Mit dem Herzen spielen, nicht mit den Fingern Elizabeth Cooper, Pianistin, spielt seit der Uraufführung in jeder Vorstellung von „Tod in Venedig“ live auf der Bühne: jetzt zum 78. Mal

Elizabeth Cooper in Hamburg

Pianistin, Komponistin, Dirigientin mit Herz: Elizabeth Cooper spielt live auf der Bühne im Ballett „Tod in Venedig“. Hier gibt sie gerade ein Interview. Foto: Gisela Sonnenburg

Wie sie es sagt, ist es eine Lobrede auf die Musik, mit einer zarten Melodie und tänzelnden Rhythmen darin: „Ich spiele mit dem Herzen, nicht mit den Fingern.“ Elizabeth Cooper, gebürtige Pariserin irischer Abstammung, ist Pianistin, Komponistin, Dirigentin. Eine der ganz wenigen Frauen in der Branche, zumal in ihrer Generation. Wie alt sie genau ist, sagt sie nicht, aber dass sie eine wahre Lady ist, eine Grande Dame mit viel Erfahrung, sieht man auf den ersten Blick. Und: Sie ist schön, mit einnehmenden Gesichtszügen und warmherzigen Augen unter flammrotem Haar. Was für eine Frau!

John Neumeier kennt sie aus Paris, als er mit dem damaligen Étoile Patrick Dupond den „Vaslaw“ einstudierte. Später sah und hörte er Elizabeth Cooper in Berlin, wo sie das Mammutwerk „Ring um den Ring“ von Maurice Béjart als Pianistin und Darstellerin auf der Bühne begleitete. Damals hatte sie schon viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Ballettprominenz, so mit Rudolf Nurejev, Mikhail Baryshnikov, Maja Plissezkaja, Monique Loudière. Béjart setzte sie im „Ring“, der 1990 uraufgeführt wurde, vielseitig ein. „Darstellende Pianistin“ – so könnte man ihren Part am besten beschreiben. Coopers Kommunikation mit den Tänzern und ihr weicher, aber präziser Anschlag bezauberten Neumeier, er rief sie an und fragte, ob sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen könne. Sie konnte.

Im Dezember 2003 war es soweit: „Der Tod in Venedig“ wurde uraufgeführt, und neben den Tänzern Lloyd Riggins und Edvin Revazov spielt in diesem Neumeier-Ballett der Konzertflügel auf der Bühne eine der Hauptpersonen. Mit ihm Elizabeth Cooper, die das Instrument mit fliegenden Händen und dramatischer Aufmerksamkeit bedient und nicht an ihrem Sitz klebt, sondern auch mal aufsteht und dann mit ihrem Körper Kommentare zum Bühnengeschehen abliefert. Man muss es gesehen haben, was diese Musikerin aus dem Musizieren macht: eine Show, eine Performance, eine Interaktion sowohl mit den Tänzern – von denen einige während ihrer Auftritte auch an sie herantreten und sich stumm mit ihr unterhalten – als auch mit dem Publikum.

Das wiederum liebt seine Elizabeth und verehrt sie als Sinnbild einer Zeit, die niemals aus den Fugen gerät – weil ihr Zeitmaß nicht die schnöde verrinnende Gegenwart ist, sondern das Ebenmaß der Takte und Metren. Sie erhält so viel Applaus wie sonst nur Starsänger oder -tänzer oder ein berühmter Choreograph. Und wenn sie für die Aufführungsblöcke in Hamburg weilt, gleicht ihr Hotelzimmer einem Blumenmeer.

BALD STEHT DIE 78. VORSTELLUNG AN

Neulich, nach der 77. Vorstellung seit der Urauffühung, wurde ihr beim Stage Call ein großer Strauß langstieliger roter Rosen auf der Bühne zugeworfen. Elegant weiß Elizabeth solche blumengewordenen Liebeserklärungen zu handhaben. Natürlich freuen sich die meisten Künstler über Blumen. Aber „La Cooper“ sorgt und pflegt sie mit besonderer Zuneigung, ordert einen Sektkübel mit Wasser für sie im Restaurant und hegt sie, als seien sie Devotionalien.

Zu Souvenirs hat Elizabeth tatsächlich eine besondere Beziehung. Ihr Talisman ist eine goldene Münze, eine Medaille aus dem Wallfahrtsort Lourdes. Auch ihre Kettenanhänger sind nicht zufällig gewählt: ein Jungfrauen-Medaillon, ein Granatkreuz, eine Perle. Letztere ist ein Geschenk aus Japan, wo sie eine Auszeichnung erhielt. Daheim hat sie noch etwas ganz Spezielles: einen Taktstock, den Rudolf Nurejev ihr schenkte. Man sieht, La Cooper hat nicht erst seit gestern eine innige Beziehung zum Ballett.

Elizabeth Cooper ist eine große Künstlerin

Elizabeth Cooper an ihrem Arbeitsplatz – dem Konzertflügel. Im „Tod in Venedig“ spielt und agiert sie musikalisch und mimisch-darstellerisch nicht im Orchestergraben, sondern auf der Bühne – und hat eine einzigartige Aura. Foto: Cooper PR

Es ist eine seltene, innige Beziehung. Seit sie auf der Bühne spielt, hat Elizabeth Cooper sozusagen eine zweite künstlerische Identität: „Ich bin so glücklich auf der Bühne, ich fühle mich dort frei, gar nicht ängstlich!“ Schon bevor die Vorstellung beginnt, geht sie auf die Bühne, noch während diese von den Bühnenarbeitern vorbereitet wird. Cooper genießt dieses Gewusel und findet darin die richtige Konzentration, um sich warmzuspielen. Manchmal spielt sie das ganze Stück schon einmal durch: Genie schließt Fleiß nicht aus.

Ihre erste Karriere machte sie aber als Dirigentin, nicht als Ballettpianistin (dieses Berufsbild sollte man für Elizabeth Cooper geradezu erfinden). Auch insofern ist sie mit Deutschland eng verbandelt: „Meine zweite Heimat, was die Musik angeht, ist Deutschland“, sagt sie. „Kapellmeister“, diesen Titel trug sie am Theater in Bonn. In der männlichen Titelform, nicht in der weiblichen, die es offiziell auch gar nicht gab. Élizabeth begegnete in Bonn dem wilden, passionierten Theater- und Filmregisseur Werner Schroeter. „Abfallprodukte der Liebe“ heißt ihr wichtigster gemeinsamer Kinofilm (1996); die Schauspielerin Isabelle Huppert ist seither eine enge Freundin von Elizabeth.

Schroeter lebt nicht mehr. Auch der Opernimpresario Rolf Liebermann, der Elizabeth als junge Frau vom Konservatorium an die Pariser Oper holte, und der Choreograph Maurice Béjart, der sie stets „meine Babette“ nannte, sind nicht mehr auf dieser Welt. Was bleibt, sind neue Freunde – und was ebenfalls bleibt, ist die Musik. „Ich könnte ohne Mozart nicht leben“, sagt sie, quirlig, schwärmerisch, mit einem Hauch Pathétique in der Stimme. Ihr erstes Dirigat hatte sie mit „Die Hochzeit des Figaro“, Mozarts komödiantischem Lehrstück zu Treue und Promiskuität. Elizabeths Spezialität aber ist die schwerblütig-intensive Opernmusik von Richard Wagner. Für Béjarts viereinhalbstündigen „Ring um den Ring“ besorgte sie die musikalische Einrichtung, schuf aus den verschiedenen Wagner-Opern eine akzentuiert moderne, rhythmusstarke Collage.

KLANGGEWORDENE RAUSCHZUSTÄNDE

Auch im „Tod in Venedig“ gibt es neben Bach viel Wagner zu hören, als Klavierauszug oder auch als Orchesterfassung eingespielt. Isoldes Liebestod aus „Tristan und Isolde“ ist dabei und so manches Werk, das Wagner für Mathilde Wesendonck, die schriftstellernde Muse während seiner ersten Ehe, schrieb. Cooper begleitet das Hamburg Ballett mit diesen klanggewordenen Rauschzuständen nicht nur in Hamburg, sondern auch auf den Gastspielen: so in Baden-Baden, New York, Barcelona, in Venedig, zuletzt in Kopenhagen – stürmisch umjubelt – und im kommenden März wird es in Madrid sein. Es ist aber nicht so, dass Wagner Coopers Lieblingskomponist wäre: „Man kann immer wieder etwas Neues entdecken, das ist das Tolle an Musik, dass sie so vielseitig ist.“ Ihre eigenen Kompositionen sind cineastisch, erinnern mich an Tschaikowsky oder Sibelius, sie leben von wogenden Gefühlen und nie versiegender Hoffnung. Elizabeths Credo könnte in der Hoffnung liegen, die Musik bedeutet.

Dieses Verständnis von Musik fördert sie, indem sie alljährlich in den Sommern im Impérial Palace in Annecy, das in  Burgund und nicht weit von Genf liegt, ein kleines Festival für musikalische Nachwuchstalente leitet. Und kürzlich hat Cooper, ausgerechnet sie, diese friedliebende, mitunter vielleicht etwas hysterische, aber wirklich durch und durch friedvolle Person, vom französischen Verteidigungsminister einen für deutsche Ohren im Zusammenhang mit einer Künstlerin merkwürdigen Titel verliehen bekommen: Lieutenant-colonel (RC) – Réserve Citoyenne. Das ist der Rang eines Oberstleutnants, wenn auch ohne direkte Waffengewalt.

Ihre Hände sind ganz sicher nicht fürs Schießen gemacht, sondern fürs Musizieren. Und obwohl Elizabeths Statur zierlich ist, hat sie an den Oberarmen und an den Händen, vor allem an der äußeren Mittelhand, fühlbar starke Muskeln. Irgendwie spiegeln die ihre Power, die immer ausreicht, auch andere zu motivieren und mitzureißen. Coopers jüngstes eigenes Projekt ist ein Kammerorchester, mit dem sie am 24. November in Paris auftreten wird. Denn: „Dirigieren besteht nicht darin, autoritär zu sein. Sondern darin, alles zu geben.“
Gisela Sonnenburg

Elizabeth Cooper spielt am 22.10.14 und am 5.7.15 wieder im „Tod in Venedig“ in Hamburg.

Vorerst letzte Vorstellung: Während der Ballett-Tage am 5. Juni 2015 in der Hamburgischen Staatsoper

Siehe auch: „Die Liebe eines alternden Mannes“ im Ballett-Journal zur Inszenierung des Balletts:

www.ballett-journal.de/die-liebe-eines-alternden-mannes/

www.hamburgballett.de

UND BITTE SEHEN SIE HIERHINwww.ballett-journal.de/impresssum/

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