kimin Kim und Maria Khoreva knien im Grand Pas de deux aus „Don Quixote“. Olé! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Vor allem Kimin Kim setzt seine Sprünge hoch an, hält die Höhe, scheint auf dem höchsten Punkt stehen zu bleiben; er schwebt über die große Bühne, als sei die Luft sein eigentliches Element. Das Publikum johlt, ist kaum zu bremsen mit Szenenapplaus!

Und als Khoreva mit ihren Fouettés voll durchstartet, klatscht der ganze Saal im Takt mit. Heißa, das ist ein Spaß, der vielleicht nicht nur mit Kunst, sondern auch mit Zirkus zu tun hat. Aber was ist eine klassische Gala ohne Zirkus-Komponente? Eben.

Ob hier Kitri und Basil, die beiden Hauptfiguren aus dem Ballett „Don Quixote“ tanzen, oder ob es einfach nur um die Demonstration von Rasanz und Virtuosität geht – man muss die beiden Superstars gern haben. Man sieht eben auch: Gerade weil sie sich anstrengen, bringen sie die Augen der Zuschauer:innen zum Leuchten.

Chapeau vor soviel glamourösem Einsatz auf der Bühne!

Glamourös: die Gala vom ersten YGP Germany

Maria Khoreva und Kimin Kim tanzen „Don Quixote“ – mit Verve und echtem Petersburger Elan. Yeah! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Die Musik von Ludwig Minkus, der sich als Fremdarbeiter im ballettösen Ausland auch Léon Minkus nannte, ist denn auch schmissig und pfeffrig. 1869 ist das Datum der Uraufführung, aber Petipas ungeliebter Schüler Alexander Gorski schuf zur Jahrhundertwende des Jugendstils, also 1900, eine abwandelnde Version, die die Grundlage der heute getanzten Varianten vom „Don Q.“ ist. Die Figur der Dryadenkönigin zum Beispiel, die oft als Doppelrolle mit Kitri besetzt wird, stammt ganz von Gorsky.

Was wir sehen, ist allerdings erkennbar der Petipa’sche Stil. Mit den bekannten schönen Klassik-Posen, Hebungen, Sprüngen und Pirouetten.

Dem Entrée, das beide miteinander geben, folgen die einzelnen Varianten. Und es ist absolut faszinierend zu sehen, wie stark die beiden auch als Solisten die Bühne beherrschen und mit ihrer Präsenz ausfüllen.

Glamourös: die Gala vom ersten YGP Germany

Maria Khoreva, gehalten von Kimin Kim, in „Don Quixote“: kokett und virtuos, wie es sein muss! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Maria Khoreva ist ja der jüngste Star vom Mariinsky, sie ist quasi zum Superstar aufgebaut worden, als sie noch Studentin an der Vaganova-Ballettakademie war. Ihre körperliche Eignung für Ballett ist groß, und ihr hübsches Gesicht und die sehr schlanken Proportionen mit hohem Spann und zarten Schultern dürften ein übriges für diese Auswahl getan haben.

Dennoch ist sie nicht unumstritten. Sie hat ein ehrgeiziges Management und vermarktet sich zusätzlich in auf Teenager zugeschnittenen Internet-Filmchen. Ihre Auffassung von Ballett scheint allerdings vor allem auf der Spaß-Komponente zu beruhen – und ob das auf Dauer für ein ernsthaftes Künstlertum ausreicht, ist die Frage.

Der Vorwurf an sie, vor allem bravouröse Technik zu präsentieren – wenn auch mit wirklich funkensprühender Freude – ist sicher nicht unberechtigt. Kenner:innen sehen zu wenig Herz, zu wenig Hingabe, zu wenig Gefühl in ihrem tänzerischen Vortrag – vor allem, wenn es sich um tragische Partien wie die Nikija in „La Bayadère“ handelt.

Mal ganz hart gesagt: Die Hoheit einer Ulyana Lopatkina, die auch einst so ein Wunderkind in Sankt Petersburg war, hat Khoreva jedenfalls nicht. Und auch die sublime, dennoch seidenweich atmende Strenge einer Svetlana Zakharova sucht man bei Maria Khoreva vergebens.

Eine „Bayadère“ würde ich denn auch eher nicht mit ihr empfehlen.

Glamourös: die Gala vom ersten YGP Germany

Maria Khoreva und Kimin Kim heizten mit „Don Quixote“ dem Publikum ein. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Aber: Mit dem „Don Quixote“ ist Maria Khoreva goldrichtig besetzt: Das Spritzige, Quirlige, Freche, Frivole, auch Kokette dieser Rolle ist ihr praktisch wie auf den süßen Leib choreografiert.

Und Niedlichkeit ist immerhin auch ein Vorzug, den nicht jede Tänzerin in so starkem Maß für sich beanspruchen darf.

Wieweit sie sich noch entwickeln wird – sie ist ja noch blutjung – bleibt abzuwarten. Und vielleicht wächst sie ja wirklich in ein Portfolio, das das Etikett „eine der besten Ballerinen der Welt“ verdient.

Passen im „Don Quixote“ wunderschön zusammen: Maria Khoreva und Kimin Kim. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Kein Zweifel, Khoreva ist ein Typ und nicht irgendwie beliebig. Auf der Bühne macht sich das bezahlt, und auch wenn ihre Landungen manchmal an Sauberkeit etwas vermissen lassen, so ist es doch eine schiere Freude, ihr zuzuschauen.

Überragend auch neben ihr wirkt dennoch der zarte, agile, nicht zu bremsende und zudem auch noch hoch musikalische Kimin Kim. Was für ein wunderbarer Mann!

Er wurde 1992 in Seoul geboren und hat bereits den unumstößlichen Status einer Legende der Sprungkraft.

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Kimin Kim mit Maria Khoreva im „Don Quixote“, olę! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Als erster nicht-russischer Künstler wurde er Erster Solist (Principal) am Mariinsky, und auf Galas und als Gaststar wurde er rasch weltweit als Ikone des internationalen, eben auch asiatisch geprägten klassischen Balletts bekannt.

Seine Mutter ist übrigens Musikerin. Ob sie mit ihm als Kind gearbeitet hat? Es ist jedenfalls verblüffend, wie präzise und taktsicher er seine Meistersprünge zu platzieren weiß.

Er tanzte schon mit Olga Smirnova, Maria Yakovleva und Viktoria Tereshkina. Und jetzt eben mit La Khoreva.

Sie ist acht Jahre jünger als er, gefühlt aber schon ein „alter Hase“ auf der Bühne. Schon seit drei Jahren ist sie Erste Solistin beim Mariinsky – und noch länger wird Maria Khoreva als Superstar der Zukunft weltweit eingeladen und herumgereicht.

Häufig tanzte sie mit dem deutlich reiferen Vladimir Shklyarov, um jetzt mit dem bubenhaften Kimin Kim zu reüssieren.

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Maria Khoreva im Triumph à la „Don Quixote“ – yeah! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Und wie! Man kann sich vor Freude wirklich kaum halten. Es ist ein Fest der Brillanz und Bravour, und auch das Miteinander der beiden Stars ist glaubhaft und ohne Übertreibung ein Fest der Verliebtheit.

Und da geht es auch schon weiter, mit dem Ballabile, also dem „Grande Finale“ nach der Défilée-Musik, einer Polonaise von Peter I. Tschaikowsky. Nacheinander strömen die Teilnehmer:innen auf die Bühne, um einen kurzen Extrakt ihrer gezeigten Arbeit nochmals vorzutanzen.

Und so sieht man die gezappelten Stotterbewegungen von Marco Goecke auch mal zu fetzig-klassischer Musik – ein durchaus lustiger Anblick.

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Glanz und Genuss auch beim Applaus! Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Wenn dann die großen und kleineren Stars sich zum Applaus einfinden und verbeugen, hat man spätestens das untrügliche Gefühl, dass es nichts Schöneres geben kann als eine solche Weltklasse-Ballett-Gala mit Jugendanschluss.

Im kommenden Jahr, so versprechen Mikhail Kaniskin und Franziska Rengger, wird es ein Wiedersehen geben.

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Welch Staraufgebot! Aus Paris, Petersburg, Mailand, Berlin… sie teilen die Passion des Balletts, beglücken damit ihr Publikum. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

Der YGP Germany ist erfolgreich in die Welt gekommen – und das soll Jahr für Jahr angemessen mit einer Gala von Weltklasse gefeiert werden.

Es ist wirklich enorm, was Mikhail Kaniskin und sein Team geleistet haben.

Wir in Berlin sagen Dankeschön – und haben jetzt einen trifftigen Grund, uns auf 2022 zu freuen!
Gisela Sonnenburg

www.ygp-germany.com

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Noch ein Augenaufschlag mit Ade von Elizaveta Kokoreva vom Bolschoi Theater in Moskau. Foto von der ersten YGP-Gala in Berlin: Gisela Sonnenburg

ballett journal