Katastrophenalarm. So etwas hat es in Stuttgart noch nicht gegeben: Das Unwetter am Montagabend, den 28. Juni 2021, über Baden-Württemberg beschädigte das Dach vom Opernhaus. Teile der Dachbefestigung fielen auf den Vorplatz, ebenso eine der steinernen Statuen, die das große Haus schmücken. Jetzt fegt der Wind über die Bühne, und von den Deckenlampen tropft das Regenwasser auf die Sitze. Glück im Unglück: Niemand wurde verletzt. Dabei endete nur kurz vor der Katastrophe ein Konzert der Mezzosopranistin Diana Haller im Opernhaus. Mehr als hundert Zuschauer – nach manchen Angaben sogar rund 250 – waren im Zuschauersaal. Für das Stuttgarter Ballett bedeutet die folgenreiche Naturkatastrophe, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit alle für die kommenden Wochen noch geplanten Vorstellungen im Opernhaus entfallen müssen. Ob man so schnell eine Ersatzbühne finden wird, die auch entsprechend beprobt und technisch hergerichtet werden kann, ist unwahrscheinlich.
Eine Stellungnahme war so schnell vom Stuttgarter Ballettintendanten Tamas Detrich nicht zu haben. Aber gegen das Unwetter war er machtlos.
Weil nun seit über zehn Jahren bekannt ist, dass das Stuttgarter Opernhaus einen starken Sanierungsbedarf hat, muss sich die Stadt wohl auch an die eigene Nase fassen, was das Unglück angeht.
Möglicherweise rächt es sich jetzt, Konzernen wie Daimler und Porsche in der Vergangenheit immer mehr Steuererleichterungen geschenkt zu haben, um dann an der Kultur und ihren Behausungen zu sparen.
Die relativ kleinen Summen, mit denen die Firmen dann wiederum Kultur sponsern, was sie von der verbliebenen Steuer absetzen können, werden zusätzlich noch mit Werbung für die reichen Wirtschaftsunternehmen verbunden. Die Kunst hat da aber oft das Nachsehen, zumal sie sich formal und inhaltlich an die Werbeästhetik angleicht. Und deren Ziel ist nur Konsum, nicht etwa kunstsinniges Verhalten.
Um das große Stuttgarter Opernhaus, das einen bedeutenden Anteil am Renommee der baden-württembergischen Kultur hat, intakt zu halten, hat das große Landesvermögen bislang nicht gereicht. Aber nur fünf Fußminuten weiter stadteinwärts wird der unterirdische Mammutbahnhof „Stuttgart 21“ gebaut.
Kultur braucht halt mehr Mittel als nur die tröpfelnden Unterhaltskosten.
Wer weiß, vielleicht wird jetzt eine Spendensammelaktion ein Umdenken einläuten.
Geld wird sicherlich in nicht unerheblichen Mengen dringend benötigt werden, wenn eine so „alte Bude“ wie das Opernhaus, das nach dem Krieg in den Urzustand von 1912 versetzt wurde (Architekt: Max Littmann), derart stark beschädigt ist.
Denn nicht nur die Bausubstanz ist betroffen. Auch die empfindliche Elektronik und Bühnentechnik, die Scheinwerfer und Kulissenmechanismen scheinen in weiten Teilen außer Kraft gesetzt. Eine Bezifferung des Schadens steht noch aus, ebenso wie etwaige Pläne, wie es weitergehen soll.
Nach der letzten Schließung wegen der Corona-Pandemie wird das Ensemble vom Stuttgarter Opernhaus nunmehr erneut einer schweren Prüfung unterzogen. Vielleicht nutzt Ballettchef Detrich ja die Zeit, um sich Gedanken über seinen Spielplan zu machen.
Wir wünschen den Stuttgartern in jeder Hinsicht alles Gute!
Gebt nicht auf – und kämpft um Eure Hochkultur, ohne Euch dem Synthi-, Pop- und Technowahn sprich den Niederungen der Massenkultur zu ergeben, nur weil die Sponsoren sich für ihre konsumierenden Zielgruppen das so wünschen.
Leute, kämpft für die Hochkultur und den Erhalt des Opernhauses – es ist das Beste, was Ihr habt!
Gisela Sonnenburg