In Berlin hat soeben eine vermutlich steil werdende Tänzerkarriere begonnen, in Hamburg wird hingegen eine andere stilvoll und mit berauschenden Vorstellungen beendet. Während Alexandre Cagnat beim Staatsballett Berlin – er fiel diese Saison schon als Lenski in John Crankos „Onegin“ sehr toll auf – als neuer Partner von Kultballerina Iana Salenko gestern in den „Diamonds“ in George Balanchines „Jewels“ debütieren sollte, zeigt Primaballerina Hélène Bouchet beim Hamburg Ballett dem Publikum nur noch einige Male, was sie alles kann. Doch in Berlin verhinderten einige Covid-19-Infektionen bei Solist:innen und Ensemble-Mitgliedern die glamourösen Vorstellungen. Wir wünschen gute Besserung! Die Festtage stehen 2021 dennoch unter dem Zeichen „Genießen, solange es noch geht!“– denn niemand weiß, ob und wann nicht doch ein neuer Lockdown das ganze Land erfasst. Also nichts wie hin ins Theater, in die Oper und, wenn möglich, vor allem ins Ballett – alle, die jetzt auftreten, geben sich besondere Mühe, die Festlichkeiten schön zu gestalten.
Beim Dortmund Ballett lockt das erst jüngst premierte Doppelprogramm „Strawinsky!“ mit einem fabelhaft neu interpretierten „Petruschka“ von Xin Peng Wang und dem interessanten, ungewöhnlich feuchten „Le Sacre du Printemps“ von Edward Clug.
Nicht ganz weit entfernt entfaltet die wunderbare Klassik ihre Kraft: Das Aalto Ballett tanzt zu Weihnachten den „Schwanensee“ in der Version von Ben Van Cauwenbergh nach Petipa und Iwanow – ein Augenschmaus und auch ein Fest für die Ohren, denn die Musik von Peter I.Tschaikowsky kann man gar nicht oft genug hören.
Das Bayerische Staatsballett widmet sich dann ganz klassisch auch einem Märchenballett, allerdings einem hübsch modern aufgemotzten, nämlich der „Cinderella“ von Christopher Wheeldon.
An dieser Stelle herzliche Glückwünsche an die Titelheldin der Premiere, an Madison Young, die kürzlich zur Ersten Solistin in München avancierte!
Das Semperoper Ballett muss Weihnachten und Silvester leider im vorübergehenden Dornröschenschlaf wegen der sächsischen Pandemie-Situation schlummern – hoffen wir, dass diese Misere bald sehr viel besser wird.
Tödliche Gedanken statt Hoffnung verbreitet derweil das Stuttgarter Ballett zur Weihnachtszeit, was wirklich sehr existenzialistisch anmutet:
In seinem Programm „Höhepunkte“ zeigt das Ensemble von Tamas Detrich „Le jeune homme et la mort“ („Der junge Mann und der Tod“) von Roland Petit. Nach einem Libretto von Jean Cocteauenthält das Stück den Selbstmord eines unglücklichen jungen Menschen auf der Bühne. Es handelt nun sich um ein hochkarätiges modernes Kunstwerk. Aber ob es wirklich das Richtige zur Geburt von Jesus Christus ist? Und dann ja auch zur Jahreswende? Will man wirklich mit so klugen, aber düsteren Gedanken durch die Feiertage kommen?
Tamas Detrich, der verantwortliche Ballettintendant, scheint da keine Zweifel zu haben.
Wehmut und Grandezza dürften sich derweil beim Hamburg Ballett mischen, wenn die beliebte, berühmte, hoch verehrte Primaballerina Hélène Bouchet ihren Bühnenabschied nimmt.
Gerade erst trug sie zum Erfolg der jüngsten Hamburger Ballettpremiere mit „Dornröschen“ von John Neumeier bei, und zwar als gute Fee „Die Rose“ – und jetzt zeigt sie noch einmal, was sie alles an Facetten zu bieten hat, wenn sie am 27.12.21 als „Die Mutter“ in die Besetzungsgeschichte vom „Weihnachtsoratorium I – VI“, ebenfalls von John Neumeier, ihre Abschiedsvorstellung gibt.
Es ist ein bittersüßes Stück und ein bittersüßer Anlass, denn La Bouchet wird der Ballettwelt zweifelsohne fehlen und auch ihr wird die Bühnenwelt fehlen, auch wenn sie sich dann im sonnigen Süden Frankreichs, wo sie ihren neuen Lebensabschnitt startet, bestimmt wohl fühlt.
26 Jahre lang tanzte sie, aus Frankreich kommend, in Hamburg, sie prägte und kreierte dort großartige Partien, ist unvergessen als „Kameliendame“ etwa an der Seite von Roberto Bolle, aber auch mit tragenden Rollen in abstrakten Stücken wie der „Dritten Sinfonie von Gustav Mahler“.
Hélène, vergiss uns nicht und sei gewiss: Wir können dich gar nicht vergessen!
So wird das Ende eines erfüllenden tänzerischen Werdegangs mit vornehm-beglückenden Vorstellungen besiegelt und auch mit der einen oder anderen wohl verdienten Träne. Ade! Ade!
Auf DVDs wie Neumeiers „Tod in Venedig“, in dem La Bouchet unvergessen tanzt, wird nachdrücklich hingewiesen! Und wer nicht sowieso den Fernseher laufen lässt, sollte sich auch nicht abschrecken lassen, die Programme von 3sat und arte gezielt anzusteuern. Tipp: auf arte concert läuft derzeit auch „Nomad“von Sidi Larbi Cherkaoui – sehr sehenswert!
Wer am Zweiten Weihnachtstag so gar keine Ruhe findet, kann sich außerdem im Fernsehen auf arte – aber erst spätnachts – mit Friedemann Vogel als „Onegin“ beim Stuttgarter Ballett beschäftigen: ab 1.35 Uhr, was vor allem für Nachteulen geeignet ist. Alle anderen dürfen sich bis zum 24.01.22 mit derselben Aufzeichnung online auf arte in der Mediathek vergnügen. Sofern sie nicht schon längst die DVD dessen daheim haben.
Allen Leser:innen vom Ballett-Journal wünschen wir nun frohe und gesegnete Festtage, dazu fleißige Weihnachtsengel und freundliche Weihnachtsmänner – und wir erlauben uns, den stärksten Wunsch der Gegenwart auszusprechen, der ausnahmsweise nichts mit Ballett zu tun hat: Möge die Erfindung von wirksamen Medikamenten gegen Corona diesem Schrecken bald ein Ende setzen! In diesem Sinne – Ihre
Gisela Sonnenburg