Der brillante, kubanisch-britische Tänzer Carlos Acosta ist seit langem ein herausstechender Solitär unter den Stars der aktuellen Ballettszene. Extrem mukulös und kompakt gebaut, mit einem hübschen Schmollmund und zielgeradem Blick gesegnet, hat er noch jede Loverrolle mit Leidenschaft und starken, hohen Sprüngen füllen können. Jetzt zeigt 3sat ihn als „Spartacus“ von Yuri Grigorovich – im wichtigsten Meisterwerk des langjährigen Bolschoi-Ballettdirektors.
1968 wurde es uraufgeführt, in Moskau, und 2007 tanzte der braunhäutige Beau Carlos Acosta mit dem Bolschoi Ballett den Freiheitskämpfer, und zwar in Moskau wie in London. „Spartacus“ begeistert mit modern-dynamischen und bühnenfüllenden Männerensembles, mit superben Pas de deux, getanzten Zweikämpfen und einer filmreifen, herzergreifenden Handlung: Der Sklave und Gladiator Spartacus, der tatsächlich 71 n. Chr. einen Aufstand anzettelte, liebt seine Frau Phrygia, muss aber im Zweikampf, ohne es zu wissen, seinen besten Freund töten. Daraufhin schart er Aufständische um sich und bekämpft das tyrannische Regime des Feldherrn Crassus, der die Personifikation des Bösen ist. Dessen Geliebte Ägina ist mit Poppäa, Neros „Hausdrachen“, vergleichbar – zu gerne erkennt das Patriarchat in hinterlistigen Frauen die treibenden Kräfte.
MANCHMAL IST DAS BÖSE ÜBERMÄCHTIG
Das Böse ist denn auch übermächtig, das Gute scheitert zwangsläufig: Crassus wird von Spartacus nach verlorenem Kampf begnadigt, rächt sich aber mit der Vernichtung des ihm überlegenen Freiheitskämpfers. Und es ist die Frage, ob das Leibeigentum bis heute wirklich überall aufgehoben ist – und wenn nicht, ob das mit der Begnadigung etwaiger Tyrannen zu tun hat. Für die SU, die „Spartakus“ uraufführte, ging es jedenfalls um das Aufzeigen prärevolutionärer Vorgänge.
Die Musik zum Ballett von Aram Chatschaturjan becirct und bezaubert ganz unabhängig davon und wurde im kurze Zeit später zum Thema entstandenen Hollywood-Schmachtfetzen „Spartacus“ von Stanley Kubrick (1960) – mit einem Furcht erregenden Kirk Douglas in der Titelrolle – regelrecht nachgeahmt. Es ist interessant, dass hier ein sowjetisches Ballett die amerikanische Massenkultur des Kinos deutlich beeinflusste. Und das zu Zeiten des Kalten Krieges!
Wer den Vormittag des 14.12. – Einschub: hier war leider irrtümlich zunächst 14.11. vermeldet worden, mit Entschuldigung und Dank an die Lektorin erfolgt hiermit die Korrektur – mit dem Ballett „Spartacus“ verbringen kann, ist indes zu beneiden. Dann nämlich sendet 3sat die Aufzeichnung. Wer zu diesem Termin Arbeit oder sogar Besseres vorhat, kann sich später mit der entsprechenden DVD von Decca, ebenfalls mit Acosta, trösten.
WEITER GEHT ES IN TIEFER NACHT
Der Tanz-TV-Tag einen Monat vorher, am 14.11., geht indes erst bei Mondlicht los. Ganz spät nachts, um 1.20 Uhr, sendet arte einen sechsminütigen Mini-Thriller, in dem es um die heilenden Kräfte des Tanzens und des Schwimmens geht.
Die mit Trisomie 21 gehandicapte Sportlerin Hannah Dempsey steht dabei im Mittelpunkt. Dem Filmteam um Sérgio Cruz geht es mit sogartig berauschenden Close-ups um die Energie und Eleganz des trainierten Körpers, auch um die persönliche Hartnäckigkeit der jungen Frau. „Man soll das Adrenalin spüren, das durch Hannahs Venen pulsiert“, kommentiert arte dazu.
Dass Hannah Dempseys Handicap zwar manchmal ihre Handlungsfähigkeit, nicht aber ihre Kreativität einschränkt, ergibt sich da fast von selbst, aus dem Kontext. Die heilsame Wirkung des Tanzens, der organisch koordinierten Bewegung, zeigt sich einmal mehr: Tanz als Heilkunst findet somit eine erneute Facette.
Ein Hinhörer ist außerdem die Musik von Roberto Crippa. So kurz, so gut: Das ist ein Filmchen, damit das Denken die Richtung wechselt!
Gisela Sonnenburg
14.12.2014, 10.45 Uhr, 3sat: „Spartacus“ mit Carlos Acosta
14./15.11., 1.20 Uhr, arte: „Hannah“ mit Hannah Dempsey
DVD: Carlos Acosta in „Spartacus“ – The Bolshoi Ballet, by Decca
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