Schwarzer Ruß, bröckelnde Häuser, ein zerrissenes Lächeln, eine unechte Braut: Das echte Leben äußert sich manchmal in purer Hässlichkeit. Die berühmte Fotografin Gundula Schulze Eldowy, geboren am 23. Februar 1954 im ostdeutschen Erfurt, trat an, um das zu dokumentieren. Kummer und Hoffnung mischen sich in ihren Bildern, und mitunter rutschen die stärksten Wünsche im Alltag in die Abgründe des Nichtgewollten. Nicht ohne Zwinkern und Schmunzeln beobachtet das die Künstlerin, die nie den scharfen Blick vergisst: Oft lässt sie dennoch Herz und Einfühlung statt Denunziation und Enthüllung walten. Bald wird die renommierte Kunstfotografin 70 Jahre alt, ihre Bilder aber taugen für die gefühlte Ewigkeit. Das Bröhan-Museum in Berlin-Charlottenburg, benannt nach seinem Gründer Karl H. Bröhan, weiß das – und zeigt unter dem Titel „Berlin in einer Hundenacht“ Fotos von Schulze Eldowy, die den Berliner Bezirk Mitte von 1977 bis 1990, zur Zeit seiner größten Wandlung, dokumentieren. Es sind Fotos vom echten, harten Leben in all seiner Süßigkeit – und all seinen Schattierungen.
Vor allem die Menschen, die damals in Mitte lebten, fielen der Fotografin auf. Damals gab es dort keine durchgeknallten Hipster oder versoffenen Touristenscharen, keine DHL-Boten und auch keine E-Scooter auf den Bürgersteigen. Dafür transportierte jemand seine neue Badewanne mit sich selbst als Pferd vorm Wagen. Ein Straßenbahnschaffner ließ sich in Uniform ablichten und, auf eigenen Wunsch, splitternackt in seiner beengten Wohnung.
Die Nacht ist hier grenzenlos und auch symbolisch gemeint. Berlin in einer Hundenacht, das heißt auch: bei grellem Sonnenschein. Berlin wirkt trotzdem irgendwie hundemäßig abgefuckt, zeitlos verkommen, dennoch mit eigenwilligem Charme gesegnet.
Ein anderer Nackter hat selbst etwas weniger Charme, dafür viel zu viel geblähte Wampe vorzuzeigen – und er fläzt sich damit demonstrativ vor der Kamera. Er lässt sich gehen, während seine Frau im selben Raum emsig die Schwiegermutter pflegt: Machismo à la DDR. Dagegen wirkt ein skurriles Ehepaar, das sein Hochzeitsfoto um Jahrzehnte verspätet nachholt, richtig verschmust.
Kinder spielen mal gelangweilt, mal voller Lebensfreude zwischen den schmucklosen Mauern von Mitte. Ihre Blicke künden mal von Skepsis, mal von Melancholie. Mal von Erwartung, mal von früher Resignation. Was wohl aus ihnen wurde? Gundula Schulze Eldowy hat sie für changierende Stimmungen ins Bild gerückt, deren Gültigkeit weit über den damaligen Zeitgeist hinausreicht.
Und auch der Tod spielt mit: Eine echte Leiche in einem geöffneten echten Sarg gibt es sonst auch nicht oft zu sehen. Divenhaft geschminkt und hart ausgeleuchtet, hat sie eine Wand für sich. Als wollte sie den anderen zurufen: Genießt das Leben nur, es dauert nie lang genug! Rücksichtslose Rücksicht lässt Schulze Eldowy in ihren oft sorgsam arrangierten Fotografien vorherrschen: Sie will die Welt verstehen, und sie will, dass es andere auch tun.
Der Kurator Tobias Hoffmann kennt zudem den persönlichen Hintergrund von Schulze Eldowy. Sie studierte zunächst Werbung und Gestaltung in Berlin und kam übers Ausprobieren zur Fotografie. Prompt ließ es ihr keine Ruhe mehr. Sie begann ein zweites Studium, das der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, und pendelte fortan zwischen Berlin und der sächsischen Metropole.
Aber was wäre eine Frau ohne die Männer? Roger Melis, bekannter Autorenfotograf der DDR, portraitierte Gundula Schulze Eldowy als keck und sexy dreinschauendes Mädchen, deren Pferdeschwanz wie zufällig von einer Bewegung nach vorn gelegt ist.
Die Bekanntschaft mit dem 30 Jahre älteren, schweizerisch-amerikanischen Fotografen Robert Frank ermöglichte es ihr, ab 1990 drei Jahre lang in New York zu leben. Und dann ging sie auf Reisen für ihre Fotoserien: nach Ägypten, Russland, Ecuador, Peru. Einen Peruaner heiratete sie schließlich, und sie lebt auch heute noch teils in Peru, teils in Berlin.
Aber ihre Arbeiten aus den letzten Jahren der DDR haben sie berühmt gemacht. Sie nähren die Neugier der Kunstfreunde, der Menschenfreunde, auch der Tierfreunde, selbstredend. Denn eine Hundenacht ohne Köter wäre ja nicht denkbar: Einer trägt sein Tier sorgsam im Korb mit sich, eine andere kann nur noch die Leiche des toten Hundes zu Fuß nach Hause schaffen.
Da trösten die Küsse von alten und jungen Paaren. Oder das Selbstportrait der Fotografin, auf dem sie sich von einem jungen Mann kitzeln lässt. Sogar der Verfall wirkt bei Gundula Schulze Eldowy noch poetisch: Alte Aufschriften erhaschen ihre Aufmerksamkeit ebenso wie flächenhaft verbauter Backstein. Da es sich außerdem stets um analog erstellte Schwarzweiß-Fotos handelt, ist das Flair von Sehnsucht nach der guten alten Zeit sozusagen vorprogrammiert.
Gisela Sonnenburg
Bröhan-Museum, gegenüber vom Schloss Charlottenburg in Berlin, bis 14.04.24