Was lange währt, wird endlich gut. Ein Vertrag liegt vor, der die Mühen bei den Streiks des Balletts belohnt. Seit Karfreitag letzten Jahres gab es immer mal wieder bestreikte Ballettvorstellungen in Berlin – und insbesondere, wenn aufwändige Produktionen wie „Dornröschen“ bestreikt wurden, war das Murren darüber beim Publikum groß und der finanzielle Ausfall der zu erstattenden Eintrittsgelder ein Ärgernis.
Jetzt aber kam, scheinbar aus heiterem Himmel, die entscheidende Meldung: Das Staatsballett Berlin erhält einen von ver.di und dem Deutschen Bühnenverein abgemachten Haustarifvertrag – auch wenn es sich faktisch nur um einen so genannten Anwendungstarifvertrag handelt.
Der Hintergrund: Bereits im September, kurz nach Beginn der laufenden Spielzeit, boten die Mini-Gewerkschaften GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) und VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer) den Tänzern vertragliche Verbesserungen an, und obwohl zu diesem Zeitpunkt mehr als 90 Prozent der rund 80 betroffenen Künstlerinnen und Künstler nicht bei ihnen, sondern bei ver.di Mitglied waren, trat im Herbst 2015 ein ihre Situation deutlich verbessernder Haustarifvertrag in Kraft.
Da es sich um keinen Anhang zum Arbeitsvertrag in Form einer betrieblichen Vereinbarung mit den Tänzern handelte, sondern um einen Haustarifvertrag als Neuversion des damals bereits für sie geltenden Flächentarifvertrags „NV Bühne“ (Normalvertrag Bühne), trat das Vertragswerk ohne die Unterschriften der einzelnen Tänzer in Kraft.
Faktisch waren viele der Streikziele damit schon erfüllt. Den derzeit 82 Körperprofis geht es also, was ihre Arbeitsbedingungen angeht, bereits seit einem Vierteljahr wesentlich besser als zuvor.
Von ihren solchermaßen erhöhten Einkommen und bei deutlich besser geregelten Ruhe- und Probenzeiten bezahlten die Tänzerinnen und Tänzer indes weiterhin ihre Mitgliedsbeiträge bei der Mammutgewerkschaft ver.di.
Schließlich hätten die Tänzer ohne die zeitaufwändigen Vorarbeiten, die ver.di für sie organisiert und mit ihnen durchgeführt hatte, auch wohl kaum ihre Forderungen verhandlungswürdig formulieren können.
Die ehemalige ver.di-Ehrenamtliche Miriam Wolff, einst Solistin an der Komischen Oper und heute Ballettpädagogin, hatte hier wesentlichen Anteil. Dankbarkeit erfuhr sie aber eher wenig, sagt sie – auch von ver.di nicht.
Die Tänzer hingegen bezogen durch den ver.di-Fachbereich 8, zuständig für Medien, Kunst und Industrie, ihr Streikgeld – statt ihr volles Gehalt. Acht Mal fielen seit April 2015 ganze Vorstellungen aus.
Der Geschäftsführer vom Staatsballett Berlin, Georg Vierthaler, der zugleich in diversen Arbeitgeberverbänden aktiv ist, lehnte es damals ab, ver.di als Verhandlungspartner mit ins Boot zu nehmen. Und auch der Dialog des Deutschen Bühnenvereins mit ver.di verlief damals noch längst nicht so freundlich und ergiebig wie jetzt.
Fakt ist: Ohne die Streiks wäre nichts passiert, um die Arbeitsrechte der Balletttänzer zu stärken.
Seit September letzten Jahres vollzogen sich dann heimlich, still und leise die Veränderungen. Die Gewerkschaft ver.di begann, intensiv und direkt mit dem Deutschen Bühnenverein zu verhandeln – und nachdem GDBA und VdO ihren neuen Haustarifvertrag für die Tänzer unterzeichnet hatten, zeigte sich der Deutsche Bühnenverein auch für ver.di aufgeschlossener.
Äußerlich war es all die Monate ruhig, und niemand, der nicht Teil der Verhandlungen war, ahnte, was sich da hinter den Kulissen alles tat. Heute erklärt Frank Schreckenberg, Tarifsekretär beim ver.di-Bundesvorstand, auf Nachfrage: „Es gab die ganze Zeit Hintergrundgespräche von ver.di mit der Stiftung Oper in Berlin und eben auch mit dem Deutschen Bühnenverein, dem zuständigen Arbeitgeberverband.“
Zusätzlich zum Anwendungstarifvertrag verlangte ver.di vom Bühnenverein ein so genanntes Maßregelungsverbot, damit jenen Künstlern, die einst besonders fleißig streikten, aus ihrem Arbeitskampf im Nachhinein keine Nachteile erwachsen.
Insgesamt kann Schreckenberg zufrieden sein: „Immerhin 70 Prozent unserer ursprünglichen Forderungen sind damit verwirklicht.“
Frank Werneke, Bundesfachbereichsleiter des FB 8 und als stellvertretender Vorsitzender von ver.di ein ziemlich „hohes Tier“ unter den Funktionären, führte persönlich den Großteil der Verhandlungen. Dennoch war er immer auch ein vehementer Streik-Befürworter.
Schreckenberg weiß denn auch: „Hätten die Tänzer noch mehr gestreikt, hätte man unter Umständen auch noch mehr für sie aushandeln können.“
Um das Publikum nicht allzu sehr zu vergrätzen, und auch, um die kurze Lebenszeit als Profi-Tänzer wieder stärker auszuschöpfen, verzichtete das Staatsballett Berlin in dieser Spielzeit aber auf neue Streiks. Was nicht heißt, dass es nie wieder bestreikte Ballettvorstellungen geben wird.
Möglicherweise werden nun auch Arbeitskämpfe in anderen deutschen Ballettensembles hochkochen: Berlin war mal wieder Trendstadt und machte beispielhaft vor, wie die Situation von Bühnenkünstlern nachhaltig verbessert werden kann. Gerechtigkeit steht demnach im Wertekanon ganz oben.
Historisch war das Ganze ohnehin ein bedeutendes Ereignis. Denn nie zuvor in der Geschichte des Balletts wurde so rigoros für eine soziale Angelegenheit gekämpft, nie zuvor gab es einen solchen Streik von Balletttänzern.
Dass dieser nun mit einem Happy End ausgeht, wird nicht nur von den betroffenen Künstlern als Sahnehäubchen empfunden.
So ganz leicht fiel den berufsbedingt an Gehorsam bis zum Drill gewohnten Ballerinen und Ballerini die Streiksache allerdings nicht: Seit ihrer Kindheit, in der sie ihre Berufsausbildung beginnen, drängt es sie massiv auf die Bühne. Statt dessen nun die eigenen Auftritte zu bestreiken und sich Autoritäten wie dem Geschäftsführer vom Staatsballett, Georg Vierthaler, zu widersetzen, kostete sie schon einigen Mut.
Rückhalt hatten sie vor allem durch die Gewerkschaft ver.di, auch durch die ihnen treu bleibenden Fans; durch den Politiker Wolfgang Brauer von der Berliner Linken, aber natürlich auch durch die berichtende Presse – sowie durch ihren Ballettintendanten, den Choreografen Nacho Duato, der seiner Compagnie nicht nur künstlerisch eine neue Prägung verleiht, sondern ihr auch beim Arbeitskampf den Rücken stärkte.
Ende gut, alles gut: Im Rahmen einer Tarifausschusssitzung entschied der Deutsche Bühnenverein dann am 14. Januar diesen Jahres, dass man einen Anwendungstarifvertrag mit ver.di abschließen könne.
Rolf Bolwin, Chef vom Deutschen Bühnenverein, bestätigt auf Nachfrage: „Da haben wir eigentlich kein Problem damit.“ Zudem denke er „nicht in Kategorien wie Sieg und Niederlage“, so Bolwin.
Unterzeichnet werden soll das gute Stück, also der Anwendungstarifvertrag, von ver.di Ende dieser Woche. Die Gewerkschaft lädt sogar zu einem Umtrunk im kleinen Kreis mit den Tänzern, um das Ergebnis zu befeiern. Dann muss der Deutsche Bühnenverein nur noch gegenzeichnen – und schon ist die Sache so rund, dass mit erneuten Streiks des Berliner Staatsballetts wohl erstmal nicht gerechnet werden muss.
Bleibt noch die Frage nach der weiteren Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich: Wenn immer mehr Künstler zu den Besserverdienern gehören, werden sie sich dann trotzdem auch mal für Leute einsetzen, denen es weniger gut geht?
Man muss nicht gleich PR-trächtig an Flüchtlinge oder an den Tierschutz denken. Viele Journalisten zum Beispiel haben es in Deutschland seit Jahren immer schwerer, und etliche schreibende Freiberufler, die gute Arbeit ablieferten, mussten aus finanziellen Gründen schon ihren Job aufgeben.
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Gisela Sonnenburg