Wenn die Liebe fremd geht Intelligente Bissigkeit: Thomas Ostermeier inszenierte „Bella Figura“ von Yasmina Reza an der Berliner Schaubühne

"Bella Figura" von Yasmina Reza zeigt den Ehebruch.

Szenenfoto: Zwei Paare und eine Seniorin klamüsern in der Berliner Schaubühne aufs Feinste ihre Beziehungen aus… in „Bella Figura“ von Yasmina Reza in der Regie von Thomas Ostermeier. Foto: Arno Declair

Ein reales Auto steht auf der Drehbühne. Schemenhaft erkennt man ein Paar darin. Die Grillen zirpen, ein romantischer Abend in einem Restaurant in der Pampa bahnt sich an. Pustekuchen! Boris, in Person des Intensiv-Schauspielers Mark Waschke am Steuer, hat schwer gepatzt: Er erwähnte, kurz vor Spielbeginn von „Bella Figura“ – aus der Feder der französischen Erfolgsdramatikerin Yasmina Reza – seine Ehefrau. Doch neben ihm sitzt nicht seine Frau. Sondern seine Geliebte Andrea, von Nina Hoss fulminant gespielt.

Wie ein roter Faden zieht sich die umgekippte Stimmung durch die hundert Minuten von „Bella Figura“, dem neuen Glanzstück der Berliner Schaubühne. In teils komödiantischer, teils grotesker Manier enthüllen sich die Lebensverhältnisse der Figuren. Boris ist bankrott; Andrea, die in einer Apotheke arbeitet, ist tablettensüchtig. Hoss spielt, als könne sie damit einen „Oscar“ gewinnen: mondän, abgeklärt, provozierend, mit einer Bandbreite von kaltschnäuziger Sexiness bis zu infantiler Lieblichkeit.

"Bella Figura" von Yasmina Reza zeigt den Ehebruch.

Nina Hoss als Andrea in „Bella Figura“ von Yasmina Reza: von kaltschnäuzig bis liebevoll ist alles drin… Foto: Arno Declair

Am Handy ist ihre Andrea fürs Töchterchen die liebe Mutti. Doch sowie sie sich ihrer Umgebung zuwendet, ist sie durchgeknallt, frustriert, notgeil. Toll, wie Hoss mit zerzauster Blondmähne und kurzem Rock die Nöte einer Allerweltsfrau interessant macht. Fast jede Geste ist geladen mit einer Mischung aus Widerwille und Wolllust.

Mark Waschke steht ihr nichts nach. Kraftvoll versucht er, seine Männlichkeit zu betonen, doch Andrea zerknickt immer wieder das Selbstbewusstsein des Supermachos. Als Boris rückwärts fährt und eine alte Dame touchiert, ist er auch noch ein Unfallfahrer – aber die Seniorin kam mit dem Schrecken davon.

"Bella Figura" von Yasmina Reza zeigt den Ehebruch.

Sorgt für tief bewegende, aber Slapstick-Momente: Lore Stefanek als Geburtstag feiernde, egozentrische Seniorin in „Bella Figura“ von Yasmina Reza. Foto: Arno Declair

Nicht so unser Pärchen, dem das emotionale Rüstzeug immer mehr abhanden kommt. Denn die umgefahrene Omi namens Yvonne (tattrig-zart gespielt von Lore Stefanek) ist keine ganz Fremde. Sondern die Mutter des Partners der besten Freundin der bereits erwähnten, aber abwesenden Ehefrau von Boris. Yvonne feiert mit Sohn und dessen Partnerin Françoise Geburtstag – den wievielten will sie nicht sagen, typisch für eine moderne exzentrische Alte.

Die Geburtstagsgesellschaft lädt das Ehebruchspärchen ein. Heimelig dreht sich die Bühne, auf der Jan Pappelbaum eine schicke Outdoor-Lounge aufbaute: welch symbolträchtiges Bild dieser Feiertagsgesellschaft, in der nichts außer dem Anschein stimmt. Die brünette Françoise, von Stephanie Eidt mit erotischer Genervtheit spielt, ist empört, weil die blonde Andrea ein Verhältnis mit Boris hat. Zu spät, um auch nur eine einzige bissig-intelligente Gemeinheit zu verhindern: Pingpongartig machen sich die Akteure Vorwürfe. Andrea landet betrunken in einer gläsernen Klozelle, wo Boris sie endlich mit koitalen Stößen beehrt.

REZA LIEBT DAS HOCHNOTPEINLICHE

Bis Yvonne stört – das Hochnotpeinliche wird von Yasmina Reza gern auf die Pike genommen. Im Vergleich zu ihren Stücken „Kunst“ und „Der Gott des Gemetzels“ wirkt „Bella Figura“ aber fast naturalistisch. Der Titel ergibt sich aus dem szenischen Höhepunkt: Andrea steht mit schnoddriger Eleganz auf der Sitzbank – und motzt Boris an, er solle mal eine „Bella Figura“, eine gute Figur, machen. Boris reagiert trotzig. Das Sich-selbst-Recht-Geben der Figuren ist von Reza fein eingefangen, ebenso das Aufbrechen der Sehnsucht nach Nähe.

Komplettiert wird das Quintett, das den Abend mal als Salonkomödie, mal als Variante von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ so feinnervig wie ungebremst spielt, von Renato Schuch. Er spielt energisch Yvonnes Sohn Eric: als bemüht kommunikativen Erfolgsjuristen. Reza grundiert auch hier die Unmöglichkeit der Liebe, geschmückt mit jener gesellschaftlichen Apathie, die hinter dem hektischen Getue der Yuppies steckt. Als unterhaltsam entpuppt sich Yvonne, deren Demenz, gemischt mit Altersweisheit, Anlass zu Slapstick wie für tiefe Momente ist.

"Bella Figura" von Yasmina Reza zeigt den Ehebruch.

So sind sie, die Männer und die Frauen! Hier eine Umarmung nach einer Nahkampfszene in „Bella Figura“ von Yasmina Reza in der Berliner Schaubühne. Regie: Thomas Ostermeier. Foto: Arno Declair

Regisseur Thomas Ostermeier lässt die wortstarke Partitur in wechselnden Tempi spielen. Filmbilder von Insekten und Meeresgetier zitieren zwischendurch die animalische Natur. Mit dem gleichnamigen Ballett „Bella Figura“ von Jiri Kylián (siehe hier im ballett-journal.de) hat das Reza-Stück übrigens nichts zu tun. Aber hier wie dort geht es um die Irrungen und Wirrungn der Liebe – und auch um ihre kaum gelingende Realität.

Das seltsam glückliche Ende in Ostermeiers Regie – eine Aufwallung von freundlichem Gefühl zwischen Andrea und Boris nach hartem Gerangel – überrascht zwar. Aber alles in allem handelt es sich um ein sehr heutiges Stück, das mit viel Wahrheitsgehalt einher kommt – und beim Team von der Berliner Schaubühne zudem zu einem Leckerbissen an feinfühliger schauspielerischer Kapazität avanciert. Toll.

Von 28. bis 31. Mai auf den Ruhrfestspielen Recklinghausen; am 4., 5., 6. Juni in der Schaubühne in Berlin

www.ruhrfestspiele.de

www.schaubuehne.de

ballett journal