Nein, das ist heute kein Tag der Welthungerhilfe. Wer sich das mit diesen Extra-Tagen für irgendwas überhaupt ausgedacht hat, ist mir sowieso schleierhaft. Aber Eines steht seit heute fest: Es gibt ihn, den WORLD TUTU DAY. Also kann man nicht nur – seit Ende des 19. Jahrhunderts – den Vatertag (stets und überall an Christi Himmelfahrt zu begießen) feiern und seit etwa 1914 zudem sowohl den Muttertag (an einem Sonntag im Mai) als auch den Internationalen Frauentag (zuverlässig am 8. März). Sondern – und zwar nochmals zwei Monate früher – große und kleine Ballerinen haben jetzt auch ihren eigenen Ehrentag. Und das ist doch richtig sympathisch: dass ein Kleidungsstück mit soviel Symbol- und Strahlkraft, wie das TUTU es hat, nun auch seinen eigenen Gedenktag hat. Immerhin handelt es sich ja auch um das Populärsymbol des Ballerinentums schlechthin! Da kann auch das Ballett-Journal nicht umhin, wirklich zufällig just gestern abend gemachte eigene Gag-und-Schmonzetten-Fotos zu veröffentlichen.
Kurz was zur Geschichte des TUTU: Das Wort ist französich und wird „Tütü“ ausgesprochen. Es kommt aus der Kindersprache, ist ein Kosename.
Ursprünglich war das TUTU etwa wadenlang und mehr ein blickdichter Tüllrock als das, was wir heute unter Teller-Tutu verstehen.
Mit der Zeit wurde das Bedürfnis, die Beine der Tänzerinnen zu sehen, größer, verständlicherweise – und die Ballettröcke wurden kürzer.
Was auch der Beinfreiheit beim Tanzen zu Gute kam.
Zudem fanden die findigen Theaterleute heraus, dass mehrere Schichten von Tüll in nach unten immer kürzer werdender Länge einen unwiderstehlichen Standeffekt bewirken.
Die ersten Teller-Tutus, so etwa in „Schwanensee“ ab 1877, wippten aber beim Stehen noch locker bis über das Knie – und erst mit zunehmender Freiheit der Bühnenkünste durften TUTUs auch ohne Sprung- und Hebemanöver die Oberschenkel der Tänzerin zeigen.
Heute gibt es da zum Glück keine Keuschheitsbedenken mehr (wir wollen diese auch gar nicht wieder zurück!), sondern wir können die Vielfalt der Formen und Farben auch beim TUTU entspannt genießen – und erklären darum feierlich:
Wir geloben, das TUTU stets zu ehren und zu würdigen (sofern es einigermaßen geschmackvoll gestaltet ist), und wir fordern zudem für jeden Menschen, der tanzen kann oder tanzen können möchte, das Recht auf ein eigenes TUTU!
Und zwar unabhängig von Geschlecht, Alter, Rasse, Religion, Körpergröße, Gewicht…
Fragen Sie mich nun bitte nicht, wer sich das dann alles ansehen soll, aber stellen Sie sich das bitte einmal bildlich vor:
Sie gehen in den Supermarkt – und vor Ihnen an der Kasse steht eine weiße TUTU-Mieze.
Oder ein bunter TUTU-Kater.
Oder eine ganze Schar von Frauen und Männern in unterschiedlichen TUTUs…
Und dann erst die Kinder… alle in TUTUs!
Damit das möglich ist, sollte das TUTU in die offizielle Liste der bedrohten Kleidungsstücke aufgenommen werden, obwohl zuzugeben ist, dass das TUTU sich in Ballettkreisen großer Beliebtheit erfreut und auch jenseits des Karnevals keineswegs als Seltenheit gelten muss.
Zum Glück!
Denn das TUTU steht für das Ballett an sich – und zwar für klassisches Ballett wie für modernes – und es symbolisiert darüber hinaus augenfällig die Verschmelzung von Schönheit und Frivolität, von Offenheit und Authentizität.
Wenn man so will: Es gibt kein anderes Kleidungsstück, nicht mal das „Kleine Schwarze“ von Coco Chanel, das so stark die Werte emanzipierter Feminität in unserer Gesellschaft auf den Punkt bringt wie das TUTU.
Dass auch männliche Tänzer Spaß am Tragen des TUTU haben und hier aber im Sinne der Travestie noch Einiges nachzuholen ist, nun ja, gehört zum Lauf der Welt und wird sicher (nach viel harter Aufklärungsarbeit, die noch ansteht) bald zur Folge haben, dass das TUTU gleich nach der Jeans das Lieblingskleidungsstück der meisten Männer werden wird.
Ich habe da gar keinen Zweifel. Sie etwa?
Bis dahin bedanke ich mich beim gütigen Spender, der das auf den Fotos zu sehende TUTU aus einem Theaterfundus für mich auftrieb – es wurde mal bei einer „Tschaikowsky-Gala“ in Berlin getragen, und zwar von einer Ballerina namens Frau oder Fräulein Dornbusch (ihr Namensschild ist noch eingenäht). Vielen Dank fürs Eintanzen!
Ob es damals das Dress der Bergkristallfee aus „Dornröschen“ war oder eher einer Art Regengöttin zugeeignet, sei mal dahin gestellt.
Die weißen Schühchen (mit Größe 38 etwas knapp) verfügen über eine ganz feine, kleine Stehfläche, wie das in den 60er Jahren Mode war – und sie stammen auch noch von dem einst berühmten Spitzenschuhmeister Eugen Zubiller aus Ravensburg. Echte Qualitätsschuhe, also Liebhaberstücke!
Dass sie mit viel Liebe handgefertigt sind, sieht man ihnen an.
Danke auch hierfür an den großmütigen Spender!
Dass meine pedale Vorgängerin, die die kleinen, indes ganz unbenutzten Meisterwerke auf der Bühne tragen sollte und deren Name in den Schuhen verzeichnet ist, zudem „Fräulein Schreiber“ hieß, finde ich nachgerade ein Omen.
Immerhin bin ich eine Schreiberin… und wäre das auch mit dem Familiennamen „Tänzer“.
Aber Ballett und ein TUTU heben immer die Stimmung.
Nostalgie, Nostalgie – wir haben ja noch die Zeit des Karnevals (in München sagt man „Fasching“), und bis Aschermittwoch mindestens dürfte es für meinen Geschmack noch viel öfter Tage des TUTU geben.
Oder auch Nächte der TUTUs… Ich bin ja fast für ganze Monate der TUTUs…
Ihnen sei nun ein fröhlicher Ausklang und erfolgreiches Nachsinnen über den Sinn und das Wesen, über die Einzigartigkeit und die Poesie des TUTU gewünscht – und vergessen Sie bitte nicht Ihre längst überfällige Spende ans Ballett-Journal! – Herzlichst –
Gisela Sonnenburg
Zugabe:
P.S. Und hier bitte die Kontonummer für Ihre nun wirklich angesagte Spende: