Das fahle Mondlicht macht uns närrisch. Das ist keine neue Erkenntis, aber eine bühnenwirksame! Pina Bausch, die 2009 verstorbene Tanztheater-Pionierin aus Wuppertal, schuf 2006 ein Stück, in dem wendige Paare zwanghaft der Liebeslust frönen: Bauschs „Vollmond“, von Regiegenie Wim Wenders mit dem Tanztheater Wuppertal fürs Fernsehen aufgezeichnet und von arte jetzt erneut gezeigt, berückt mit absurd-schöner Paartanzerei, mit exaltiert-lunarischen Soli sowie mit nahezu akrobatischer Requisiten-Handhabe.
Das Bühnenbild – einen Felsen und dann sehr viel Wasser – schuf Bauschs Wegbegleiter Peter Pabst, die Kostüme – die Damen wie immer im Abendkleid, die Jungs in Anzügen ohne Hemd – stammen von Marion Cito.
Und wenn da wer einen Lachanfall bekommt, weil die Säfte bei Vollmond so hochkochen und die Triebe so verrückt spielen, dann ist es eine entzückende Tänzerin, die schließlich vor Lachen am Boden liegt.
Das schönste Solo erwartet einen gleich zu Beginn, es ist ein männlicher Tänzer, der hier seiner quälenden Sehnsucht mit Pirouetten und Handgesten Ausdruck verleiht.
Eine Nachfolgerin der Tradition von Mechthild Großmann findet sich auch: Domina-like stellt die elegante große Frau fest, dass es wohl eine stürmische Nacht werden würde, mit ihr und ihrem Date: „Und jetzt anschnallen!“ ruft sie, als sie ihren breiten Gürtel eng und enger schnallt, um immer noch verführerischer zu wirken.
Zwei Männer indes spielen Konkurrenten bei einer Reihe von Gläsern. Schließlich spucken sie sich, liegenderweise, sogar abwechselnd Wasser ins Gesicht. Oder auch an die Schulter…
Ja, auch der Mensch ist manchmal ein Tier, gesteuert von Wünschen und Gelüsten. Da kann ein Liebesspiel mit einer wegzupustenden Halskette aus Papierfetzen irre erotisch wirken, auch für uns Zuschauer.
Wenders hat aber natürlich auch all seine Delikatessenantennen ausgefahren, um die Szenen dieser Show mit der Kamera optimal einzufangen und anzurichten.
Darunter sind auch tragikomische Nummern.
Ein Mädchen will sich etwa, aus Liebeskummer, das Haar anzünden. Doch bevor es brennt, flitzt ein Jüngling mit Löschwasser vorbei. Das ging gerade noch mal gut – und ist selbstredend ein sprechender Vergleich.
Am Ende wird mit einer Riesenpfütze gespielt wie in einem Teich, der die Tiefe der Leidenschaft symbolisiert.
Außer Atem sind die erregten Protagonisten – und so glücklich wie ihr Publikum.
Moderne Minimal-Musik, jazzige Barmusik und traditionelle Chansons runden das Ganze zudem akustisch ab. Derwisch-Tänze und witzige Ekstasen: Bei diesem Regen hier wird orgasmiert, scheins ohne Ende. O bitte, Luna und o bitte, arte, bitte mehr davon!
Gisela Sonnenburg
arte sendet den „Vollmond“ am 5. Juni (eigentlich schon am 6. Juni) um 0.10 Uhr.
Der nächste reale Vollmond ist aber erst am 23. Juni 2016!