Kindfrau, Komödiantin, Königin Katharina Thalbach, geniale Schauspielerin und Regisseurin, wurde 70 – mit einer Gala im Berliner Ensemble und einem Portrait beim mdr

Katharina Thalbach wurde 70

Katharina Thalbach erzählt – hier in der hervorragenden Porträt-Doku der Reihe „Legenden“ vom mdr, Buch und Regie: Jana von Rautenberg. Videostill vom rbb: Gisela Sonnenburg

„Es war sensationell!“ Das befand nicht nur die Jubilarin. „Happy Birthday, Katharina Thalbach – Die große Geburtstagsfeier“ nannte sich der gestrige, einmalige Gala-Event zu Thalbachs Ehren im Berliner Ensemble (BE) im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin. Schon im Publikum saßen illustre Leute wie der Modemacher Guido Maria Kretschmer. Und auf der Bühne zündete ein Feuerwerk nach dem anderen. Dabei begann es sanft. Ein schwarzes Grand Piano, ein schlanker Mikrofonständer, dazu reichlich Blumensträuße in Vasen, hübsch dekoriert, dazu wechselnde Fotografien aus dem Leben der Jubilarin im Hintergrund: Die Bühne vom BE war gestern Abend so spartanisch wie selten eingerichtet. Schließlich sollten die menschlichen Hochkaräter, die antraten, um künstlerisch zu gratulieren, genügend Spielraum haben. Oliver Reese, Intendant vom BE, trat als Erster vor und verlas mit angemessener Dramatik in der Stimme den denkwürdigen, aber keineswegs humorlosen Brief, den Kathi ihm letztes Jahr im April geschrieben hatte.

Katharina Thalbach wurde 70

Oliver Reese gratuliert Katharina Thalbach – der Intendant vom Berliner Ensemble weiß die Starschauspielerin zu beglücken. Foto: Mark Feigman

Sie habe von einem überdimensional großen Kessel geträumt, heißt es darin, in dem sie mit anderen Menschen gefangen war. Bier sollte dort eingefüllt werden – was große Angst auslöste. Erst mit ihrer Mutter, die sie beruhigte, konnte Kathi, die im Traum wahrscheinlich ein Kind war, herauskommen. Aus der Bierhölle ging des direkt auf den Bühnenhimmel: Flugs befanden sich Mutter und Tochter auf der Bühne vom Berliner Ensemble, wo Kathi künstlerisch gewissermaßen aufgewachsen war. Vater Benno Besson führte Regie und schimpfte, weil die beiden Damen zu früh auf die Bühne gestürmt waren. Immerhin ragten dort etliche Beinpaare aus dem Bühnenboden, die verschiedene Schuhe trugen. – Sigmund Freud hätte viel damit anfangen können, erzählt der Traum doch offenkundig von kindlicher Angst, aber auch von der jungfräulichen Neugier auf Sexualität. Kathi findet das BE seit diesem Traum, der ihr die Augen über eine fast unbewusste Präferenz öffnete, jedenfalls eine Rettungsstation. Das Angebot von Reese, ihren 70. Geburtstag hier mit einer Gala zu feiern, nahm sie, so erzählt die Legende, vor allem durch ihren eigenen Traum an. Ob eine Freud’sche Deutung dazu beitrug, ist nicht bekannt.

Die schöne Schweizerin Nadine Schori, die ein Diplom als klassische Tänzerin der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden in der Tasche hat, aber als Schauspielerin bekannt ist, beginnt den gut dreistündigen Reigen prominenter Glückwunsch-Überbringer. Auf Wunsch Kathis tanzt sie, zu einem Song von Gianna Nannini, und steigert sich mit zwei Mitstreiterinnen zu einem Cancan in Strapsstrümpfen. Der Kniefall der Troika gilt der Jubilarin. Aber bitte!

Inga Busch, die einst „Orlando“ in Thalbachs gleichnamiger Inszenierung spielte, bringt Raffinesse in die Show, deren vorläufiger Höhepunkt das amüsante Geplauder von Regisseur Leander Haußmann ist. Als er „Sonnenallee“, seinen ersten Film, drehte, so erzählt er, kannte er nicht mal all die Berufe, die es an so einem Profi-Filmset gibt. Aber Kathi Thalbach habe ihm hilfreich zur Seite gestanden – ihre Dominanz mag zwar manchmal ein Fluch für die Regisseure sein, die mit ihr arbeiten, aber meistens ist sie ein sehr großer Vorteil.

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Detlev Buck und Leander Haußmann beim gemeinsamen Auftritt zu Ehren von Katharina Thalbach. Hochkaräter unter sich… Foto: Mark Feigman

Detlev Buck, äußerst komisch in der Partie des ungeduldig wartenden, erst an zweiter Stelle platzierten Regisseurs, weil er zusammen mit Leander Haußmann auftritt, aber in einen schicken petrolfarbenen Pulli unterm Jackett gewandet, berichtet, wie er über Kathis Ehemann Thomas Brasch erfuhr, was Intellektualität sein kann: „Er erklärte mir bis morgens um 4 Uhr die Welt“ – für Buck eine typisch ostdeutsche Boheme-Mentalität.

An Kathis Schauspielkunst, so eine treffende Charakterisierung, sei ihre „Arglosigkeit“ am bezeichnendsten. Kurz vor der Naivität steht sie demnach oft, das Spontane hervorragend glaubhaft rüberbringend.

Routine ist der Tod des Theaters, so schrieb ich es mit 14 in mein Tagebuch. Aber ist Routine nicht auch der Tod verantwortlichen Lebens? In dem Moment, in dem Menschen nicht mehr selbst denken, sondern blinden Automatismen folgen, übersehen sie alle Fehler und Alternativen.

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Leander Haußmann weiß Anekdoten zu erzählen – und an der Mundharmonika war er auch zu erleben. Foto: Mark Feigman

Leander Haußmann muss aber noch eine hintergründige Anekdote erzählen. Als er am BE „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare mit der Thalbach als Puck inszenierte, wollte er ihre Grenzen testen. Und während sie als poetischer Irrwisch Puck in fünf Minuten die Welt umrundete – also im Kreis ums Bühnenrund lief – verlangte er, sie solle dabei mit der Natur verwachsen und ihre Hände zu Wurzeln werden lassen. Er dachte sich: Das wird sie mal nicht können. Aber siehe da: Ab der dritten Laufrunde formte Kathi ihre Händchen pflanzenfaserhaft, wurzelgleich bestrebt, Wasser zu fassen. Zauberhaft.

Die Magie, so lehrt uns also auch eine Theaterkönigin wie die Thalbach, ist immer eine Summe aus Talent und Fleiß, aus Inspiration und Transpiration.

Dass Haußmann an der Mundharmonika nicht ganz so begabt ist wie als Erzähler und als Regisseur, sei ihm verziehen, denn sein Geburtstagsständchen war gut gemeint und sorgte für Schmunzler.

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Anna Mateur am Mikrofon und Xin Tan am Piano – Highlight-Künstler auf der Geburtstagsfeier für Katharina Thalbach im Berliner Ensemble. Foto: Mark Feigman

Anna Mateur jedoch, als füllige Schönheit ganz in Schwarz gehüllt, rettete das musikalische Niveau des Abends mit einem Hildegard-Knef-Evergreen. „Mit sechzehn sagt ich still, ich will…“ – ihre dunkle Stimme weckt Erinnerungen an eine ganz andere Ära. „Für mich soll’s rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen…“, ach ja, weibliches Selbstbewusstsein war noch nie selbstverständlich.

Mit Xin Tan, Dirigent und Korrepetitor an der Komischen Oper Berlin, am wohlgestimmten Piano hatte der Abend übrigens eine freundliche, sichere Rückhand im musikalischen Bereich.

Es fehlt jedoch an diesem Abend künstlerischer Nachwuchs, also eine Schauspielschülerin von heute oder ein musikalisches Klassik-Talent im Kindes- oder Teenageralter. Auch einen Kinderchor hätte ich mit Dank hingenommen, ebenso gut ausgebildete Tänzer, die gerne gratuliert hätten. Damit man hoffen kann, dass es weiter geht mit der jüngeren Tradition von staatlicher Hochkultur, in der die Thalbach eine so bedeutende Rolle einnimmt.

Nicht ganz dieses Niveau hat ein blond bezopfter Rapper namens Romano, dem die Thalbach mal den Gefallen tat, in seinem Video als seine Mutter aufzutreten. Zwei überlaute Deutsch-Rap-Techno-Songs von ihm machen eigentlich Ohrstöpsel notwendig. Aber die Senilen im Publikum – und natürlich gab es auch die – wippten fröhlich mit, fühlten sich lächerlicherweise wieder jung. Was sie mit solcher Krach-Musik ganz sicher nicht werden. Aber Frau Thalbach wollte sich tolerant und vielseitig zeigen, also nahm sie auch diesen Trivialkram mit auf ins Programm.

Thalbachs eigener künstlerischer Lebensleistung wird die Milde mit Minderbegabten nicht gerecht.

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Katharina Thalbach im Mantel ihrer Großmutter, den schon ihre Mutter Sabine Thalbach trug. Videostill aus „“Legenden – Katharina Thalbach“: Gisela Sonnenburg

Man darf da ruhig aus dem eigenen Erinnerungsschatz schöpfen:

Sie war eine berückend schöne, hoch erotische, elektrisierend angespannte, bis über beide Ohren verliebte, dabei an ihrer eigenen Keuschheit leidende Madame de Tourvel in „Gefährliche Liebschaften“ von Chaderlos de la Clos, damals am Schlosspark-Theater in Berlin in den 80er-Jahren (Regie: G. H. Seebach).

Aber schon früher, nämlich 1979, war sie als musterhaft kecke Kindfrau – in der Rolle der Maria mit der Kribbelbrause – aus der „Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff unsterblich geworden.

Männerrollen wie den „Hauptmann von Köpenick“, den sie mit Harald Juhnke abwechselnd in der eigenen Inszenierung spielte, oder wie das köstlich fies krähende „Rumpelstilzchen“ in der Verfilmung von André Niessen von 2007 zeigen ihr komödiantisches Genie.

Dabei fing sie mal ganz ernsthaft auch mit Tragödien an. Ihr Vater Benno Besson besetzte sie kurz nach der Bühnenreifeprüfung als Ophelia in „Hamlet“: in Zürich, wo Besson ebenso gern als Gast arbeitete wie in Paris. Er war ein Grenzgänger zwischen Ost und West, durfte als DDR-Künstler von Rang deren hohe Kunst ins Ausland tragen.

Aber das Komödiantische wurde in ihrem Leben immer wichtiger, je älter sie wurde.

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Katharina Thalbach in einer Kerlrolle mit Andreja Schneider in der Doku „Legenden – Katharina Thalbach“. Videostill: Gisela Sonnenburg

„Hase Hase“ – mit diesem brillant clownesken Stück von Coline Séreau in der Regie von Thalbachs Vaters Benno Besson ging Thalbach 1992 endgültig in die Geschichte vom Berliner Schiller Theater ein. Mit dem tollen Michael Maertens als Bühnenpartner spielte sie da einen drolligen Außerirdischen mit Hasenzähnen, der das soziale Dasein der irdischen Zeitgenossen erforschte.

2019 wurde die Inszenierung erneuert – dieses Mal als Familienunternehmen, was der Thalbach absichtlich und öfters passiert. Denn sie hat nicht nur die Tochter und die Enkelin mit derSchauspielkunst im Boot. Sie hat auch väterlicherseits mehrere Halbgeschwister, die im kreativen Bereich arbeiten. Manche davon – wie Pierre Besson – sind ebenfalls prominent.

Pierre Besson spricht auch im filmischen Portrait „Legenden – Katharina Thalbach“ von Jana von Rautenberg, das 2022 fertig geschnitten wurde. Bis zum 09.02.24 steht es in der Mediathek vom mdr online – und es ist absolut empfehlenswert. Umfassend recherchiert, gewährt es Einblicke in die vielfältige Theater- und Filmarbeit der Thalbach, in ihr Privatleben ebenso wie in ihr öffentliches Wirken. Experten von nah und fern wurden aufgesucht und in die interviewerische Mangel genommen. Auch die Hauptperson, Kathi die Große, kommt reichlich zu Wort. Eine vorzügliche Kameraführung und eine solide Abmischung runden den nahezu perfekten Film ab.

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Keck und süß: Die junge Katharina Thalbach in einer Talkshow, gesehen in „Legenden – Katharina Thalbach“. Videostill: Gisela Sonnenburg

Darin erfährt man auch die Eckdaten von Katharina Thalbach: Am 19. Januar 1954 in Berlin geboren, saß sie mit zwei Jahren während der Probenarbeit ihrer Mutter im BE bei dessen Chef, dem weltberühmten Dramatiker Bertolt Brecht, auf dem Schoß. Mit fünf stand sie zum ersten Mal selbst auf der Bühne, zuvor schon vor der Filmkamera. Aber als ihre Mutter an einer Thrombose starb, war sie erst zwölf. Helene Weigel, Brechts Witwe, übernahm fortan ihre künstlerische Erziehung.

Als Kathi für die erkrankte Darstellerin der Polly in Brechts „Dreigroschenoper“ einspringt, wird sie über Nacht bekannt. Im selben Haus, mit demselben Stück, das auch Brechts internationalen Ruhm 1928 begründete.

Neben dem Vertrag als Meisterschülerin, den sie schon mit 13 Jahren von „Heli“ erhielt, baute sie an ihrem Abi. Die Prüfung zur Schauspielerin im selben Jahr war eine reine Formsache – und los ging es für die 18-Jährige, auf in die schöne weite Theaterwelt!

An der Berliner Volksbühne brachte Vater Besson einen „Othello“ mit ihr als Desdemona heraus – und ihre Sehnsucht nach Paris nährte er mit Inszenierungen in der französischen Hauptstadt. Als sie dann endlich, nach dem Mauerfall, dort war, erschrak sie – und begann zu weinen, als sie in ihrer Traumstadt die vielen völlig Verarmten, die Obdachlosen und Clochards, sah.

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„Arturo Ui“ von Bertolt Brecht inszenierte Kathi Thalbach in Paris. Videostill aus „Legenden – Katharina Thalbach“: Gisela Sonnenburg

Dennoch arbeitete sie in der Stadt Molières, voll Hochachtung für die Tradition und Geschichte der Comédie Francaise. Ohne französisch zu sprechen, spielte sie Hauptrollen en francais, und sie inszenierte auch, wie einst ihr Vater, in Paris – sie wurde von den Franzosen erkannt, verstanden und akzeptiert. 2019 erhielt sie die höchste französische Auszeichnung für Künstler, den „Ordre des Arts et des Lettres“.

Die Disziplin und Zielstrebigkeit, mit der La Thalbach vorgeht, beeindruckt übrigens auch ihre Mitarbeitenden, sie reißt mit und macht ihre Arbeit zu gründlich durchdachten Kunstwerken.

Volker Schlöndorff, dessen Brief in der Gala im BE verlesen wird, erkennt zudem eine „Moralistin“ in ihr. Aber auch die Bereitschaft, sich ganz ohne V-Effekt bis zur Verschmelzung mit ihren Rollen zu identifizieren.

Ideenreichtum, Spielfreude, Ausstrahlung – Kathi begeistert nicht nur die Profis. Und so erhält sie gestern, als sie nach einer Dreiviertelstunde Programm selbst auf die Bühne kommt, von ihrem Publikum Standing Ovations.

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Katharina Thalbach am 20. Januar 24 in ihrer Garderobe im Berliner Ensemble: selig. Foto: Mark Feigman

Links im Zuschauerraum in der Loge, also rechts von der Bühne aus gesehen, so erinnert sie sich, saß sie als Kind meistens im BE. Das war ihr Blickwinkel damals auf die Bretter, die die Welt bedeuteten. Heute, als ehrenwerte Dame im weiß getüpfelten Schürzenkleid, verliest sie mit äußerster Sprechkunst und in memoriam an Harald Juhnke, diesen Urberliner und Überschauspieler, den berühmten Monolog von Carl Zuckmayer aus dem „Hauptmann von Köpenick“:

„Die innere Stimme… Da hat se jesprochen… Mensch, einmal kneift jeder den Arsch zu…“ Und dann frage der Herrgott: Was hast du mit deinem Leben gemacht?

Mit diesem funkelnden Juwel aus lebendiger Theaterkunst sorgt Katharina Thalbach selbst für den absoluten Höhepunkt ihrer Gala. Was für eine Königin ihrer Kunst ist sie!

Sie vermag es, auch ohne Mimik oder Gestik zu Tränen zu rühren, uns seelisch zu ergreifen, uns innerlich zu erheben. Eine geistreiche Schauspielkünstlerin ist sie, eine vielseitige sowieso –aber eben auch eine mit so viel Tiefgang in ihrem Spiel und in der Stimme, dass man sich wünscht, sie wäre auch Schauspiellehrerin geworden, damit möglichst viele Talente von ihrem Können profitieren. Als Regisseurin immerhin entlockt sie den ihr Anvertrauten neue Töne, neue Wege des Ausdrucks – und nicht nur insofern lernten und lernen viele von ihr.

In der Pause war dann Zeit, darüber nachzudenken, aber auch über Zuckmayers Text nochmal nachzusinnen.

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Leben heißt auch verantworten. Katharina Thalbach im Gespräch in „Legenden – Katharina Thalbach“ von Jana von Rautenberg. Videostill: Gisela Sonnenburg

Ja, was machen wir zu Lebzeiten? Was machen wir richtig, was falsch? Was unternehmen wir? Wofür übernehmen wir Verantwortung? Und was tun wir für andere, für andere Lebewesen, für die Schöpfung? Folgen wir dem „Fair is foul and foul is fair“, wie die lukrative Systematisierung des Bösen in „Macbeth“ benannt wird, oder entscheiden wir selbst, was richtig und was falsch ist?

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Uwe Ochsenknecht wirkt in der Videobotschaft, die den zweiten Teil des Abends einläutet, jedenfalls eher braun gebrannt als humoristisch. Altruistisch wirkt er schon gar nicht. Naja, jeder wie er kann.

Axel Prahl kommt dafür als Hans Moll mit Klampfe auf die Bühne und gibt zwei Songs zum Besten. Schon lange füllt ihn sein „Tatort Münster“-Part nicht mehr aus, aber sein Blues kommt, ganz ehrlich, an seine witzig-knackigen Schauspielerleistungen, zumal in Rollen mit sarkastischem Humor, nicht heran. Aber a bisserl Aushalten muss wohl sein bei so einem Stelldichein.

Camilla Nylund, die Bayreuth-erprobte, virtuose Operndiva, kam im ersten Teil auch nicht so richtig gut rüber. Sie sang ihre erste „Salomé“ von Richard Strauss unter der Regie von Kathi Thalbach, in Köln. Im Berliner Ensemble war ihr Auftritt nicht gut getaktet, es fehlte eine zündende Inszenierung. Auch so ein Mini-Auftritt braucht eben mehr Vorbereitung, als mandenkt.

Von Heike Makatsch, elegant in Goldschwarz gewandet, wird man später bei ihren Duetten mit dem smarten Pasquale Aleardi gar den Eindruck haben, dass sie eigentlich überhaupt nicht singen kann. Da nützt alle Berühmtheit als Filmstar nichts.

Meret Becker jedoch reißt die Stimmung hoch, sehr hoch! In adretten Anzug mit Weste und Bluse drunter – ohne krass ausgestelltes, zu mageres Dekolleté und dadurch viel anziehender – kommt sie mit einer singenden Säge auf die Bühne. Und spielt im Verein mit Xin Tan den „Walzer für den Wintervogel“, den ein Freund namens Buddy komponierte, als beschwingten Walzer für alle, die im Winter zur Welt kamen.  Präzise und verspielt zugleich bedient sie die wimmernde Säge mit dem Bogen – ein Genuss!

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„Mord im Orientexpress“: Katharina Thalbach inszenierte die Krimi-Komödie für die Komödie am Kurfürstendamm. Videostill aus „Legenden – Katharina Thalbach“: Gisela Sonnenburg

Und dann kommen zwei Experten auf die Bühne. Michael Maertens und Guntbert Warns wollten eigentlich eine Szene aus der ersten Thalbach-Inszenierung von „Wie es euch gefällt“ von Shakespeare in der Übersetzung von Thomas Brasch (1993) zum Besten geben. Und zwar jene Begegnung von Rosalinde und Orlando, bei der sie sich laut Regisseurin Thalbach eigentlich küssen sollten. Als Rosalinde war – sehr erfolgreich damals – Maertens besetzt. Das mit dem Kuss brachten die beiden aber nicht zustande, vor allem Maertens war das bei den Proben und auch Vorstellungen unangenehm.

Aber jetzt! Nach einigen Anläufen knutschen die beiden herzhaft unter johlendem Publikumszuspruch – spät, aber immerhin geht der Wunsch der Regisseurin so in Erfüllung. Leider war auf die Schnelle kein Foto davon zu bekommen.

Michael Maertens wagte derweil ein Liebesgeständnis: Er sei damals in die „wunderschönen riesigen Augen“ von Katharina verknallt gewesen. Da sie aber in festen Händen war, behielt er das für sich.

Also, wenn ich mal 70 werde, freue ich mich auch über Liebesgeständnisse, egal, ob sie sich auf die Vergangenheit oder Gegenwart beziehen werden.

Die eigentliche Szene, die Maertens und Warns wie damals auf einer Wippe sitzend spielen wollten, entfällt leider. Michi Maertens, wie vorher Detlev Buck im petrolfarbenen Pulli unter der Jacke, macht dafür sein verändertes Körpergewicht verantwortlich – auch Schauspieler sind vor ungesunder Ernährung und vor zu wenig Bewegung eben nicht gefeit. Andererseits kann ein subkutanes Fettpolster hier und da auch Rollenvorteile bringen – Schauspieler haben also eine sehr gute Ausrede für Übergewicht, männliche allemal, bei denen nach wie vor viel weniger nach dem Kriterium Schönheit entschieden wird als bei den Damen.

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Pierre und Philippe Besson am Mikro im Berliner Ensemble, bereit für „Die Kinderhymne“ von Bertolt Brecht. Foto: Mark Feigman

Durch dick und dünn gehen hingegen die Mitglieder der Familie Besson. Ihre Halbgeschwister kommen also auf die Bühne – und wollen für Kathi zusammen mit dem Publikum etwas singen. „Die Kinderhymne“ von Bertolt Brecht, die 1950 erstmals erschien, soll es sein. Brecht schrieb sie als Gegenstück zum Deutschlandlied, aber auf dessen Melodie. Dumm ist nur, dass, wenn man heute den Kontext von damals weglässt, das gute alte Stück wie eine Verlängerung der Hymne der BRD wirkt.

Da ist es viel interessanter, vom Darsteller des „Macbeth“ in der ersten offiziellen Inszenierung von Katharina Thalbach (1987) zu hören, wie sie überhaupt zur Regie kam. Markus Völlenklee stellt sich bescheiden vor und ist doch eine Schlüsselfigur im Thalbach’schen Bühnenkosmos.

Er kennt beide Seiten der Geschichte: Da ist einerseits die experimentell und wild wirkende, dennoch durchdachte Shakespeare-Inszenierung von 1987 aus der so genannten Werkstatt des Schiller Theaters in Berlin. Er als Macbeth hatte Einiges darin auszustehen. Die Hexen trugen Oberkopfglatze und lange Haare, die Männer Schottenröcke mit karierten Suspensorien darunter. Später sagt Kathi Thalbach, dass sie sich dabei selbst in Verdacht hat:  Sie wollte vor allem die hübschen Pobacken der Männer auf der Bühne zeigen.

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Sie überlebte schadlos viele Verrisse: Katharina Thalbach, Schauspielerin und Regisseurin. Videostill aus „Legenden – Katharina Thalbach“ von Jana von Rautenberg: Gisela Sonnenburg

Viele Kritiker verstanden die ihrer Zeit voraushüpfende Inszenierung gar nicht, einige aber gingen mit dem Publikum, das fasziniert war, mit. Völlenklee verliest einige blamable Zitate der deutschen Presse, meistens ohne Urhebernennung. Die Londoner Financial Times aber, ausgerechnet, lobte die Sache in den höchsten Tönen, anlässlich eines Gastspiels.

Interessant ist, dass die Thalbach, um überhaupt die Chance einer Regie zu erhalten, vertraglich schachern musste. Sie drohte, sonst auch als Schauspielerin nicht zur Verfügung zu stehen, wenn man ihr nicht die Regie für den „Macbeth“ in der Werkstatt, also ohnehin nur aufder Zweitbühne, anvertraute.

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Rückhaltlos witzig und gewitzt: Katharina Thalbach in der Wiederaufnahme von „Hase Hase“ 2019. Videostill aus „Legenden – Katharina Thalbach“: Gisela Sonnenburg

Dass sie Regie führen konnte, wussten sie selbst und einige Mitstreiter – wie eben Markus Völlenklee – weil sie bei einer Produktion inoffiziell für Kurt Hübner eingesprungen war. Und sie wollte weiter machen, setzte sich mit ihrer zielgerichteten Art auch durch.

Die Virtuosität und Genialität, die sie als Schauspielerin hat, als sei dieser Beruf ihre zweite Natur, erreicht sie in ihren Regiearbeiten nach Meinung einiger  Beobachter nicht immer. Aber sie hat Ideen, die oft brandneu und keineswegs sinnlos oder ohne Ästhetik sind – und nur, weil die Regie immer noch eine Männerdomäne ist, sollte man die Thalbach keineswegs außer Acht lassen.

Schließlich ist es aber auch ihre sehr direkt agierende Persönlichkeit, die Menschen in ihren Bann schlägt oder auch abstößt. Klein gewachsen, sprachgewandt, manchmal frech oder auch attackierend: Katharina Thalbach hat nicht nur Freunde. Doch sie hat viel mehr Freunde als Gegner.

Ihre Tochter Anna und ihre Enkelin Nellie verlesen für sie zwei Gedichte von Thomas Brasch. Er, Sohn eines stellvertretenden Ministers für Kultur in der DDR, war Katharinas große Liebe. Sie blieben Freunde – auch, nachdem ihre Beziehung nach etlichen Jahren scheiterte. Anna kam übrigens zur Welt, bevor ihre Mutter zu Thomas Brasch fand. Aber zu dritt wechselten sie 1976 in den Westen, weil Brasch immer wieder in der DDR bei den Zensur-Behörden aneckte, so stark, dass er dort nicht mehr arbeiten konnte.

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Anna Thalbach (rechts) und Nellie Thalbach – fast sehen sie aus wie Geschwister. Foto: Mark Feigman

Im mdr-Portrait sagt Thalbach deutlich, dass ihre Ausreise für sie selbst keine politische Bedeutung hatte. Sie folgte lediglich jenem Mann, den sie liebte. Politik spielt denn auch auf ihrer Geburtstagsgala keine Rolle. Und kein Politiker noch Staatssekretär überreicht irgendeinen Kranz oder hält eine Rede. Sehr angenehm.

Auch in den eingespielten Videobotschaften waren ausschließlich Künstlerinnen und Künstler die Gratulanten. Martin Woelffer, Chef der auf unbestimmte Zeit  ausquartierten Komödie am Kurfürstendamm, steht aber live auf der Bühne – und hält eine hinreißende, erinnerungsselige Rede.

Für die Wiederaufnahme von „Hase Hase“ 2019 kam Kathi zu ihm.  Später, bishin zu „Mord im Orientexpress“, inszenierte und spielte die Thalbach bei ihm – für das kleine Theater ein besonderes Highlight. Er sei ihr unendlich dankbar, sagte Woelffer und beschrieb ihre Hingabe und ihr Brennen fürs Theater, das alle Mitarbeitenden erreiche.

In der Tat: So ein endlos spürbares Feuer für die Sache ist bei einer prominenten Persönlichkeit keine Selbstverständlichkeit.

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Voilà! Katharina Thalbach, noch einmal im Portrait von Jana von Rautenberg, beim rbb bis zum 09.02.24 in der Mediathek stehend. Videostill: Gisela Sonnenburg

Sogar für das weltberühmte BE war der Abend für und mit Katharina Thalbach etwas Besonderes. Freuen wir uns mit Axel Prahl auf ihren 80. – den Vertrag könnte sie ja eigentlich schon mal unterschreiben.
Gisela Sonnenburg

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www.berliner-ensemble.de

www.daserste.de

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Axel Prahl gratulierte Katharina Thalbach mit Gitarre – und freut sich schon auf ihren 80. Foto aus dem Berliner Ensemble: Mark Feigman

 

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