Das Shakespeare-und-MacMillan-Massaker Mehr schlecht als recht: „Romeo and Juliet“ als langweiliger Film mit dem Royal Ballet aus Verona, ab morgen online und Sonntagnacht auf arte

"Romeo & Juliet" von Kenneth MacMillan, im Film verhunzt

„Romeo & Juliet“ als Ballettfilm aus Verona mit dem Royal Ballet in einem lichten Moment: Jugendliche zweier Clans bekämpfen sich. Videostill: Gisela Sonnenburg von arte.tv

Irgendwie hat Kevin O’Hare, derzeitiger Chef vom Royal Ballet in London, kein gutes Händchen für Kunst und Qualität. Erst fällt sein junger Starchoreograf Liam Scarlett öffentlich in Ungnade, weil er sich angeblich Nacktfotos von fast erwachsenen Ballettstudenten zuschicken ließ. Dann schickte O‘Hare eher minderwertige Choreografien wie „Coppélia“ von Ninette de Valois ins Rennen. Und dann überrascht er die verdutzten Ballettfans mit einer banalen Verfilmung des berühmten Balletts „Romeo und Julia“: Von der meisterhaften Choreografie von Kenneth MacMillan ist darin kaum noch etwas übrig, das Ganze ist ein triviales Filmchen, das versucht, mit verschwommenen Bildern die Straßen und Kulissen von Verona statt den Tanz in den Blickpunkt zu rücken. Es hätte ein flottes Straßenballett mit prickelnden Nahaufnahmen der Ballettstars werden können, aber das Ergebnissieht aus wie dumm gemachte Parfumwerbung. Die nächtliche Uhrzeit der Erstausstrahlung dieses Malheurs im Fernsehen ist der billigen künstlerischen Qualität angemessen: Sonntagnacht, ab23.05 Uhr, läuft der Ballettfilm, der keiner ist, auf arte: „Romeo & Juliet“ („Romeo und Julia“) vom Royal Ballet ausVerona, mit William Bracewell und Francesca Hayward in den Titelrollen.

Online ist der kläglich gescheiterte Versuch, aus Bühnenballett eine Filmschmonzette zu machen, schon ab morgen, 8. Februar 2020, in der arte Mediathek zu sehen (bis zum 9. Mai 20).

Es beginnt neckisch mit lebenden Hühnern in einem staubigen Hinterhof, und Romeo hüpft, von einem großen Hund begleitet, in seinen etwas deplatziert wirkenden Bühnenklamotten im typischen spätmittelalterlichen Romeo-Stil durchs Gefilde.

Auf dem Platz, wo er seine Freunde trifft und wo sein Kumpel schon mal eine Flasche Bier in der Hand hält, wird ab und an etwas getanzt. Aber die Kamera sieht das nur auszugsweise, zumal immer wieder Balken, Streben, Pflanzen und die Silhouetten von Vorbeigehenden den freien Blick stören.

Der Zuschauer wird so zum Voyeur, das Ganze hat die Anmutung von Schlüssellochperspektiven.

"Romeo & Juliet" von Kenneth MacMillan, im Film verhunzt

Der verstellte Blick nervt hier andauernd: Im Hintergrund tanzen Romeo und seine Freunde. Videostill: Gisela Sonnenburg von arte.tv

Es sollte wohl eine Art Postkartenblick insinuiert werden, aber jeder Regisseur weiß eigentlich, dass man solche Stilmittel nicht ständig einsetzen sollte.

Die Choreografie wird hier benutzt, als sei sie Dekoration im Hintergrund und nicht das Wesentliche.

Das hat sie nun nicht verdient, denn die 1965 uraufgeführte „Romeo“-Version von Kenneth MacMillan bildet eines der schönsten, dramatischsten und vielschichtigsten Ballette des 20. Jahrhunderts.

Nur ist das in dieser Verfilmung beim besten Willen nicht mehr zu erkennen.

Umso schlimmer, wenn die britische Industrie das noch lobt und dem Machwerk einen Emmy Award verleiht. Industriekunst für die Massen – muss das im Hochkulturbereich immer öfter der Fall sein?

Das gebildete Publikum möchte Inhalte sehen und anspruchsvollen Tanz – und sich mit der Kunst dessen auseinandersetzen.

Oberflächlich abgefilmte Tänzchen und stumme Scharmützel, die völlig beliebig wirken, sind im Bereich der Popkultur bestimmt gut aufgehoben.

Aber nicht im Bereich der Hochkultur. Es ist einfach degoutant, eine aussagekräftige Bühnenchoreografie auf lächerliches Gehüpfe bei Tageslicht heruntergebrochen zu sehen.

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Kann Kevin O’Hare nicht in die Werbebranche wechseln? Denn PR und Marketing scheinen seine einzigen Interessen zu sein. Die Kunst zu pflegen und zu entwickeln, seine Mitarbeiter zu führen und seine Stars zu lenken, misslingt ihm hingegen zusehends.

Gescholten gehört auch die Lizenzinhaberin der Mac-Millan-Balletts, die Witwe von MacMillan, Deborah MacMillan. Ihr hohes Alter legt nahe, dass sie nicht mehr ganz den Durchblick hat, wenn sie zu solchen Kommerzmanövern ihre Zustimmung gibt.

Und so ist auch Francesca Hayward als Julia eine glatte Fehlbesetzung. Mit langen schwarzen glatten Haaren und braunem Teint ähnelt sie hier zwar Elisa Carrillo Cabrera, die für ihre Darstellung der Julia in der Choreografie von Nacho Duato letztes Jahr den angesehenen Benois de la Danse erhielt.

Aber Hayward konnte unter den Bedingungen dieser Filmregie keine tänzerischen Großleistungen vollbringen.

Nicht mal ihre Füße sehen hier wirklich elegant oder ausdrucksvoll aus, und wenn Francesca ihre flachen Hände auf den kaum vorhandenen Busen legt, so wirkt das, als wolle sie darauf hinweisen, dass sie aus tanzästhetischen Gründen entweder eine Brustamputation hinter sich hat oder als Ballerina nicht genügend essen darf, um Kurven zu entwickeln. Die eigentliche Bedeutung der Szene, dass sie vom Kind zur Frau wird, geht jedenfalls hopps.

"Romeo & Juliet" von Kenneth MacMillan, im Film verhunzt

Julia (Francesca Hayward) mit ihrer Amme, die hier einen unhistorisch groben Turban trägt, in der Verfilmung „Romeo & Julia“. Fehlt Julia der BH? Videostill: Gisela Sonnenburg von arte.tv

Die Regisseure dieses Machwerks heißen übrigens Michael Nunn und William Trevitt. Beide waren mal Tänzer, beide sind über 50 Jahre alt– und obwohl oder gerade weil Nunn des öfteren als Fernsehregisseur im oberflächlichen Bereich arbeitet, fehlt ihnen komplett jedes Verständnis für die Inszenierung einer Choreografie. So etwas muss man können, und dazu reicht es nicht, irgendwie mal Tänzer oder irgendwie mal Fernsehregisseur gewesen zu sein.

Vielleicht rächen sich die beiden hier aber auch, denn ihre eigenen choreografischen Versuche sind nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Und endlich können sie dem großen Kenneth MacMillan mal eins auswischen, ihn in den Hintergrund rücken, um selbst mit zutiefst simplen, die Choreografie ersetzenden fernsehtechnischen Mätzchen zu brillieren.

Aber von dem eigentlichen, gloriosen Ballett ist wirklich nicht mehr viel übrig.

Die Musik von Sergej Prokoffiew ist zwar – wie immer – erhebend. Aber:

Nicht mal der berühmte steinerne Balkon, den Touristen als angeblichen Originalschauplatz der Liebesanbetung von Romeo an Julia in Verona bestaunen, taucht hier auf.

Stattdessen wird ein kitschiges Ambiente wie für eine Urlaubsshow gewählt – und die Mühe, den Tänzern Tanzböden aufzubauen, machte man sich beim Film auch nicht.

Auf Stein- und Mosaikböden springt und tänzelt es sich aber nicht gut, die Regie bemüht sich auch gar nicht, die Protagonisten irgendwie virtuos erscheinen zu lassen. Und so wirken die Solisten – William Bracewell als Romeo und Francesca Hayward als Julia – hier wie Anfänger.

Auch die Kampfszenen sind teilweise wörtlich in den Sand gesetzt.

"Romeo & Juliet" von Kenneth MacMillan, im Film verhunzt

Regennass im Stroh gelandet: Duellopfer in „Romeo & Juliet“ in der zur Unkenntlichkeit uminszenierten Choreografie von Kenneth MacMillan im Verona-Film. Videostill: Gisela Sonnenburg von arte.tv

Romeos Freund Mercutio, der eigentlich einen ergreifenden Theatertod hat, stirbt hier anscheinend an urplötzlichem Nierenversagen. Der zweite Teil des Kampfes der Montagues gegen die Capulets auf offener Straße endet zudem in einem Schlammwälzen mit Strohbeilage: Die Regisseure hatten die Idee, es regnen zu lassen.

Was hat das mit Mac Millans Inszenierung zu tun?

Sogar der Liebestod findet hier in absurdem Ambiente, nämlich hinter Gittern statt. Aus unerfindlichen Gründen bewegt sich die Kamera, als die beiden Liebenden umbringen, außerhalb der eigentlichen Spielszene – und filmt durch kräftige Gitterstäbe. Man fühlt sich als Zuschauer regelrecht ausgesperrt und sieht nicht mal, wie Julia den Dolch ansetzt.

"Romeo & Juliet" von Kenneth MacMillan, im Film verhunzt

Liebestod hinter Gittern: „Romeo & Juliet“ sterben hinter Gittern, kein Mensch weiß, wieso die Kamera so dumm positioniert ist. So zu sehen in der Verona-Verfilmung mit dem Royal Ballet. Videostill: Gisela Sonnenburg von arte.tv

Tanz ist in solchen Kulissen sowieso nicht möglich – dafür brennen Dutzende von Kerzen im Hintergrund, weil die Zuschauer von Filmen so etwas ja mögen. In einer Gruft– und dort spielt diese letzte, auf der Bühne so anrührende Ballettszene – kann man aber kein Schaumbad bei Kerzenschein nehmen. Das haben die beiden Regisseure wohl vergessen.

Es ist mir schleierhaft, wie man zu diesem Shakespeare-and-Mac-Millan-Massaker seine Zustimmung geben konnte. Solche Filme gehören auf den Müll oder ins Archiv – und nicht teuer an die Öffentlichkeit verkauft.
Gisela Sonnenburg

www.arte.tv

 

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