Solche Nachrichten hört man mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Hamburgs Primaballerina Hélène Bouchet verlässt im kommenden Dezember das Hamburg Ballett, nach 23 erfüllenden und das Publikum im In- und Ausland beglückenden Jahren. Liebe Hélène, wir wünschen Dir alles nur erdenklich Gute – und wir denken dabei auch an Deine (Patchwork-)Familie mit Deinem ehemaligen Hamburger Kollegen Carsten Jung und den entzückenden Kindern. Vor allem Dein kleiner Sohn Tristan freut sich jetzt vermutlich und hofft, dass Du mehr Zeit für ihn haben wirst. Ob das so sein wird? Oder ob neue Projekte Dich in Atem halten werden? Kindermode zu entwerfen oder Ballett zu unterrichten – das könne sie sich vorstellen, sagt sie. Vorerst aber wird unsere Hélène Bouchet noch mal alles zeigen, was sie ihrem Chef, John Neumeier vom Hamburg Ballett, zu geben hat. Am 11. September 21 etwa wird sie als Diana, die Göttin der Jagd, in „Sylvia“ auftreten. Emilie Mazon wird dann in der Titelrolle glänzen, Atte Kilpinen als Aminta brillieren, Karen Azatyan wird als Amor beflügeln und Alessandro Frola als Endymion reüssieren. Ein Fest! Und La Bouchet, die Ballerina mit den schönsten Füßen der Welt, wird so souverän und lieblich, so majestätisch und doch mädchenhaft, so edel und auch wild sein, dass wir womöglich zum antiken Glauben konvertieren müssen. Ihre Abschiedsvorstellung wird die gefeierte Hélène dann allerdings wieder dem Christentum widmen: im „Weihnachtsoratorium I – VI“, das ebenfalls – wie „Sylvia“ – vom Genie John Neumeier choreografiert ist. Im Januar 2022 folgt ihr dann eine weitere Koryphäe auf dem Fuße, eine Ballerina von soviel Glanz und Liebreiz, wie es selten ist – und auch sie ist in Hamburg bereits bekannt: Ida Praetorius, die bislang als Erste Solistin beim Königlich-Dänischen Ballett in Kopenhagen begeistert und in Deutschland, vor allem auch in Hamburg, schon oft auf Galas zu bejubeln war. Ihr bisheriger Chef, Nicolaj Hübbe vom Royal Danish Ballet, wird um sie weinen, so wie wir den Verlust von Hélène beweinen. Aber das Leben geht weiter, das Ballett ist dafür gemacht, immer neue Superballerinen erstrahlen zu lassen – und der Generationenwechsel wird den Reigen der Primaballerinen an der Alster keineswegs schwächen. Da sind wir uns sicher.
Und so können sich die Primaballerinen Madoka Sugai, Leslie Heylmann und Anna Laudere sowie Alina Cojocaru darauf freuen, eine kooperative Kollegin zu erhalten – und keine Diva mit Allüren. Denn Ida Praetorius ist dafür bekannt, sich gern auf die Arbeit und nicht aufs Neurotische zu konzentrieren.
Die Herren vom Hamburg Ballett – vor allem die Ersten Solisten Jacopo Bellussi, Christopher Evans und Aleix Martínez, welchem hiermit endlich zu seiner allfälligen Beförderung zum Ersten Solisten gratuliert wird – sowie Edvin Revazov, Alexandre Riabko, Lloyd Riggins und Alexandr Trusch dürfen sich ebenfalls freuen, die zierliche Ida demnächst bei formvollendeten Arabesken zu leiten, sie durch die Luft zu wirbeln und in atemberaubende Posen zu heben.
Hélène Bouchet, die all das schon auf das Fantastischste mitgemacht hat, wird sich auf ein flottes und zugleich anrührendes Finale ihrer tollen Karriere freuen.
Ida Praetorius hingegen wird sich in Hamburg hoffentlich gut zurecht finden und all ihre Talente vollends zu entfalten wissen. Wir zählen darauf!
Sie kommt übrigens nicht nur dem Tanz nach aus Kopenhagen, sondern wurde dort auch 1993 geboren. Dreizehn Jahre nach Hélène Bouchet übrigens, die aus Cannes in Frankreich stammt, dort in der Schule von Rosella Hightower das Tanzen begann und in Marseille ihre Ausbildung zur Tänzerin beendete.
Hélènes prominenteste Lehrerin war der Pariser Star Dominique Khalfouni; nach einem ersten Engagement in Marseille wechselte sie über das English National Ballet in London an die Alster zu Neumeier. Seit 2003 war sie dort Solistin, seit 2005 Erste Solistin. Und sie hat fast alles getanzt, was man als Frau dort nur tanzen kann, um sich in einer Kunstform auszudrücken, die deutlich mehr zu bieten hat als tänzerische Versuche.
Ein Höhepunkt ihrer Karriere war die Kreation der weiblichen Hauptrolle Eurydike in „Orpheus“. Unvergesslich war sie da im blauen Blümchenkleid… ganz zart und doch so magisch stark! Das Schicksal belohnte sie dafür mit dem Prix Benois de la Danse 2010.
Aber auch als „Kameliendame“, als Titania / Hippolyta und zuletzt als Helena in „Ein Sommernachtstraum“, als Ur-„Tatjana“, als traditionsreiche Natalia in „Illusionen – wie Schwanensee“, als Desdemona in „Othello“, in der Titelpartie von „A Cinderella Story“, in der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“, in „Nijinsky“, im „Pavillon d’Armide“, als Nina in der „Möwe“ sowie als Sylvia und eben auch als Diana in „Sylvia“ von John Neumeier hat sie die Herzen der Zuschauer:innen zweifelsohne erobert.
Ida Praetorius hat all das noch vor sich. Dennoch ist auch sie bereits eine Neumeier-Ballerina, bezauberte in Hamburg schon als Titelheldin von „Romeo und Julia“ mit Jacopo Bellussi und in „Persistant Persuasion“ mit Alexandr Trusch sowie mit Aleix Martínez im jüngsten Beethoven-Projekt Neumeiers.
Vor allem aber schuf sie eine der legendären Interpretationen der „Kameliendame“, mit einer naiv-gefühlvollen Hingabe, die weltweit absolut einmalig ist.
Das Ballett-Journal hat darum auch Ida Praetorius seit seiner Gründung 2014 im Wappen, also im Logo (mit ihrem damaligen Tanzpartner Alban Lendorf). Damals tanzte sie schon unter der Ägide von Hübbe, der auch einer ihrer wichtigsten Lehrer war.
Mit Ida kommt ein rundum dänisches Ballettprodukt nach Hamburg: Sie lernte an der Ballettschule des Königlich-Dänischen Balletts und bisher erlebte sie auch dort ihren Aufstieg zur Ballerina von Weltklasse. Es ist ein eleganter Wechsel!
Salve, salve, salve allen beiden Spitzentänzerinnen: Hélène Bouchet wechselt aus einem Imperium des Tanzes in eine neue Welt, während Ida Praetorius das heimliche Flehen vom Ballett-Journal, fest nach Deutschland zu kommen, erhörte und uns ab 2022 in Hamburg glücklich machen wird.
Dank gebührt ihnen beiden, und alle, die das Ballett lieben, sollten diese beiden niemals vergessen – und möglichst keine Gelegenheit versäumen, sie tanzen zu sehen!
Gisela Sonnenburg
P.S. Carsten Jung, der private Partner von Hélène Bouchet und ehemals langjähriger Primaballerino beim Hamburg Ballett, zudem aus Thüringen stammend, wird mit La Bouchet Hamburg und Deutschland verlassen. Jung nimmt eine Stelle als Ballettpädagoge an der Académie Princesse Grace in Monaco an, während Bouchet von ihrer Heimatstatt Cannes aus ihre Ideen für Kindermode umsetzen möchte. Räumlich kann man gut zwischen Monaco und Cannes pendeln – die gemeinsame Zukunft ist den beiden also sicher. Herzliche Glückwünsche!