
Immer wieder bezaubernd: Das ballet blanc in „Giselle“ von Patrice Bart beim Staatsballett Berlin. Foto vom Schlussapplaus aus der Lindenoper: Gisela Sonnenburg
Nie werde ich vergessen, wie sehr er mir im Interview in Berlin von Nadja Saidakova – damals die unumstrittene Prima in Berlin – als seiner „Giselle“ vorschwärmte. Sie sei intelligent, und das spüre man, sagte er, zusätzlich zu ihrem formidablen Tanz. Sein Gesicht nahm schwärmerische Züge an, und beinahe lustvoll erzählte er, was an seiner Giselle das wirklich Erstaunliche war: Man erkenne in ihr das bis in den Tod liebende Herz. Patrice Bart war aber auch selbst etwas Besonderes: ein gestrenger Maître de ballet einerseits, andererseits ein begeisterungsfähiger, in seiner Arbeit niemals zynisch gewordener Liebhaber des Balletts. Seine „Giselle“, die er 1996 erstmals einstudierte und die kürzlich in Paris erneut aufgeführt wurde, und sein „Schwanensee“ von 1997 haben ihn beim Staatsballett Berlin unsterblich gemacht. Bis in diese Spielzeit hinein: Im Dezember 25 und im Februar 26 wird sein „Schwanensee“ wieder aufgeführt, und zwar in Berlin in der Staatsoper Unter den Linden, wo einst mit Steffi Scherzer und dann auch mit Beatrice Knop die vielleicht wirklich schönsten Gesichter des Sozialismus die weibliche Hauptrolle in Patrice Barts lyrisch-dramatischer Schwanensee-Inszenierung tanzten. Dabei schuf Bart in seinen Stücken nie nur solistische Glanzpartien, sondern er legte stets Wert auf ein gesellschaftliches Panorama, das er mit vielen dramatischen Gegensätzen zu würzen wusste.
So war es auch bei „Das flammende Herz“ zu Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy, das er 2009 beim Staatsballett Berlin kreierte. Ich durfte eine Probe mit ihm und Vladimir Malakhov genießen – und erfreute mich an Barts jugendlich sprudelnden Esprit. Denn:

Der Ballettmeister und Choreograf Patrice Bart hatte ein gutes Auge für Talente und ein feinfühliges Gehör – er spürte neue interpretatorische Zwischentöne im „Schwanensee“ auf. Foto: Gisela Sonnenburg
Patrice Bart machte seinem Status als gebürtiger Pariser alle Ehre. Er war charmant und weltoffen, schnell im Kopf und souverän in der Handlung. Ein Kind des Jahrgangs 1945, entsprang er sozusagen der Stunde Null des westlichen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Und holte in persona alles nach, was ihm der Krieg fast genommen hätte. Im Alter von zwölf begann er mit dem Unterricht an der Ballettschule der Pariser Opéra, die ihn im Alter von nur 14 Jahren als Tänzer ins Corps aufnahm.
1972 wurde er Étoile, ein „Stern“, nahm also den höchsten Rang eines Pariser Ballerinos ein. Und er war – gerade angesichts seiner früh beginnenden aktiven Bühnenkarriere – nur sehr selten verletzt. „Wir alle waren damals nicht so oft und schwer verletzt wie die Tänzer heute“, sagte Patrice mir – und er vermutete den Grund darin, dass man „hauptsächlich nur einen Stil, und zwar den klassischen“ tanzte, und eben nicht fast täglich zwischen verschiedensten Tanzstilen hin- und herwechseln musste.
Sein Interesse an den Hintergründen der Körperarbeit im Ballett ließ ihn noch als Tänzer auch Ballettmeister werden, und ab 1990 war er als Maître de ballet bei der Pariser Oper angestellt. Und wurde ein sehr viel beschäftigter Mann.

Rudolf Nurejew im Portrait „Legend“ von Cecil Beaton – Passion als künstlerisches Credo. Foto: Cecil Beaton / Condé Nast
Rudolf Nurejew, der seit 1983 das Ballett der Pariser Opéra leitete, schätzte Bart sehr. Er machte ihn zu seinem Assistenten, wobei beide voneinander zu lernen wussten. Die kniffligen technischen Variationen, die Nurejew in seine Klassiker-Versionen einbaute, milderte Patrice Bart später in seinen Versionen und wandelte sie um zu Mitteln der Expressivität. Für Bart zählte der Inhalt, der vermittelt wurde.
Und obwohl er später international, oft auch in Paris als Choreograf tätig war, begann er diesen Teil seiner Karriere tatsächlich in Berlin: 1993 mit dem furiosen „Don Quichotte“ an der Lindenoper. Leidenschaft – sie war immer ein Thema bei Patrice!
Und als die mit Klassik nicht immer kompatible Aura der Ankündigung von Sasha Waltz und Johannes Öhman als künftige Ballettintendanz das Staatsballett Berlin zu zersprengen drohten, war Bart einer der wenigen Prominenten, die bei der Aktion SAVE STAATSBALLETT sofort mitmachten. Er war also nicht nur leidenschaftlich, sondern auch politisch.

Die „Ballet Brilliance Gala“ lockt mit Stars wie David Motta Soares aus Berlin, Maya Makhateli aus Amsterdam und Ines Macintosh aus Paris zu einem furiosen Programm, prall gefüllt mit viel Klassik und etwas Moderne, so wie es die meisten echten Ballettfans lieben. Nur am Sonntag, den 30.11.25! Tickets: hier! Foto: PR
In seinen Werken steckt denn auch bei allem romantischen Schmelz immer Gesellschaftskritik. Barts „Coppélia“, sein „Nussknacker“ (der auch mal ein beliebter Teil im Berliner Repertoire war), seine „La Bayadère“, die beim Bayerischen Staatsballett in München immer wieder Furore macht, seine „Verdiana“ und seine auch auf DVD erschienene Vertanzung „La petite Danseuse de Degas“ über die weltberühmte Bronzeskulptur von Edgar Degas verströmen die exquisite Mischung aus Humor und Stil, die für Patrice Bart kennzeichnend ist.

Oh, welch Herzschmerz! Ekaterina Petina als Nikija in „La Bayadère“ von Patrice Bart beim Bayerischen Staatsballett in München. Das leidenschaftliche Foto stammt von Wilfried Hösl.
Am 30. Juli 25 wurde er 80 Jahre alt. Heute verließ er diese Welt. Unsere Gedanken sind bei den zauberhaften Arbeiten, die er im Ballettsaal schuf.
Patrice Bart starb übrigens an einem Krankenhauskeim, in Falaise in der Normandie. Man hätte ihm ein weniger vermeidbares und viel späteres Ende gewünscht, diesem großartigen Meister.
Gisela Sonnenburg
https://www.medici.tv/en/documentaries/patrice-bart-a-lord-of-ballet

Marian Walter vom Staatsballett Berlin war der sanfteste gefährdete Siegfried: schwärmerisch verliebt, aber auch gefährlich depressiv. Fantastisch. Aufwühlend und expressiv. Foto: Enrico Nawrath