Das Publikum kann kommen! Pina Bausch ist schon da. In der Kunsthalle Bonn tobt derzeit eine besondere Spielart des rheinischen Humors: Man hat einen Probenraum nachgebaut, in dem Pina Bausch (1940 – 2009), Gründerin vom Wuppertaler Tanztheater, viele ihrer Stücke kreiert hat. Da es sich dabei um kein normales Ballettstudio, sondern um ein altes Kino mit dem malerischen Namen „Lichtburg“ handelt, ist der Raum mit 50er- und 60er-Jahre-Flair eine kleine Attraktion – auch in der Simulation. Damit hat es sich aber auch schon. Denn was einem als so genannte „performative Ausstellung“ (Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle) unter dem Titel „Pina Bausch und das Tanztheater“ angeboten wird, ist lediglich der Versuch, aus einem Stück Kultur einen Vergnügungspark zu machen.
Es gibt Mitmachaktionen statt Fotobeschau, Pseudo-Diskussionen statt Auseinandersetzungen mit dem Werk. Videos, Gelaber, wieder Videos, wieder Gelaber – all dies findet auf niedrigstem Level statt, damit sich niemand anstrengen muss. Man gibt bei solchen Veranstaltungen das Gehirn am besten gleich mit an der Garderobe ab. Pina Bausch selbst würde die Verflachung, die man ihrem Werk hier antut, vielleicht belächeln. Denn immerhin wird sich ja bemüht. Aber die Leute merken gar nicht, wie sie einer plumpen Werbemaschinerie auf den Leim gehen, wenn sie solche Unterhaltungsangebote mit Kommunikation verwechseln.
Ein bisschen ist es wie in einer Geisterbahn. Man darf mal so tun, als sei man Künstler! Ja. Als sei man ein Mitglied in Pina Bauschs weltberühmtem Wuppertaler Tanztheater. Wenn man Glück hat, gerät man an Alt-Promis wie Jo Ann Endicott, die mal eine große Künstlerin und Akteurin bei Bausch war. Heute trägt sie ihre Haut zu Markte, indem sie Laien anweist, Kleinstauszüge aus dem Bausch-Werk nachzuhampeln. Von künstlerischer Interpretation ist hier natürlich nicht zu sprechen – es geht darum, die große Kunst runterzuholen: aufs Workshop-Niveau für jedermann.
Inhalte werden da radikal weggelassen. Gesellschaftskritik ist zwar die Triebfeder für jede Art von Kunst, sogar für Auftragskunst – aber hier geht es nur um das Staunen ohne Auflösung.
Eine fragwürdige, aber finanziell sicherlich lohnenswerte Auffassung von Kunst und Fortschritt. Der Sohn und Erbe von Pina Bausch, der künstlerisch völlig unbeleckte Jurist Salomon Bausch, hat als Vorsitzender der Bausch Foundation wohl gerne investiert, um Kasse zu machen.
Und so geht es auch gar nicht darum, die Kunst der Bausch zu deuten oder verständlich zu machen. Oder gar darum, sie auch mal zu kritisieren. Nein, hier wird nur verkauft, verkauft, verkauft!
„Nicht verstehen! Mitmachen!“ So lautet der heimliche Schlachtruf dieser Ringelpiez-Desaster, die unter Titeln wie „Lecture Performances“ und „Workshops“, „Film & Talk“ und „Kunstkomplizen“ am besten frühsenile reiche Rentner bespaßen sollen. „Anekdoten, Informationen, Erinnerungen“ an die gute alte Zeit, an die damaligen Proben in der Lichtburg sollen hochkommen. Was hat das nun aber mit Kunst zu tun? Das ist Pina Bausch als Töpfer-Kurs.
Wie der Werbetext unmissverständlich mitteilt, sind das zudem allesamt Aktionen, an denen man „spontan und ohne Vorkenntnisse teilnehmen“ kann. Natürlich. Vorkenntnisse braucht man nicht, wenn man mal ein bisschen eine Originalchoreografie von Pina Bausch tanzen will. Das dünne Gehupfe, was? Ach, das kann doch jede und jeder! Es geht hier darum zu wissen, wie sich das anfühlt. Wenn man doof ist und kein Künstler. Wie sich ein Künstler dabei fühlt, wird man so ganz sicherlich nicht erfahren. Dazu ist all das hier viel zu oberflächlich. Aber man kann dann von sich behaupten, man habe mal ein paar Schritte Bausch geprobt. Und nur darum soll es gehen: um den Spaß.
Motto: Alzheimer kann kommen! Wir hatten fun. Nennen wir das Ganze dann noch rückwirkend „wertvolle Erfahrung“. Mit solchen billigen Wortetiketten zu brillieren, ist sozusagen das Kerngeschäft solcher Null- und Nietenevents wie diesem hier.
Und schön die Arme hoch! Und die Beine laufen! Was will man mehr, das klingt zwar wie Gymnastik und sieht aus wie eine Reha-Übung, aber es ist, angeblich, original Pina Bausch! Man mag widersprechen, es nützt nichts: Obwohl die Bausch ganz klar Inhalte mit ihren Stücken vermitteln wollte, wird hier ein technisch nicht anspruchsvolles Bröckchen – sozusagen eine Zitatkrume – benutzt, um die Massen zum Turnen zu bringen. Na, mit Kunst kann das nichts zu tun haben. Das ist Bewegung unter Anleitung, also: Ringelpiez zum Anfassen in Reinkultur.
Mitmachaktionen statt Verständlichmachung, das ist der neue Horror, der neue Kulturfaschismus: Auf dieser krassen Niveauverschiebung nach unten bewegt sich das gesamte Ausstellungskonzept. Die Kuratorin Miriam Leysner ist aber selbstredend stolz darauf, dass „echte“ Mitabeiter vom Wuppertaler Tanztheater im Ausstellungsraum stehen – sie sollen nicht mehr nur Künstler und Interpreten der einstigen Bausch-Truppe sein, sondern sich als Vermittler sehen, und zwar bei Profis der Tanzszene (etwa bei ernsthaften Einstudierungen) ebenso wie bei Laien (so bei Veranstaltungen wie diesen hier). Das ist maximales finanzielles Absahnen. Kommerz statt Kunst – und das auch noch mit Subventionsgeldern. Ein feines Bubenstück.
Vermutlich spricht man am besten schon jetzt vom Untergang der Bausch-Kultur. Die Verramschung eines Werks zu besichtigen, hat zwar auch seinen eigenen Reiz, kann aber mit dem Originalgenuss nicht mithalten. Adolphe Binder, die künftige Leiterin vom Wuppertaler Tanztheater, wird da prima dazu passen: Diese Dame hat sich in ihrer Zeit an der Komischen Oper Berlin einen ebenso zweifelhaften Ruf erworben wie jüngst in Göteborg in Schweden. Sie gilt als Vorhut jener Tanzchefs, die mit Mobbing nach innen und mit PR statt Kunst nach außen Erfolge einheimsen. Das dürfte genau die Linie von Salomon Bausch und seinen Mitstreitern sein. Qualität und Tiefgang bleiben da konsequent auf der Strecke.
Vor allem aber soll wohl auch die Kritikfähigkeit auf diese Weise ausgeschlossen werden. Denn natürlich muss man sich jedes Jahr neu fragen, ob die Arbeiten von Pina Bausch noch Bestand haben. Mir zum Beispiel erscheint ihr Frauenbild zunehmend als veraltet, als schon damals, als es kreiert wurde, nicht substanziell genug. Immer nur tolle, lange Kleider, immer nur den Männern vornüber in die Arme plumpsen – sind das wirklich wir Frauen?
Die Damen angeln sich bei Bausch mondsüchtig einen Versorger, während die Männer ein unterlegenes Sex-Häschen wollen. Irgendwie sind diese Figuren – etwa im Vergleich zu den Frauenbildern in Balletten von John Cranko und Frederick Ashton, von Juri Grigorovich und John Neumeier, von Angelin Preljocaj und Martin Schläpfer, von Ohad Naharin und Nacho Duato und sogar von Marius Petipa und Jean Coralli – doch sehr eindimensional.
Aber das eigenständige Hinterfragen ist zum Beispiel in dieser Ausstellung eher gar nicht mehr geboten. Auf etwaige Kritik wird verzichtet, obwohl man nur durch die kritische Befragung eines Werks auch etwas über es lernen kann. Nur: Wer die polierte Oberfläche von Pina Bausch schon für den Kern ihres Werks hält, der lässt natürlich nicht mit sich diskutieren.
Dafür darf man, mangels Kondition für stundenlanges Turnen, in der Bundeskunsthalle auch mal Reporter spielen – und Blitzinterviews mit ehemaligen Bausch-Tänzern führen. Allerdings: Nur fünf Minuten Zeit hat man dafür. Damit nur ja kein echtes Gespräch aufkommt. Denn Nähe und Wahrhaftigkeit sind die größtes Feinde von solchen Vermarkungsangeboten, wie sie hier in Bausch und Bogen gemacht werden – und das Werk von Pina Bausch sozusagen in den Ausverkauf werfen.
Pina Bausch auf dem Grabbeltisch, begraben unter peinlichen Floskeln und werbeträchtigem Geschwafel wie folgendem Satz, der ihrer ohnehin blenderischen Kyoto-Preis-Rede von 2007 entstammt: „Es geht um das Leben und darum, für das Leben eine Sprache zu finden.“ Wir wünschen guten Appetit!
Es wird empfohlen, sich fürs Eintrittsgeld lieber ein schlaues Bausch-Buch, etwa das von Anne Linsel zu kaufen.
Auch die mehrfache Ansicht des Films „Pina“ von Wim Wenders (als DVD und Blu-Ray erschienen) kann helfen, einen normalen Zugang zum Werk der Bausch zu bekommen.
Wer sich gern bewegt, buche einen Tanzkurs! Auf angebliche Workshops wie solche Kurzevents in dieser Austellung – die viel zu oberflächlich sind, als dass sie das Wort „work“ im Namen verdienen – sollte man indes vielleicht besser verzichten. Um sich das Erlebnis vom Tanzen nicht zu verderben.
Gisela Sonnenburg
Bis zum 24. Juli 2016 in der Bundeskunsthalle in Bonn (www.bundeskunsthalle.de)
Rezension des Linsel-Buchs: www.ballett-journal.de/ballerinenfuesse-und-zigeunermaedchen/