Es brodelten schon ein paar Gerüchte in den letzten Monaten, und jetzt ist die Bombe geplatzt: Münchens Welt- und Superstar Lucia Lacarra wird mit Ehemann Marlon Dino das Bayerische Staatsballett verlassen. Damit verliert das renommierte Ensemble seine Hauptattraktion, sein Highlight, sein internationales Gesicht. Dass der im Sommer aus Moskau nach München kommende künftige Ballettdirektor Igor Zelensky dieses sein Verhandlungsmissgeschick noch arg bereuen wird, ist ganz sicher nicht auszuschließen.
Angeblich spielte sogar das Alter der tollen Lacarra, die im März 1975 im spanischen Baskenland geboren wurde, eine Rolle – wie schnöde. Denn wie kann man als heutiger, moderner Ballettboss eine weltbedeutende Künstlerin mit den Maßstäben des letzten Jahrhunderts messen? Und sogar damals wurden erstklassige Primaballerinen nicht immer aussortiert, wenn sie die 40 Lenze überschritten hatten. Für echte Größen wie für Maja Plisetzkaja, Margot Fonteyn und Yvette Chauviré galt schon immer: Experience is beautiful.
Heute läuft es sogar so, dass an fortschrittlichen Häusern die Grandes Dames der Ballettbühnen im nicht mehr jugendlichen Alter erst recht auftrumpfen können: John Neumeier in Hamburg machte es vor, indem er Alessandra Ferri erst letztes Jahr eine Hauptrolle auf den Leib kreierte. Und – mit Verlaub – mit Ferri ist Lacarra im Grunde nicht zu vergleichen: Lucia Lacarra hat mit unzähligen Preisen und unglaublicher Ausstrahlungskraft die noch größere Karriere hinter sich – und ist zudem tänzerisch, also auch technisch, nach wie vor auf dem Zenit ihrer Meisterschaft.
Gerade heute, bei all den zeitgemäßen Möglichkeiten für Ballettmenschen, gut im Training zu bleiben, bedeutet Zelenskys Bruch mit Lacarra und Dino nachgerade ein Tritt in die Fresse – nicht nur aller Tänzerinnen und Tänzer, sondern auch in die jedes einzelnen Zuschauers.
Verdiente hochrangige Künstler so gehen zu lassen, beschmutzt das Ansehen der ganzen Ballettwelt!
Wenn die Münchner Politik Charakter hat, sollte sie Zelensky schleunigst wieder feuern – und den Job der Ballettdirektion der ohnehin stärker gebildeten und zudem supergut nach München passenden Lucia Lacarra geben.
Vierzehn Jahre lang erhellte Lucia Lacarra mit ihrer prägnanten, hochkarätigen Kunst den Tanzhimmel Münchens. Und sie erstrahlte in den letzten Jahren keineswegs weniger. Wie kann ein neuer Kapitän an Bord dem nicht Rechnung tragen wollen?
Was ist das für ein blinder Konsumismus, Herr Zelensky? Es wäre Ihre wichtigste Aufgabe bei der Übernahme der Müncher Compagnie gewesen, das Zugpferd Lucia Lacarra bei der Stange zu halten. Sie haben versagt, Herr Zelensky, noch bevor Sie angetreten sind. Wie wollen Sie das wieder gut machen?
Und Sie wissen es selbst doch wohl am besten: Sie selbst sind neben dem Ruhm der Lacarra doch nur ein Würstchen!
Als bekannt wurde, dass Sie, Herr Zelensky, die Compagnie übernehmen würden, mussten die meisten Fachleute erstmal recherchieren, wer Sie überhaupt sind. Jetzt haben Sie Ihren ersten Skandal schon vor Amtsantritt. Wollen Sie so weitermachen? Ich werde Sie und Ihren Führungsstil künftig ganz besonders ins Visier nehmen. Freuen Sie sich drauf!
Lucia und Marlon sind indes tapfer und werden bald neue künstlerische Pläne bekannt geben. Sie stellen den Krach bislang noblerweise so dar, als hätten sie selbständig entschieden, ihre langjährige künstlerische Heimstatt, nämlich die Ballettsäle und die Bühnen des Bayerischen Staatsballetts, zu verlassen. Auf zu neuen Ufern, lautet ihr Credo für die Zukunft – die beiden Spitzenstars, die international auf Galas so stark reüssieren wie kein zweites Paar in der aktuellen Ballettwelt, haben noch viel vor.
Das immerhin tut gut und macht ein bisschen Hoffnung. Und nur zu gerne denkt man an all die superschönen Abende mit ihnen im Münchner Nationaltheater zurück.
Aber die Zukunft stimmt doch skeptisch.
Es mag ja sein, dass Zelensky ansonsten sogar ganz gute Pläne für München hat und er dem Ballett in Bayern an sich nichts Böses will – etwa nur um eigene Vorteile zu haben, diese auszunützen und ratzfatz damit abzusahnen.
Dennoch hat man jetzt natürlich diesen Verdacht, ist es doch typisch für inkompetente Chefs, dass sie die Besten ihrer Untergebenen zielsicher ziehen lassen, damit der Vergleich zu ihrer eigenen Mittelmäßigkeit nicht ganz so krass ausfällt.
Fest steht: Subito hat München sich schon jetzt für die kommende Spielzeit in die dritte Liga zurück gekickt. Wir wünschen viel Spaß beim mühseligen Wiederhochkrabbeln!
Ein ironisches Danke geht aber explizit an Igor Zelensky, der uns nicht vergessen lässt, dass die hässliche Fratze des Kapitalismus die Menschen wie ein Stück Fleisch behandelt. Pfui!
Gisela Sonnenburg
Lucia Lacarra und Marlon Dino sind für den 27. Mai und den 3. Juni 2016 noch einmal als Stars in „Die Kameliendame“ von John Neumeier mit dem Bayerischen Staatsballett in München annonciert. Das werden wohl legendäre Vorstellungen! Normal ist ein so abrupter Abschied von Superstars allerdings nicht; üblich und auch menschlicher sind lang vorbereitete Abschiedsabende, wie sie in den letzten Jahren etwa Joelle Boulogne in Hamburg, Vladimir Malakhov in Berlin, Julie Kent in New York und Jiri Bubenicek in Dresden hatten. Insofern ist das jetzt ein Hals-über-Kopf-Abgang in München, den man getrost nicht den beiden Tanzkünstlern, sondern ihrem bisherigen Verhandlungspartner Igor Zelensky anlasten muss.
P.S. Im übrigen sind die Verträge zahlreicher anderer Solisten und Ensemblemitglieder in München auch nicht verlängert worden – offenbar wird Igor Zelensky ziemlich rabiat mit der dort aufgebauten Tradition der Ballettkunst brechen. Über die von Zelensky neu eingestellten Künstler wurde noch nichts bekannt. Aber ihren Abschied vom Bayerischen Staatsballett nehmen definitiv unter anderem: Daria Sukhorukova, Cyril Pierre, Ekaterina Petina, Zuzana Zahradníkóva, Katherina Markowskaja, Maxim Chashchegorov, Lukas Slavicky, Léonard Engel, Shawn Throop und Ilia Sarkisov. Alles, alles, alles Gute! Aber auch: Schluchz! Es war toll mit Euch!
Beiträge über Lacarra und Dino hier im ballett-journal.de – und weitere werden folgen. Versprochen!