
Anna Kissjudit singt mit dunkler Anmutung als Erda in „Siegfried“ bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen. Foto: Enrico Nawrath
Sommerzeit ist Festivalzeit – und was wäre der Kultursommer ohne die Bayreuther Festspiele?! Und was bitte ohne die Frauen darin? Vom „Walkürenritt“ zum „Feuerzauber“, vom Wogen der Rheinwellen bis zum Untergang der Götter: Der „Ring“ von Richard Wagner spült massive, dennoch fragil anmutende Klanggewitter ins Ohr, durchgestylt und mit Spielraum für Tiefsinn und Rhythmus. Ist das nun typisch weiblich? Eigentlich nicht. Aber Simone Young, die erst ihr zweites Jahr bei den Bayreuther Festspielen begeht, dirigiert das vierteilige Werk mit solch femininer, vor Kraft und Vielfalt nur so strotzender Verve, dass der Urpatriarch Wagner nachgerade als Frauenversteher rüberkommt.
Die 1961 in Sidney geborene Young begann einst als Assistentin von Daniel Barenboim, sich dem Bayreuther Phänomen vom Klang, der je nach Kulissenbau verzögert zurückkommt, zu nähern. Mit fünf spielte sie auf dem Klavier ihrer Oma, mit 24 Jahren dirigierte sie erstmals in der Oper von Sidney. Ihre internationale Karriere führte dazu, dass sie unter anderem Deutsch fließend spricht – und ohne Aufheben über ihr Geschlecht spielt sie einfach seit Jahrzehnten in der ersten Liga der Dirigierkunst mit. Weiblich ist allerdings ihr Einfühlungsvermögen in die Partituren. Aus diesen kitzelt Simone Young spannungsgeladene Nuancen heraus wie sonst kaum wer.
Dazu passt, dass heuer die Debuts einiger expressiver Sängerinnen die Zuschauer und auch Zuhörer, die am Radio und in den Mediatheken abhängen, begeistern. Jennifer Holloway aus den USA, die schon in München, Dresden, Berlin und Hamburg positiv auffiel, dreht als Sieglinde (Mutter von Held Siegfried) mit kristallklarer, aber auch warm getönter Stimme voll auf. Anna Kissjudit, aus Budapest kommend und von Thomas Quasthoff in Berlin ausgebildet, nuanciert als Erda (Gattin des höchsten Gottes Wotan) eine erotische Anmutung mit beinahe rauen Anklängen.

Hat viel Elan in der Stimme und im Körper: Christina Nilsson, hier als Eva in „Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen 2025. Foto: Enrico Nawrath
Eine Neuentdeckung ist Christina Nilsson. Die schwedische Newcomerin rettet „Die Meistersinger von Nürnberg“ mit ihrer herzlich-brillierenden Darstellung der Eva. Auch die Bayreuther Bestandsdiven halten ihre Versprechen. Catherine Foster ist seit zwölf Jahren vor Ort die Walküre Brünnhilde: eine perfekte Verkörperung der verstoßenen Wotantochter. Wenn dann noch die Lettin Elīna Garanča und die gebürtige Moskowiterin Ekaterina Gubanova im Wechsel beim „Parsifal“ das verflucht laszive Verführungswesen Kundry geben, ist klar: Bayreuth ist derzeit eine Stadt der Frauen.
Ist vielleicht kein Zufall, dass mit Katharina Wagner eine Frau die Festspiele leitet. Die Herren der Schöpfung kommen gesanglich zwar auch nicht zu kurz: Georg Zeppenfeld, Michael Spyres, Michael Volle und Klaus Florian Vogt sind nur einige der männlichen Stars, die man nicht missen möchte. Die Regisseure aber, die sich hier austoben, bilden eher das große Bayreuther Leiden als ein Glück.
Und dennoch: Simone Young toppt am Pult im „mystischen Abgrund“, wie der verdeckt bleibende Orchestergraben genannt wird, alles. Als erste weibliche Kraft im Maschinenraum der Melodien zeigt sie, was geht. Dagegen fallen die Dirigenten Daniele Gatti („Die Meistersinger von Nürnberg“) und Pablo Heras-Casado („Parsifal“) krass ab. Was irgendwie ins Weltbild vom „Ring“ passt: Wotans depressiver Patriarchenwahn führt in den Ruin. Frauen, übernehmt!

Ein Dreamteam: Klaus Florian Vogt in der Titelrolle und Catherine Foster als seine Brünnhilde in „Siegfried“ von Richard Wagner bei den Bayreuther Festspielen 2025. Diese Besetzung frohlockt auch 2026! Foto: Enrico Nawrath
Zumindest bis 2026. Dann rollen die Nibelungen – immer noch in der Inszenierung von Valentin Schwarz und seinem Team – mit einem Leckerli für Fans von Klaus Florian Vogt an. Der Tenor wird dann nämlich den Loge, den Siegmund und den Siegfried im „Ring“ singen und somit an allen vier Abenden der Tetralogie auf der Bühne stehen.
Ob die Partien der drei Rheintöchter und auch der Nornen für ihn umgeschrieben werden, damit er noch mehr zu singen hat, ist nicht bekannt. Aber das Viererpaket wird es auch schon in sich haben. Merke: Das Wagner-Festival sorgt eben immer wieder für Überraschungen.
Gisela Sonnenburg
P.S. Just heute Abend gibt es wieder eine Überraschung in Bayreuth, wieder ist Klaus Florian Vogt involviert: Er springt – als oft erwiesen großartiger Lohengrin – kurzfristig in die Titelrolle von „Lohengrin“ ein, weil sein eigentlich dafür vorgesehener Kollege erkrankt ist. Voilà et Toitoitoi!
https://www.bayreuther-festspiele.de
Bis zum 30.08.25 ist der aktuelle Bayreuther „Ring“ online bei BR Klassik zu hören, auch die Premiere der „Meistersinger“ kann dort abgerufen werden. Letztere gibt es auch als Videoaufzeichnung hier. Bis zum 26.08.25 dauern die Bayreuther Festspiele live mit Vorstellungen – und es gibt auch noch ab und an Tickets. Rabattierende Paketbuchungen für 2026 laufen schon und sind begrenzt vorhanden, bis zum 28.08.25.

Ein erhellender Blick nach oben im Festspielhaus in Bayreuth, dankenswerterweise eingefangen von Enrico Nawrath.