Es gibt Tänzer, die keine sind, weil man – Eltern oder Familie – sie nicht in die Ausbildung ließ. Und es gibt auch Maler, die fast keine geworden wären, weil man sie verhindern wollte. So erging es Penck. Er ist der große Autodidakt in der Geschichte der deutsch-deutschen Malerei: A. R. Penck, geboren 1939 in Dresden, wurde von den Behörden der DDR verfolgt statt als Künstler und Akademieanwärter ernst genommen zu werden. Man hasste ihn statt ihn zu lieben – und dass er mit wilden Strichmännchen und krickelig-lieblichen Grafiken berühmt wurde und nicht mit realistisch-kubistischen Ansichten, lag wohl auch an seinen Lebensumständen. Das Werk von Ralf Winkler, wie er bürgerlich heißt, ist schwer erlitten!
Zu seinem 75. Geburtstag richtete die Städtische Galerie Dresden im Dresdner Stadtmuseum eine Ehrenausstellung aus: mit lauter Frühwerken! 2006 erwarb die Städtische Galerie nämlich einen großen Teil von Pencks Frühwerk: von dem Sammler Jürgen Schweinebraden, der ihr weitere Werke umsonst überließ. Zusätzlich holte man jetzt Leihgaben ein und konnte so ein aufschlussreiches Psychogramm-in-Bildern gestalten.
Da ist die in düsterer Szene vor sich hin vegetierende „Frau am nächtlichen Fenster“ von 1957, die vielleicht auch die Mutter des Malers hätte sein können. Da sind die „Gespenster“ von 1968, damals nannte sich der Künstler schon A. R. Penck: Origineller-, aber auch traurigerweise hat das Ölbild eine Wolldecke statt Leinwand als Untergrund.
Sein „Selbstbildnis mit Hut“ von 1958 zeigt Pencks vom Beginn der Moderne geprägte Wahrnehmung. Lovis Corinth fällt einem als Pate ein. Vielleicht auch Max Beckmann, dem derzeit eine sehenswerte Ausstellung in Hamburg gewidmet ist (nebenbei der Hinweis: „Max Beckmann. Die Stillleben“ läuft noch in der Hamburger Kunsthalle bis Januar 2015). Aber Penck steht doch sehr für sich. Er bleckt die Zähne auf dem Bild. Er will es allen zeigen. Er schläft wenig, er lebt, säuft, malt. Er hat Schatten unter den Augen, aber er will es wissen. Und nichts mehr versäumen. Leute, zieht euch warm an, hier kommt Penck (der damals noch gar nicht so heißen wollte)!
Das war Penck mit dem Pinsel, Penck, der furiose Könner, der Maler, der aus dem Nichts kam. Soweit der Künstler, der seine Freiheit darin fand, indem er sie einforderte. Der Alltag indes war ein anderer. Als dicker Junge ohne staatliche Akzeptanz stand der junge Penck eher verklemmt in Dresden im Atelier herum. Immerhin hatte er überhaupt Möglichkeiten zu malen. Manche Künstler heute haben nicht mal dafür das Geld. Das sollte man auch nicht vergessen.
Geprägt ist Penck von etwas anderem als dem Nachdenken über Armut im Kapitalismus. Vor allem von der Auseinandersetzung mit dem in der DDR verpönten Picasso, dem bedeutendsten bildenden Künstler des letzten Jahrhunderts, war er nicht abzubringen. Zum Glück nicht!
Einigen Werken in der Ausstellung ist das deutlich anzusehen. Da zeichnete Penck eine Gruppe seiner Freunde, wie sie ungeschminkt und ohne Angeberei lässig-nackig im Kreis sitzen, erzählend, sich gegenseitig mögend, Zwanglosigkeit übend. Sie haben riesige, ja unförmige Gliedmaße – und muten an wie eine Referenz an Picassos Phase der unförmigen Leiber. Es ist immer wieder grandios zu sehen, wie verschieden Schönheit sein kann – und wie bedenkenlos sich ein künstlerischer Gedanke über alle Verbote und Grenzen hinweg setzen und wirken kann.
Die „Beweinung mit weinendem Mädchen“ von 1958/59 zeigt dagegen eine andere intime Szene, in einem anderen Stil, mit einer Trauer um ein Mädchen, das entweder Suizid beging oder fast aus Kummer verstarb. Vielleicht steht das unglückliche Mädel für die Hoffnung auf ein Zusammenwirken mit dem Staat der DDR? Ist das Mädchen am Ende ein Sinnbild für die Kunst, für die Muse, die Penck in der DDR nahezu verwehrt wurde?
Penck wurde in der DDR ausgegrenzt, musste als Heizer und Nachtwächter arbeiten. Er passte nicht ins Bild von sozialistischer Heimatmalerei. Er passte auch persönlich nicht ins Schema. Man mochte ihn nicht und er wollte nicht gemocht werden. Im Westen hätte man sein Talent vielleicht auch nicht erkannt. Vielleicht hätten die westlichen Hochschulen den jungen Penck auch abgelehnt. Hochschulen sind sowieso nicht immer gut für die Kunst. Es gibt immer wieder Autodidakten, die nur deshalb ihren eigenen Stil fanden, weil sie niemand verbildete.
Die Hochschulen der DDR aber mussten jemanden wie Penck als Bewerber ebenso ablehnen wie der Verband Bildender Künstler der DDR. Über den Filmemacher Jürgen Böttcher fand der junge Mann immerhin Anschluss an die Boheme. Aber fast wäre er ein Künstler ohne Zukunft geworden.
Mut macht erfinderisch: 1971 schloss Penck sich der Künstlergruppe Lücke an. Alle dort waren Experten für sich selbst, sie waren Autodidakten und sie wollten mehr sein. Man musste sich gegenseitig was beibringen. Man lernte auch dabei, und man lernte Dinge, die man an der Akademie nicht gelernt hätte. Dafür blieb der Erfolg aus. Van Goghs Schicksal dräute am Horizont: hoch begabt zu sein, aber lebenslang unterschätzt zu werden.
Der Westen half. 1975 prämierte die BRD den Nicht-DDR-Künstler Penck: Er erhielt einen Preis der Akademie der Künste aus West-Berlin. Das setzte ein Zeichen. Als Penck 1976 auch noch Freundschaft mit Jörg Immendorff schloss, dem „Jungen Wilden“ aus Kreuzberg, Berlin-West, und späteren Kanzler-Freund, nahmen die Maßnahmen von DDR-Behörden gegen Penck noch weiter zu. Er war wie ein lebender Stachel im Fleisch.
1979 wurde in sein Atelier eingebrochen, Werke wurden vernichtet. Seine Ausbürgerung 1980 erschien fast unvermeidlich. Penck flüchtete in den tiefen Westen Deutschlands, wurde nahe Köln ansässig. Er wurde jetzt mit Preisen und Ausstellungsofferten überhäuft. Er war eine Trophäe des Westens gegen den Ostens, endgültig. Das war seine Art von Sieg. Er flüchtete aber auch davor, wollte sich nicht ständig nur instrumentalisieren lassen. Er zog nach London. Heute lebt er in Dublin (Irland) – und meldet sich regelmäßig auch noch bei ganz alten Freunden. Denen von damals aus Dresden, als das mit Penck und der Malerei begann.
Der Ruhm wurde indes auch professoral, und diese Rolle war vielleicht die seltsamste für jemanden, der auch optisch stets ein Rebell sein musste, aus innerer Notwendigkeit, als Selbstverständnis. Als Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf war Penck zwar immerhin ein gemachter Mann und sicher kein schlechtes künstlerisches Vorbild. Aber als Person war er ein Anti-Professor. Rein vom Typ her. Das Streben nach einem wahrhaftigen Ausdruck blieb ihm aber, auch wenn seine Arbeiten mit zunehmendem Alter an Glanz und Ausdruckskraft verloren. Vielleicht war er künstlerisch mit der Reibefläche DDR auch glücklicher als nach der Abschaffung dieses für ihn so zerstörerischen Staates.
Insofern ist gerade das zum Teil noch unreife Frühwerk Pencks sehr sehenswert: Man erkennt, was in ihm steckt, im späteren Trommler für ein befreites Dasein. Auf Vernissagen in den frühen 90er Jahren trat er denn auch gern mit einer Band auf, selbst am Schlagzeug sitzend, ungewaschen und in Schlotterklamotten, das Bier in Griffweite, ein Rocker mit Performance-Attitüde.
Angepasst im Sinne von gefällig war Penck nie. Insofern sind seine weltberühmten Strichmännchen, deren Vorläufer wir mit den „Gespenstern“ sehen, wegweisend – und eine Wolldecke erhielt kunstgeschichtliche Weltbedeutung.
Gisela Sonnenburg
P.S. Nachtrag vom Mai 2017: Im Alter von 77 Jahren verstarb Penck, lange schon erkrankt, am 2. Mai 2017 in Zürich.
„A. R. Penck zum 75. Geburtstag“ bis zum 23.11.14 in der Städtischen Galerie Dresden
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