Vor zwei Tagen klingelte mein Handy. Ein Kollege aus dem Badischen stellte sich kurz vor und fragte dann etwas umständlich, ob mir ein gewisser Raimondo Rebeck bekannt sei und ob ich ihn empfehlen könne. Aber hallo! Raimondo habe ich 1995 das erste Mal interviewt, und fast hätte ich damals aus Jux auch noch einen Pas de deux mit ihm getanzt. Er war ein brillanter, bewunderter Starballerino in Berlin, lässig dazu und überaus unterhaltsam. Ein Mann mit Witz und Charme wie selten im Ballett. Später profilierte er sich als Choreograf und Ballettmeister, mit pikant-klassischen und geistreich-pointierten Stücken. Ich konnte den Kollegen am Telefon also beruhigen, er hatte wohl so einen Chaoten wie Marco Goecke befürchtet. Gestern wurde dann die Vermutung des Kollegen amtlich bekannt gemacht: Raimondo Rebeck wird ab der Spielzeit 2024/25 Ballettdirektor vom Staatsballett Karlsruhe, und seine Stellvertreterin hätte nicht besser gewählt werden können. Es ist nämlich die in Bratislava geborene Kristina Paulin, die unter ihrem Mädchennamen Borbelyova schon als Tänzerin bei John Neumeier im Hamburg Ballett ihr choreografisches Talent unter Beweis stellte. Unter Rebeck wird sie denn auch Choreografin in Residence sein. Da ihr Stil sichtlich von Neumeier und der Neoklassik geprägt ist, kann Karlsruhe auch hier aufatmen: Es kommen keine untalentierten, dafür umso geldgeileren Techno-Fans, die Tanz als Gymnastik zu Musik auffassen, ans Ruder.
Im Gegenteil: Man darf gespannt sein – und große wie kleine tänzerische Süßigkeiten, Niedlichkeiten, Schönheiten, Delikatheiten, Verrücktheiten, aber auch Virtuosität und Abenteuer erwarten. Eine Neuigkeit aus Wien rundet die frohgemute Stimmung zum Wochenende hin ab: Alessandra Ferri, gefeierte Weltballerina und gebürtige Mailänderin, wird ein Jahr später, ab 1. September 2025, Direktorin vom Wiener Staatsballett und künstlerische Leiterin der dortigen Ballettakademie. Das Wiener Staatsballett kann sich freuen: Das Repertoire wird all die noch von Rudolf Nurejew geprägte Klassik, die man in Wien so gut beherrscht, bewahren und dennoch Neuem gegenüber aufgeschlossen sein. Als Festivalleiterin und Produzentin von Tanztourneen sammelte Ferri, die als lebendes Beispiel für Ballett mit über 50 gelten kann, zudem organisatorische Erfahrung.
Erwähnenswert ist unbedingt, wie Ferri an ihren neuen Job kam – nämlich nicht durch Willkür, Korruption oder unsachgemäße Auswahl allein durch Politiker und Staatssekretäre, die meist gar nicht die Zeit haben, sich wirklich intensiv und lange mit Ballett zu beschäftigen.
In Wien lief das so ab: Internationale Tanzexperten begleiteten das Bewerbungs- und Auswahlverfahren. Die 40 Bewerber mussten nicht nur sich selbst, sondern auch ein künstlerisches Konzept präsentieren, aus dem eine avisierte künftige Entwicklung des Wiener Staatsballetts hervorgehen sollte. In enger Abstimmung mit den Chefs der Wiener Staatsoper und der Wiener Volksoper – wo das Wiener Staatsballett auch eigene Produktionen entwickelt und zeigt – wurde dann entschieden. So soll es sein. Und es ist auch nicht verkehrt, fachkompetente Journalisten mit einzubeziehen, das sei am Rande vermerkt.
Dass dieser Hinweis nötig ist, zeigt die Praxis. Früher war es üblich, zum Beispiel als Berater und Dramaturgen versierte Autoren zu nehmen, die über eine gewisse Kenntnisbreite und über mehr als nur ein wenig Wortgewandheit, zudem auch über Zuverlässigkeit und Schnelligkeit bei der Arbeit verfügen und dieses mit jahrelanger Tätigkeit als Journalist bewiesen haben. Man sollte zu einer solchen Auswahl zurückkehren statt Leute, die auf dem zweiten Bildungsweg das Schreiben erlernten, zu intellektuellen Köpfen an den Theatern zu ernennen.
So etwas passierte ja leider nach dem Weggang des Dramaturgen Christian Baier kürzlich beim Ballett Dortmund, dem letzten festen Wirkungsort von Raimondo Rebeck, der die traurigen Zeiten dort aber nicht mehr erleben muss, weil er das Theater Dortmund bereits verlassen hat. Als Ballettmeister und durchaus tapferer Chef vom NRW Juniorballett sammelte der einst von Martin Puttke in der Staatlichen Ballettschule Berlin ausgebildete geborene Berliner tief im Westen, also in Dortmund, jahrelang Erfahrungen in alle Richtungen, was Theaterleben backstage angeht.
Seine Kreativität ist nie versiegt, also freuen wir uns auf neue Werke von Rebeck – und auch darauf, dass das Staatsballett Karlsruhe jetzt gute Chancen hat, zu den bedeutenden Compagnien in Deutschland und Europa aufzusteigen.
Das Wiener Staatsballett wiederum hat gute Chancen, seinen Status als eine der traditionell bedeutenden Compagnien in der Welt zu erhalten. Alessandra Ferri hat blendende Kontakte, und ihr Knowhow umschließt die praktische Ballettsaal-Arbeit ebenso wie die Repräsentation. Vermutlich wird es darum auch bald wieder Gastspiele vom Hamburg Ballett in Wien geben: mit Stücken von John Neumeier.
So keimt in diesen finsteren Zeiten doch noch Hoffnung in der Ballettwelt.
Gisela Sonnenburg