Es klingt wie großer Jubel. „Rund 400,– Euro mehr“ für die Tänzerinnen und Tänzer des Berliner Staatsballetts: Das verkündet eine wie ein Flugblatt aufgemachte Pressemitteilung der kleinen Gewerkschaften GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) und VdO (Vereinigung Deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V.). Dabei hat weder die eine noch die andere Mini-Gewerkschaft auch nur ein Mitglied im Staatsballett Berlin, das zu fast hundert Prozent bei ver.di organisiert ist. Ausgehandelt hat denn auch ver.di die Gehaltserhöhungen, und zwar schon vor längerer Zeit – und nicht etwa mal eben die beiden „Feigenblatt“-Gewerkschaften. Wie also kommt dann diese Blindmeldung, im Kontext eine glatte Fälschung, zustande?
Die in der aktuellen Sache erfolglosen Kleingewerkschaften GDBA und VdO, die vom geschäftsführenden Direktor des Berliner Staatsballetts, Georg Vierthaler, seit über einem Jahrzehnt als Alibi-Lobbyisten der Tänzerschaft gehalten werden, hängten sich ran an ver.di – und verschweigen so mutwillig wie geflissentlich die Verdienste der fachübergreifenden Großgewerkschaft. Verteilt wird das prekäre Blatt Papier von Georg Vierthaler – als sei er der Vormund der beiden Mini-Gewerkschaften.
EINS ZU NULL FÜR VER.DI
Denn ver.di hat bereits vor Monaten und sogar Jahren, und zwar für den gesamten öffentlichen Dienst in Deutschland, in einzelnen Verhandlungsschritten die Gehaltserhöhung von 14 Prozent ausgehandelt: exakt in den Jahren 2010 bis 2015. Seit Januar 2015 muss gezahlt werden: Die Gehaltserhöhung gilt für Pförtner, Verwaltungsangestellte, Hausjuristen, Dramaturgen und alle anderen – und eben auch für Tänzer. Nur wollte das Staatsballett Berlin – mit Hilfe von GDBA und VdO, die bisher zu der Sache schwiegen – bei den Tänzern mal wieder sparen. Zuletzt nutzte Georg Vierthaler unverhohlen und sogar schriftlich die ab Januar 2015 fälligen Gehaltserhöhungen den Tänzern gegenüber als Erpressungsmittel: Er werde erst zahlen, so versprach er, wenn die Tänzerschaft auf eine Vertretung durch ver.di verzichtet. Nach zwei Mal Streiken ändert er nun seine Taktik.
NUR EIN POLITIKER MISCHT BISHER MIT
Vor Vierthaler verfasste zudem Wolfgang Brauer, der einzige Politiker, der in dieser Sache bisher mitmischt, ebenfalls eine Pressemitteilung zum Thema. Diese ist seriös und fasst das Geschehen zwar aus Sicht des Versenders, aber in der Sache rundum richtig zusammen. Brauer, kulturpolitischer Sprecher der Berliner Linksfraktion, ersetzt hier sozusagen handlungstechnisch den völlig untätigen und vermutlich sachlich auch gänzlich ahnungslosen, durchaus auch ignorant zu nennenden Berliner Staatssektretär für Kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner.
Renner, spätestens seit einer groß angelegten verbalen Attacke auf ihn durch den Weltkünstler und Berliner-Ensemble-Intendanten Claus Peymann, gilt als im Grunde zum Abschuss freigegeben, was Kulturkompetenz angeht. Viele sehen in ihm nur noch den Sparhansel, der mit ärmlichen Scheinvisionen Personal abwickeln soll. Insofern dürfte die Mitgliedschaft der Tänzer vom Staatsballett Berlin für sie selbst besonders wichtig sein – auch als Schutz vor einem womöglich in Zukunft aggressiv vorgehenden Sparflammen-Staatssekretär.
Brauers Stellungnahme zum Krieg Vierthalers gegen seine Tänzer hat indes Schmackes – ein wohltuendes Gegenbeispiel zur Augenwischerei, die GDBA und VdO versuchen.
EIN GEGENBEISPIEL: WOLFGANG BRAUERS MITTEILUNG
EIN IN DER HISTORIE EINMALIGER VORGANG
In der Geschichte der Gewerkschaften in Deutschland dürfte der gesamte Vorgang ziemlich einmalig sein. Immerhin ist Vierthaler jetzt eingeknickt, er zahlt, obwohl die Tänzer bei ihrer ver.di-Mitgliedschaft bleiben und auch weiterhin von ver.di vertreten werden wollen. Eins zu Null für ver.di – und auch für Wolfgang Brauer!
Verhandlungen mit ver.di lehnt Vierthaler indes weiter ab. Damit bleibt er auf rechtlich unwegsamem Terrain. Er mobbt, diskriminiert, ächtet ver.di. Er nimmt Sabine Schöneburg von ver.di die Chance, ihren wohl verdienten Wettbewerbsvorteil im Gerangel der Gewerkschaften zu nutzen. Er behindert sie – das ist strafbar und verklagbar.
Er hat indes mehr Angst vor der Macht einer großen Gewerkschaft, die was anderes macht, als sich wegzuducken, als vor dem Durchgreifen des Rechtsstaats, der in dieser Sache noch nicht zu Handlungen aufgefordert wurde. Das kann sich aber bald ändern. So verweigert die Geschäftsführung einstweilen unrechtmäßig weiterhin, mit Sabine Schöneburg von ver.di zu verhandeln – und bevorzugt die mitgliedlosen Kleingewerkschaften. Weil ver.di Vierthaler angeblich zu handlungspotent sei. So eine Argumentation ist allerdings nicht haltbar. Wo käme ein Land hin, wenn jemand diskriminiert werden darf, weil er was kann?
DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZU
Bislang versucht ver.di, sich ohne Rechtsstreit Vierthaler gegenüber zu behaupten. Sich sozusagen im Guten zu einigen. Die Tänzer profitieren ja auch schon davon. Es wird aber wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Rechtsmittel gegen Vierthalers Fisimatenten eingelegt werden wird. Erst dann wird das Imperium wirklich zurück schlagen, und zwar nicht in Form guter Kontakte eines strammen Vierthalers, sondern als Imperium eines demokratischen Rechtsstaats.
Schließlich geht es aus Sicht der Tänzer nicht nur um etwas mehr Geld und tschüss. Von den rund 400 Euro brutto Mehrgeld pro Monat, die rückwirkend ab Januar 2015 gezahlt werden müssen, gehen ohnehin noch die üblichen Abzüge ab. Es geht den Tänzern aber prinzipiell um etwas anders als nur um Moneten: Es geht ihnen auch um eine Struktur für die Zukunft, die die speziellen Arbeitsbedingungen der Tänzer vom Staatsballett Berlin respektiert. Es geht um einen Haustarifvertrag, wie ihn ver.di auch schon für andere Balletttruppen ausgehandelt hat. Um nicht mehr geht es hier – aber auch nicht um weniger.
Gisela Sonnenburg
Welche der künftigen Vorstellungen des Staatsballetts Berlin bestreikt werden, ist offen!
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