Keine Angst vor der Schönheit In Potsdam eröffnete „Das Minsk“: ein Kunsthaus im ehemaligen Terrassenrestaurant mit Werken aus der DDR in ungewohnten Kontexten

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Bezaubernder Blick von der Bar im „Minsk“ auf die Terrasse und die Stadt – und auf den Himmel über Potsdam. Foto: Gisela Sonnenburg

Keine halbe Stunde fährt die S-Bahn vom Berliner Hauptbahnhof bis Potsdam. Dort wiederum geht man vom Bahnhof aus wenige Minuten in Richtung der Schwimmhalle „blu“ – und sieht linkerhand auf einer Anhöhe schon die außergewöhnliche Treppenarchitektur vom neuen Kunsthaus. Potsdam hat somit eine tolle neue Attraktion: Wo zu DDR-Zeiten das beliebte Terrassenrestaurant „Minsk“ residierte und weißrussische Leckereien anbot, entstand in den letzten zwei Jahren Umbauzeit ein Museum für Ost-Kunst. „Das Minsk“, so der jetzige Name des Hauses, verdankt sein neues Leben privater Initiative. Der Unternehmer und SAP-Gründer Hasso Plattner, der ein sehr untypischer Vertreter seines Standes ist, richtete mit seiner Stiftung schon 2017 das dem Impressionismus gewidmete Potsdamer „Museum Barberini“ ein. Jetzt ließ er für die Eröffnung ins frisch sanierte „Minsk“ Werke der DDR-Künstler Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Monika Geilsdorf sowie des Kanadiers Stan Douglas einziehen: ein Fest fürs kunstgeschulte Auge.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Der Mäzen beschaut die Kunst: Hasso Plattner mit dem Selbstportrait von Monika Geilsdorf. Es ist unverkennbar eine tolle Art Liebe zwischen ihnen! Foto: Gisela Sonnenburg

Schon die Architektur des 1977 als Restaurant eröffneten Baus fasziniert: am Bauhaus geschult, aber mit dem Pep der 70er versehen, prangt das Gebäude wie ein rot-weißes Quadrat auf dem Brauhausberg. Treppen winden sich mit eckigen Kurven empor, und Terrassen erlauben Ausblicke auf die hübsche Stadt. Dabei ist das Ganze eher zierlich, keinesweg protzig.

Schon draußen erwartet einen Kunst, wie eine meisterliche Skulptur von Wolfgang Mattheuer, aber auch wie Werke von Stipendiaten der Hasso Plattner Foundation. Richtig los geht es dann drinnen, auf zwei Geschosse sind die Ausstellungen verteilt.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Der „Maskenmann“, eine Skulptur von Wolfgang Mattheuer im Freien, auf einer Terrasse vom Potsdamer „Minsk“. Der blaue Himmel war natürlich wie bestellt. Foto: Gisela Sonnenburg

Und die sie verbindende, original nachgebaute, geschwungene weiße Treppe mit ihren angenehm flachen Stufen hat die Anmutung einer glücklichen Revueshow, die das Leben mit Kunstgenuss sein könnte.

Nostalgie und moderner Kontext treffen sich hier, stoßen aufeinander, ergänzen sich, regen die Fantasie an. Dabei sollen die Themen der hochrangigen Werke auch auf das Erleben der Besucher rückgebunden werden können. Konzepte werden hier also stets inhaltlich begründet sein und nicht rein formal – was absolut begrüßenswert ist.

Gründungsdirektorin Paola Malavassi, die schon fürs Museum Ludwig und für die Julia Stoschek Collection arbeitete und ein sehr feinfühliges Händchen für Auswahl und Hängung von Werken hat, betont zudem, dass man hier die „Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit von Lebenserfahrungen“ mit der ausgestellten Kunst sichtbar machen möchte. Das lässt sich anhand der aktuellen drei Ausstellungen denn auch gut nachvollziehen.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

„Der Nachbar, der will fliegen“ – doppeldeutig ist der Titel, ambivalent das Werk von Wolfgang Mattheuer. Hintergründige Ironie trifft darin auf einen krass formulierten Freiheitsdrang. Wen könnte das kalt lassen? Foto: Gisela Sonnenburg

Einzelne Werke ziehen ebenso in den Bann wie die Gesamtheit ihrer Präsentation. Mit viel Liebe zum Detail sind zum Beispiel die Bilder von Mattheuer im Raum verteilt, darunter ein figurativ und bunt gestalteter Paravent, der eine Tagseite, eine Nachtseite und eine Traumseite hat. Am schönsten aber ist es, in die gerahmten Bilder einzutauchen. Jedes von ihnen hat fast den Nimbus eines Plädoyers für die traditionelle Art Kunst, die das gute alte Bild bedeutet. Fantasien und Erinnerungen machen sie fasslich und begreifbar, mögen diese auch noch so absurd oder entrückt sein.

Es war, wie der Maler und Bildhauer Wolfgang Mattheuer uns mit einem seiner Bildertitel wissen lässt, „Ein merkwürdiger Abend“ im Sommer 1975. Dem Künstler war die Atmosphäre ein Gemälde wert.

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Am orangefarbenen Himmelszelt zieht darin ein Flugzeug eine fast senkrechte hellgelbe Spur. Auf Erden ruhen dagegen in waagerechten Reihen abgedunkelte Hügel mit Wald und Wiesen. Surreal und doch fast naiv ist das Universum hier detailliert abgebildet. Ist es die Hoffnung, die sich mit der Flugzeugtechnik im Kontrast zur düsteren Natur formuliert? Oder ist es gerade umgekehrt: Warnt der Künstler vor einem Absturz?

Fragen aufzuwerfen, war eine Spezialität des 1927 geborenen und 2004 verstorbenen Mattheuer. Als ein Hauptvertreter der Leipziger Schule war er einer der Vorzeigekünstler der DDR, galt aber in den späten 80er-Jahren zugleich als Staatsfeind. Hasso Plattner sammelte ihn schon damals, aber für die rund 30 Werke umfassende „Minsk“-Ausstellung „Der Nachbar, der will fliegen“ wurden auch Bilder von angesehenen Museen etwa aus Hamburg und Berlin ausgeliehen.

Das ist das Besondere an Plattners Plattformen für Kunst: Sie sind eben nicht Nabelschauen eines einzelnen Sammlers und Mäzen, sondern die gezeigten Werke erfüllen innerhalb eines Konzepts ihre Aufgaben. So illustriert das Titelbild der Mattheuer-Ausstellung mit hochgradiger Ironie, wie ein Bürger versucht, aus seiner Welt auszubrechen: mit offenbar selbstgebastelten Ikarus-Flügeln hebt über einer belebten Schrebergarten-Kolonie ab. Man mag sich das Ende dessen gar nicht ausmalen, denn die Stimmung des Bildes ist so fröhlich, dass der unvermeidliche Aufprall des Nachbarn umso härter sein wird.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Sind sie nur lustig oder auch listig? Sind sie real oder herbeigewünscht? Die munter kostümierten „Gäste im Braunkohlerevier“ malte Wolfgang Mattheuer mit surrealem Impetus. Foto: Gisela Sonnenburg

Ikarus, der antike Mythenheld, welcher der Sonne zu nahe kommt und abstürzt, weil das Wachs, das seine Federn hält, schmilzt, taucht immer wieder bei Mattheuer auf. Konträr witzig sind dagegen die kostümierten und maskierten Besucher beim Arbeiter im Kohlerevier. Aber auch die scheinbar simple Gartennatur fasziniert. Gärten bei Sonnenschein, in der Dämmerung, auch bei Mondlicht wirken mit intensiver Farbgebung wie eine Fortsetzung expressionistischer Traditionen.

Gärten sind auch das Thema der zweiten laufenden Ausstellung im „Minsk“:  „Potsdamer Schrebergärten“ fotografierte Stan Douglas, als er Mitte der 90er-Jahre mit einem Stipendium in Berlin weilte. In den Babelsberger Filmstudios baute er sogar einen halb verlassenen, wortlos beredten Garten nach, um dort zu filmen und zu fotografieren. „Der Sandmann“ heißt ein kryptischer Collage-Film, der im integrierten Stehkino mit Teppichboden läuft.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Wer macht das sonst schon: Ein halb verwilderter Potsdamer Schrebergarten wird im Filmstudio in Babelsberg nachgebaut. Stan Douglas hat’s inszeniert und fotografiert. Foto aus dem „Minsk“: Gisela Sonnenburg

Chaos und Gemütlichkeit, Rückzug ins Private und in die Einsamkeit, aber auch zivilisatorischer Verfall und die Kraft der Natur spiegeln sich in Douglas‘ Werken. Und: Der Kanadier beweist, dass der Blick des Westens auf den Osten nicht zwangsläufig voller Hass sein muss.

Liest man allerdings, was Ulrike Knöfel im „Spiegel“ über das neue Kunsthaus schreibt, schämt man sich für die deutsche Presse und die Journalistenzunft. Horst Plattner würde sich bei Ostalgikern „anbiedern“, verkündet Knöfel schon in der Headline. Ganz so, als ginge es nur noch darum, alles – aber auch wirklich alles, alles, alles, auch die Kunst – aus der DDR möglichst schlecht zu machen. Vernichtungswahn als Motto? Wer gegen diese Regel verstößt, wird offenbar fertig gemacht.

Die Angst des Westens vor den Schönheiten des Ostens muss groß sein.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Wie eine Referenz an typische Jugendstil-Bilder: die „Wintersonne“ von Wolfgang Mattheuer. Foto aus der Ausstellung: Gisela Sonnenburg

Dass außerdem im „Minsk“ je ein Selbstportrait der DDR-Koryphäen Willi Sitte und Monika Geilsdorf in der Mini-Ausstellung „Wechselspiel“ miteinander korrespondieren, wirkt wie ein pointierter Epilog.

Mann und Frau, Akkuratesse und Lässigkeit sprechen in den Bildern ohne Worte. Sitte war ja ein zunächst unglücklicher, dann durch enge Wegweisung erfolgreicher Mann; die Geilsdorf war hingegen das, was man eine bewunderte und mondäne Femme fatale in der Kunst nennen kann.

Entsprechend selbstbewusst hält sie ihre Zigarette himmelwärts, auf ihrem gemalten Selfie im Neckholder-Kleid, während Sitte sich selbst mit stolzem Blick hinter der Brille unterm Schutzhelm, aber splitterfasernackt Modell stand. Sie zeigt sich so, wie sie der Gesellschaft offiziell entgegen treten möchte, er aber tut etwas, das er sich nur in der Kunst so erlauben kann.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Willi Sitte im Selbstportrait – radikal ehrlich, freimütig nackig. Foto aus dem Minsk: Gisela Sonnenburg

Gegensätzlicher können Selbstportraits nicht sein, und doch verstehen sie sich – gegenüber liegend mit ausreichend social distance – prächtig.

Bei einem Stück Kuchen lässt sich dann darüber sinnieren und die neue Terrasse des Hauses genießen, mit Blick auf Potsdamer Dächer. Dass die neu designten beige-schwarzen Kacheln im Haus und an der Bar aus der Keramikwerkstatt von Hedwig Bollhagen stammen, schließt den Kreis: Die DDR findet hier gewissermaßen posthum zu sich selbst.

"Das Minsk" der Hugo Plattner Foundation in Potsdam

Stilecht, zeitgenössisch und doch voller 70er-Jahre-Flair: Die Bar mit Keramik aus der Werkstatt von Hedwig Bollhagen im neuen „Minsk“. Darauf ein Stück Kuchen, Obst oder Wahrheit! Foto: Gisela Sonnenburg

Darum kann man hier in aller Ruhe Bildungslücken schließen oder neue eröffnen. Schließlich geht es immer weiter, wenn man weit genug zu gehen bereit ist.
Gisela Sonnenburg

Bis zum 15.01.23 laufen die genannten Ausstellungen, dann folgt ein Programmwechsel.

www.dasminsk.de

 

 

 

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