Wiebkes Flop Die Kacktat von Marco Goecke hat womöglich dramatische Spuren hinterlassen: Wiebke Hüster von der FAZ recherchiert neuerdings, ohne ausreichend zu überprüfen

Die Kameliendame wird 40

Artem Ovcharenko vom Bolschoi Ballett tanzte auch beim Hamburg Ballett als Gast, mit der ebenfalls dort gastierenden Alina Cojocaru als „Die Kameliendame“. Und mit Krieg hat diese Kunst überhaupt nichts zu tun. Foto: Kiran West

Was für eine Aufregung! Am 12. Juli 23 vermeldete Wiebke Hüster, vielfach bedauertes Opfer der Dackelkacke-Attacke von Choreograf Marco Goecke, in ihrem Hausmedium, also in der FAZ, unerhörte News: John Neumeier habe die Lizenz für sein Megaballett „Die Kameliendame“ fürs Bolschoi Ballett in Moskau verlängert. Und wie die gute Wiebke so ist, sparte sie gleich mal nicht mit Vorwürfen. „In welcher Welt lebt John Neumeier?“ schrieb sie – und wollte damit provozieren. Tänzer würden an der ukrainischen Front sterben, führte sie als Argument gegen Neumeiers Kunst am Bolschoi ins Feld. Dass es da einen Zusammenhang gibt, konnte sie aber nicht darlegen. Oder hatte Neumeier versucht, die Fronten zu glätten? Galt das zivilisationsprägende Prinzip des kulturellen Austausches als Brückenschlag wieder was? Doch schon sprang Dorion Weickmann, erbitterte Gegnerin der Hüster, Neumeier bei – und verkündete tags drauf in der SZ online, heute dann auch im Blatt gedruckt, das Ganze sei eine Ente und Neumeier habe seine Lizenz in Moskau nicht verlängert. Diese Info stamme von John Neumeier selbst. Oh! Da hat die FAZ also blanken Unsinn geschrieben?

Wiebkes Flop dürfte einen starken Schatten auf die FAZ werfen, zumal Hüster mit einem Mann, der einer der Herausgeber der FAZ ist, verehelicht ist. Lustig ist aber tatsächlich allein schon ihre Quellenangabe: „russische Zeitungen“ hätten von der Neumeier-Verlängerung berichtet. „Russische Zeitungen“ ohne konkrete Namensnennung – und da schrieb Wiebke Hüster ohne ausreichende Überprüfung einfach ab?

Tatsächlich vermeldeten Zeitungen in Russland, Neumeier habe die Lizenz verlängert. Sie sagten aber nicht, wann das war. Und es war schon 2021.

Die MKRU zum Beispiel – das ist die Moskowski Komsomolez, eine populäre Tageszeitung – nahm die Nachricht von der Lizenzverlängerung nur in den Titel, um damit Aufmerksamkeit für den Ballett-Beitrag zu bekommen. Ansonsten ist der Text eine ganz normale Reportage, um auf die folgenden Vorstellungen der „Kameliendame“ am Bolschoi hinzuweisen.

Den Trick, einen Vorgang aus der Vergangenheit als Besonderheit zu präsentieren, nutzen gelegentlich auch westliche Zeitungen. Aber Hüster hätte schon aus Gründen der journalistischen Sorgfalt bei Neumeiers Pressestelle nachfragen und sich vergewissern oder ein Statement holen müssen. Das hätte dann besser auch im Text gestanden.

Warum hat sie das nicht gemacht? Um rasch eine Sensation zu haben?

Alle Sittenwächter guter amerikanischer Pressetraditionen sollten jetzt auf die Barrikaden gegen die FAZ gehen. Was ist da los? Sensationen um jeden Preis?

Man wundert sich. Bis jetzt hielt man die FAZ und gerade auch Frau Hüster ja nicht wirklich für große Freunde der Russen in der jetzigen Situation. Dennoch schrieb die Hüster einfach bei russischen Schlagzeilen ab, ohne den Inhalt zu verifizieren. Wird das politische Ressort der FAZ das demnächst auch so machen? Qualitätsjournalismus sieht anders aus.

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Wie gut, dass die Weickmann gleich dagegen halten konnte!

Allerdings unterlief auch ihr in ihrem Beitrag von heute ein Fehler. So schreibt sie, Neumeier habe, als die schwulenfeindlichen Gesetze in Russland in Kraft traten, die künstlerischen Brücken nach Moskau nicht abreißen lassen, „wiewohl seit 2018 selbst mit einem Mann verheiratet“. Die Gesetze in Russland, die nicht Homosexualität, sondern das Zeigen und Propagieren von Homosexualität vor Minderjährigen und in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen, stammen aber schon von 2013. Damals war Neumeier noch nicht verheiratet.

Beide Kolleginnen, Hüster und Weickmann, wissen offenbar auch nicht, dass 2020 das Hamburg Ballett auf seinem Gastspiel in Moskau unzensiert das um den auch schwul liebenden Tänzer Vaslav Nijinsky kreisende Stück „Nijinsky“ von Neumeier tanzte; es wurde im Bolschoi Theater stark  bejubelt.

Und darf ein Künstler nicht sowieso selbst und ohne Krieg im Kopf entscheiden, wann seine Stücke wo aufgeführt werden?

John Neumeier kann einem indes in dieser Sache nur Leid tun. Als Zankapfel zwischen zwei altgediente Kritikerinnen, von denen die eine – Hüster – seinen Stil ohnehin nicht versteht, während die andere – Weickmann – bei Insidern als sein externes Sprachrohr gilt, kann ein kreativer Künstler sich nicht besonders wohl fühlen. Aber souverän, wie er ist, wird er gute Miene zu bösen Spielchen machen.

Fehlt jetzt nur noch, dass die beiden zänkischen Damen über mich herfallen wollen, weil ich sie aufgrund der Faktenlage hier beide vorführen muss. Letzte Warnung: Ich weiß mich gegen Frechheiten, die rechtlich nicht okay sind, juristisch zu wehren.

John Neumeier sei dieses gegen die FAZ-Ente im übrigen auch angeraten. Weil die FAZ Neumeier in dem Beitrag wirklich denunziert, ihm also ohne berechtigten Grund deutlich Schaden im Ansehen zufügt, kann er sie wohl im Nu mit einer Einstweiligen Verfügung belegen lassen. Falls er das möchte. Der verfängliche Beitrag könnte rasch aus dem Internet verschwinden. Mehr noch: Auch Schadensersatz könnte Neumeier, wenn er denn wollte, erfolgreich verlangen.

Die Kameliendame wird 40

Wiebke Hüster von der FAZ hat diese Vorstellung offenbar nicht gesehen: „Die Kameliendame“ von John Neumeier mit Olga Smirnova vom Bolschoi zu Gast beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Der Clou: Da Hüster solchen Schadensersatz von Marco Goecke und auch vom Land Niedersachen wegen Goeckes Koterei gegen sie im Februar diesen Jahres verlangen könnte, wäre im Endeffekt dieselbe oder eine ähnliche Summe von Goecke gleich an Neumeier weiterzureichen. Scherz, lass nach! Der Fluss des Geldes würde hier ausnahmsweise ein paar Mal die Richtung wechseln.

Ob man sich um Wiebke Hüster nun Sorgen machen muss und ob Marco Goecke sie mit seinem Kotgeschmiere so verstörte, dass sie deshalb die Grundlagen ihres Handwerks verriet, ist derweil nicht abzuschätzen. Wünschen wir ihr einfach gute Besserung!
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

 

 

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