Ein modernes Märchen aus Paris „Neneh Superstar“ begleitet eine ungewöhnliche Ballettschülerin in Paris auf ihrem Weg zur Bühne. Der Kinofilm ist für Kinder ab sechs und ihre Familien ebenso empfohlen wie für alle Tanzfans mit Hirn und Herz

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Sie übt mit Erfolg mehr als andere: Oumy Bruni Garrel als „Neneh Superstar“: ein toller Film, erfrischend lebenslustig und keinesfalls unterdrückerisch. Foto: Mika Cotellon

Man kann sie so gut verstehen: Neneh-Fanta, ein 12-jähriges Mädchen, ist für anmutige Bewegungen sozusagen naturbegabt. Wenn sie mit ihrem Vater spazieren geht, tänzelt sie. Wenn sie noch dazu Musik hört, ist ihre Fortbewegung ein einziges quirliges Hüpfen und Springen. Und beim Warten auf die S-Bahn übt sie im Film „Neneh Superstar“ eine Beinführung. Kein Zweifel: Sie hat diesen Bewegungsdrang, der für Tänzer unerlässliche Voraussetzung ist. Also will Neneh zum Ballett, und weil sie in Paris lebt, bringt der Vater sie zur Aufnahmeprüfung der Ballettschule der Pariser Oper. Dort gefällt ihr verspieltes, dennoch strebsames Naturell – und nur die Leiterin der Schule hat gegen sie Vorbehalte. Der Grund: Nenehs Haut ist schwarz.

Das klingt nun ein wenig nach Klischee und Trendsetterei, aber das Gegenteil ist der Fall: Der Film behandelt das Thema Rassismus sehr differenziert.

So diskutieren die Lehrer unter sich ganz offen, ob schwarzhäutige Balletttänzer eine Chance haben. Ihnen fallen einige Beispiele aus dem Corps de ballet ein, aber kein Superstar. Was daran liegt, dass sie sich nur um die eigene Truppe in Paris bekümmern und nicht um London, München oder New York, wo es längst gefeierte schwarze Ballettstars gibt.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Erst seit gestern ist er Étoile statt Sujet an der Pariser Opéra: Guillaume Diop, mit 23 Jahren außerordentlich jung für einen Starballerino in Paris. Glückwunsch! Foto: Julien Benhamou / Screenshot von der Homepage des Balletts der Pariser Oper

Allerdings: Seit dem 12. März 23, also erst seit gestern Abend, gibt es auch in Paris einen schwarzen „Étoile“, nämlich den erst 23-jährigen Guillaume Diop. Er wurde just gestern nach der „Schwanensee“-Vorstellung, in der er den Siegfried tanzte, dazu ernannt. Sicher will man damit auch ein Zeichen setzen, hatten sich doch vor einigen Jahren andere schwarze Tänzer in Paris über die Tradition ohne schwarze Stars beschwert.

Weil „Neneh Superstar“ aber schon 2022 abgedreht war, fehlt dieser brandneue wandelnde Beweis für die demokratische Grundordnung der Pariser Opéra darin.

Dafür bestrickt im Film die kindlich-stürmische Weltsicht, die sich durch die einnehmende Hauptdarstellerin vermittelt. „Neneh Superstar“ ist dadurch ein echter Kinderfilm und keineswegs auf die Liebe zum Ballett zu reduzieren.

Weil die Zusammenhänge der fiktiven Kindheit spannend und herzerwärmend realisiert sind, lohnt sich das Anschauen unbedingt auch für Erwachsene. Schließlich war doch jede und jeder mal ein Kind, und die Erfahrungen einer kindlichen Außenseiterin können die meisten Menschen sehr gut nachvollziehen.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Neneh (Oumy Bruni Garrel) am Ziel: auf der Bühne. Foto aus „Neneh Superstar“: Mika Cotellon

Neneh, von der ausstrahlungsstarken Oumy Bruni Garrel so niedlich wie liebenswert gespielt, kann sich gut behaupten. Sie ist selbstbewusst und weiß genau um ihr Talent. Sie hat einen starken Bezug zu ihrer Umwelt und reagiert so sensibel und doch spontan und extravertiert, wie man es sich von angehenden Künstlern wünscht. Ihr Drang zur Bühne wirkt echt und überzeugend.

Darin erhält sie auch Unterstützung vom Opernintendanten. Er will – er ist sozusagen politisch korrekt – Neneh unbedingt in der elitärsten Ballettschule des Landes sehen. Bei den Sitzungen in der Ballettschule macht er entsprechend Druck. Und er spricht es zwar nicht aus, aber es schwingt mit, dass er der Meinung ist, es werde höchste Zeit für eine richtig dunkelhäutige Ballerina in Paris.

Das Kollegium stimmt ihm überwiegend zu. Nur ausgerechnet die elegante Direktorin Madame Belage, gespielt von der in Frankreich prominenten Maiwenn (ohne Nachnamen), wirkt starrsinnig und mehr als nur konservativ. Sie behauptet wirklich, das Ballett müsse weiß bleiben. Man fragt sich, woher ihre rassistische Ablehnung kommt, zumal sie ansonsten sachlich wirkt. Und man wittert förmlich, dass es da einen speziellen Hintergrund gibt.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Sie trägt den gleichen Chignon wie Neneh als Frisur, aber sie gebärdet sich zunächst total rassistisch: Maiwenn als Madame Belage, Ballettschuldirektorin in Paris. Foto: Mika Cotellon / „Neneh Superstar“

Aber zunächst ist Neneh vor allem glücklich, das Internat der Pariser Ballettschule zu besuchen. Sie ist beschwingt, wie elektrisiert und dennoch hellwach. Wir sehen sie, wie sie ihre Haare mit einem künstlichen Dutt frisiert, wie sie mit ihrer Mama im Fachgeschäft Strumpfhosen mit der passenden Farbe aussucht.

Dann schauen wir ihr beim Training in der Schule zu, bei Proben und beim Improvisieren. Was toll ist:

Die gute Laune schwappt nur so von der Leinwand!

Mehdi Kerkouche schuf zauberhafte zeitgenössische Choreografien, die Nenehs Freude am ausgelassenen, temperamentvollen Tanz spiegeln. Auch negative Emotionen sind in ästhetische Ausdrucksformen gegossen.

In manchen Szenen wird Oumy Bruni Garrel gedoubelt, meistens aber tanzt sie selbst.

Ramzi Ben Sliman, der für das Drehbuch und die Regie verantwortlich zeichnet, hat es geschafft, dem Filmplot mit dem Tanz einerseits und mit einer einfühlsamen Schauspielregie viel Zärtlichkeit und Lebensfreude und sogar eine Art poetischen Realismus einzuhauchen.

Auch von Oper und Ballett hat er Ahnung: Er steht mit Alexander Neef, dem Direktor der Pariser Oper, in Verbindung und hat auf Einladung von Aurélie Dupont, damals Ballettdirektorin in Paris, mit dem Corps de ballet gearbeitet. Außerdem hat er umfassend recherchiert, kennt auch die von arte produzierte,  legendäre Fernsehserie „Die Tanzschüler der Pariser Oper“ von Francoise Marie.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Die reale Leiterin der Ballettschule der Pariser Oper, Élisabeth Platel, gibt ein vorzügliches Training. Hier beim Prix de Lausanne 2023. Videostill von arte concert: Gisela Sonnenburg

Natürlich wurde aber nicht am Originalschauplatz gedreht. Staatliche Ballettschulen sind raummäßig meist so stark ausgelastet, dass es sehr schwer ist, dort die Genehmigung für einen Spielfilm zu erhalten.

Man muss auch sagen, dass die Geschichte von Neneh erkennbar Fiktion ist und das auch sein soll. Es ist eine Art modernes Märchen – und die harte Ballettrealität der angehenden Profis, die noch viele weitere Selektionsmuster kennt als nur die Hautfarbe, bleibt absichtlich ein Stück weit außen vor.

Das Verhalten von Marianne Belage, der Schulleiterin, ist allerdings schwer befremdlich. Neneh entwickelt sich ja gut und ist, was sie besonders sympathisch macht, für ihr Alter hervorragend gebildet. Ihre Fragen sind berechtigt und bezeugen einen aufgeweckten Geist. Von ihren Lehrern kennt sie deren Tänzer-Karrieren schon am ersten Tag, und Madame Belage wird von ihr vor allen anderen verehrt.

Warum nur kommt dann so gar keine positive Resonanz zurück?

Um keinen falschen Verdacht aufkommen zu lassen: Diese Schuldirektorin im Film hat mit der realen Direktorin der Ballettschule der Pariser Opéra nichts zu tun. Die dort mit Umsicht und sehr viel Einsatz agierende Élisabeth Platel, ehemalige Starballerina, ist eine der besten Ballettpädagoginnen unserer Zeit, und Rassismus ist ihr ebenso wie alles andere Oberflächliche zuwider.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

In die Arbeit des Öffnens bei richtiger Haltung vertieft: Élisabeth Platel in Lausanne beim Training der Wettbewerbskandidatinnen. Videostill von arte concert: Gisela Sonnenburg

Aktuell hat die Schule etliche Mädchen und Jungs mit dunklen Hautfarben, auch in den wichtigen Abschlussklassen, und dass sie nicht 30 Prozent oder mehr ausmachen, liegt vor allem an der Bevölkerungsstruktur der Balletteltern auch in Frankreich.

In ganz Frankreich leben geschätzt drei bis sechs Millionen Schwarze, bei einer Gesamtbevölkerung von 67,7 Millionen. In Städten wie Paris soll es zudem viele Schwarze als Illegale („sans papiers“) geben. Um sein Kind fürs Profi-Ballett anzumelden, muss man über einen gewissen Bildungsgrad verfügen, auch über Toleranz gegenüber der Hochkultur. Man muss nicht nur legal gemeldet sein, sondern darf auch gern finanziell begütert sein. Und: Die Religion der Familie, etwa der Islam, darf der Arbeit als Körperkünstler nicht mit Prüderie im Wege stehen.

Neneh hat diesbezüglich keine Probleme, im Gegenteil: Sie erfährt familiär viel Rückenwind. Sie ist ein Wunschkind, stammt aus einer liebevoll gezeichneten Mittelschichtsfamilie. Ihr übergewichtiger Vater unterstützt sie in ihrer Hingabe an den Tanz. Ihre Mutter hingegen muss erst davon überzeugt werden, dass Tanzen ein Beruf ist. Die kleineren Geschwister sind einfach nur stolz auf Nenehs Erfolge. Neid und Eifersucht muss Neneh manchmal bei ihren Freundinnen im Viertel ihrer Eltern, vor allem aber auch auf der Ballettschule ertragen lernen.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Oumy Bruni Garrel als „Neneh Superstar“: ein antirassistischer Film fürs Ballett, der nachdenklich und froh macht. Foto: Mika Cotellon / „Neneh Superstar“

Vorwitzig und keck markiert Neneh mit ihrer unverwüstlichen guten Laune in ihrer ansonsten weißhäutigen Ballettklasse den Klassenclown. Ihr Humor, ihre Lustigkeit – all das setzt sie raffiniert ein, um sich abzuheben und zugleich einzugliedern. Natürlich weiß sie, dass ihre Hautfarbe noch nicht die Norm ist im Ballett. Aber sie weiß auch, dass sie gegen Vorurteile erfolgreich kämpfen kann.

In einer Szene pudert sie sich dennoch mit deprimierter Miene am ganzen Körper weiß – als ein heimliches Experiment, über das sie mit niemandem spricht. Ganz still ist sie da, gedankenverloren. Die Kamera nimmt uns auch hier mit hinein in Nenehs Welt, die eben nicht ganz so heil ist, wie sie es sich wünscht.

Ihr Vater steht ihr in brenzligen Situationen bei: „Man muss dem Leid mit Mut begegnen.“

Neneh ist tapfer, mehr noch als andere Ballettkids. Auch, als sie ziemlich bösartig gemobbt wird, verrät sie die fiesen Mitschülerinnen nicht. Und sie bleibt stark, lässt sich nicht einschüchtern und nicht unterdrücken.

Ihr ballettöser Alltag, der auch darin besteht, die krausen Haare unter einem künstlichen Dutt-Haarteil zu verstecken, wird anschaulich und lebendig geschildert, ebenso ihr soziales Erleben. Schon damit punktet der Film enorm.

Ein getanztes, superbes Ballett-Highlight hält „Neneh Superstar“ auch bereit: Léonore Baulac, Étoile an der Pariser Oper, tanzt wie auf einer Gala ein Solo aus „Raymonda“. Kühl und unnahbar ist ihre Rolleninterpretation, und der  majestätische Stolz, der klassischen Ballerinen (und auch Folkloretänzerinnen) oft zu eigen ist, kommt dank ihr besonders gut rüber.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Ballett ist Spaß plus sehr harte Arbeit und auch sehr viel Disziplin, bis hin zur Frisur – und dennoch sollte es Kunst sein, nicht in erster Linie Sport. Oumy Bruni Garrel verleiht dem Ballett als „Neneh Superstar“ eine sehr lebendige Aura. Foto: Mika Cotellon

Zu den Darstellerinnen von Neneh und ihren Klassenkameradinnen ist allerdings noch etwas zu sagen. Sie haben zwar sichtlich regelmäßig Unterricht in klassischem Tanz, und sie haben auch relativ viel Körperbeherrschung für ihr Alter zwischen 12 und 14.

Aber ihre Füße strecken sie nicht so, wie es künftige Ballerinen tun, und insbesondere Neneh hat praktisch kein Auswärts in den Lenden. Wenn sie ihr Bein hoch wirft oder seitlich oben hält, so steht ihre Hüfte schief und das ganze Spielbein ist nach Ballettmaßstäben unsachgemäß einwärts gedreht.

Das ist schon ein bisschen schade. Es ist so, als würde ein Stürmer beim Fußballspielen den Ball nicht ins Tor, sondern immer wieder gegen den Pfosten treten. Alle, die sich mit Ballett ein wenig auskennen, erkennen das.

Andererseits hat man Verständnis für die Filmcrew, denn man bekommt nun mal keine Profi-Ballett-Schülerinnen für einen aufwändigen Spielfilm. Aus deren Zeitgründen nicht.

Die ehrgeizigen Kinder und Teenager und ihre Lehrer denken zuvorderst an ihre eigenen Karrieren im Ballett, nicht an die im Film. Kein Profi-Ballettkind erhält Auszeiten vom Training, um in einem Film mitzuspielen. Das ist Fakt.

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Insofern wurde hier eine sehr gute Lösung gefunden. Hobby-Kunstturnerinnen oder auch Hobby-Eiskunstläuferinnen sind weniger stark auf die Ausnutzung jedweder Zeit und Körperkraft fixiert, um sich leistungsmäßig zu steigern als die Ballettkids in der Profi-Laufbahn.

Und auch sie können sich ballettmäßig gut bewegen, denn das gehört zu ihrem Standardrepertoire im Training. Sie strahlen jedenfalls mehr Glaubwürdigkeit aus als die Mini-Ballerinen aus herkömmlichen Laienschulen, die man sonst in solchen Filmen als angebliche Ballettstudentinnen vorgesetzt bekommt.

Toll gezeichnet sind die unterschiedlichen Ballettlehrer. Einer ist ziemlich hart und unausstehlich, streng und autoritär. Neneh muss zehn Liegestütze machen, als sie ihm mit ihrer frisch-fröhlichen Art zu nahe kommt. Und keines der Mädchen ist mit ihm glücklich.

Eine andere Lehrerin ist das genaue Gegenteil: Nett und sanft, harmonisch und sparsam mit Tadeln macht sie den Kindern keinen Stress, sondern motiviert durch Aufmunterung. Solche Unterschiede im Lehrkörper sind ziemlich realistisch, und es ist gut, dass der Film das zeigt.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Neneh (Oumy Bruni Garrel) daheim: Ihre Mutter unterstützt sie mit Salat statt Fritten am Wochenende. Foto: Mika Cotellon / „Neneh Superstar“

Ebenfalls lobenswerterweise realistisch gezeigt: die alleinige Ausrichtung auf sehr schlanke Gliedmaßen im heutigen Ballett. Bei Neneh wird die Entwicklung von kurzen – dann etwas dick wirkenden, auf jeden Fall aber reliefförmig erhabenen – Oberschenkelmuskeln befürchtet. Früher galten solche Oberschenkel als Kennzeichen der Bolschoi-Ballerinen, und Tänzerinnen mit kräftiger Beinmuskulatur können zudem besser springen als die dünnbeinigen.

Aber heutzutage werden alle, die in den staatlichen Ballettbetrieben zu Profis ausgebildet werden, aussortiert, die sichtlich eine starke Beinmuskulatur haben. Nur die langen Muskeln, die parallel zum Knochen laufen und das Bein sehr schlank halten, werden noch akzeptiert. Weshalb uns zunehmend ein Einheitsideal im Ballett präsentiert wird, was auf Dauer langweilig und alles andere als vielfältig ist.

Bei Neneh wird von Lehrerseite gelobt, dass sie durch die entsprechende Physiotherapie ihre lang gestreckte Beinmuskulatur stärkt und die kurzen Muskeln bei ihr zurück gedrängt wurden. Sie hätte sonst tatsächlich keine Chance, jemals als Ballerina auf die Bühne eines Opernhauses zu gelangen.

Der Film weist damit über den üblichen Horizont der Diskriminierung nur wegen der Hautfarbe hinaus. In der Tat sollten die hochbezahlten Ballettprofis – Ausbilder, Trainer, Choreografen, Ballettdirektoren und Ballettmeister – mal intensiv darüber nachdenken, ob das Ideal, dem sie hinterherhecheln, wirklich zeitgemäß ist.

Letztlich ist es die Industrie und Werbe-Industrie, deren Mode-Ideal in puncto Magerkeit und dünnen Gliedmaßen das Ballett unterwandert hat. Besieht man sich Fotos der berühmten Ballettstars zu Beginn des 20. Jahrhunderts, entdeckt man unterschiedliche Figuren, ganz verschiedene – eben diverse – Muskel- und Fettverteilungen. Es ist schon seltsam, wenn man entdecken muss, dass etwa das zaristische Russland mehr Vielfalt an Tanzgestalten im Ballett hatte (und zwar bei den Ballerinen ebenso bei den Ballerinos) als wir heutzutage weltweit.

Wir erleben heute im Profi-Ballett außerdem eine einseitige Optimierung von Leistung und Belastbarkeit anstatt auch von Ausdruck und Kunst, was nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit der Psyche und dem Geist zu tun hätte. Der Film „Neneh Superstar“ steuert mit seiner Betonung der Ausstrahlung von Frische und Lebenslust wohltuend dagegen an.

Neneh Superstar - ein Kinofilm gegen Rassismus und für Ballett

Neneh (Oumy Bruni Garrel) schafft es auf die Bühne des Profi-Balletts – und kennt sich auch mit Ballettschuhen aus. Foto aus „Neneh Superstar“: Mika Cotellon

Und so schafft es Neneh schließlich auf die Bühne, wo sie sogar eine eigene, selbstgefundene Gestik in einen modernisierten „Schwanensee“ einbringen darf. Ihre Lockenmähne darf dabei zu sehen sein, auch das ist hier ein symbolischer Triumph über Vorurteile. Auch wenn sonst bestimmte Kostüm-Vorgaben für alle Mädchen gelten: Hier stehen die Locken für eine Befreiung.

Wie genau es zuvor sogar zur großen Versöhnung mit der Schuldirektorin Madame Belage kam, sei jetzt nicht verraten. Aber die Pointen dabei sind wirklich überraschend und auch realistisch gezeigt.

Und beide Versionen, also das französische Original mit Untertiteln und die deutsch synchronisierte Fassung, fangen das Flair von Menschlichkeit und Freude an der Kunst auf eine Weise ein, die sie unbedingt sehenswert macht.

Also: Bitte nicht verpassen!
Gisela Sonnenburg

„Neneh Superstar“, Frankreich 2022, 97 Minuten, ab 6 Jahre empfohlen, Kinostart in Deutschland: 6. April 2023

Infos, Trailer und Tickets hier: https://www.weltkino.de/filme/neneh-superstar

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