Instinkt und Tapferkeit Olga Esina vom Wiener Staatsballett erinnert sich an eine prekäre Premiere: Sie tanzte trotz schmerzhafter Verletzung bis Vorstellungsende. Festgehalten ist ihre bravouröse Leistung mit der DVD „Schwanensee“

Ein "Schwanensee" mit Geheimnis

Olga Esina in der triumphierenden Haltung der Odile in „Schwanensee“ in der Inszenierung von Rudolf Nurejew beim Wiener Staatsballett: nichts deutet auf Schwäche hin. Foto: Ashley Taylor

Viele Menschen glauben, tapfer zu sein – gerade in diesen Pandemiezeiten. Aber wie wäre es als Maßstab mit dieser folgenden wahren Begebenheit? Eine Primaballerina erlitt während einer Aufführung eine schwere Verletzung. Und tanzte weiter. Gab nicht nach. Besiegte ihren Körper mit einem Triumph ihrer Kunst. So geschehen in Wien. Es passierte während der legendären 32 Fouettés, die der Schwarze Schwan namens Odile auch in der „Schwanensee“-Inszenierung von Rudolf Nurejew als Highlight des Abends zu tanzen hat. Marius Petipa, der Choreograf, hatte 1895 die Pirouetten-Kombination von der italienischen Starballerina Pierina Legnani übernommen und in sein Werk eingefügt. Er wünschte sich damit eine hexenhaft-magische Wirkung: eine Ausstrahlung von überirdischer Kraft, die Dinge bewirkt, die man sich nicht erklären kann. Aber dieses Mal – wir befinden uns mittlerweile im März 2014 in der Wiener Staatsoper – wendete sich die banale Schwerkraft gegen die Magie des Balletts, der Körper bäumte sich auf gegen die Fähigkeiten der Tänzerin, und wie ein Blitz durchzuckte ein scharfer Schmerz die schöne junge Frau: Olga Esina, Primaballerina des Wiener Staatsballetts, verletzte sich während der Pirouetten am dafür wichtigsten Muskel ihres Standbeines, also im Innern der linken Wade, und zwar in der zweiten Hälfte der 32 Fouettés, die sie bis dahin makellos und mit triumphierendem Vergnügen absolviert hatte. Aber die Ballerina ließ nicht nach. Sie überlegte nicht, sondern konzentrierte sich weiter auf ihren Tanz, sie drehte weiterhin ihre Runden auf dem Platz, auf einem Bein – dem nunmehr verletzten – und sie bemühte sich, einfach gar nichts von ihrem Schmerz preiszugeben. Was für eine Heldin! Die meisten Zuschauer merkten denn auch nichts. Doch der Muskelriss, so die spätere Diagnose, ließ die linke Wade von Olga Esina zu einem höchst prekären Körperteil werden. Für die disziplinierte Künstlerin war es dennoch keine Frage: Sie würde die Vorstellung zuende bringen können, ihr Instinkt sagte ihr das zu, und ihr fester Wille schloss mit ihr diesen Pakt. Das war keine Magie, sondern eine nahezu übermenschliche Tapferkeit! Durch die Historie des Balletts ziehen sich solche Wundermeldungen von klassisch ausgebildeten Startänzern – aber in diesem Fall schien es zugleich unglaublich und doch logisch, dass eine so zarte Ballerina wie Olga Esina, deren Spezialität die hochgradig lyrische Ausdruckskraft ist, die kraftaufwändige Partie der Odile (und dann auch die der Odette) im weiteren Verlauf vom  „Schwanensee“ trotz einer so gravierenden Verletzung vollenden konnte. Der Beweis dessen findet sich für jeden nachvollziehbar auf der DVD mit der Vorstellung vom 16. März 2014, die im selben Jahr bei Unitel Classica / c major entertainment erschien. Die aufwühlende Geschichte hinter der Aufzeichnung hat heute, da die meisten Menschen, die das Ballett lieben, viel Kraft brauchen, um bei der Stange zu bleiben, eine besondere Bedeutung. Anders gefragt: Gibt es eine hintergründigere Anekdote, um jetzt ein ganz spezielles Weihnachtsgeschenk zu finden?

Olga Esina vom Wiener Staatsballett erinnert sich an eine prekäre Premiere: Sie tanzte trotz schmerzhafter Verletzung bis Vorstellungsende. Festgehalten ist ihre bravouröse Leistung mit der DVD „Schwanensee“

Olga Esina und Vladimir Shihov beim Pas de deux als Odile und Siegfried in „Schwanensee“ mit dem  Wiener Staatsballett: hingebungsvoll und professionell über die Grenzen des Normalen hinaus. Foto: Ashley Taylor

Auf der DVD findet sich allerdings ebenso wenig wie im dort beigelegten Booklet ein Hinweis auf diese Geschichte. Leider nicht. Aber so ist es ja oft in unserer Kommerzwelt: Was für den massenhaften Verkauf bestimmt ist, folgt nicht der ganzen Wahrheit und auch nicht aktuellen Geschehnissen. Die Booklet-Autorin Jessica Duchen sprach nicht mit Olga Esina und wusste wohl auch nichts von dem unsichtbaren Bühnenunfall. So verschwieg sie das eigentlich Besondere dieser Aufführung. Dem Genuss, die DVD anzuschauen, nimmt das nichts.

Fragt man jedoch die Wiener Startänzerin Olga Esina, erfährt man, dass sie zwar die Vorstellung zuende brachte und auch beim Applaus noch strahlend lächelte, danach aber wochenlang weder tanzen konnte noch durfte, sondern mit Medikamenten unter anderem aus der Heilpraktik sowie mit viel Ruhe den Muskelriss auskurieren musste. Wenigstens war der Muskel nicht ganz abgerissen. Aber die Verletzung genügte, um eine so äußerst trainierte und auch robuste Körperpersönlichkeit wie Olga erstmal lahmzulegen.

An diesem sagenhaften Abend des 16. März 2014 aber war es nicht nur eine Premiere – es war auch das Debüt von Olga Esina in Nurejews Wiener „Schwanensee“-Inszenierung von 1964. Sie war hochmotiviert, hervorragend eingearbeitet, sie gab ihr Bestes. Und dann passierte so etwas: unkalkulierbar, unvorhersehbar, plötzlich, unerwünscht.

Sie erinnert sich im Gespräch daran, als sei es gestern.

Woher nahm Olga Esina nur die Kraft, einfach weiter zu machen?

„Das habe ich in der Schule gelernt!“ Prompt kommt diese Antwort, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt.

Olga Esina besuchte das Waganova-Institut in Sankt Petersburg, die wohl renommierteste professionelle Ballettschule weltweit. Als Olga 1986 in der Metropole an der Newa geboren wurde, hieß Petersburg noch Leningrad, und das zur Ballettakademie gehörende Profi-Ballett war das Kirov-Ballett (das seit 1992 wieder wie im 19. Jahrhundert Mariinsky-Theater, also Marientheater, heißt).

Olga Esina vom Wiener Staatsballett erinnert sich an eine prekäre Premiere: Sie tanzte trotz schmerzhafter Verletzung bis Vorstellungsende. Festgehalten ist ihre bravouröse Leistung mit der DVD „Schwanensee“

Olga Esina als Odette in „Schwanensee“ in der Version von Rudolf Nurejew beim Wiener Staatsballett: mit Passion! Foto: Ashley Taylor

Zur Regel sollte man das Einfachweitermachen im Ballett ganz sicher nicht machen. Aber in diesem Einzelfall es ist ein Phänomen, das man bewundern muss: Dass ein Mensch seinen Körper nicht nur nahezu perfekt beherrscht, sondern auch im Bruchteil einer Sekunde abschätzen kann, ob es möglich ist, trotz einer soeben eingetretenen Verletzung weiterzumachen.

Wie kann ein Mensch trotz Schmerz und eingeschränkter Funktion einfach weitermachen?

Sicher nicht mit Gewalt. Sondern: Weil er von Kindheitsbeinen an daran gewöhnt ist, auch mal über die eigene Grenze zu gehen.

Die russische Schule gilt nicht umsonst als die beste der Welt. Sie brachte unzählige Stars und auch hervorragende Corps-Tänzer/innen hervor. Und: Sie entwickelt sich kontinuierlich und unter Wahrung ihrer Traditionen weiter, seit weit mehr als einem Jahrhundert.

Die heutigen Erneuerer der Wiener Ballettschule, an deren Spitze sich seit einigen Monaten eine ehemalige Tänzerin namens Christiana Stefanou befindet, die nie mit Kindern und Jugendlichen ballettpädagogisch gearbeitet hat, dürfte eher nicht in diese Richtung gehen.

„Fitness“ und „Gesundheit“ sind die prägenden Vokabeln im neuen Konzept der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, und damit sind nicht die Ausprägung von Tapferkeit und Instinkt gemeint, sondern eher das Bedienen von Fitness-Geräten, die von der Industrie gern unbegrenzt an den Mann oder die Frau gebracht werden wollen.

Mit Ballett im klassischen Sinn hat all das nicht mehr ganz so viel zu tun.

Olga Esina hingegen kennt sehr genau die ungeheure Kraft des Körpers, die er im Verein mit Geist und Seele zu entfalten vermag, wenn ganz bestimmte Muskeln, die sonst weder in sportlichen noch in künstlerischen Bewegungsarten auf diese Art benutzt werden, die Hauptarbeit leisten. Die enorme Kraft, über die sie verfügt, ist aber eben nicht reine Muskelkraft, und sie ist von daher auch nicht an Fitnessgeräten oder durch seelenlose Bewegungsabläufe zu trainieren.

Das Zusammenspiel von Gedanke und Bewegung, von Gefühl und Ausführung, von Grazie und Stärke gibt es in dieser Form nur im Ballett, eben beim klassischen Tanz.

Das Geheimnis des Balletts – seine Anmut, Lieblichkeit und scheinbare Schwerelosigkeit – dürfte mit Vokabeln wie „Fitness“ und „Gesundheit“ wirklich nicht passend benannt sein.

Olga Esina vom Wiener Staatsballett erinnert sich an eine prekäre Premiere: Sie tanzte trotz schmerzhafter Verletzung bis Vorstellungsende. Festgehalten ist ihre bravouröse Leistung mit der DVD „Schwanensee“

Der Schwarze Schwan Odile in der Interpretation von Olga Esina beim Wiener Staatsballett: kühn und stärker als der Schmerz! Foto: Ashley Taylor

Damals, in der Premiere am 16. März 2014, senkte sich in der Wiener Staatsoper bald nach den verhängnisvollen Pirouetten der Vorhang zur Pause.

Olga Esina ließ ihr Bein begutachten und besprach sich mit dem Intendanten Dominik Meyer und dem Ballettdirektor Manuel Legris.

Es war allen Beteiligten klar, dass die Verletzung nicht von ungefähr kam. „Wir hatten soviel trainiert und geprobt, die Hauptprobe, die Generalprobe, all das lag hinter uns, und der Körper war schon ein bisschen erschöpft von so viel Arbeit in den letzten Tagen vor der Premiere“, sagt Olga Esina. „Ein bisschen erschöpft“ ist hier vielleicht als vornehmes Understatement zu verstehen. Nach so sehr vielen kraftraubenden Proben ist auch ein Profi-Körper schlicht am Limit.

Zudem konnte auf die Schnelle keine genaue Diagnose gestellt werden. Der zuständige Arzt half mit Kühlungsspray. Damit betäubte er den Schmerz, und er gab der Primaballerina grünes Licht, weiterzutanzen, wenn sie sich selbst das zutraue.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Die Selbstverantwortlichkeit der Tänzerin war entscheidend.

Es geht hier nämlich nicht um Ausbeutung oder Personaleinsparung. Es geht nicht darum, prinzipiell bis zum Umfallen zu schuften oder schuften zu lassen.

Es geht darum, außerordentliche künstlerische Leistungen zu erbringen, und es geht auch darum, sich selbst darin zu verwirklichen.

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Olga Esina wollte nicht, dass die Premiere ins Wasser fiel (mit ihr die DVD-Aufzeichung), und sie wollte auch nicht, dass das Publikum keinen ungetrübten Genuss haben könnte. Sie wollte auch sich selbst nicht der Freude berauben, die Premiere bis zum Ende bestmöglich absolviert zu haben. Das Gefühl nach einer gelungenen Vorstellung ist einmalig und nachhaltig – und nicht mit einem rasch vergehendem Rausch oder einem einzigen Glücksmoment zu vergleichen.

Das wollte sich die Primaballerina nicht nehmen lassen. Nicht mal von ihrem eigenen Körper.

Es war Olga Esina sogar nicht mal Recht, dass Intendant Meyer nach der Pause vor den Vorhang trat und dem Publikum mitteilte, was geschehen war.

Die Primaballerina wollte nämlich kein Mitleid oder Verständnis. Und sie wollte auch nicht, dass das Publikum nun nach Fehlern suchen würde oder nach dubiosen Anzeichen dessen, dass sie verletzt war. Sie wollte ihr Bestes geben und hoffen dürfen, dass das Publikum davon beglückt sein würde!

Ihren Bühnenpartner Vladimir Shishov, der den Siegfried tanzte, wies sie

Ein "Schwanensee" mit Geheimnis

„Schwanensee“ mit dem Damen-Corps und Olga Esina im Zentrum: Jede Tänzerin und jeder Tänzer kann von einem Bühnenunfall betroffen sein. Das Abwägen aller Risikofaktoren ist dann wichtig – und zwar unter Zeitdruck. Foto vom Wiener Staatsballett: Ashley Taylor

denn auch an, nichts an der Choreografie zu verändern. Er hatte ihr angeboten, es hier und da etwas leichter für sie zu machen.

Aber das hätte es ihr letztlich noch schwerer gemacht, meint Olga Esina: „So, wie es war, war es für mich klar. Aber wenn er etwas geändert hätte, an seiner Haltung oder an einer Hebung, dann wäre es für mich schwer gewesen, mich darauf einzustellen.“ Es wäre zusätzlich Stress gewesen, zum Schmerz und zur Ungewissheit, ob sie dem Körper wirklich alles so abverlangen konnte, wie sie es plante.

Dieses Vertrauen in den eigenen Körper, das sogar dann, wenn dieser Körper verletzt und dadurch behindert ist, vorhanden ist, kann man nicht mit normalen Maßstäben messen. Es ist das Ergebnis jahrzehntelang ausgeübter Disziplin und Selbstbeobachtung.

Die perfekte Ballerina und ihr Instrument, der eigene Körper, sind Eins – und sie können sich in einer Weise aufeinander abstimmen, wie es Normalsterblichen und auch vielen anderen Künstler/innen absolut unmöglich ist.

Die Ansage von Dominique Meyer vorm Vorhang ist übrigens nicht auf der DVD dokumentiert. Olga Esina findet das prima.

Tatsächlich bezaubert sie ohne jeden Zweifel auch hyperkritische Augen – auch im zweiten Teil der Aufführung, in dem sie als weißer Schwan Odette in die Liebesgefilde am See, jenseits der realen Welten, entführt.

Aber ist hier überhaupt irgendetwas real?

In Nurejews erster Version seiner Inszenierung, die hier getanzt wird, gibt es (wie auch in der späteren Pariser Version) in allen Akten am Bühnenhorizont entlang quer verlaufende Steinstufen. Das ist hier das Kennzeichen der Moderne: Stein ersetzt die Natur.

Der Fokus liegt dennoch nicht auf dem schlicht-genialen Bühnenbild oder den prunkvoll-kleidsamen Kostümen (beides stammt von Luisa Spinatelli), sondern auf dem Tanz.

Auf den kam es auch an, als Olga Esina nach ihrer Rekonvaleszenz in den Ballettsaal zurückkehrte.

Sie wusste aus Erfahrung: „Man hat dann oft Angst, weil man befürchtet, die gleiche Verletzung bei der gleichen Bewegung wieder zu bekommen.“ Wichtig war es von daher, besonders langsam wieder anzufangen.

Auch die zunächst noch sehr präsente und hinderliche Schmerzerinnerung ist dadurch langsam verblasst. Olga hätte sich allerdings auch nie gestattet, nun keine ihrer furiosen Fouettés mehr zu drehen!

Tanzen ist ein schwerer Beruf, er ist so schwierig wie schön. Und im Ballett sind die Maßstäbe hoch, Tendenz: stetig wachsend.

Ein "Schwanensee" mit Geheimnis

Olga Esina: Brillant in der Partie der Odette im „Schwanensee“ von Rudolf Nurejew mit dem Wiener Staatsballett, trotz schmerzhafter Verletzung. Foto: Ashley Taylor

Weil in vielen Compagnien viele verschiedene Stile getanzt werden, wächst das Risiko einer Verletzung nochmals. Nur Klassik zu tanzen, das bestätigen Fachleute wie der Pariser Choreograf und frühere Étoile Patrice Bart, birgt ein deutlich geringeres Verletzungsrisiko als ein ständiger Wechsel im Stil. Der Körper muss sich dann jedesmal umstellen und die innere Balance sozusagen verschieden justieren.

Olga Esina hat gezeigt, was in einem Verletzungsfall möglich ist. Nicht, was unbedingt notwendig ist. Sie hat den Luxus des eigentlich nicht Machbaren vor Augen geführt.

Aber sie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine sehr enge, sehr gute Verbindung zu ihrem Körper und eine Menge Erfahrung darin, ihn zu dirigieren.

Kolleginnen und Kollegen möchte sie indes raten, dass sie, wenn sie sich während der Vorstellung verletzen, sich vergewissern, dass der Schaden nicht schlimmer wird, wenn sie weitertanzen: „Man sollte genau hingucken und hinfühlen!“

Instinkt und Tapferkeit bedingen einander, wenn sie sinnvoll sein sollen.

Der Premierenapplaus am Abend des 16. März 2014 war jedenfalls ganz anders, als eigentlich gedacht. Olga bekam Blumen und auch sehr viel Zuspruch vom Publikum, aber die verletzte Wade schmerzte beim Gehen auf der flachen Sohle noch viel stärker als beim Tanzen auf den Zehenspitzen.

Normalerweise freut sich eine Ballerina, wenn der Applaus stark und lang ist. Aber dieses Mal hoffte die tapfer lächelnde Olga, dass er schnell enden würde.

Dass man von ihren inneren Qualen nichts bemerkt, wenn man die DVD anschaut, darauf ist sie stolz, zurecht. Man würde wirklich nicht darauf kommen, dass sie hier gelitten hat, denn wenn sie das Gesicht mal leidend verzieht, so gehört dieses zum Part der Odette, die sich in einer tragischen Situation befindet.

Ein "Schwanensee" mit Geheimnis

Leidenschaftlich und schön, instinktiv und tapfer: Olga Esina, Primaballerina beim Wiener Staatsballett, in „Schwanensee“ von Rudolf Nurejew. Foto (Ausschnitt): Ashley Taylor

Makellos tanzt Olga Esina dann die Partie zuende, es ist die Geschichte einer um ihre wahre Identität betrogenen jungen Frau. Odette, die zum weißen Schwan verzauberte Edle, hatte die große Liebe, ihre Freiheit und auch ihre eigentliche Gestalt als Mensch schon in Reichweite – aber böser Zauber nimmt ihr alles.

So schlimm war die Zeit der Ruhe wegen der verletzten Wadenmuskulatur von Olga Esina zum Glück nicht! Es gelang ihr, mit Geduld und Beharrlichkeit wieder auf die Bühne zurückzukehren.

Für die kommende Zeit eines vom harten Lockdown überschatteten Weihnachten und erst recht für die ersten Tage im neuen Jahr empfiehlt sich nun ihre „Schwanensee“- DVD als Objekt neugieriger Studien ebenso wie als vergnügliches Anschauungsmaterial für die innere und äußere Stärke einer Weltklasseballerina.

Als Geschenk für Andere oder auch als lohnenswerte Anschaffung für sich selbst ist sie nur zu empfehlen – und Olga Esina ist für ihre famosen Auftritte hierin nur zu bewundern!
Gisela Sonnenburg

www.staatsoper-wien.at

www.cmajor-entertainment.com

„Swan Lake“ – „Schwanensee“ – „Le Lac des Cygnes“, Musik: P. I. Tschaikowsky, erschien mit dem Wiener Staatsballett und dem Orchester der Wiener Staatsoper unter Alexander Ingram 2014 bei Unitel Classica / c major entertainment

 

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