Avantgarde mit Herz und Hirn In der BallinStadt, Hamburgs Auswanderermuseum, tanzten Flüchtlingskinder mit dem Bundesjugendballett, am 55. Jahrestag des Berliner Mauerbaus

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Blumen für die Darsteller: Die internationale Zusammensetzung vom Bundesjugendballett ließ sich dieses Mal von Kindern und Jugendlichen, die unter anderem aus dem Irak und aus Syrien nach Hamburg kamen, unterstützen. Eine mitreißend-gefühlvolle Show! Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Ankommen. In einem neuen Land, in einer neuen Heimat – das ist nicht nur leicht. Mehr noch: Man ist darauf angewiesen, dass einem geholfen wird. Wer gemobbt wird, weil er eine dunklere Hautfarbe oder schwarze Haare hat – und solche Vorgänge gibt es seit Aufkommen von Pegida und der AfD im öffentlichen Raum immer häufiger – fühlt sich zurecht in seiner Menschenwürde angekratzt. Aber man muss für eine gerechtere Welt kämpfen, als Betroffener ebenso wie als Einheimischer, und nur wenn Menschen mit Herz und Hirn an einem Strang ziehen, können wir von zivilisatorischem Fortschritt sprechen. Das Bundesjugendballett (BJB) ging jetzt in die BallinStadt, Hamburgs Auswanderermuseum, und bot, nach zweiwöchigem Workshop im Ballettzentrum, eine rührend-mitreißende Show mit sechzehn Flüchtlingskindern.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Sie halten toll zusammen, obwohl sie aus verschiedenen Ländern kamen und es nicht einfach haben: Die Künstler vom 13. August 2026 aus der Hamburger BallinStadt, dem Auswanderermuseum. Foto: Gisela Sonnenburg

Da wurde Multi-Kulti-mäßig abgetanzt, Orient und Okzident prallten auf der aufgebauten Bühne aufeinander, und zu Beginn wie am Ende der knapp einstündigen Show zeigten die sechzehn Kinder und Jugendlichen und die hier sieben BerufstänzerInnen vom BJB, dass man Hand in Hand viel erreichen kann.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Blumen für alle, auch für den Künstlerischen und Pädagogischen Leiter vom BJB, Kevin Haigen (mittig). Das Publikum in der BallinStadt in Hamburg war ebenso begeistert wie die Darsteller! Foto: Gisela Sonnenburg

BJB-Chef Kevin Haigen hatte mit viel Sorgfalt neue Choreografien ersonnen und weitere aus dem Repertoire ausgesucht, um in elf Einzelstücken ein Flair von Sehnsucht und Heimweh, von Hoffnung, Trauer und Mut zu kreieren, das den Themen „Migration“ und „Flucht“ entspricht.

Da wurde unter dem eher sachlichen Titel „Präsentation Tanz-Workshop“ mal offensiv gerappt – mit Direktheit wie mit Poesie – und mal ganz feinsinnig ein gefühlvolles afghanisches Volkslied gesungen.

Auch die Choreografie „Discovering New“ von der Chinesin Zhang Disha, die damit an ihr bereits bekanntes Stück „How Beautiful is Heaven“ anknüpft, rührte zu Tränen. Wieder geht es im Stück um eine todkranke Frau, die ein Kopfkissen (dieses Mal ein kleineres) als Sinnbild ihrer Krankheit betanzt.

Minju Kang, eine der besten Tänzerinnen, die das Bundesjugendballett je hervorbrachte (und die leider Hamburg bald in Richtung Northern Ballet in Leeds, England, verlassen wird) tanzte hier mit dem Kopfkissen als Todesmal so eindringlich, dass man sich keineswegs auf einem soziokulturellen Ringelpiez wähnte, sondern einen leisen Höhepunkt der Ballettkunst in Deutschland erlebte.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Eine Armbewegung kann schon soviel aussagen – hier Joel Paulin vom Bundesjugendballett in der BallinStadt. Foto: Gisela Sonnenburg

Ich erinnere mich noch gut an den ersten April dieses Jahres, als das BJB Zhang Dishas „How Beautiful is Heaven“ in einer kleinen privaten Hamburger Kultureinrichtung zeigte. Doch damals klappte es noch nicht, die technischen Finessen mit dem sehr ernsten, dennoch erhabenen Gefühl der Choreografie zu verbinden – das Stück wirkte damals fast banal, zumal ich die viel intensivere Interpretation chinesischer Profis von der Nijinsky-Gala 2015 beim Hamburg Ballett noch im Kopf hatte.

Aber bereits beim Auftritt in der Hamburger Kunsthalle im Mai diesen Jahres zeigte Minju Kang, was sie kann, wenn sie ein Stück wie den anspruchsvollen „Heaven“ von Zhang Disha genügend geprobt und sich damit beschäftigt hat. Sie war hinreißend damit.

Jetzt, in der BallinStadt, bot sie nochmals eine Steigerung dessen – sie balancierte mit dem Kissen zwischen Kopf und Arm so erlesen todessüchtig, dennoch ums Leben kämpfend, dass es zutiefst zu bedauern ist, dass sie nicht in Hamburg bleibt.

Minju Kang, die aus einer Tänzerfamilie im koreanischen Seoul stammt, wird übrigens selbst erneut zur Migrantin mit ihrem Wechsel nach Leeds. Auch wenn es bei international arbeitenden Künstlern gang und gäbe ist, das Land für ein neues Engagement zu wechseln – es ist doch immer ein gravierender Wechsel der äußeren Umstände, unter denen man lebt und arbeitet.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Minju Kang aus Korea, eine der besten Tänzerinnen, die das seit 2011 bestehende Bundesjugendballett je hervorbrachte, tanzt demnächst beim Northern Ballet in England. Hier beim Applaus in der BallinStadt! Foto: Gisela Sonnenburg

Gerade für Frauen spielt das Umfeld eine Rolle.

Junge Frauen kamen denn auch nicht zu kurz in der BJB-Tanzshow in der BallinStadt: Obwohl die Mehrzahl der ankommenden Flüchtlinge männlich ist, gab es hier auch starke Ausdrucksmöglichkeiten für die Mädchen.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

MIt und ohne Kopftuch: Tanz funktioniert als Kommunikationsmittel. Hier in der BallinStadt, Hamburgs Auswanderermuseum, am 55. Jahrestag des Berliner Mauerbaus. Foto: Gisela Sonnenburg

Eines tanzte mit einem Kopftuch, das immerhin den Pony frei ließ. Bei aller Toleranz Kopftüchern gegenüber: Sie sind sichtbare Zeichen gegen die Aufklärung. Ein Kopftuch zu tolerieren, muss nicht heißen, es als Ideal anzusehen. Es steht dem demokratischen Wert der Aufklärung entgegen. Das gilt übrigens auch für Nonnen.

Die Lichtverhältnisse in der BallinStadt-Show waren übrigens auch im Zuschauerteil hell, wodurch man nicht zu sentimal werden konnte. Beim Thema von Flucht und Vertreibung durchaus sinnvoll. Auch die jungen Mitwirkenden konnten sich so gut einbringen – ohne Blendung durch Scheinwerfer oder Verlust des Augenkontakts mit den anderen.

Eine zu Beginn und auch später noch einmal eingesprochene Textcollage fokussierte dennoch die Gefühle auf das Hauptthema der Veranstaltung:

„Mein Herz ist sehnsüchtig.“

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Drei ganz junge Talente, die mit dem Bundesjugendballett die Zuschauer tanzgerecht zu den Themen Flucht und Migration brachten. Alle Achtung! Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Dann wurde aufgezählt, was ein junger Mensch in der Fremde so alles vermissen muss! Vom Duft des Schleiers der Mutter (gemeint ist natürlich der Duft ihrer Haare, denn Schleier duften nicht, aber Haare sind Träger persönlicher Geruchsstoffe) über die vom Vater erhaltenen Belohnungen. (Warum dürfen eigentlich die Mütter nicht auch belohnen?)

Vom alten Lehrer, an den man sich gern erinnert, bis zu einem bestimmten Spielzeug, das man nie wieder sehen wird. Vom Teetrinken, sicher mit Freunden oder in der Familie, bis zum Geruch von regenfeuchtem Sand, der in der Heimat eine ganz andere Beschaffenheit hatte als in Europa.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Applaus, wohlverdienter, für das Bundesjugendballett und seine Gäste auf der Bühne in der BallinStadt! Foto: Gisela Sonnenburg

Kein Zweifel: Hier standen Individuen vor uns, die nicht nur ihre Namen deutlich ins Mikrofon sprechen und miteinander Tanztheater machen konnten, sondern die auch die Bewältigung ihres Schicksals als Aufgabe angenommen haben.

Es überwogen aber trotz des ernsten Themas die fröhlichen, auch zum Mitklatschen geeigneten Passagen. Musik und Klatschrhythmen als einigendes Band zwischen Darstellern und Publikum – die Vereinbarkeit verschiedener Kulturen ist selten so plastisch zu erleben wie bei dieser Vorstellung.

Niedliche Kinder, eifrige Jugendliche, hübsche Mädchen und sportliche Jungs gaben also ihr Bestes, um – unterstützt von den hervorragend ihre Schützlinge unterstützenden agierenden BJB-Tänzern – verschiedenen Stimmungen in getanzten Szenen Ausdruck zu verleihen.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Getanzte Welt in Harmonie: Orient und Okzident stehen zueinander, hier mit Ishika Popat im roten Glitzerfolklorekleid und mit Giorgia Giani vom Bundesjugendballett hinter ihr. Foto: Gisela Sonnenburg

Was für eine wertvolle Art, Ballett zu einer sozialen Avantgarde weiterzuentwickeln!

Ballett als Avantgarde mit Herz und Hirn.

Mit dem hochnäsig herumstelzenden Schönheitsgetue, das manche (auch Insider) mit „Ballett“ verwechseln, hat das so gar nichts zu tun

Da schwang die tolle Giorgia Giani vom BJB, die hier auch sehr gut mit den kleinen Kindern umging, ihre schönen Spitzenschuh-Füße. Und sie tat es umso graziler, als gleich neben ihr die etwas mollige Ishikat Popat, ein Flüchtlingsmädchen, in einem rotglitzernden Folkoregewand die Arme indisch-orientalisch schlängeln ließ.

Beide Mädchen stehen für etwas, das lebens- und liebenswert ist, und beide nehmen ihr Recht darauf wahr, sich nebeneinander zu zeigen.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Ishika Popat schlängelt sich im roten Glitzer-Folklore-Outfit durch ihren Auftritt, während Giorgia Giani hinter ihr die Spitzenschuhe schwingt. Eine tolle Mischung! Foto: Gisela Sonnenburg

So kämpft das Bundesjugendballett mit seinem Medium, dem Tanz, für eine gerechtere Welt, und es ist nur zu schade, dass diese Performance nach aktuellem Stand der Dinge wohl einmalig bleiben wird.

Die Besetzung des BJB war dieses Mal eine Mischung aus der Noch-Besetzung und der im September wechselnden Neubesetzung.

Es tanzten: Sara Ezzell, die schon erwähnten Giorgia Giani und Minju Kang, außerdem Charlotte Larzelere und Larissa Machado bei den Damen.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Giorgia Giani vom Bundesjugendballett (sie wechselt bald ins Hamburg Ballett) in der Show in der BallinStadt. Toll! Foto: Gisela Sonnenburg

Bei den Herren waren es nur drei, die umso stärker im Einsatz waren: Tilman Patzak, Joel Paulin und Ricardo Urbina Reyes. Letzterer, diese Talent-Entdeckung aus der Ballettschule Hamburg – John Neumeier, nennt sich derzeit wieder dreiteilig, nachdem der letzte seiner beiden mexikanischen Nachnamen bei einem Auftritt im Juni entfallen war; man darf gespannt sein, wie es da namenstechnisch und auch sonst weiter gehen wird.

Yohan Stegli, Ballettmeister, Choreograf und Stellvertretender Leiter vom Bundesjugendballett, bewies jedenfalls ein sehr gutes Gefühl fürs Timing, um den Kindern und Jugendlichen Zeichen zu geben, wann sie dran sein würden.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Eine immense Arbeit steckte hinter der gelungenen Aufklärungsarbeit via Bühnentanz: Das Bundesjugendballett und seine Gäste nach der Show am 13. August 2016 in der BallinStadt in Hamburg. Foto: Gisela Sonnenburg

Es ist schon bewunderungswürdig, wenn hochkarätige Profis so intensiv, liebevoll und ergebnisträchtig mit Laien arbeiten können, wie die Macher vom BJB.

Damit haben sie dem Ballett wirklich neue Wege erschlossen – allerdings sollte man nicht glauben, das sei einfach gewesen, auch wenn es leichthin so organisch und selbstverständlich wirkt.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Joel Paulin tanzte eine besonders diffizile Passage: mit einem Bilderrahmen illustrierte er einen Beitrag zum Thema „Narziss“, denn auch solche Phänomene sind bei Flüchtlingen erlaubt. Foto: Gisela Sonnenburg

Viele Proben, eine gute Organisation, ein funktionierendes Konzept – hinter der Show stand offenkundig sehr viel Arbeit…

Und natürlich wurden hier keine schwer traumatisierten oder soeben erst nach Deutschland angereisten Kinder für die Tanz- und Theaterarbeit ausgewählt. Dann hätte man vermutlich keine so vorzeigefitte Show in nur zwei Wochen erarbeiten können.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Der auf dem Tisch tanzt: Dynamik und Rhythmik kennen keine Landesgrenzen… So zu sehen in der BallinStadt, als dort das Bundesjugendballett mit Gästen von der Stiftung Children for Tomorrow auftrat. Foto: Gisela Sonnenburg

Ohnehin kam der Anstoß zu dem Tanz-Projekt von der Hamburger Stiftung Children for Tomorrow, die die ehemalige Tennisspielerin Steffi Graf schon 1998 auf dem Gelände des Universitätsklinikum Eppendorf ins Leben rief.

Diese Stiftung wählte nun Kinder und Jugendliche aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern aus. Es sind Kinder, die die Stiftung schon gut kennt und die sich bereits einigermaßen in Hamburg eingelebt haben. Man wollte es ihnen ermöglichen, sich mit einer tänzerisch-künstlerischen Arbeit auszuprobieren und für die persönliche Entwicklung von der Kooperation mit dem BJB zu profitieren. Das klappte vorzüglich, wie die strahlenden Augen der kleinen und größeren Darsteller bezeugten!

Als Ort für den Event ist die BallinStadt selbstredend optimal gewählt.

Nicht alle Einwohner Hamburgs, ob Einheimische oder Zuwanderer, wissen übrigens, dass es dieses fantastische Museum überhaupt gibt.

DAS MUSEUM BALLINSTADT LOHNT SICH AUCH OHNE TANZSHOW!

Na, aber nichts wie hin! Nahe dem S-Bahnhof Veddel wird in der BallinStadt auf dem Areal der früheren Auswandererhallen in Pavillons mit Klinkerfassade auf die Geschichte und Bedeutung von menschlicher Migration anschaulich aufmerksam gemacht.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Noch einmal Larissa Machado und Ricardo Urbina Reyes vom Bundesjugendballett in der BallinStadt. Ein schönes Paar! Foto: Gisela Sonnenburg

Auch ohne Tanzerlebnis ist dieses Museum die etwas aufwändige Anfahrt und das nicht ganz billige Eintrittsgeld (zwölf Euro pro Erwachsenen) unbedingt wert.

„Unsere Welt ist im Wandel, seit Jahrtausenden“, erzählt eine Stimme aus dem Off, während man sich Installationen zum Thema ansieht.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Auch im 19. Jahrhundert war das Auswandern für viele lebensgefährlich. Hier die Kojen eines Dampfers, der Ausreisewillige von Hamburg in die USA brachte – sofern sie nicht auf der wochenlangen Überfahrt starben. Zu sehen in der BallinStadt in Hamburg. Foto: Gisela Sonnenburg

Da sind Kojen aus den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts nachgebaut: In ihnen überstanden oder starben Ausreisewillige die sechs- bis achtwöchige Überfahrt von Hamburg aus nach Amerika. Es gab Tote, und hier wird das, anders als in vielen Büchern und Filmen zum Thema, nicht verschwiegen.

Das Boat People Phänomen hat im Grunde hier seinen Beginn, wenn auch die Auswanderer damals nicht illegal waren.

Aber auch die jüngere deutsche Geschichte findet Eingang in das Museumsgeschehen, wenn man auf den himmelblauen Trabi stößt, der hier aufgebaut ist, als wolle er einen mitnehmen und sogleich losfahren.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Ein blauer Trabi steht für die Maueröffnung 1989 – und das am Jahrestag des Mauerbaus zu sehen, ist besonders nett! Foto aus der BallinStadt in Hamburg: Gisela Sonnenburg

Tatsächlich war der Tag des Auftritts vom Bundesjugendballett der 55. Jahrestag des Berliner Mauerbaus – und sich da mit dem Thema Migration zu beschäftigen, ist doppelt pikant.

Wohl jede und jeder, die oder der damals lebte, erinnert sich an die Stürme des Aufbruchs und der Willkommensstimmung, als am 9. November 1989 die Mauer fiel.

Aber auch ihr Bau war nicht für alle mit Schmerz und Hass verbunden.

Denn es gab Menschen, die hofften, dass auf diese absurde Art der Wirtschaftsboykott, den der Westen schon damals gegen die DDR ausführte und der die Abwanderung aus der DDR beförderte, kompensiert werden könne. Es war keine Heldentat, eine ganze Staatsbevölkerung einzusperren. Aber es war der Versuch, einen sozial gerechten Staat gleichsam wie unter einer Käseglocke zu schaffen.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Giorgia Giani und Ricardo Urbina Reyes vom Bundesjugendballett in der Hamburger BallinStadt am 55. Jahrestag des Berliner Mauerbaus. Foto: Gisela Sonnenburg

Und bei allem Unrecht, das in der DDR geschah, muss auch verzeichnet werden: Frauen hatten in der DDR viel bessere Chancen auf Gleichstellung und Emanzipation als heute in Deutschland, und auch wenn die Versorgungslage begrenzt war, gab es faktisch weder Obdachlose noch eine Verarmung und Verelendung, wie es heute in unserem Land in breiten Schichten auch außerhalb der Migranten zunehmend der Fall ist.

Man neigt ja gerade in der parfümierten Ballett- und Opernwelt dazu, zu vergessen, was draußen, außerhalb der Ballettsäle und Theaterhäuser, eigentlich wirklich los ist.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Zwei Generationen, zwei Schicksale: Die Tänzerin und das Flüchtlingskind, zu sehen in der BallinStadt in Hamburg am 13.8.2016. Foto: Gisela Sonnenburg

Unser Land spaltet sich indes immer krasser in Habende und Nichthabende, wobei es eher zu einem Absturz von Habenden in die Klasse der Nichthabenden kommt als zu den so gern gepriesenen Fällen von sozialem Aufstieg in die Klasse der Habenden.

Aufstiege finden derzeit vielmehr von den Habenden in noch reichere Kreise statt: aus normalen, wohlhabenden Bürgern werden, etwa über Immobiliengeschäfte, Millionäre. Da kaufte sich jemand vor zwanzig Jahren eine Eigentumswohnung – und ist auf einmal Millionär damit, weil der Preis so stark stieg. Solche Fälle gibt es häufig.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Ein Blick in die Ausstellung im Auswanderermuseum BallinStadt in Hamburg: Stelltafeln können so Einiges an Gedanken anregen… Foto: Gisela Sonnenburg

Und aus einigen dieser Millionäre oder ihrer Kinder werden im Nu auch Milliardäre, durch viel Glück, weniger durch Verstand oder Leistung, während viele an sich klassische Mittelschichtler in verdeckte oder auch unübersehbare Armut abstürzen.

Das ist die eher traurige als beglückende Wahrheit in Bezug auf die soziale Realität in Deutschland. Sie wird offiziell und in den Mainstream-Medien gern verschwiegen. Man kann sie sehr gut selbst erfahren, wenn man in den ärmeren Vierteln einer deutschen Stadt zum Beispiel mit der U-Bahn oder mit dem Bus fährt. Kreuzberg und Neukölln, Marzahn und Lichtenberg, aber auch Wedding und Tiergarten geben hier in Berlin viel Aufschluss.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Eine Reihe zu bilden ist nicht dasselbe, wie eine Reihe zu bilden. Tänzer vom BJB in Aktion, in der BallinStadt, auf der Bühne. Foto: Gisela Sonnenburg

Einem Flüchtling erscheint diese deutsche Realität dennoch wie das Paradies, logischerweise, denn wer dem Tod so gerade so eben entkam, der hat zunächst noch kein neues Ideal von Mittelschicht, Kultur und Zivilisation. Der will erstmal nur leben.

Gerade darum sind die Flüchtlinge bei Politik und Wirtschaft so beliebt: Sie sind unkritisch. Sie wollen auch für wenig Geld viel arbeiten. Sie sind robust, nicht kränklich, sonst hätten sie die Strapaze der Flucht nicht überlebt. Und: Sie wollen zumeist viele Kinder in die Welt setzen, wodurch in Zeiten der Überbevölkerung die Reichen immer noch reicher und die Armen immer noch ärmer werden. Das gefällt der Industrie, das gefällt der Oberklasse – und somit auch der Regierung.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Gruppenbild mit Blumen beim Applaus: Das Bundesjugendballett und seine Mitstreiter beim Schlussapplaus am 13.8.16 in der BallinStadt in Hamburg. Foto: Gisela Sonnenburg

Noch einmal an dieser Stelle ein Lob der DDR, weil man so selten Gelegenheit dazu hat (wann sieht man schon mal einen blitzblank geputzen, himmelblauen Trabi?): Man kroch in der DDR nicht, wie in der BRD, immer wieder alten Nazis und ihren geistigen Nachkommen hinten rein, sondern man investierte viel geistige Kraft, um einen Antifaschismus von innen erstehen zu lassen. Mit Denkmälern und Pseudoaufklärung gab man sich jedenfalls nicht zufrieden.

Und, auch das ist im ballett-journal.de ein Argument: Ballett war in der DDR nicht – wie im Westen – eine von vielen Vorurteilstrukturen missachtete, sondern vielmehr eine hoch geachtete Kunst, die bei der gesamten Bevölkerung flächendeckend sehr beliebt gemacht worden war. Etwas, das der Westen bis heute nicht so richtig geschafft hat, weltweit nicht.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

In der BallinStadt in Hamburg ist ein Schlafsaal von Schiffsanwärtern von 1904 nachgestellt. Foto: Gisela Sonnenburg

Inwieweit man Menschen, die in eine Zivilisation mit einer bestimmten Kultur kommen, nun davon abhalten kann, selbst rassistisch, sexistisch oder kriminell zu agieren, kann man in einer einzigen Workshop-Show nun ganz sicher auch nicht abschließend klären.

Es geht um das Annehmen einer anderen Kultur, nicht im Sinne des Nachträllerns von Schlagertexten, sondern im Sinne von Aneignung zivilisatorischer und demokratischer Werte. Dazu gehört für Migranten die Neuauslotung von Rechten und Pflichten.

WER HILFT EIGENTLICH?

Hierzu fehlen die Workshops, die eigentlich umfassend sein müssten.

Immerhin aber hat auch der Tanz eine gewisse Wirkungskraft.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Die historischen Säle sahen aber wohl noch viel schlimmer aus. Hier ein Bild vom Bild, um sich ein Bild zu machen – aus der BallinStadt in Hamburg. Foto: Gisela Sonnenburg

Junge Menschen sind meistens offen für Neues. Man kann also hoffen, dass in ihnen durch das Tanzen etwas geweckt wird, das sie dazu bringt, sich auch sexuell und politisch besser aufklären zu lassen als beispielsweise ihre Eltern. Und das gilt nicht nur für Migrantenkinder!

Solange allerdings Profitdenken menschliches Handeln bestimmt, solange wird es auch krasse Ungerechtigkeiten geben, solange wird es Unterdrückung und Ausbeutung geben. Zweifelsohne.

Solange wird es auch Umweltausbeutung in Richtung einer Totalerschöpfung der Böden und Meere geben – und solange wird es auch Kriege und andere Zwangsverhältnisse geben, die auf unschuldige Kinderseelen herzlich wenig Rücksicht nehmen.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Abzuwandern ist ganz normal, wenn die Lebensbedingungen unerträglich werden. Es war denn auch nicht alles munter und lustig, sondern es gab auch Traurigkeit und Melancholie auf der Bühne in der BallinStadt, als das Bundesjugendballett dort mit Flüchtlingskindern tanzte. Foto: Gisela Sonnenburg

Abzuwandern ist da ganz normal – die Frage ist nur, wie man damit umgehen will, dass nicht mehr nur Minderheiten, sondern, wie im Fall von Syrien, aber auch schon im Fall der DDR, Bevölkerungsmehrheiten abwandern wollen. Die DDR reagierte mit dem Mauerbau. Syrien hingegen lässt seine Fluchtwilligen ziehen – und belässt die verbliebene Bevölkerung in Angst und Schrecken.

Das ist in der Tat ein relativ neues Phänomen: dass es so vielen Menschen, wenn auch unter Einsatz ihres Lebens, möglich ist, die Flucht anzutreten.

Eine global gedachte Bevölkerungspolitik scheint da immer stärker notwendig.

Menschen in allen Ländern und aus allen Religionen sollten sich an den Gedanken gewöhnen, dass es sinnvoller ist, weniger neue Menschen zu produzieren, als stetig für eine noch größere Dichte an Menschen zu sorgen.

Kinderlosigkeit muss also chic werden – und die gängige Großfamilie muss langfristig für out erklärt werden. Jedes Ding hat seine Zeit! Überall auf der Welt.

Und suchen wir nicht neue Werte?

Es wird Zeit, darüber öffentlich und laut nachzudenken. Auch wenn das den Politikern, die an der Macht sind, und der Industrie, die sie gängelt, nicht schmeckt.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Auf dem Tisch verliert man vielleicht den Überblick nicht… ein Moment aus der Show des Bundesjugendballetts mit Flüchtlingskindern der Stiftung Children for Tomorrow in der BallinStadt in Hamburg. Foto: Gisela Sonnenburg

Ohnehin, so betont auch eine Stelltafel in der BallinStadt, ist die weltweit am häufigsten praktizierte Migration bereits die so genannte Binnenmigration: Leute ziehen innerhalb eines Landes um, zumeist, um ihre berufliche Situation zu verbessern. Sie geben ihre Heimat auf, nicht nur aus Begeisterung für das Fremde, sondern weil sie sich dort eine Verbesserung erhoffen. Sie flüchten vor weniger guten Zuständen.

Allerdings bleibt die überwältigende Mehrheit der Menschheit – einfach aus Mangel an Mitteln, um umzuziehen – ihr Leben lang an einem Ort verhaftet.

Auch das wird in der BallinStadt mitgeteilt:

98 Prozent, so will die Statistik laut BallinStadt wissen, kommen aus dem Kaff oder Moloch, in dem sie geboren wurden, kaum heraus. Ob in Afrika, in Südamerika oder in Asien. Aber: Hätten diese Menschen die Möglichkeit dazu, sie würden auswandern, wenn das ihr Lebensniveau deutlich erhöhen würde. Das ist doch logisch.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Giorgia Giani, die einfach immer eine gute Figur macht und auf Fotos selten wackelt, in der BallinStadt beim Auftritt des Bundesjugendballetts mit Flüchtlingskindern. Foto: Gisela Sonnenburg

Lieber in der Fremde satt werden und medizinisch gut versorgt werden, als in der Heimat an Hunger, Seuchen oder Krieg zu sterben. Ein Mensch, der nicht so denken würde, wäre nicht normal.

Das Problem: Alle, die noch laufen können, rüsten sich, um aus Problemzonen zu entkommen. Niemand kämpft vor Ort mehr für eine bessere Gesellschaft, niemand stürzt die Tyrannen. Niemand gründet in Syrien noch eine neue Partei oder politische Richtung, ja niemand hält es auch nur für möglich, dem Terror und dem Schreckensregime dort noch irgendetwas entgegen halten zu können. Täglich werden Menschen dort aus geringem oder auch ohne Grund öffentlich gefoltert und hingerichtet – und die Welt sieht zu. Wer kann, flieht. Logisch.

Diese Länder bluten aus.

Ob das als Strategie für die Menschheit taugt, wird sich zeigen. Vorerst scheint es so, dass Gewalt und Terror sich sehr gut durchsetzen können, unter Verlust ihrer Grundlage, der Bevölkerung. So kommt es, dass es verstärkt Meldungen gibt, warum der IS auf absehbare Zeit erlahmen wird.

Die zunehmende Überbevölkerung auch in den friedlicheren Ländern – und sei es auch durch millionenfach auftauchende Migranten und ihre Nachkommen – stellt indes ein weiteres, ganz anderes Problem dar.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Larissa Machado und Ricardo Urbina Reyes vom Bundesjugendballett in Aktion in der BallinStadt. Foto: Gisela Sonnenburg

Kein Einzelner hat daran Schuld, sondern eine Industrie, die immer billigere Arbeitskräfte sucht, um immer schlechtere Produkte herzustellen und diese an immer unkritischere Konsumenten zu verkaufen.

Hier müssen die heutigen Migranten als Manövriermasse herhalten. Man benutzt sie, um den Stundenlohn im Land unter der Hand zu drücken. Man benutzt sie, um ihnen minderwertige Produkte zu verkaufen. Man verdient an ihnen sehr gut, wenn man Industrieller ist.

Es gibt bereits eine Zwei-Seiten-Gesellschaft.

Offiziell gibt es den Mindestlohn. Aber faktisch gibt es viele deutsche und ausländische Arbeitnehmer, die für viel weniger Geld und ohne die entsprechende soziale Absicherung arbeiten. Sonst würde diese Wirtschaft nicht funktionieren.

Offiziell gibt es ebenfalls ein fantastisches Vertragsrecht. Aber faktisch unterzeichnen viele aus Not heraus schlechte Verträge, gegen die sie dann auch nicht juristisch angehen können.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Es gibt die Habenden und die Nichthabenden – die jungen Künstler, die am 13.8.16 mit dem Bundesjugendballett in der BallinStadt in Hamburg auftraten, wissen das vermutlich. Foto: Gisela Sonnenburg

Es gibt also weiterhin die Habenden und die Nichthabenden, und die aktuelle Migrantenflut stärkt diese fatale Entwicklung, ohne es zu wollen. Derweil fehlen in der Politik die Konzepte – und oftmals wird der Handlungsbedarf noch nicht einmal klar genug erkannt.

Gerade die Lebensmittelindustrie verdient daran. Sie hat eine starke Lobby, die es zum Beispiel schon geschafft hat, dass Industriezucker, der nachweislich süchtig macht und zudem die Zähne und den Stoffwechsel schädigt, in einer Vielzahl von frei erhältlichen wie rezeptpflichtigen Medikamenten steckt. Das ist so grotesk, ganz so, als würde man Diätmittel mit fetter Schlagsahne garniert verkaufen.

Hinzu kommen die Umweltschäden durch die weltweite Überbevölkerung: Dieser Planet wird von uns langsam, aber sicher zur Wüste gemacht, indem Monokulturen die Böden so sehr auslaugen, dass sie tatsächlich erodieren.

Sogar im Binnenland von Spanien gibt es bereits Wüstenbildung – weil das Grundwasser dort seit Jahrzehnten an die durch Touristen bevölkerungsstarke Küste geleitet wird.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Ein Pas de deux, der eine komplizierte Beziehung spiegelte… so zu sehen in der BallinStadt, als das Bundesjugendballett mit Flüchtlingskindern auftrat. Foto: Gisela Sonnenburg

Wenn behauptet wird, alle Menschen auf dieser Welt könnten satt werden, so wird dabei nicht gesagt, um welchen Preis.

Der Preis heißt: Die radikale Ausmerzung der Lebensgrundlagen.

Ohne sauberes Wasser, ohne fruchtbare Böden geht aber irgendwann nichts mehr. Die Menschheit kann rechnen, sie hat Wissenschaften und Computer dafür. Sie kann berechnen, wieviel Mensch verträglich ist für den Planeten. Sie kann berechnen, wie man die Meere sauber halten kann, indem man weniger Müll für weniger Konsumenten herstellt. Und sie kann berechnen, wie man wieviel gesunde Lebensmittel herstellen kann, ohne die Böden zuviel zu beanspruchen. Mit rechtzeitigen Ruhezeiten erholen sich die Erden nämlich wieder, vorausgesetzt, man hat sie zuvor nicht schon zu Grunde gerichtet. Bauern der vergangenen Jahrhunderte in Europa wussten das nicht nur, sondern befolgten das auch.

Nur so kann man auch unsere zivilisatorischen, demokratischen Werte erhalten.

Wo aber die (gesunden) Nahrungsmittel knapp werden, werden zum Beispiel Frauen besonders geknechtet. Dieser Zusammenhang ist statistisch erwiesen – und auch logisch.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Fragen im Museum, Fragen im Kopf: Ein Besuch der BallinStadt in Hamburg wirkt ermunternd auf die grauen Zellen… Nichts wie hin! Foto: Gisela Sonnenburg

Ein Teufelskreis: Gerade in armen Ländern werden Frauen angehalten, Kinder in die Welt zu setzen, damit die Familie über weitere Arbeitskräfte verfügt.

Damit spitzt sich die Gesamtsituation der Gesellschaft weiter zu. Immer mehr Menschheit bedeutet: einen immensen Wertverlust des Einzelnen.

Dass Indien heute die am schnellsten wachsende Bevölkerung der Welt hat und entsprechend einer der problemstärksten Staaten der Welt ist – auch einer der am stärksten frauenfeindlichen – kommt in der BallinStadt allerdings noch nicht zum Tragen.

Im Auswanderermuseum stehen noch die Chinesen für das Massephänomen Mensch: 1,39 Milliarden Menschen sprechen Chinesisch, so das Argument.

HAMBURGER STADTGESCHICHTE NEU ENTDECKEN!

Aber die Dauerausstellung des Museums ist auch glokal, hat also die internationale Lage ebenso im Blick wie die Hamburger Geschichte. Und hierzu gibt es eine Menge zu lernen, das ist die eigentliche Stärke der BallinStadt.

Ein Stück sonst gern verschwiegene Hamburger Stadtgeschichte ist zu entdecken!

Tatsächlich war Hamburg im 19. Jahrhundert, als Europa und die USA die Reisepass- und Visumspflichten aufhoben (weil es einen internationalen Bedarf an neuen, billigen Arbeitskräften gab), ein Umschlagplatz für Migranten. Diese strömten in die Hafenstadt, um von hier aus einen Dampfer Richtung Amerika zu nehmen.

Die so genannte Arbeitsmigration ist ja auch heute noch weltweit die stärkste Antriebsfeder dafür, dass Menschen dauerhaft ihren Wohnort wechseln. Ob unter luxuriösen oder unter lebensbedrohlichen Umständen.

Im Hamburger Auffanglager von um 1900 gab es Betten für 1200 Menschen. Zumeist aber waren die kasernenartigen Unterkünfte überbelegt, rund 3500 Ausreisewillige nahmen sich fast die Luft zum Atmen. Die hygienischen Zustände waren katastrophal. Viele wurden krank oder starben.

Schließlich erwirkte die HAPAG, die große Reederei, auf deren Schiffen die „Flüchtenden“ (Migranten flüchten streng genommen immer) reisen wollten, eine wörtliche Aufstockung der Betten. Dank der Doppelbetten konnten doppelt so viele Menschen wenigstens nachts verwahrt werden.

Tagsüber war der Aufenthalt in den Schlafsälen verboten. Dabei war die Ansteckungsgefahr, Krankheiten betreffend, weiterhin sehr groß.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Es ist sowieso schon toll, wenn verschiedene Generationen miteinander tanzen. Hier nun auch grundverschiedene Schicksale! Foto. Gisela Sonnenburg

Dennoch nahmen viele das Risiko auf sich, um in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Briefe und Statements von mehr oder weniger erfolgreich Ausgewanderten bestärkten die Zurückgebliebenen darin, sich möglichweise auch selbst mal mit der Idee des Auswanderns zu beschäftigen.

Es berührt einen, die authentischen Zeugnisse, die in der BallinStadt ausgestellt sind, nachzulesen.

In den Jahren 1850 bis 1938 – also bevor die „Endlösung der Judenfrage“ sprich der Massenmord Hitlers an bestimmten Bevölkerungsgruppen bekannt werden konnte – wanderten rund 5,6 Millionen über Hamburg aus.

Trost für die Unbill, die sie dabei erlitten, spendeten Sprüche fürs Poesiealbum: „Nimm dir Zeit, um zu träumen. Das ist der Weg zu den Sternen.“

Wer täglich ums Überleben kämpfen musste, wer unterbezahlt war und unter Zwangsumständen von Tag zu Tag nur langsam weiter kam, dürfte indes zum Träumen kaum die Zeit noch die Kraft haben.

In diesem Dilemma befinden sich auch heutige Flüchtlinge und Migranten, wobei auch andere Bevölkerungsschichten oder auch Individuen unter ähnlichen Zuständen leiden.

Man sollte, wenn man das Flüchtlingsproletariat bedenkt, auch die seit der Einführung von Hartz IV massenhaft verarmten Unterschichten berücksichtigen. Das würde Politikauswüchsen wie der AfD im übrigen stärker den Wind aus den Segeln nehmen als der sanktionierte Ausländerhass.

Heute auszuwandern, ist nicht für jeden gleich leicht. Der Bedarf an der jeweiligen Arbeitskraft steht jeweils im Zentrum der Überlegungen.

Andersherum ist es interessant, die Perspektive der Flüchtlinge und Migranten einzunehmen. So sind in der BallinStadt Schubladen zu öffnen, die zum Beispiel Fragen aus dem aktuellen Einbürgerungstest in Deutschland parat halten.

Das Bundesjugendballett bezauberte in derHamburger BallinStadt.

Großer Beifall für eine großartige Sache: Das Bundesjugendballett und seine jungen Gäste von der Stiftung Children fot Tomorrow in der BallinStadt in Hamburg. Foto: Gisela Sonnenburg

„Eine erwachsene Frau möchte in Deutschland das Abitur nachholen.“ Geschickt weist die Frage Nr. 27 implizit darauf hin, dass Frauen und Männer gleiche Bildungsrechte haben sollen. Ob die Frau nun aber gleich an die Hochschule oder erstmal ans Abendgymnasium geht, sollte der Bewerber allerdings schon selbst wissen.

Ein mächtiger Schiffsrumpf in plätscherndem Wasser wird auf Holzbrücken umrundet – man gibt sich in der BallinStadt wirklich Mühe, das Thema angenehm sinnlich-fasslich zu machen.

Zahlen und Fakten stehen überall bereit, akustisch wie optisch. Oftmals stehen sie für sich, sie brauchen keinen Kommentar, um zu wirken.

So sei es erlaubt, sich hier auch selbst Gedanken zu machen und die präsentierten Informationen mit weiteren zu ergänzen.

Auf dem Rückweg sprach mich in der S-Bahn übrigens eine Familie in einer mir nicht bekannten Sprache an. Ich antwortete spontan ganz einfach auf deutsch. Und siehe da, ich wurde verstanden. So ein BJB-Besuch hilft doch der Körpersprache ganz immens!
Gisela Sonnenburg

www.bundesjugendballett.de

www.ballinstadt.de

www.children-for-tomorrow.de

 

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