Es ist alles so putzig. Und doch so surreal. So schräg und doch so leicht verständlich! Etwa so: Wenn das kleine amerikanische Mädchen mit wilden Sprüngen seine Neugier austobt. Wenn das kubistische Pferd sich elegant vor dem Publikum verneigt. Wenn die beiden Manager mit wolkenkratzerhohen Aufbauten vorm Gesicht über die Bühne staksen. Ach, und wenn das wunderschöne blau-weiß illustrierte Akrobatenpaar die Liebe tanzt! Dann spätestens weiß man, dass man in einer herzzerreißend gefühligen Zauberwelt gelandet ist und keineswegs in einer plumpen Satire, wie man ob des Bühnenbilds vielleicht auf den ersten Blick denken könnte. „Parade“, dieses skandalös tolle Knüller-Ballett von 1917, wird heutzutage selten aufgeführt, und das hat es nicht verdient. Es bezeichnet die erste Zusammenarbeit von dem Komponisten Erik Satie mit dem bildenden Künstler Pablo Picasso und dem Schriftsteller Jean Cocteau, und als Vierter im Bund kam der Choreograf Léonide Massine dazu. Er schuf kongeniale Körpersprachen der parodistisch-liebevoll gezeichneten Figuren, die das Personal einer Schaustellertruppe zeigen. Das Ballett der Römischen Oper tanzt „Parade“ auf einer BluRay, die dieses Jahr bei Arthaus erschien – und komplettiert hat Lorca Massine, Sohn von Léonide, die Inszenierung. Die Wirkung der Sache: Man ist schlicht entzückt! Als zweites Stück kommt dann „Pulcinella“, ebenfalls von den Massines, ins Spiel – und wären die Kostüme hier nicht farblich so deutlich zu stark geraten, wäre auch dieses Tanzmikado ein Stück vom Besten.
Man sollte darum nicht kleinlich sein und sich diese beiden Genüsse alsbald gönnen.
Schon das musikalische Flair begeistert, aber auch das Bühnengeschehen – zum mit den Kostümen von Pablo Picasso und der ursprünglichen Choreografie von Léonide Massine – stimmt zugleich heiter und nachdenklich.
In „Parade“ triumphiert übrigens auch ein „Chinesischer Gaukler“, der ausschaut, als hätte Salvadore Dalí ihn entworfen. Niemand soll hier beleidigt spielen, weil das Asiatische wie eine Stilikone zitiert wird.
Zumal die Sprünge im langen Jackenhemd einfach köstlich rüberkommen!
Als Kontrastfigur zum „Kleinen amerikanischen Mädchen“ mit der übergroßen Schleife im Haar und dem plissierten Minirock muss der Osten einfach genau so präsent sein.
Beide, Westen und Osten, gehören hier zur symbolhaften Vorstellung der Welt als Schaubude – deren Tor ebenso ver-rückt ist wie der ganze wilde Zirkus, den wir gemeinhin „menschliche Gesellschaft“ nennen.
Die Idee, die hinter „Parade“ steckt, ist denn auch hoch philosophisch – und weil das Stück dennoch so knallbunt und scheinbar naiv wie Kindertheatertanz einherkommt, rühren die kleinen getanzten Psychogramme umso mehr.
Mehr Zusammenhalt als solistische Shows gibt es dann in „Pulcinella“, dessen Musik von Igor Strawinsky auf der Grundlage von Giovanni Battista Pergolesi entstand.
Sanft und einschmeichelnd sind die Klänge, aber die Atmosphäre auf der Bühne birst vor Spannung. Die clownesken Figuren der Commedia dell’arte werden hier wiederbelebt, allerdings mit viel mehr Hintersinn, als sie um 1700 imaginiert worden sind.
Es geht um Verehrung und Eifersucht, um Klatsch und Tratsch, um die Vortäuschung von Tod, um Liebe zu erwecken – und darum, wie man aus dem drögen Alltag einen witzig-dramatischen Kuddelmuddel machen kann.
Die Liebe siegt, es finden sich glückliche Paare, und trotz der merkwürdigen Gegensätze der hier oft zu knallig gewählten Farben in den Kostümen überwiegt der Eindruck, es handle sich um eine nächtlich geisterhaft lebendig werdende eigentümliche Szenerie.
Hätte man sich mehr an Pastelltöne gehalten, so stünden Bühne und Kostüme weniger im Gegensatz zueinander, man hätte eine stimmigere Szenerie. Aber auch so ist der munter-aufgeregte Tanz ein Augenschmaus.
Dass beide Ballette von Serge Diaghilev und seinen legendären „Ballets Russes“ in Paris zur Uraufführung gebracht wurden, dürfte bekannt sein. Hier nun ist es die beste Gelegenheit, sich daran zu erinnern – und diese Erinnerung mit sinnlicher Freude zum bevorstehenden Fest als Geschenk weiterzugeben.
Gisela Sonnenburg
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