Wenn Sarah Mestrovic, gebürtige Berlinerin, sich nach „Dornröschen“, also nach der Vorstellung, auf der Bühne verbeugt, vollführt sie im fliederfarbenen Feen-Tutu einen unnachahmlich anmutigen, auratischen Knicks. Nicht jede Ballerina kann das mit soviel Bravour! Es ist ein Stück Kunst, denn es liegen Poesie darin und Grazie, aber auch Eleganz und Souveränität – und so ein gewisses Etwas, an dem man Sarah Mestrovic immer erkennt, auch, wenn sie eine Perücke trägt und stark geschminkt ist. Es sind ja ganz bestimmte Haltungen und Proportionen, anhand derer man einen Menschen körperlich identifiziert. Diese Merkmale zeigen sich sogar, wenn man die Person nur gehend und von hinten sieht. Zu übersehen, dass die grazile Sarah Mestrovic eine Tänzerin ist, ist da eigentlich unmöglich! Den typischen „Entenwatschelgang“, den sich viele Profis in den Ballettsälen zulegen, hat sie nicht verinnerlicht; vielmehr scheint sie schwerelos zu gehen, ohne Mühe, mit einem Sexappeal, der direkt aus dem Zentrum des energetischen Ballettkosmos zu stammen scheint.
Auch für die Wiener Malerin Franziska Maderthaner gibt es bestimmte Kennzeichen. Es sind vor allem „Farbschüttungen“, die die Gemälde der Maderthaner so interessant machen. Hat man so etwas schon gesehen? In sorgsam realistisch ausgepinselte Tableaus fräst sich da das natürliche Chaos der Welt; da kippen Universen ineinander; da prallen die kosmischen Energien ungebremst aufs wahre Leben. Erinnert das nicht schon von sich aus an Ballett? Sarah Mestrovic reagierte auf Maderthaners Bildgewerke spontan mit großer Lust: Da hat frau viel gute Laune übrig, um ihren Körper als weiteres Kunstwerk dazu in Szene zu setzen! Der Galerist Klaus-Dieter Brennecke, der in Berlin-Charlottenburg das Werk von Maderthaner vertritt, ließ sich von dieser Idee ebenfalls begeistern. Es geht also los, es geht auf die Reise in eine kleine Unendlichkeit, in der sich die sinnliche Körperkunst der schönen Sarah mit den bildnerischen Fantasien der frechen Franziska trifft.
Zum Tanzen kam Sarah übrigens über die Liebe ihrer Mutter zur Kunst. Deren Mutter wiederum war Opernsängerin, spielte Geige, war Lehrerin – und ihre Tochter, also Sarah Mestrovics Mutter, wuchs von daher mit Kunst im Sinn auf. Übrigens rief sie während des Interviews just an; Mütter haben halt mitunter einen feinen Instinkt dafür, wenn von ihnen die Rede ist. In diesem Fall muss Frau Mestrovic senior aber nichts befürchten – Sarah hatte nur Positives von ihrer Kindheit zu berichten.
Denn auch sie und ihr Bruder wuchsen in Berlin, im westlichen Berlin, mit einer großen Nähe zur Kunst auf und wurden nach allen Kräften gefördert: beim Musizieren, Singen, Tanzen, Malen und auch Töpfern. Es stellte sich rasch heraus, dass Sarah im Ballett ein Megatalent ist! Mit sechs Jahren stand sie bereits auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin, sie erlebte noch Tatjana Gsovsky, die damals als deutsche Ballettlegende den Tanzhimmel Berlins erleuchtete. „Sie war schon sehr, sehr alt damals“, erzählt Sarah, „aber man sah sie sich um die Ballettschule kümmern und durch die Säle huschen.“
Sarahs erstes Ballettstück war „Cinderella“, die kinderfreundliche Märchengeschichte vom Aschenputtel, und Sarah war einer der zwölf Gnome, die die Zeit anzeigen. Mitte der 90er Jahre dann bestand sie, als Quereinsteigerin, auf Anhieb die strenge Aufnahmeprüfung für die Staatliche Ballettschule Berlin. „Es hat mir schon immer sehr viel Spaß gemacht, auf der Bühne zu stehen“, sagt sie, und von daher war es für sie selbstverständlich, das Tanzen zum Beruf zu machen.
Allein ihre Kinder- und Jugendrollen lesen sich bereits wie ein Arsenal des klassischen Tanzes: Sie war ein kleiner schwarzer Schwan im „Schwanensee“, tanzte im „Nussknacker“, in „Dornröschen“.
Sieben Jahre besuchte sie dann die „Staatliche“. Die Härte der Ausbildung und die zahlreichen Entbehrungen, mit denen sie verbunden ist, verkraftete sie dank der großen Motivation fürs Tanzen ohne Probleme. Sicher waren der familiäre Rückhalt und die Tatsache, dass ihre Mutter auch in Berlin lebte, dabei von segensreicher Wirkung. Vor allem aber formten sich der Wille und der Verstand, das Gefühlsleben und die Lebensdisziplin der kleinen Sarah ganz nach den Notwendigkeiten fürs Ballett.
Sie sah ja auch schon früh nach Ballerina aus, mit ihrer ranken und schlanken Figur, den langen Beinen, mit ihrem edlen Profil und ihren langen, sich weich schwingend bewegenden Armen! Diese Tugenden sind auch heute noch zu genießen, und wenn Sarah Mestrovic tanzt, dann hat sie eine so harmonische, helle und lichte Ausstrahlung, als ginge die Sonne auf.
Das fiel auch Vladimir Malakhov auf, der sie auf der Ballettschule entdeckte. Der damalige Chef vom Ballett der Berliner Staatsoper Unter den Linden stellte die Noch-Studentin glatt in die erste Reihe seiner weißen Schatten im zweiten Akt von „Die Bajadere“. Malakhov war einer der berühmtesten Tänzer weltweit – und sein Charme, sein Charisma sorgten in Berlin für einen starken Aufwind der Ballettkunst. „Die Bajadere“ war sein erstes Stück für Berlin. Und Sarah war gleich an exponierter Stelle mit dabei! „Er hat es mir zugetraut, ganz vorn mitzutanzen“, sagt sie glücklich, denn wenn eine solche Koryphäe an einen glaubt, so gibt einem das natürlich ein sehr gutes Gefühl.
Die Absolventin bekam zudem eine Einladung nach Monaco, zur so genannten „First job audition“. Sie hätte nicht mal die Anreisekosten für das Vortanzen zahlen müssen, man war stark an ihr interessiert in Monaco, das reiche Fürstentum hätte alle Kosten übernommen. Aber: Sarah hätte dann einige Vorstellungen der „Bajadere“ in Berlin verpasst. Sie besprach sich mit Malakhov. Er reagierte so, wie es sich wohl jede Tanzstudentin wünschen würde: „Geh nicht nach Monaco, bleib bei mir. Ich nehme dich unter Vertrag in meinem Ensemble.“
Sie blieb – und tanzte in einem Traumstück nach dem anderen. In „Schwanensee“, in „Giselle“, auch im modernen „Lindentraum“ von Uwe Scholz – und Sarah lernte ihren heutigen Chef, den Spanier Nacho Duato, bereits als Berufsanfängerin in Berlin kennen und schätzen. Er besetzte sie nämlich für die Premiere von „Without Words“, zur Musik von Franz Schubert, der nun auch noch Sarahs Lieblingskomponist ist.
Der deutsche Romantiker mit den getragenen Melodien und den innigen Akkorden spiegelt das Verhältnis von Seele und Materie in einer Art und Weise, die für den Tanz sehr anregend ist.
Die Künstlerin Franziska Maderthaner hat in ihren Bildern mit der historischen Romantik ebenfalls zu tun. Wenn auch ihr Verhältnis zur Naturauffassung der schwärmerischen Seelen ein spielerisch gebrochenes, auch ein aufgeklärtes, keineswegs ein einfaches ist. Maderthaner, die 1962 in Wien geboren und dort an der Hochschule für Angewandte Kunst ausgebildet wurde, vermengt das Gegenständliche mit dem Expressiven und dem Abstrakten; in manchen Bildern springt ein Stück Realität einen regelrecht an, um den Blick dann auf einen mal verträumten, mal mehr zerrissenen Weltenzusammenhang zu lenken.
Caravaggio, Tiepolo und der holländische Barock sind ihre Vorbilder, an denen Maderthaner sich reibt.
Die heutige Professorin an der „Angewandten“ denkt über ihre Bilder natürlich auch selbst nach. Und kommt zu dem Ergebnis: „Diese Sehnsucht, etwas abzubilden und nachzuahmen, hinkt der Realität zwangsläufig immer etwas hinterher, während der andere Teil der Malerei, die geronnene oder geschüttete Farbe, mir vorkommt wie viel besser gemalt.“
Das Spannungsfeld zwischen Realismus und Abstraktem wird durch den Tanz der Sarah Mestrovic noch um eine weitere Dimension in jeder Hinsicht ergänzt.
Die Spannungen in den Bildern von Franziska Maderthaner heilt die Ballerina mit ihren harmonischen Gesten; andererseits setzt sie mit expressiven Posen neue Akzente.
Bild und Frau, Frau und Bild – manchmal besteht die Kunst einfach nur im Dastehen.
Wie auf dem Theaterfoto einer Inszenierung von Pina Bausch schaut Sarah Mestrovic drein, das lange, elegante Kleid wie ein Kostüm lässig präsentierend.
Sarahs Talent zum Modeln ist sowieso wörtlich zu nehmen! Und sie steht nicht das erste Mal vor der Kamera, sondern wird häufig für Aufnahmen außerhalb des Berliner Staatsballetts angefragt.
Kein Wunder. Ihre Vielseitigkeit, ihre Ausdrucksfreude und ihre Schönheit machen aus Sarah Mestrovic ein optimales Modell.
Sie ist aber nicht nur Muse, sondern auch Kunstbegeisterte. Die Jugendstil-Embleme und –Ikonen von Alfons Mucha begleiten sie gedanklich seit vielen Jahren. Und tatsächlich ähnelt ihr eigenes Profil denen der Mucha-Schönheiten.
Aber auch den Impressionisten Claude Monet liebt Sarah, seit sie sich mit Bildern beschäftigt. Wenn sie auf einem Gastspiel in eine andere große Metropole kommt – Paris oder Rom – so sucht sie dort als Erstes die Museen auf.
Ganz wie Rudolf Nurejew saugt sie die sinnenhafte Kulturgeschichte in sich auf und sieht Verbindungen zur Ballettwelt.
Bei Klaus-Dieter Brennecke ist sie mit ihrer Vorliebe für klassische Kunstsparten genau richtig.
In den Gemälden von Franziska Maderthaner erkennt Sarah Mestrovic vor allem eine gelungene Verbindung von Historischem und Modernen, sagt sie.
Brennecke wiederum, der einst den legendären Kreuzberger Musikclub SO36 (benannt nach dem damaligen Berliner Postzustellbezirk „Südost 36“) mit gründete, hat sich mittlerweile ganz der einen Sache in seiner Galerie verschrieben: der Malerei. Nur der Malerei!
Video-Installationen und Ready-mades bleiben hier draußen – aber Balletttänzer(innen) sind selbstredend immer sehr willkommen.
Als Sarah die Ballettschule beendete, war Brennecke bereits ein anerkannter, mit der Autorität des Kenners gesegneter Galerist.
Dass Sarah Mestrovic 2002 in Varna, beim damals wichtigsten Nachwuchswettbewerb für junge Balletttänzer, eine Bronzemedaille gewann – und das auch noch als Deutsche – kann nicht nur sie, sondern auch ihre Ausbilder und Förderer stolz machen.
Mit ihrer Mitgliedschaft im Staatsballett Berlin, das 2004 aus den drei vorhandenen Berliner Balletttruppen gebildet wurde, kam Sarah Mestrovic in ihrer künstlerischen Heimat endgültig an.
2007 wurde sie Demi-Solistin, 2011 Solistin.
Ihre Traumrollen sind seither die Julia in „Romeo und Julia“ und die „Giselle“, für die sie in der Tat wie gemacht erscheint. Die Myrtha, die als Königin der Wilis Giselles große Gegenspielerin ist, tanzt Sarah Mestrovic denn auch schon: mit kühler, kühner Grazie, mit majestätischer Brillanz und der zur Rolle gehörenden eleganten Distinguiertheit.
In Maurice Béjarts „Ring um den Ring“, der 2013 neu in Berlin einstudiert wurde, tanzte sie mit schwarzer Pagenkopf-Perücke, in einem Stöckel- und einem Spitzenschuh die Rolle der Kriemhild, die erst dem perversen Alberich, dann dem durchtriebenen Gunther in die Hände fiel. Fast eine Anti-Ballerinen-Rolle, und dennoch erfüllte Sarah sie mit fesselndem Flair.
Sie tanzte außerdem schon Stücke William Forsythe, Frederick Ashton, Giorgio Madia, George Balanchine, John Cranko. Die große Bandbreite des Berliner Staatsballetts kommt ihr zu Gute.
Mit Vladislav Marinov (noch heute ihr Kollege beim Staatsballett Berlin) in der Rolle des Alberich und mit Bertrand d’At, dem damaligen Coach des „Rings“ (der leider ein Jahr später an Herzversagen verstarb) zu arbeiten, genoss die Solistin besonders.
Und Sarah hatte noch eine Traumrolle, die bereits Wirklichkeit wurde: die Königin, also die Mutter von Prinz Siegfried, in Patrice Barts Inszenierung von „Schwanensee“. Sie hat als solche ein Solo, in dem sie sich ihre Krone aufsetzt, allein über ihre Zukunft und die ihres Sohnes sinnierend… ganz intensiv tanzt und spielt sie es, man merkt, dass sie eine ernsthafte Künstlerin ist.
Bei Patrice Bart ist diese Königinnenrolle ja sehr wichtig, es handelt sich um eine erotisch empfängliche, leidenschaftliche Frau, die es genießt, dass ihr der Premierminister, der zugleich der böse Zauberer Rotbart ist, den Hof macht und sie beim Paartanz umgarnt.
„Ich habe mir immer gewünscht, diese Partie zu tanzen. Ich habe noch die Berliner Tänzerin Bettina Thiel in dieser Rolle erlebt – und mich sofort mit ihr identifiziert.“
Ein weiterer Höhepunkt war ihr Aufstieg aus dem Damenensemble der „Bajadere“ zu einer der beiden weiblichen Hauptrollen. Sarah Mestrovic ist eine atemberaubende Hamsatti: Als Rivalin der Titelpartie verkörpert sie darin die dunkle, aber machtvolle Seite der Liebe, eine junge Frau, die skrupellos tötet, um den geliebten Mann für sich zu haben.
Sarah macht die Beweggründe dieser Femme fatale in ihrem Spiel ganz deutlich; nie zuvor und nie danach habe ich eine so ergreifende und so glaubhafte Hamsatti gesehen. Dass sie zudem die technischen Finessen der Figur auskostet, ist eine Selbstverständlichkeit für diese Ballerina! Man muss hoffen, dass Malakhovs „Die Bajadere“, die kommende Saison nicht auf dem Spielplan steht, bald ins Repertoire des Berliner Staatsballetts zurückkehren wird.
Nikija, Undine, Julia – es gibt viele Rollen, auf die sie hervorragend passend würde.
Die nächste Traumrolle tanzt sie aber bereits, seit der Berliner Premiere dieses Stücks: Es ist die Fliederfee in Nacho Duatos „Dornröschen“.
Auch hierin verströmt sie die typische Mestrovic-Eleganz, das typische Flair der erhabenen, aber auch menschlichen Tänzerin. Sie ist eine Gebende in ihrer Kunst, jemand, der wie ein Stern auf der Bühne leuchtet und positive Energien ins Publikum zu lenken scheint.
Da passt die Rolle der guten Fee, die für das Überleben der Prinzessin ebenso tatkräftig sorgt wie für deren Verlobung mit dem liebesfähigen Prinzen, nur zu gut zu Sarah. Sie ist eine Illusionistin und Magierin als Fliederfee, zugleich aber auch eine gute Freundin der Liebe, ja ihre Botschafterin.
Apropos Liebe: Als schaumgeborene Aphrodite auf dem Gemälde von Botticelli könnte man sie sich ohne weiteres ebenfalls vorstellen. In der großen Botticelli-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau fühlte Sarah Mestrovic sich denn auch nachgerade irgendwie zuhause…
Und auch Franziska Maderthaner bewegt die Liebe. Sie setzt in der Ausstellung „Endstation Paradies“ in der Galerie Brennecke zwei wörtlich betuchte Damen an einen Tisch mit einem feurigen Trachtenproletarier. Was mag da vor sich gehen? Man isst, man trinkt, man scherzt, man hat Spaß miteinander – und die Frauen hoffen offenbar auf ein amouröses Abenteuer, während der junge Mann ein gezücktes Messer bereit hält.
Sarah Mestrovic stellt sich mit geheimnisvollem Blick dazu ins Bild – als sei sie Teil dieser merkwürdigen Szenerie und eigentlich sogar deren heimliche Drahtzieherin.
Es ist für mich beim Foto-Shooting immer wieder überraschend, wie vielseitig Sarah Mestrovic ist. Es gibt wohl kaum einen Part, in dem sie keine gute Figur machen und einen eigenen, auch eigenwilligen Ausdruck finden kann.
„Durch meine Größe ist es aber nicht immer einfach, eine Hauptrolle zu tanzen“, weiß Sarah, mal ganz aufs Praktische angesprochen. Tatsächlich herrschen im Ballett noch manche konventionelle Zwänge vor. So das ungeschriebene Gesetz, der Mann müsse größer als die Frau sein. Dabei muss kein männlicher Tanzpartner zwangsläufig größer sein als die Ballerina. Im Gegenteil: Beweise, dass es auch umgekehrt sehr gut funktionieren kann, gibt es schon seit Jahrzehnten. Man muss nur bereit sein, den Frauen auch körperlich-räumlich ein Stück weit die Chance auf Überlegenheit einzuräumen. Dann ist es nicht mehr notwendig, sie nur als kleinere Größe auf der Bühne zu sehen. Hier sollte das Staatsballett Berlin mal was wagen und sich als Vorreiter und Trendsetter beweisen!
Vorreiter waren die Tänzer vom Staatsballett Berlin auch, was ihre eigene Situation als Ballettkünstler angeht. In 2015 fochten sie mit etlichen Streiks einen legendären Arbeitskampf aus, um gerechtere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiken. Mit der Unterstützung durch die Presse und von weiten Teilen des Publikums hat das Staatsballett Berlin seinen Kampf gegen die zunächst uneinsichtige Geschäftsführung Zug um Zug gewonnen. Sarah Mestrovic ist somit Teil eines ganz modernen Stücks Ballettgeschichte.
Und auch Franziska Maderthaner ist gewerkschaftlich engagiert.
Jahrelang war sie Vorsitzende der IG Bildende Kunst in Wien; politisiert wurde sie indes bereits während ihres Studiums. Auch einer ihrer ersten Chefs war alles andere als ein angepasster Schönmaler, Franziska lernte also das Gegen-den-Strich-Denken sozusagen von der Pieke auf: Sie war als junge Frau Assistentin des wilden, flippigen, radikal poppigen und vor allem liebend gern provozierenden Ausnahmekünstlers Martin Kippenberger.
Provokation ist im Ballett nur selten ein Ausdrucksmittel. Andererseits wird jede Inszenierung, jede In-Szene-Setzung von etwas, das dann vom Gewohnten, vom Traditionellen abweicht, bereits als Provokation begriffen. Der Gedanke, die Traditionen zu pflegen, ist nun mal sehr stark im klassischen und auch im modernen Ballett – und Erneuerungen kosten immer viel Überwindung, viel Preisgabe von Schamgefühl.
Mehr und mehr aber lockern sich hier die Grenzen, die heutigen Choreografen riskieren auch mal, die Maßstäbe zu verrücken und Neues zu etablieren. Was gut ist, setzt sich dann auch durch – so wie Nacho Duatos geschmeidige Körpersprache, die Sarah Mestrovic als nicht nur klassisch, sondern auch zeitgenössisch inspirierte Ballerina hervorragend zu interpretieren weiß.
In Duatos faszinierendem Bach-Stück „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“ tanzt sie an exponierter Stelle – und wer den Zusammenklang von anmutiger Moderne und expressivem Stil zu Bachs barock gedrechselten Tonkaskaden schätzt, der wird mit ihr in der Komischen Oper in Berlin glückselig.
Auch beim Interview mit ihr erwische ich mich mitunter dabei, wie ich ganz unwillkürlich lächle und Glücksgefühle empfinde: Sarah Mestrovic ist eine Künstlerin, die happy macht.
Gisela Sonnenburg
P.S. Am 26. Juni 2019 nahm Sarah Mestrovic mit einer Vorstellung von Cranko „Romeo und Julia“ in der Rolle der Lady Capulet Abschied vom Staatsballett Berlin. Ballettintendant Johannes Öhman hatte ihren Vertrag nicht verlängert. Aber das Ballett-Journal bleibt dran an Sarah und wünscht ihr alles, alles Gute!