Manche mögen’s deftig Das Musical „Rocky Horror Show“ ist nicht zimperlich, und auch die Aufzeichnung von „Les Contes d‘Hoffmann“ aus der Hamburgischen Staatsoper ziert sich nicht

Die "Rocky Horror Show" und "Les Contes d'Hoffmann" haben mehr gemeinsam, als man denkt

Eleanor Walsh singt uns in Stimmung, mit einer exzellenten Powerstimme: zu erleben in der neuen „Rocky Horror Show“, live als Musical! Foto: Jochen Quast

Diese beiden Events erfordern Aufmerksamkeit: Wer es gern mal heftig deftig mag, der ist im Musical „Rocky Horror Show“ bestens bedient – und wer tote Schmetterlinge als Deko schick findet und auch gegen überdimensionale goldene Gürtel nichts einzuwenden hat, dem gefallen auch die jetzt in einer vorzüglichen Aufzeichnung bei EuroArts als DVD sowie als BuRay erschienenen „Les Contes d’Hoffmann“ („Hoffmann’s Erzählungen“) aus der Hamburgischen Staatsoper. Zuerst aber auf ins Musical, das eigentlich ein Grusical ist, und das zum erhofften Ende der Pandemie-Phase hin mächtig viel Stimmung macht. Richard O’Brien, sein Autor und Komponist, war damals eigentlich noch ein schlecht beschäftigter Schauspieler – doch dann nahm sein Schicksal eine erfreuliche Wendung.

Zum Auftakt singt Eleanor Walsh wie eine moderne Amorette mit Pep und Pop in der Stimme, rekelt sich und intoniert ein unheimliches, zwischen Traum und Realität tänzelndes Lebensgefühl.

Ralph Morgenstern, quietschfideler Entertainer und Schauspieler und bekannt auf Funk und Fernsehen, steht dann leibhaftig auf der Bühne vom Berliner Admiralspalast mit dem Textbuch da – und mimt den „Erzähler“, der uns auf deutsch mitnimmt in die erst kleine, dann wundersam großartige Welt eines jungen, unbedarften Liebespaares.

Janet (Claire Keenan) und Brad (Sev Keoshgerian) sprechen englisch und sitzen stilecht im Cabrio, als hinter ihnen auf der dunklen Leinwand der Starkregen einsetzt. Wie die beiden, als sie ausgestiegen sind, miteinander umgehen, ist einfach süß: Küssen ja, und der Fuß der jungen Dame schnellt auch wie auf Knopfdruck dabei nebst Unterschenkel in die Höhe, aber ansonsten scheinen beide irgendwie noch recht jungfräulich. Da passt der Heiratsantrag doch perfekt.

Ein etwas heruntergekommenes Schloss scheint die einzige Herbergsmöglichkeit für diese Nacht, und die zwei Liebenden klopfen an. Oh, Riff Raff (Christian Lunn), der schräge Typ, der ihnen öffnet, wird sie hoffentlich nicht überfallen, wenn sie ihre müden Köpfe aufs fremde Kissen lagern?

Die "Rocky Horror Show" und "Les Contes d'Hoffmann" haben mehr gemeinsam, als man denkt

Oh! Das leicht verklemmte Liebespaar bangt des Nachts ohne Dach überm Kopf, aber Riff Raff lässt die beiden ins total verrückte Schloss… Foto aus der „Rocky Horror Show“: Jochen Quast

Weit gefehlt. Der Schlossherr Frank N. Furter (Oliver Savile), ein hoch gewachsener Transvestit mit Mieder und Stöckelschuhen wie aus dem Bilderbuch, und sein Arsenal an merkwürdigen Kreaturen – darunter eine waschechte Laborschöpfung mit blondem Haar und jeder Menge Muskelpaketen – sorgen für sexy anregende Unterhaltung.

Die Songs, vor allem über den berühmt-berüchtigten „Time Warp“, den Zeitensprung, entführen in waschechte Rock’n-Roll-Gefilde mit Live-Band, und während Frank erst Janet und dann Brad in ihren Gästezimmern verführt, braut sich alptraumhaftes Unheil über ihm zusammen.

Denn Riff Raff ist aufmüpfig und dreist – und zettelt zusammen mit dem Hausmädchen Magenta einen Umsturz an. Frank und sein engster Kreis werden von ihm umgebracht. Bevor Riff Raff, der jetzt auf Stelzen geht und mit Magenta wie Fasold und Fafner, die beiden Riesen aus Richard Wagners „Rheingold“, wirkt, das Schloss durch Laserkraft ins All beamen wird, empfiehlt er Janet und Brad noch freundlich, rasch zu fliehen.

Ohne Klamotten, aber ansonsten heil entkommen die zwei Liebenden – und sehen von der Erde aus verträumt und wissend ins unendliche Universum. Und wenn sie nicht gestorben sind…

Für Stimmung sorgt hier übrigens auch das Publikum, das traditionsgemäß in karnevalesken, gern auch travestiemäßigen Klamotten auftaucht und zwischendurch auch mal aufsteht und mitschunkelt. Konfetti und Spielkarten rieseln herab, und wer hier den Herzbuben verschmäht, ist selber schuld.

Nach Berlin tourt das Ensemble mit wechselndem prominentem Erzähler weiter nach München, dann nach Zürich und Stuttgart, nach Frankfurt am Main, Duisburg, Köln und Nürnberg, weiter nach Düsseldorf, zurück nach Frankfurt am Main und weiter nach Mannheim, Hamburg, Linz und Bremen.

Anders als der Film „Rocky Horror Picture Show” von 1975 ist die Bühnenshow aber wirklich sehr deftig gehalten und eher auch mal am Obszönen als am Erotischen orientiert. Das gehört aber zu dieser Inszenierung, und wer sich auch nach Aschermittwoch noch was richtig Lustiges zutraut, sollte diese wegen der Pandemie lang erwartete Gelegenheit nicht verpassen.

Die "Rocky Horror Show" und "Les Contes d'Hoffmann" haben mehr gemeinsam, als man denkt

Schrägheit und Erotik gibt es auch in der Oper, hier in „Les Contes d’Hoffmann“ aus der Hamburgischen Staatsoper, die jetzt als DVD und BluRay erschienen. Foto: Monika Rittershaus

Deftig in einem ganz anderen Sinn ist die Operninszenierung von Daniele Finzi Pasca, der in seiner Version von Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ („Hoffmann’s Erzählungen“) im französischen Original von 1881 einerseits auf den expressionistischen Stil und andererseits auf poetisch-absurde Bilder abstellt. Fürs Puschenkino daheim oder für die Erholung im Hotel auf Reisen gibt es jetzt das markante Werk als DVD und BluRay.

Auch hier gibt es einen Erzähler, er heißt Hoffmann und erinnert von Ferne an den genialen Dichter und Komponisten E.T.A. Hoffmann. Aber hier ist Hoffmann ein Bonvivant, er liebt in einer ultramodernen, blau leuchtenden Barkulisse den Schnaps, die Damenwelt, die Legenden. Benjamin Bernheim singt diesen melancholischen Schelm mit Hingabe: Er verfällt mitunter in ein philosophisch anmutendes Tableau, um dann wieder voll Kraft und Vitalität seine Version eines Lebemanns zu servieren.

Olga Peretyatko meistert ihre schwere, dennoch leichthin wirkende Vierfachpartie als Stella, Olympia, Antonia und Guilietta mit Verve. Überhaupt wirkt die märchenhafte Story, in der es scheinbar lebende Puppen und tote Schmetterlinge, ausufernde Barockperücken und ebenso schier unfassliche Damendekolletés gibt, surreal und mitreißend zugleich.

Der Dichter Hoffmann ist der Leidtragende und zugleich der größte Genießer – aber Erfüllung ist ihm versagt, er ist ein Sisyphos des Geistes, der dazu verdammt ist, immer weiter Fantasien zu spinnen und mit Aufgeschriebenem die Menschen zu verzaubern.

Alles hier ist hübsch und detailreich gemacht, und dennoch schimmert stets der Grusel durch die realhistorische Szenerie.

Über Kritik erhaben: der Chor der Hamburgischen Staatsoper, der auch die opulentesten Szenen stets musikalisch statt optisch siegen lässt, sowie das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, das unter der Leitung von Kent Nagano zur Höchstform aufläuft.

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Die BluRay mit ihren besonders scharfen Bildern sei auch besonders empfohlen:

Für die blaue Stunde vorm Abendessen ist das gute Stück ebenso geeignet wie als Dessert oder als bildungsträchtiges Betthupferl. Und um den Kreislauf in Schwung zu bringen, geht es dann am nächsten Abend ab ins Musical!
Gisela Sonnenburg

 https://www.bb-promotion.com/veranstaltungen/rocky-horror-show/

https://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/-/art/jacques-offenbach-les-contes-d-hoffmann/hnum/10833209

https://www.staatsoper-hamburg.de

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