Ballettdirektor mit Beratungszwang – ein Novum Lloyd Riggins ist jetzt künstlerischer Ballettdirektor und Nicolas Hartmann der Geschäftsführer vom Hamburg Ballett. Aber heimlich regiert Carsten Brosda durch externe Berater übers Hamburg Ballett

Die Nijinsky-Gala L 2025 beim Hamburg Ballett

Lloyd Riggins moderierte am 20.07.25 erstmals die Nijinsky-Gala beim Hamburg Ballett – und bestand damit eine Feuerprobe. Den Vertrag, den er jetzt unterschrieb, hat er aber wohl zu wenig interpretiert. Foto: Kiran West

Immerhin: Anfragen von Journalisten beim Hamburger Kultursenat könnten Gutes bewirken. Der Beweis: Auf meine Anregung per E-Mail vom 17.07.25 hin, die besagte, dass man Lloyd Riggins, damals stellvertretender Ballettintendant in Hamburg ohne einen direkten Vorgesetzten, entweder zum kommissarischen Ballettintendanten oder ersatzweise zum Ballettdirektor machen müsse, damit er rechtlich gültig handlungsfähig sei, wurde tatsächlich gehandelt. Denn gestern beschloss der Aufsichtsrat der Hamburgischen Staatsoper (dem der Kultursenator Carsten Brosda vorsitzt), Riggins zum – der Oper unterstehenden – künstlerischen Ballettdirektor zu machen. Herzlichen Glückwunsch! Der bisherige Betriebsdirektor vom Hamburg Ballett, der „Mann mit dem Rechenschieber“ Nicolas Hartmann, rückt derweil zum Geschäftsführer auf, und zwar sowohl vom Hamburg Ballett als auch von der angeschlossenen Ballettschule (ebenfalls herzlichen Glückwunsch!). Gigi Hyatt, die bisher nur pädagogische Leiterin der Ballettschule vom Hamburg Ballett war, ist wiederum jetzt die Direktorin der Schule, auch ihr herzliche Glückwünsche! So weit, so gut. Allerdings hat die Sache einen gewaltigen Pferdefuß. Denn die Verträge umfassen einen absurden Beratungszwang. So etwas ist neu in der Bundesrepublik und rechtlich womöglich gar nicht haltbar. Dazu unten mehr.

Zudem gelten die neuen Verträge zunächst nur für eine Spielzeit, nämlich für die kommende, also die von 2025/26. Die darauf folgende Saison dürfen und sollen die drei noch von John Neumeiereingearbeiteten Fachkräfte zwar noch planen – ob sie dann aber im Amt bleiben, wird sich zeigen. Carsten Brosda kann sie damit unter Druck setzen und quasi heimlich lenken.

Es wird sich dann auch zeigen, welches Potenzial die drei bei der Wahl des künftigen Ballettintendanten bzw. der künftigen Ballettintendantin mit einbringen dürfen – und ob die weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom HB, wie von Brosda kürzlich mündlich zugesagt, auch wirklich mitreden dürfen.

Ausdrücklich sollen die drei jetzt Gekürten dafür sorgen, dass renommierte choreografische Handschriften für Neuproduktionen ihren Weg zum HB finden. Kein Ballettdirektor musste in der BRD bisher jemals Rechenschaft über seine Auswahl ablegen. Das schränkt den Gestaltungsspielraum schon mal ein.

Lloyd Riggins und Nicolas Hartmann - neue Verträge mit Beratungszwang

Lloyd Riggins und Nicolas Hartmann – neue Verträge mit Beratungszwang. Ein Fortschritt? Foto: Kiran West

Und weiter geht es mit den Vorgaben: Extern sollen „Grundsätze künftiger Zusammenarbeit in der Compagnie und die Erwartungen an eine künftige Intendanz des Hamburg Ballett“ erarbeitet werden. Wer da so alles mitmischen soll, steht noch nicht fest. So etwas riecht verdächtig nach Einmischung von oben und nach unberechtigter Gängelei. Denn Grundsätze der Zusammenarbeit sind vielfältig und immer und überall gegeben, sodass man sich fragt, warum ausgerechnet das Hamburg Ballett hier Erklärungen leisten soll. Sollen die Künstler sich selbst beschneiden?

Mal zur Klarstellung: Versagt hatte ja Brosda, der Demis Volpi berief und so lange wie möglich im Amt hielt. Versagt hat nicht das Hamburg Ballett und auch nicht sein Protestanführer, der Starballerino Alexandr Trusch. Seltsame Vorgaben kommen da jetzt auf die Leute zu.

Sollte aufgrund des Volpi-Desasters nicht vielmehr Brosda ausgetauscht werden, als dass man dem Hamburg Ballett unterdrückerische Vorgaben macht?

Warum akzeptiert das Leitungstrio diese Maßnahmen? Sie bedeuten eine unbotmäßige Einschränkung der künstlerischen Unabhängigkeit.

Aber jetzt kommt der Hammer: Das Leitungstrio soll sich auch noch im Hinblick auf die „Verbreiterung des choreografischen Repertoires extern beraten lassen“. Außenstehende  – die schon für die Volpi-Katastrophe sorgten – sollen also die in den nächsten zwei Jahren nach Hamburg kommenden Choreografen bestimmen. Da ist jetzt mal eine Katze aus dem Sack gehüpft. Es fragt sich: Geht so etwas rechtlich überhaupt als Vorgabe?

Eine Klage vorm Verwaltungsgericht Hamburg könnte da Gewissheit bringen.

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Denn weder Riggins noch Hartmann noch Hyatt sind Anfänger oder gar neu in der Ballettszene. Sie kennen schon geeignete Choreografen, und sie wissen, wer zum Stammrepertoire der Werke von John Neumeier passt. Berater könnten sie sich auch selbst suchen. Man muss sie nicht zwangsweise „beraten“, vor allem nicht, wenn man das Hamburg Ballett nicht besonders gut kennt. Es war ja damals gerade ein Fehler, dass in Brosdas Findungskommission, die dann Demis Volpi empfahl, so viele Menschen saßen, die das Hamburg Ballett nur aus der Ferne kannten. Jetzt soll derselbe Fehler wieder vorbereitet werden?

Dem Leitungsteam zwangsweise Beratung von außen aufzudrücken, kann eigentlich nur schädlich sein. Denn wieder sollen Leute, die nicht genügend Ahnung von den Gegebenheiten vor Ort haben, bestimmen. Brosda geht seinen Weg der Destruktion des Hamburg Ballett also weiter. Statt sich einsichtig zu zeigen.

Schlimm ist auch, dass das Leitungstrio das nicht zu checken scheint. John Neumeier hätte solche Verträge niemals unterschrieben.

Die drei Experten vom Leitungstrio waren aber womöglich nicht gut genügend juristisch beraten worden. Fakt ist: Sie haben den Löffel der grundgesetzlich garantierten künstlerischen Unabhängigkeit bereits mit ihrer Unterschrift unter die Verträge abgegeben. Falls diese Verträge so rechtlich überhaupt wirklich gültig sind.

Das sollte das Verwaltungsgericht entscheiden.

Denn Carsten Brosda und seine Leute werden dem Trio Beraterinnen und Berater aufs Auge drücken können, die positive Zensur betreiben können, indem sie Programmpunkte oder Künstler nach Gutdünken durchdrücken.

So etwas hat es in der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht gegeben.

Es ist also intensiv zu untersuchen, ob solche Vorgaben in Verträgen mit künstlerischen Leitern dem Artikel 5 Abs. 3 GG nicht gravierend widersprechen und von daher nichtig sind.

Denn es gilt vorrangig dieses Grundgesetz: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“

Da darf man berufenen künstlerisch Verantwortlichen keine „Beratung“ von außen aufdrücken, schon gar nicht regulär (und nicht als begründete Ausnahme).

Gigi Hyatt im Ballettsaal

Gigi Hyatt beim Unterrichten in der Ballettschule des Hamburg Ballett. Mit Genauigkeit und Hingabe werden hier die täglichen Übungen absolviert, um professionell das Tanzen zu erlernen. Genauigkeit ist aber auch bei Verträgen angesagt. Foto: Holger Badekow

Riggins hat sich auch nichts zu Schulden kommen lassen. Es war Brosdas Fehler, Volpi zu engagieren. Soll er sich doch mal selbst beraten lassen!

Es geht hier nicht um Schwangerschaftsabbruch, sondern um die Gestaltung künstlerischer Arbeit. Da soll „Beratung“ bei Entscheidungsträgern eine Pflicht werden? Einfach so? Also sollen „Vorgaben“ akzeptiert werden? Klingt doch arg nach einer neuen Form der Zensur.

Der Steuerzahler bzw. die Bevölkerung hat aber ein Recht auf unzensierte Staatskunst. Auf freie Kunst. Ohne Maßgaben, die objektiv keinen Sinn ergeben. Außer, dass sich der Herr Kultursenator mit seinem Geschmack durchsetzen möchte.

Schade, dass offenbar weder Riggins noch Hartmann noch Hyatt juristisch firm und geistig flott genug waren, um zu erkennen, was sie da unterzeichneten.

Oder laufen sie am Ende sogar ganz gern an der Leine des solchermaßen kontinuierlich immer mächtiger werdenden Hamburger Kultursenators?

Im Verein mit Brosda äußerten sich alle drei in gedrechselten Statements für die Öffentlichkeit euphorisch und begeistert über die neu geschaffene Rechtslage. Es sei ihnen eine Ehre und so weiter… Aber glauben sie das wirklich?

Man muss schon fast befürchten, dass man Carsten Brosda bald mit „Kultur-Fürst“, „Kultur-Durchlaucht“, „Kultur-Hoheit“ oder gar „Majestät der Kultur“ anreden muss. Ein Beratungsfürst der Kunst!

Wird Hamburg sich alsbald einen neuen feudalistischen Stand erfinden, nämlich den des Kulturadels von Brosdas Gnaden?

Nur Eines ist gut an den neuen Verträgen beim Hamburg Ballett: Hartmann und Riggins können jetzt ohne Einbußen rechtsgültig unterschreiben, das heißt, sie können zum Beispiel Spitzentänzer wie Alexandr Trusch zum Hamburg Ballett zurückholen.

Umgekehrt kann sich jemand wie Trusch jetzt von sich aus an Riggins und / oder Hartmann wenden, um zu verhandeln. Diese sollten es dann auch geflissentlich tun. Solange sie noch die Möglichkeit haben, dieses Multitalent fürs HB zu bekommen.

Hoffentlich trauen sie sich das. Denn Carsten Brosda wird ihnen dazu sicher nicht raten bzw. raten lassen, schon aus reinem Eigennutz nicht. Schließlich war Trusch nicht nur der Beste von den Hamburger Ballettkünstlern, sondern auch der Vorreiter im Protest gegen Brosdas Liebling Demis Volpi.

"Nijinsky" von John Neumeier und ein fiktiver Spielplan gegen Peter Laudenbach

Alexandr „Sasha“ Trusch als „Nijinsky“ von John Neumeier. Ein begeisternder Künstler, ein begeisterndes Foto von Holger Badekow

Man verdankt Trusch, dass der dissoziative Despot Volpi gehen musste. Das war in gewisser Weise eine Rettung, eine Befreiung des Hamburg Balletts. Trusch konnte auf die Missstände zunächst nur mit seiner Kündigung hinweisen. Jetzt, da die Missstände durch den Rauswurf Volpis behoben sind, müsste er doch zurückkehren können. Wo ist das Problem?

Aber wann wird Trusch sein Einsatz fürs Hamburg Ballett gedankt? Und wie? Zynisch gefragt: Mit unbotmäßiger Buckelei vor Brosda?

Im Interesse der Zukunft vom Hamburg Ballett wäre es allemal, wenn das frisch gebackene Leitungstrio aufwacht. Das steht fachlich-sachlich außer Frage.
Gisela Sonnenburg / Anonymous

P.S. Und die nächste Schote aus dem Hause Brosda ist auch schon angekündigt: Ab dem 01.08.25 wird Jürgen Braasch der neue Geschäftsführer der Hamburgischen Staatsoper sein (folgend auf Ralf Klöter). Brosda rühmt sich, er sei glücklich, ihn für Hamburg gewonnen zu haben. Braasch war derjenige, der den Ich-schmiere-einer-Frau-die-Exkremente-meines-Hundes-ins-Gesicht-Künstler Marco Goecke an die niedersächsischen Staatstheater in Hannover engagiert hatte. Goecke wurde damals nach seiner Tat dort entfernt, Braasch aber blieb. Und beide führen mittlerweile ihre Karrieren ungemindert fort: So wenig ist im kulturellen Betrieb von heute die Unversehrtheit einer Frau wert. Hätte Goecke Braasch oder Brosda die Hundekacke ins Gesicht geschmiert, so wäre die Sache sicher anders ausgegangen. Aber das scheint im ehrenwerten Aufsichtsrat der Hamburgischen Staatsoper niemanden zu interessieren.

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