Flirten mit Augenaufschlag statt mit Zwinkern Rollendebüt: Marian Walter vom Staatsballett Berlin tanzt erstmals den Matrosen in Alexei Ratmanskys „Namouna“. Eine Überlegung.

Ratmansky lässt den Matrosen sich was aussuchen!

Na, wo ist sie denn, die Liebe fürs Leben? Hier tanzt Rainer Krenstetter den Matrosen auf Partnerinnensuche – in Alexei Ratmanskys Ballettsatire „Namouna“. Foto: Bettina Stöß

Die große Frage ist: Was kann ein Tänzer in einer Partie, die bei der Premiere passgenau besetzt war, besser machen? Genauer gefragt: Hat er überhaupt eine Chance, es genauso gut zu machen wie der originale Cast?

Alexei Ratmansky studierte im ersten Quartal dieses Jahres seine furiose Ballettparodie „Namouna“ mit dem Berliner Staatsballett ein. Der gebürtige Wiener Rainer Krenstetter – eine Entdeckung des damaligen Ballett-Intendanten Vladimir Malakhov – tanzte die zentrale Rolle des Matrosen, der leichtfüßig durch ein turbulentes Tanzgeschehen hüpft, um sich unter einer Vielzahl hübscher Damen die Richtige zum Verlieben auszusuchen. Was in traditionellen Handlungsballetten kulissenreich und in bestimmten Milieus angesiedelt ist, lässt Ratmansky in „Namouna“ nur durch Tänzerinnen und Tänzer darstellen. In zwar opulenter Kostümage, aber mit nur wenigen Requisiten und ohne Bühnenbildversatzstücke.

Eine Arabeske, wie sie sein soll.

Elegante Linien, von Balanchine und dem Bolschoi inspiriert: Rainer Krenstetter in „Namouna“ von Ratmansky. Foto: Bettina Stöß

Krenstetter tanzte das im ironisch-niedlichen Kostüm – einem blütenweißen Matrosenanzug – mit brillant-souveräner Technik und schelmisch-vorwitzigem Ausdruck. Witzig-spritzig-schelmisch, verlieh er der Rolle mitunter sogar etwas Diabolisches. Es ist ja auch der pure Alptraum, wenn man es sich recht überlegt, dass da ein junger Mann von allen nur möglichen weiblichen Wesen begutachtet und oftmals auch umworben wird. Die Ironie des Stücks kam bei Krenstetter denn auch vollauf zum Vorschein – sein Vortrag war reich an Pointen.

Rainer Krenstetter in Berlin in einer seiner Glanzrollen, als Matrose in "Namouna" von Ratmansky.

Witzig, spritzig, schelmisch: Rainer Krenstetter in Ratmanskys „Namouna“, Premierenbesetzung beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Jetzt Marian Walter! Er ist das große lyrische Talent im Berliner Staatsballett: Seine großen Sprünge wirken, als segle er auf Luftpolstern einher. Der Matrosenanzug, kreiert von Rustam Khamdamov und Marc Happel, steht ihm genau so gut wie Rainer Krenstetter. Und doch ist Walter ein stilleres Wasser, kein burschikos-famoser Draufgänger, sondern ein sanfteres Temperament. Seine Suche nach der passenden Frau fürs Leben gestaltet sich weniger überdreht, weniger klamaukig als in Krenstetters Tanz. Aber komisch und ballettsatirisch wirkt Walter ebenfalls – sozusagen mit treuherzigem Augenaufschlag statt mit einem kessen Zwinkern garniert.

In kaum einem anderen Ballettstück können Tänzer, wenn sie wollen, so sehr „over the top“ sein wie hier, also ruhig mal stark überziehen und dennoch ganz bei der Rolle sein. Das reizt Marian Walter nicht aus – dafür konzentriert er sich auf eine glaubhaft witzige Darstellung des Ausprobierens der verschiedenen Damen. Bei Krenstetter war von Beginn an klar, dass eigentlich keine andere als die später auch Geküsste in Frage kommen könnte. Marian Walter hingegen mimt den generell In-alle-Welt-Verliebten, der liebend gern ausnahmslos mit allen eine kleine Tanznummer schiebt. So überraschte der Schluss umso mehr.

Die weibliche Hauptpartie wurde übrigens in beiden Besetzungen, mit Krenstetter wie mit Walter, von der hier kolossal-akkuraten, dabei weiblich-bodenständigen und dennoch auf den Punkt präzise-lustigen Nadja Saidakova getanzt. Satire als höchste Ballettkunst. Eine beschwingende Partnerin!

Eine raffinierte Partie voll technischer Schwierigkeitsgrade und ausdrucksvoller Komik.

Auf den Punkt präzise und lustig: Nadja Saidakova, erfahren mit verschiedenen Matrosen-Partnern, in Ratmanskys „Namouna“ beim Berliner Staatsballett. Foto: Bettina Stöß

Als Tanzpartner in den Pas de deux nutzt Marian Walter seine jahrelange Erfahrung als Erster Solist mit Primaballerinen hochkarätigen Zuschnitts. Er kann mit ihnen so synchron tanzen, als gebe es nur einen Herzschlag zwischen beiden. Und wenn er so eine grazile Lady in luftige Höhen liftet, hat sie für ihn scheinbar gar kein Gewicht. Diese Pluspunkte kann Walter vor allem in den rasant-schnellen, furios-brillant choreographierten Szenen von „Namouna“ schön zeigen – und dabei trotz aller Bewunderung zum Schmunzeln reizen. Denn im Stückkontext ist all der supertolle technische Tand die pure Ironie! Da ist das abschließende Kuss-Standbild des ungleichen Paares – Matrose Luftikus wählt Teller-Tutu-Schönheit – dann wohl verdient: als klitzekleines Stückchen Innigkeit. Bravo!

Ein echter Held auch in satirischer Choreographie.

Marian Walter im Matrosen-Kostüm beim Schlussapplaus seines Debüts in „Namouna“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Um aber auf die Fragestellungen vom Anfang zurückzukommen: Sie müssen affirmativ beantwortet werden, denn es gibt immer ein „besser“ und immer einen Weg, eine Sache anders und dennoch genauso attraktiv, anregend oder sogar aufregend zu machen. Rainer Krenstetter, der ab kommendem Monat beim Miami City Ballet tanzt und dort als Einstand den Romeo in John Crankos beliebter Version von „Romeo und Julia“ gibt – toitoitoi! – bleibt dennoch in den Herzen der Berliner Ballettliebenden, in der Erinnerung auch und gerade in seiner satirisch-virtuosen Darstellung des „Namouna“-Matrosen. Das ist ja das Tolle am Ballett: Jeder Tänzer (und natürlich auch jede Tänzerin) hat eigene, unverwechselbare Nuancen, die lange nachschmecken.
Gisela Sonnenburg

Wieder am 1. und 7.11. im Berliner Schiller Theater

Siehe auch: „Das witzige Chaos als Beginn des erotischen Seins“ hier im Ballett-Journal

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