Schertz im Gepäck: Majestät, Euer Urteil! Majestätsbeleidigung contra Intelligenzbeleidigung! Jan Böhmermann mit Anwalt Christian Schertz kassierte eine Teilschlappe vorm Hamburger Landgericht

Das Landgericht Hamburg mag keine Diskriminierung, auch in der Satire nicht.

Jan Böhmermann, berühmt für die „Böhmermann-Affäre“, wird wohl noch so Einiges mit den deutschen Gerichten auszufechten haben. Bei wikipedia ist er schon deswegen richtig wichtig. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Ich fand Jan Böhmermann noch nie besonders lustig. Den Tyrannen Erdogan allerdings auch nicht. Dass sich nun aber der deutsche Satiriker gegen den türkischen Staatsmann einen bekannten Berliner Anwalt nahm, der damit berühmt wurde, die Persönlichkeitsrechte von Prominenten zu Lasten der medialen Möglichkeiten erfolgreich zu verteidigen, grenzt an eine Beleidigung zumindest meiner Intelligenz.

Was hatte sich Böhmermann denn da erwartet? Dass Christian Schertz, der schon für etliche gekränkte Stars die Gerichte mobilisierte, ganz reibungslos die Seite wechseln kann? So ein Genie ist er nun wieder auch nicht.

Na, niemand ist in dieser Geschichte ein Genie. Auch der Vorsitzende Richter nicht. Unter dem Aktenzeichen 324 O 255/16 urteilte das Hamburger Landgericht, dass rassistische oder religiös verunglimpfende sowie sexuell brüskierende Passagen in Bezug auf Erdogan nicht erlaubt seien, auch in der Satire nicht. Vielleicht geht es den Richtern dabei noch nicht mal um den Aspekt der Majestätsbeleidigung, sondern um das Gegenteil. Also darum, dass künftig auch jeder Flüchtling vor solcher Art von Humor juristisch geschützt sein soll. Dann hätte in der Tat eine gute Absicht, was das hanseatische Gericht da ausgeheckt hat.

Zumindest haben andere zivilrechtliche Gerichte nunmehr eine Steilvorlage, um auch weniger prominente Moslems vor dem Zugriff bissiger Statements, die sich über den kulturellen Hintergrund ihrer Opfer lustig machen, zu schützen. „Ziegenficker“ muss sich jetzt also niemand mehr in Deutschland nennen lassen, erst recht nicht öffentlich und im Fernsehen.

Bei ernsthaften Kommentaren galt eine solche Einschätzung, die Rassismus und Diskriminierung ahndet, übrigens auch zuvor. Nur in der verspielteren Satire galt bisher: nahezu no limits. Dieser juristische Unterschied in den medialen Genres scheint jetzt aufgelöst. Das ist eine Nebenbedeutung des Urteils, die möglicherweise weitreichende Folgen hat.

Sollte es bei der neuen juristischen Einschätzung bleiben (und sich kein erneut aufzusuchendes Gericht dagegen stemmen), so wird Christian Schertz trotzdem als lachender Gewinner aus der Sache hervor gehen. Er bzw. seine Kollegen können dann nämlich wieder stärker auf Kunden hoffen, die sich geschmäht und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen. Mehr Prozesse, mehr Mandanten, mehr Geld für Anwälte!

Das Landgericht Hamburg mag keine Diskriminierung, auch in der Satire nicht.

Auch Christian Schertz ist bei wikipedia vertreten. Aber man hätte ihn fast auch auf der anderen Seite, bei den Anwälten Erdogans,  im Gerichtssaal vermuten können. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Die groß angelegten Schertz’schen Gerichtsspektakel in Sachen „Schmähkritik“ und „Persönlichkeitsrechtsverletzung“ sind indes schon einige Jährchen her. Wie etwa jenes Urteil von 2006, ebenfalls in Hamburg gefällt, nach dem der Axel-Springer-Verlag dem ehemaligen Politiker Joschka Fischer eine sechsstellige Summe zahlen musste: weil der Verlag, nicht eben zimperlich, ohne Genehmigung ein verfälschtes Portrait des Polit-Promis für eine Eigenwerbecampagne verwendet hatte („Babyface-Urteil“).

Zehn Jahre ist das her. Die Preise für Freiheit wie für alles Mögliche steigen seither unaufhaltsam, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Der Geldfluss bewegt sich immer schneller: Entweder man verarmt oder man wird wohlhabender.

Auch reiche Anwälte müssen da zusehen, wo sie bleiben, um ihr Vermögen zu mehren. Die Sache Erdogan bringt aus Juristensicht endlich mal wieder frischen Wind in ein fast schon festgezurrtes Wertesystem. Dass dieser Eingriff zu Lasten der Freiheit geht, ist für die Geldverdiener der Justiz eher unwichtig. Jede Branche ist sich selbst die nächste – und der nicht wirklich gute Komiker Jan Böhmermann hat mit seiner schlechten Anwaltswahl wieder nur das Eine bewiesen: dass er echt nicht viel drauf hat.

Das Landgericht Hamburg mag keine Diskriminierung, auch in der Satire nicht.

Auch das Hamburger Landgericht gibt es bei wikipedia. Früher entschieden die Richter hier oftmals für Christian Schertz, wenn er für die Belange eines Mandanten einen Klagantrag stellte. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Aktuell engt das Urteil faktisch die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland ein – und zwar, was „Beschimpfungen“ in rassistischer und religiöser Hinsicht in satirischen oder glossarischen Stücken angeht.

Das mögen menschelnde Lobby-Verbände und religiöse Vereinigungen, die heimlich ihre Kritiker verdammen, begrüßen. Und auch die Freunde der Heuchelei erhalten durch das Urteil mächtig Auftrieb. Wer’s hingegen satirisch gern deftig mag und das, was am Stammtisch noch erlaubt ist („Tacheles sprechen“, „dem Volk aufs Maul schauen“), auch im Fernsehen haben will, der muss jetzt erstmal Einbußen seiner Vielfalt hinnehmen.

Man darf immerhin hoffen, dass sich in den weiteren Instanzen die Richtung der Richter wieder ändern wird. Eine neue Beweisaufnahme ist allerdings erst vor dem BGH, dem höchsten deutschen Gericht für solche Sachen, möglich – und das kann noch einige Jahre dauern, bis Böhmermann da angekommen ist. Mit oder ohne dumme Scherze, äh, Schertz im Gepäck.

P.S. Der letzte Satz war keine Verunglimpfung, sondern ein juristisch harmloses Wortspiel, da es sich offenkundig um eine Aneinanderreihung von Schertz und Scherzen und nicht um eine Gleichsetzung handelt.

P.S.S. Der hier beschriebene Prozess beim LG Hamburg stützt sich nicht auf den Paragrafen der Extra-Behandlung ausländischer Staatsoberhäupter in Deutschland, sondern er ist tatsächlich für die allgemeine Zivilrechtssprechung im Land auch künftig von Bedeutung.
Gisela Sonnenburg

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