Schreckensmeldung Berlin ist schockiert: Sasha Waltz und Johannes Öhman sollen die neuen Intendanten vom Staatsballett Berlin werden

Ballett wird abgesägt.

Michael Müller, SPD und Regierender Bürgermeister von Berlin, hat für echtes Ballett gar nichts übrig. Neben ihm Sasha Waltz, sie gilt als ausgebrannte freie Choreografin des zeitgenössischen Tanzes, soll aber das Staatsballett Berlin übernehmen. Foto: Zeisberg

Diese Geschichte zeigt Ballett als Wahlvehikel der Politik. Oder: Wie machtgierige Politiker einer weltweit renommierten Balletttruppe langsam, aber sicher an den Kragen wollen. Denn kurz vor der Wahl in Berlin am 22. September 2016 ließen der dortige Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und sein Staatssekretär für Kultur Tim Renner (SPD) mal einfach eben so eine Bombe platzen: Sie schlossen – ohne jede vorherige öffentliche Diskussion – Verträge mit der freien Choreographin Sasha Waltz und mit Johannes Öhman, dem künstlerisch kaum nennenswerten Chef vom Königlichen Schwedischen Ballett, ab. Diese zwei sollen, beide als Ballettintendanten bezahlt, ab 2019/2020 das Staatsballett Berlin leiten.

Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln, wie man umgangssprachlich so schön sagt: Der Vertrag des jetzt als Ballettchef in Berlin amtierenden Spaniers Nacho Duato läuft nach nur fünf Jahren 2019 aus.

Die meisten Ballettfans in Berlin hatten und haben derweil die Hoffnung, dass nach dem traurigen Duato wieder der energiegeladene Vladimir Malakhov ans Ruder kommt – er hat bewiesen, was er kann, er hat das Staatsballett Berlin zu dem gemacht, was es gerade eben noch ist: eine der besten Balletttruppen der Welt.

Und soeben bewies Malakhov, was für ein feines Händchen er für glamouröse, seelenvolle Ballettabende hat; er inszenierte einen Gala-Abend vom Besten.

Doch jetzt kommen Müller und Renner und zeigen, was sie drauf haben: Hinter verschlossenen Türen vergeben sie die ihnen anvertrauten Steuergelder, als seien sie Fürsten in einem feudalistischen Regime.

Kein Mensch, der sich mit Ballett auskennt, wird ihre Entscheidung für Waltz und Öhman gutheißen können.

Es zeigt sich bei dieser Vorgehensweise aber deutlich, dass unsere Demokratie Lücken hat: Niemals dürfte eine solche Fehlentscheidung möglich sein, schon gar nicht ohne vorherige öffentlich geführte Debatte.

Es handelt sich also um ein reines Machterhaltungswerk der SPD.

Die Berliner und die international interessierten Ballettfans werden von dieser Schreckensmeldung überrumpelt.

Diese soll offenbar mittels Überraschungseffekt all jene an die Wahlurne locken, die futterneidisch auf Elitekünstler schauen, weil sie ja selbst mit Hochkultur nicht allzu viel anfangen können.

Neidisch schielt die freie Szene, in der sich etliche Politiker- und Beamtenkinder tummeln, seit langem auf jene hoch bezahlten Künstler mit Talent.

Ihnen wird jetzt suggeriert: Es geht voran, wir mischen „unsere“ Stümper in den hoch subventionierten Kulturapparat, auf dass dieser im Niveau dann drastisch absinkt und seine Gelder bald frei gibt – für die verwöhnten Nichtskönner.

Der SPD-Staatssekretär Renner verkaufte denn auch einst Popmusik, bevor seine Parteikumpels ihn zur Verstärkung in den professionellen Politklüngel zerrten. Mit Oper, Theater und Ballett hatte er noch nie was am Hut. Jetzt zeigt er, warum man ihn holte.

SACHFREMDE ENTSCHEIDUNGEN NACH FÜRSTENART

Außer der Berliner SPD und ihren befreundeten Geschäftemachern, die vermutlich am liebsten Würstchenbuden zum obersten Kulturkriterium machen würden, kann niemand froh sein über solche Perspektiven.

Die Ballettwelt ist entsprechend schockiert.

Und falls es jemand noch nicht weiß: Sasha Waltz hat zwar mit Tanz und diversen Crossover-Künsten zu tun, aber fast nichts mit Ballett. Sie hat außerdem mal ein Denkmal für Berlin entworfen, das zu Schwerverletzten im Publikum geführt hätte, weshalb man es nicht bauen ließ.

Waltz studierte zwar mal mit dem Ballett der Pariser Oper einen „Roméo et Juliette“-Abend ein. Mit der Musik von Hector Berlioz und nicht der von Sergej Prokoffief. Aber ein solches Experiment berechtigt noch lange nicht zu der Hoffnung, Waltz könne auf Dauer mit Ballerinen und Ballerini etwas anfangen.

Zudem gilt sie als ausgebrannt – ihre künstlerisch-kreative Power hat seit Jahren stetig deutlich nachgelassen.

Am besten gelangen ihr früher Spektakel im Schnittfeld zwischen Oper und Tanz (nicht Ballett) – aber schon ihr „Le sacre du printemps“ 2013, mit zu belächelnden Protagonistinnen im harmlosen Blümchenkleid, war eine tänzerische Katastrophe. Dieses eine Mal bin ich mit dem CDU-Politiker Wolfgang Schäuble einer Meinung.

Über Johannes Öhman muss man derweil erst gar nicht erst viel reden. Er hat zwar ein Puppengesicht, aber nur sehr wenig in der Hose, was Ballett angeht. Das ist ganz klar, und jeder, der es wirklich wissen will, kann ja nach Stockholm fliegen und sich die Langeweile dort ansehen.

Waltz soll in diesem Duo für den modernen Teil zuständig sein, Öhman für den klassischen. Dabei gilt auch er als ein Mann des zeitgenössischen Tanzes, der für die Klassik kaum einen Sinn hat.

Zwar erhielt Öhman just einen schwedischen Preis. Der hat aber mit Ballett nichts zu tun, sondern wird für Verdienste um Schweden verliehen. Man darf auch hier Kungelei vermuten.

Die Strategie der Berliner SPD ist jetzt allerdings nochmals ganz klar geworden: Kultur soll vor allem eine Bespaßung der Massen sein, während für die hohe Kunst mit Könnern kein Platz mehr übrig ist.

Die SPD zielt auf das Geld der Touristen – denen soll mit oberflächlichem Gehüpfe das Geld aus der Tasche gezogen werden. An die Berlinerinnen und Berliner wird dabei nicht gedacht.

Ballett wird abgesägt.

Sasha Waltz und Johannes Öhman – Hauptsache, man versteht sich mit Politikern der SPD gut, die sich aufführen wie feudalistische Fürsten. Dann kommen die Posten von allein… Foto: Zeisberg

Man hofft wohl, dass die Sache so weit schief gehen wird, dass man dann auch Mitgliedern vom Staatsballett Berlin kündigen kann und muss. Die Abwicklung einer so beliebten Truppe ist ohne entsprechenden Vorwand ja kaum durchzusetzen. So aber könnte es gehen…

Vorerst aber, so hieß es ausdrücklich auf der Pressekonferenz bei Michael Müller, soll keinem der Ballettleute gekündigt werden. Immerhin sind ja auch fast alle bei ver.di in einer starken Gewerkschaft organisiert, und seit dem Streikjahr 2015 würde ver.di wohl alles tun, um gegen etwaige Massenentlassungen beim Staatsballett Berlin vorzugehen.

Sasha Waltz wiederum soll ihre freie Truppe „Sasha Waltz & Guests“ nicht in die gut bezahlte Angestelltengruppe vom Staatsballett Berlin integrieren dürfen. Offenbar soll sie die kleine Tanztruppe weiterhin nebenbei leiten. Oder ganz auflösen?

Das ist, sozial gesehen, eine Sauerei für sich: Waltz hat stark unterbezahlte Gelegenheitstänzer, die ihr jahrelang die Treue hielten, während ihre Chefin Waltz satte Lizenzgelder abkassierte.

Jetzt lockt Waltz sogar ein Intendantinnengehalt – während ihre freien Tänzer kellnern gehen dürfen, oder?

Aber auch künstlerisch ist die avisierte Verschmelzung von Nicht-Ballett mit Ballett eine Katastrophe.

Die klassische Tanzkunst braucht hochkarätige Förderung, tagtäglich – und genau die kann das avisierte Duo gar nicht leisten.

Es fällt allerdings auf, dass Öhman auch mal in Göteborg Künstlerischer Direktor war, und aus Göteborg fliegt just auch die Nichtkönnerin Adolphe Binder nach Deutschland ein, um die ehemalige Pina-Bausch-Truppe, das Tanztheater Wuppertal, in den wohl verdienten künstlerischen Ruin zu führen.

Da muss ein Nest sein, darf man vermuten… irgendwelche deutsch-schwedischen Verbindungen, die sich nur hinter geschlossenen Türen offenbaren, haben da wohl die eigentliche Politik betrieben.

Mit Demokratie hat das jedenfalls nichts mehr zu tun. Nur noch mit Postenvergabe nach unsachlichen Kriterien.

Aber noch einen lachenden Gewinner gibt es: Der Dirigent Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper in Berlin, darf sich die Hände reiben.

Ballett wird abgesägt.

Noch einmal ein Blick auf Sasha Waltz. Mit Ballett wird sie auch künftig nicht viel anfangen können – wieso auch, wenn das Gehalt auch so stimmt? Foto von der Pressekonferenz am 7.9.16 im Roten Rathaus in Berlin: Zeisberg

Er zählt zu jenen Kräften, die Sasha Waltz seit langem ins Ballett holen wollten. Ob Barenboim auch, wie so mancher SPD-Politiker, ein Wochenendhaus in Schweden besitzt?

Die deutsche Baumafia, die schwedische Baumafia – gibt es da vielleicht Verbindungen?

Der nicht mehr junge Barenboim, international hoch dekoriert und in Berlin wie anderswo außerordentlich einflussreich, hofft außerdem vermutlich zurecht, durch Waltz und Öhman keine ernst zu nehmende Konkurrenz zu bekommen – anders als durch Vladimir Malakhov, der bis 2014 Ballettchef in Berlin war und mit dem Ballett in Berlin, ähnlich wie in Hamburg mit John Neumeier, zu einer weltweit beachteten Größe wurde.

Malakhovs Fans werden indes nicht aufhören zu hoffen. Noch ist es nicht 2019 – und noch können alle geschlossenen Verträge auch wieder gelöst werden. Schließlich ist es eine Unverschämtheit, kurz vor den Wahlen eine so primitive Parteiwerbung abzulassen. Es ist der SPD in Berlin von Herzen zu wünschen, dass sie nicht nur damit so richtig schön durchfällt.

Und falls das Staatsballett Berlin jetzt wieder streiken wird – man hätte dafür Verständnis.
Gisela Sonnenburg

 

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