Kritiker klein machen? Niemals! Gegen die Bundespressekonferenz läuft eine Klage, weil sie einen regierungskritischen Journalisten nicht haben will – und auch das Ballett-Journal hat schon mal klagen müssen

"Strawinsky" kupfert das Staatsballett Berlin beim Ballett Dortmund den Programmtitel ab

Das ist leider kein Ballett über Presserauswürfe: Das Staatsballett Berlin tanzt hier „Petruschka“ von Marco „Hol-den-Kot-raus“ Goecke. Zu sehen im Programm „Strawinsky“. Foto: Yan Revazov

Manche Menschen möchten wissen, wie es backstage zugeht. Auch, was ihre Informierung betrifft. Das ist am Theater durchaus spannend, am Opernhaus und im Ballett, aber auch im politischen Leben. Wie kommen zum Beispiel die News der Bundesregierung in die Medien? Ganz einfach: durch Pressekonferenzen und Pressemitteilungen. In Deutschland gibt es, und das ist einmalig auf der Welt, sogar einen Verein, der einst von Journalisten gegründet wurde, um die Pressekonferenzen der Regierung zu veranstalten. Schon 1949 nannte sich diese  – damals noch in Bonn angesiedelte – Vereinigung nach ihrem Thema: Bundespressekonferenz (BPK). Ihr Hauptsitz liegt heute in Berlin-Mitte, und drei Mal wöchentlich finden dort wichtige Konferenzen statt. Die Regierung informiert dann die Presse live. So frisch gibt es die News nur hier. Am Ende der Konferenzen dürfen die Journalisten Fragen stellen. Die Chance, alle 16 Bundesministerien direkt anzusprechen, ist inklusive – und so regelmäßig nur hier zu haben.

Für die Ballettfachjournalisten gibt es hingegen die Presseabteilungen der Opernhäuser oder Theater, bei den größeren Compagnien sind es zumeist eigene Presseabteilungen speziell für die jeweilige Balletttruppe. Auch hier gibt es Pressekonferenzen – vor allem die Jahrespressekonferenz – und mehr oder weniger regelmäßige Pressemitteilungen. Allerdings veranstalten die Häuser selbst ihre Presse-Treffen; einen Verein wie die BPK gibt es da nicht.

Zurück zu Politik. Rund 900 Journalistinnen und Journalisten sind derzeit Mitglied in der BPK. Normalerweise wird kein deutscher Journalist, der nachweist, dass er hauptberuflich über die Bundespolitik berichtet, von der Bundespressekonferenz abgewiesen. Jetzt gibt es aber so einen Fall: Dem Redakteur Florian Warweg von den NachDenkSeiten, einem regierungskritischen Online-Medium, das ein ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter gründete, wurde die Mitgliedschaft bei der Bundespressekonferenz nach wochenlanger Prüfung seines Antrags verweigert. Im August 2022 erhielt er den definitiven Bescheid. Das macht stutzig, schließlich wurde die BPK genau darum gegründet: Damit die Regierung keine unliebsamen Journalisten aussperren oder benachteiligen kann.

Schließlich ist eine Binsenweisheit nicht neu: Kritiker sind notwendig, aber nicht immer beliebt. 

Man wittert in diesem Fall nun politische Hintergründe, in jedem Fall aber eine große Ungerechtigkeit.  Warweg, der nachwies, dass er über zahlreiche deutsche Themen kritisch schreibt, wie etwa über die Sanktionen gegen Russland, versuchte daher zunächst, mit dem Rechtsmittel der Einstweiligen Verfügung (EV) sein Recht auf Mitgliedschaft geltend zu machen. Doch damit  fielen er und sein Anwalt gerichtlich durch.

Warweg glaubt aber an sein Recht. Letzten Donnerstag – am 29.06.23 – fand daher vorm Landgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 4 O 29/23 der erste Verhandlungstermin in der Hauptsache gegen die Bundespressekonferenz statt. Und siehe da: Die Vertreter der Beklagten wurden von einem Meinungswechsel des Gerichts überrascht.

Florian Warweg, Publizist bei nachdenkseiten.de, kämpft nicht nur für sich, sondern auch für die Pressefreiheit. Foto: PR

Dabei ist die richterliche Besetzung dieselbe: Die Richterin Christiane Gilge ist mit Auseinandersetzungen ums Presse- und Medienrecht vertraut und führt das Verfahren mit hoher Kompetenz. Die neuen schriftlichen Ausführungen von Warwegs Anwalt Markus Kompa konnten sie deutlich stärker überzeugen, als dies beim ersten Anlauf im Eilverfahren um die EV der Fall war.

Tatsächlich kommt es bei solchen Verfahren darauf an, deutlich zu machen, worum es geht. In Warwegs Fall stellte sein Anwalt erst beim zweiten Versuch klar genug dar, was alles mit der BPK-Mitgliedschaft verbunden ist. Schließlich hat diese nicht nur eine Monopolstellung, sondern Warweg hat auch das Recht auf Gleichbehandlung mit den anderen berichtenden Journalisten. Bleibt er draußen, muss er womöglich von publizierenden Kollegen abschreiben – statt seine Sicht auf die Dinge optimal an seine Leser zu vermitteln.

Dem folgt auch Richterin Gilge: „Konkurrenz darf nicht auf solche Weise ausgeschaltet werden“, stellt sie fest. Die Aktualität müsse für alle gleich gewährleistet sein. Auch die Unmittelbarkeit kann ein Kriterium sein. Eine Wettbewerbsverzerrung durch die Aussperrung eines Unliebsamen wäre streng genommen wohl sogar Zensur. Und die ist in Deutschland verboten.

Es erscheint ratsam, darauf hinzuweisen, dass in Deutschland die Presse- und Meinungsfreiheit sinnvollerweise mit ein- und demselben Paragrafen verankert sind: Artikel 5 vom Grundgesetz behandelt genau dieses wichtige Merkmal einer Demokratie, nämlich die Freiheit der Meinungsäußerung. Dabei geht es nicht nur darum, was die Medien dürfen. Es geht zugleich auch darum, was jeder einzelne Bürger jenseits des Stammtischs sagen darf und was nicht.

Die BPK hingegen bekräftigt ihr Recht auf Souveränität. Man will Warweg  eben nicht im Club der Auserwählten. Ist man nicht der Herr im eigenen Hause? Nein, die BPK kann nicht selbstherrlich schalten und walten, wie sie es möchte. Sie muss sich an Regeln halten. Und hier agiert sie zudem als so genannter „beliehener Unternehmer“ der Bundesregierung, also wie ein Teil der Staatsverwaltung.

Der Redakteur Florian Warweg habe jedoch durch „missverständliche Überschriften“ seinen Anspruch verwirkt, trägt die Anwältin Eva Thomsen von der Kanzlei Schwarz vor. Aber solche Überschriften, meint die Richterin, basteln doch auch hoch renommierte Medien. Warweg habe sich aber zudem „unflätig“ benommen, so die Anwältin. Nur fehlen ihr dazu die  konkreten Details. Und ob diese wohl unstreitig wären?

Schließlich habe sich Warweg, der damals über den Verein VAP (Verein ausländischer Presse) für nicht-deutsche Medien akkreditiert war, ohne Erlaubnis mit einer Julian-Assange-Maske in den Räumen der BPK fotografiert und das Selfie auch noch veröffentlicht, so die Anwältin weiter. Das sei wohl als Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Vereins zu deuten.

Da es sich aber um einen einmaligen Vorfall handelt, geht die Richterin da nicht mit. So etwas ist kein gewichtiger Grund, um jemandem die Berufsausübung und die Informierung einer bestimmten Leserschaft zu erschweren. Entscheidend ist hier das Recht auf Gleichbehandlung.

Die prozessualen Fronten sind verhärtet. Den richterlichen Vergleichsvorschlag, Warweg als Gast bei der BPK einzutragen, lehnen beide Seiten ab. Warweg dürfte dann – als Gast statt als Mitglied – keine Fragen an die Politiker und ihre Sprecher stellen. Und die Beklagte hat sich eine Erklärungsfrist von damals zwei Wochen ausbedungen. Sie hofft auf Kollegen von Warweg, die ihn als „unflätig“ anschwärzen.

Das Urteil wird gen Ende Juli 23 erwartet. Vielleicht gibt es dann eine Berufung und den Marsch durch die Instanzen. Dank zwei Artikeln im Grundgesetz, dank der deutschen Landespressegesetze und dank der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht sieht es gut aus für die Pressefreiheit. Willkürliches Aussortieren oder simples Behindern von Journalisten ist demnach nicht drin. Am 19. und 20. August 23 gibt es bei der BPK übrigens „Tage der offenen Tür“ – vermutlich ohne Einblicke in ihre wohl brisanteste Akte.

Gisela Sonnenburg im Ballett-Journal

Auch ich habe für die Meinungs- und Pressefreiheit schon vor Gericht ziehen müssen: Gisela Sonnenburg, Gründerin und Leiterin vom Ballett-Journal sowie  Verfasserin dieses Berichts. Foto: Selfie

Und auch das Ballett-Journal, das sei hier nachgetragen, hatte schon Anlass, gegen einen staatlichen Anbieter von Kultur heldenhaft vor Gericht zu ziehen. Im Sommer 2020, als Lockdowns und Corona-News die Gemüter beherrschten, dachte sich die Geschäftsführung der Bayerischen Staatsoper, mich wegen kritischer Berichterstattung über das Bayerische Staatsballett im Ballett-Journal mal eben nicht mehr als Journalistin zu behandeln.

Man wollte mich plötzlich – übrigens nach ungezählten Lobliedern von mir aufs Bayerische Staatsballett – nicht mehr mit dem wichtigen Presseverteiler, dessen Pressemitteilungen an alle Medien zugleich ausgeschickt werden, informieren.

Es gab antizipatorische Parallelen zur Sache Warweg, aber auch Unterschiede. So konnte ich die beantragte EV zu meiner Zufriedenheit und im notwendigen Ausmaß beim Verwaltungsgericht München erringen. Noch heute ist mir das ein steter Anlass zur inneren Freude und Glückseligkeit.

Dennoch ist mir der Kampf in lebhafter Erinnerung: Man muss dann ständig an den Sachverhalt denken, man muss die gerichtliche Akte durch fristgerechte Beweislegung und Erläuterungen füttern, man hat sozusagen ein Baby, das im Gegensatz zu den Artikeln, die man schreibt, eigentlich nicht gewollt war, zusätzlich an der Backe.

Aber die Mühe lohnt sich. Es ist jedes Mal ein Sieg der Demokratie, wenn ein kritischer Journalist oder eine kritische Journalistin nicht rausgeworfen werden kann, nur weil er oder sie kritisch ist.

Die Parole muss lauten: „Kritiker raus? Niemals!“

Und das gilt auch für die Kollegin Wiebke Hüster, die vom Choreografen Marco Goecke in Hannover auf eine sehr spezielle Weise rausgeworfen wurde: indem er ihr echte Hundekacke ins Gesicht schmierte. Dennoch halten es das Staatsballett Hannover, das Staatsballett  Berlin und – ach ja – auch das vornehme Bayerische Staatsballett für völlig okay, Goeckes Werke weiter premieren und aufführen zu lassen.

Muss leider sein: Bitte spenden Sie! Journalismus ist harte Arbeit, gerade auch im Backstage-Bereich – und das Ballett-Journal ist ein kleines, tapferes Projekt ohne regelmäßige Einnahmen. Wir danken es Ihnen von Herzen, wenn Sie spenden!

Die zuständige Staatsanwaltschaft Hannover (die Hüsters Anzeige gegen Goecke zur Anklage bringen kann) rührt sich anscheinend auch nicht. Man findet diese Form von Gewalt gegen Frauen und Behinderung der Presse offenbar nicht so schlimm, jedenfalls nicht in diesem Fall – schließlich ist Goecke ja auch Ballettdirektor in Hannover gewesen, und Wiebke Hüster hatte es mehrfach gewagt, ihn zu kritisieren.

Das ist aber gerade der Unterschied zwischen Demokratie und Zivilisation auf der einen Seite und unzulässiger Aktion auf der anderen. Kritik ist nicht gleich Körperverletzung. Wer das nicht erkennt, sollte daran arbeiten.

Und Wiebke Hüster sollte das Land Niedersachsen, das rechtlich für Goeckes Tat haften muss, endlich zivilrechtlich belangen und angemessenen Schadensersatz fordern, und zwar materiellen wie auch immateriellen. Schon damit der betreffende Teil der Menschheit etwas daraus lernt.
Gisela Sonnenburg

www.nachdenkseiten.de

www.staatsballett-berlin.de

www.bayerisches-staatsballett.de

www.bundespressekonferenz.de

 

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