
Prof. Jürgen Zimmerer, Historiker und Forscher auch zu kolonialen Themen, hatte schon im Vorfeld der Entscheidung des Senats für die Kühne-Oper eine seltsame Erfahrung. Foto: Sebastian Engels
Am Mittwoch, 26.11.25, beschloss die Hamburger Bürgerschaft, dass Hamburg sich mit einer Geldschenkung in Millionenhöhe des Steuerflüchtlings Klaus-Michael Kühne ein neues Opernhaus gönnen solle. Nicht etwa, wie das jetzige traditionsreiche Haus der Hamburgische Staatsoper, an einer zentralen Stelle stehend – um für das Publikum eine optimale Erreichbarkeit zu gewährleisten – sondern, im Gegenteil, jenseits der Innenstadt: in der HafenCity, in Sichtweite der Elbphilharmonie, und womöglich, um Hamburg ein neues touristisches Lockmittel für an sich kulturferne Touristen zu bescheren. So will es, offiziell seit Beginn diesen Jahres, der Hamburger Senat. Weil aber nicht nur Kühnes Firma, sondern auch der gewählte neue Opernstandort historisch belastet sind, gab und gibt es reichlich Kritik an der Entscheidung von Senat und Bürgerschaft. Hinzu kommt das Risiko unabsehbarer Kosten auch für die Stadt, denn das Beispiel der Elbphilharmonie lehrt, dass so ein kultureller Großneubau in Hamburg schnell mal mehr als das Zehnfache kosten kann als ursprünglich avisiert. Knapp 150 Millionen Euro will Kühne von der Kühne-Stiftung mindestens zahlen lassen, aber fast doppelt soviel Geld kommt schon jetzt auf die Stadt Hamburg an Kosten zu, um am gewählten Standort überhaupt sturmflutsicher bauen zu lassen. Die Hamburger Bevölkerung fühlt sich von der Entscheidung pro Kühne denn auch eher überrumpelt und hätte sich bei einer Befragung oder Volksabstimmung wohl gegen das Projekt der Kühne-Oper ausgesprochen. 10.000 Unterschriften aus einer Online-Petition gegen den Opernneubau konnte die Hamburger Fraktion der Linken der Bürgerschaft übergeben. Dennoch soll, nach einer noch kommenden zweijährigen Planungsphase, wohl abschließend positiv entschieden und gebaut werden. Ab 2034 soll man mit dem neuen Opernhaus rechnen können. Bedeutet das, dass eine koloniale Amnesie statt geschichtlich wertvoller Erinnerung obsiegt? Das Ballett-Journal sprach über das brisante Thema mit dem Hamburger Prof. Jürgen Zimmerer, der zusammen mit weiteren Wissenschaftlern auch heute noch ein Moratorium, also einen zeitlichen Aufschub, für die endgültige Entscheidung fordert, damit eine neu zu bildende Expertenkommission mit ausreichender Gründlichkeit zur Meinungsbildung beitragen kann.
Ballett-Journal: In der Hamburger HafenCity gibt es eine Landzunge namens Baakenhöft. Kürzlich hat die Hamburger Bürgerschaft die Pläne des Senats zur Errichtung eines Opernhauses dort – mit geschenktem Geld des Milliardärs und Steuerflüchtlings Klaus-Michael Kühne – durchgewunken. Sie und weitere Wissenschaftler fordern, dass neu nachgedacht wird und eine Expertenkommission Zeit bekommt, die Fakten und Kosten gründlich abzuwägen. Warum?
Prof. Jürgen Zimmerer: Wir sind der Meinung, dass hier ein Großprojekt übers Knie gebrochen wird, und zwar ohne eine gründliche Diskussion in der Stadtgesellschaft, ob wir eine neue Oper brauchen, wie sie dimensioniert und gestaltet werden sollte. Und wie mit dem belasteten Ort, einem zentralen Täterort des deutschen Genozids an den Herero und Nama, umgegangen werden sollte.

Kritisch über militärische Eroberung wird auch im abendfüllenden Ballett „Odyssee“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett nachgedacht. Foto mit Alexandr Trusch in der Titelpartie aus der heutigen Hamburgischen Staatsoper: Kiran West
Ballett-Journal: Die Geschichte des Baakenhöfts wird noch erforscht, aber es steht fest, dass von dort aus in kolonialer Zeit die deutschen Schiffe zum Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia ablegten. Die Forderung nach einer Gedenkstätte dort ist also gut begründet. Stattdessen soll die Oper dorthin – und der Forschung wurde Geld entzogen.
Prof. Jürgen Zimmerer: Auffallend ist Folgendes: Aus einer Zusage der politischen Kräfte in Hamburg noch im April 2024, dass die von mir geleitete Forschungsstelle „Hamburgs (post-) koloniales Erbe“ gesichert sei, wurde im Mai 2024, nach unserem Einspruch gegen die Bebauung des Baakenhafens (also des Baakenhöfts, d. Red.) mit Luxuswohnungen, rasch eine Absage. Die Forschungsstelle musste schließen. Ich konnte mir damals nicht erklären, dass Kritik an Wohnhäusern so eine Reaktion auslösen könnte. Nun ahne ich, dass wir der Oper in die Quere kamen.
Ballett-Journal: Der Senat hat es bisher abgelehnt, über eine Gedenkstätte am Baakenhöft nachzudenken. Auch Vorschläge für sozialen Wohnungsbau dort wurden niedergeschlagen. Kann man bei der HafenCity in Hamburg von einem „Reichen-Ghetto“ sprechen?

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Prof. Jürgen Zimmerer: Ob der Senat nachgedacht hat, kann ich nicht sagen, aber konkrete und bedeutsame Schritte hat er nicht unternommen. Die Hafencity ist ein Wohngebiet für die Betuchten, und die Oper dort wird kaum zur sozialen Diversität beitragen.
Ballett-Journal: Unter Ihren Mitstreitern ist eine ehemalige, sich im Ruhestand befindende Dozentin der Hafen City Universität. Auch Professoren für Städtebau und Theaterwissenschaft unterstützen Ihre Forderungen. Welche sozialen und kulturellen Folgen werden befürchtet, wenn sich mit der Kühne-Oper und der Elbphilharmonie die Hochkultur am Hafen ballt?
Prof. Jürgen Zimmerer: Die Zentrierung kultureller Einrichtungen an der einen Stelle führt meistens zu einem Fehlen solcher Einrichtungen an einer anderen Stelle. Angesichts der Überdimensionierung der Oper erwarte ich, dass diese als kulturelles Angebot an Touristen zu verstehen ist und etwa der Kreuzfahrtindustrie und weniger den Interessen der Hamburger nützt.
Ballett-Journal: Der für den Bau vorgesehene Opernhausentwurf stammt von der dänischen Bjarke Ingels Group. Deren Pläne lassen auf dem Baakenhöft keinerlei Raum für eine Gedenkstätte. Könnten Sie sich eine Verbindung von Opernhaus und Erinnerungsort vorstellen?
Prof. Jürgen Zimmerer: Es ist weniger der Umstand, dass kein Raum für einen Gedenkort gelassen wird, als dass der Senat dies in seinen Planungen nicht berücksichtigte und anscheinend Herrn Kühne und die Kühne-Stiftung nicht einmal fragte. Wer aber so viel Geld für eine Oper ausgibt, der würde es wohl kaum an fünf Millionen für ein Dokumentations- und Gedenkzentrum scheitern lassen. Dem Senat ist die Aufarbeitung des kolonialen Erbes nicht wichtig genug, so scheint es.

Die von Peter Schmidt gestaltete Stifter-Lounge mit Terrasse ist ein innenarchitektonisches Juwel. Zu sehen im vierten Rang der heutigen Hamburgischen Staatsoper. Foto: Gisela Sonnenburg
Ballett-Journal: Es fällt auf, dass nicht nur die Problematik des Genozids in Afrika, sondern auch Verbindungen ins Dritte Reich nicht aufgearbeitet werden. Denn Kühnes Firma „Kühne + Nagel“ basiert auf dem Vermögen, das sein Vater mit dem Transport der Güter von enteigneten Juden unter Hitler machte. Kühne verweigert jegliche Akteneinsicht durch Wissenschaftler. Soll man ihn trotzdem das Opernhaus spendieren lassen?
Prof. Jürgen Zimmerer: Weder Herr Kühne noch die Kühne-Stiftung gehen mit dieser Vergangenheit transparent um. Sonst hätten wir ja die Diskussion gar nicht. Es wäre also auch für Kühne jetzt eine Gelegenheit, hier reinen Tisch zu machen. Aber vielleicht hat ihm das niemand nahegelegt, weil alle vor dem geöffneten Portemonnaie erstarren.
Interview: Gisela Sonnenburg
Prof. Jürgen Zimmerer lehrt Globalgeschichte an der Universität Hamburg und leitete von 2015-2025 die inzwischen eingestellte Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“.
www.die-hamburgische-staatsoper.de