Ballettkostüme als Vorboten von Sasha Waltz Die Kostüme für das neue Stück „Erde“ von Nacho Duato beim Staatsballett Berlin stammen von der Sasha-Waltz-Designerin Beate Borrmann

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Die Decke spendet zusätzlich zum Tageslicht viel Helligkeit: Blick vom Arbeitstisch empor ins Gewirr der Rohre, in der Abteilung „Kostümmalerei“ beim Bühnenservice Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Ein riesiger quadratischer Tisch steht in der Raummitte, mit Papier und Folie abgeklebt. Federn und Stoffbahnen warten darauf auf ihre Verarbeitung. Eine breite Fensterfront sorgt für viel Tageslicht, und die Zimmerdecke besteht aus einem geschäftigen Gewirr silbriger Rohre. In der Abteilung „Kostümmalerei“ in den „Kleinen Gewerken“ vom Bühnenservice Berlin – gegenüber vom Szeneclub Berghain gelegen – herrscht Atelieratmosphäre. Annekathrin Schreiber, die Kunst studiert hat, ist hier eine der Herrscherinnen. Derzeit tüftelt sie über hellbraunen Stofffetzen, die sie mit klebrigen Pasten bestreicht: „Das wird Rost“, erklärt sie. Denn „Rost“ heißt eine der von Beate Borrmann kreierten Kostümgruppen, die im Ballett „Erde“ („Earth“) von Nacho Duato auftreten werden. Jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit – die Uraufführung mit dem Staatsballett Berlin wird erst in knapp vier Wochen stattfinden, im Rahmen des zweiteiligen Abends „Duato / Shechter“.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Wofür dieser schicke Stoff wohl gedacht ist? Er gehört zum Arsenal für „Erde“ von Nacho Duato… Foto: Gisela Sonnenburg

Normalerweise herrscht an den Theatern und Opernhäusern große Angst, konkurrierende Künstler könnten die Ideen einer Uraufführung klauen. Darum wird zumeist kein einziges Kostüm der Presse gezeigt, bevor es bei der Uraufführung seinen Dienst tat.

Dieses Mal ist alles anders, die Ausnahme bestätigt die Regel: Das Staatsballett Berlin hat keine Angst, möchte die Publicity und lädt zum Anschauen und Berichten ein. Sehr lobenswert!

Das Thema des Stücks steht indes seit langem fest. Schon anlässlich der Premiere des Abends „Herrumbre“ in Berlin im Februar 2016 erzählte Nacho Duato in einem Hintergrundgespräch, dass er ein Ballett zum Thema Umweltverschmutzung machen werde.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Der Rock eines Gewands… zu seiner Bedeutung ist weiter unten zu lesen… Foto: Gisela Sonnenburg

Damals fanden auch die ersten Gespräche zwischen ihm und der Kostümbildnerin Beate Borrmann statt. „Das Bühnenbild von Sven Jonke, ein riesiger Kubus aus matt-transparenter Folie, bestand damals schon als Entwurf“, erinnert sich Borrmann, die Modedesign an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und Kostüm- und Bühnenbild in Krakau studiert hat.

Bisher hat sie in Sachen Theater am häufigsten – nämlich knapp zehn Mal – für die Tanztheater-Choreografin Sasha Waltz gearbeitet. Zufall oder Absicht, aber da Waltz als avisierte Berliner Ballettintendantin ab 2019 die meistgehasste kommende Ballettchefin weltweit sein dürfte (www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-duato-nussknacker/ ), hat Borrmann ungewollt die Weihen einer vorsichtig beäugten Vorbotschafterin.

Ihr Stil ist, wie der von Waltz, denn auch eher kunsthandwerklich als rein künstlerisch, aber das muss am Theater kein Negativum sein.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Wenn die Ölpest die Seevögel dahin rafft, dann gehört das natürlich in ein zeitgenössisches Ballett. Hier ein entstehendes Ölpestvogelkleid von Beate Borrmann für „Erde“ von Nacho Duato in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Für „Erde“ ging es darum, ästhetische Entwürfe für ein sehr ernstes Thema anzuliefern.

Die Figurinen und Pläne sprechen von Poesie und Fantasie – und zitieren doch mit Formen, Farben und Materialien aus der Natur den Planeten Erde, wie er von der Spezies der Menschheit langsam, aber sicher zerstört wird.

Am Anfang stand die Arbeit für die zentrale Hauptfigur, die die Ballerina Aurora Dickie tanzen wird: die „Erde“ als Titelfigur. „Mutter Erde“ nennt Designerin Borrmann sie für sich, in Anlehnung an mythologische und theatergeschichtliche Traditionen.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Beate Borrmann zeichnete diese Figurine für die naturhafte „Erde“, der Titelgestalt von Nacho Duatos neuem Ballett. Foto / Faksimile: Gisela Sonnenburg

Borrmanns Figurine auf dem Papier zeigt ein noch fast unschuldiges Leotard in Moosgrün, das aber schon mit einem repräsentativen Latz aus sich kräuselndem Moos prangt.

Der Latz wurde dann oben und unten deutlich kürzer, dafür kam allerhand an glamourösem Beiwerk hinzu.

Die Materialsammlung zu diesem Kostüm enthält denn auch Pailletten und glänzende Noppen, perlmuttähnlich schimmernde und glänzende Partikel, aber auch weitere Anklänge an die freie Natur.

Als würde hier das Faschingskostüm einer Naturgöttin kreiert…

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Die Materialsammlung gehört in den Aktenordner mit den Figurinen: Beate Borrmanns Pläne für die Titelfigur von „Erde“ von Nacho Duato. Foto: Gisela Sonnenburg

Da jede Paillette einzeln und von Hand aufgenäht wird, ist dieses Outfit auch für die Profis vom Bühnenservice Berlin (die außer dem Staatsballett die drei Berliner Opernensembles sowie das Deutsche Theater beliefern) sehr zeitäufwändig.

Und: Es wird gleich doppelt angefertigt, damit man bei den Vorstellungen eines in Reserve hat. Falls was abplatzt oder reißt…

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Moos für die Titelfigur „Erde“: Es liegt bereit bei Annekathrin Schreiber in der Kostümmalerei vom Bühnenservice Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Bei Annekathrin Schreiber steht denn auch noch ein Karton mit getrockneten Moospolstern, schon mit Draht zum Zusammenstecken versehen, parat.

In der Näherei warten derweil zwei halb fertige „Erde“-Kostüme.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Der Mooslatz wurde ein Mooskragen: am Kostüm der „Erde“ von Beate Borrmann. Foto: Gisela Sonnenburg

Das Eine trägt den immer noch imposanten Moos-Kragen. Das andere ist über und über mit Glitzerwerk bestickt. Man muss sie sich zusammen denken; aus den beiden Halbfertigen wird dann das richtige vollendete Kostüm.

Es war nicht leicht, sagt Beate Borrmann, so viele Applikationen anzubringen und dabei zu bedenken, dass die Tänzerin sich ja raumgreifend zu bewegen hat. Am Ansatz der inneren Oberschenkel sind darum elastische Brücken eingenäht: sie stretchen und dehnen sich, ohne von massiverem Material daran gehindert zu werden.

Das Titelkostüm war der erste Streich, die Kreation von weiteren sechs Figurengruppen folgte in ihrer Zusammenarbeit mit dem Choreografen, dem aktuellen Berliner Ballettintendant Nacho Duato.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Die „Erde“, ein Traum aus Moos und Pailletten: Beate Borrmanns Kostüm für Nacho Duatos neues Ballett. Aurora Dickie wird es bei der Uraufführung beim Staatsballett Berlin tragen. Foto: Gisela Sonnenburg

Da ist der „Rost“. 1,35 cm mal 1,35 cm groß sind die Stofflappen, aus denen später Aufsehen erregende kurze Kleider für einige Damen des Staatsballetts werden. Die dazugehörigen Herren werden einfache rotbraune Hosen tragen. „Diese Pas de deux werden so etwas wie das ‚momentum Mensch’ im Stück sein“, verrät Beate Borrmann schon mal.

Mit dem Rost vom „Rost“ hat Annekathrin Schreiber so ihre liebe Mühe. Ihre Aufgabe ist es stets, die Kostüme, die aus der Näherei kommen, mit Accessoires, Farbe und Chemikalien so zu präparieren, dass sie den Entwürfen der Figurinen ähneln.

So sorgt Schreiber zum Beispiel dafür, dass Tierköpfe und Masken echt dramatisch aussehen – und zudem robust genug sind, um diverse Vorstellungen zu überstehen.

Im Fall von „Rost“ kippt sie diverse Flüssigkeiten und Pasten auf den Stoff, darunter eine rosthaltige, metallische, ziemlich schwere, hellblaue Creme. Nach einer Einwirkzeit kommt Wasser hinzu – die Oxidation besorgt dann den Rest. Fixiert wird das Ganze mit einem Lack.

„Es soll schön hell und gelb aussehen“, weiß Schreiber – rotbrauner Rost allein wäre hier zu langweilig.

Die dicke Pampe auf dem Stoff zeitigt den erwünschten Effekt. Echt hell, echt rostig!

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Der Stoff hier soll Rost ansetzen – dieser dient als Dekor auf Kleidern für Ballerinen vom Staatsballett Berlin in „Erde“. So angerührt zu sehen im Bühnenservice Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Ob die Zutaten nicht gefährlich sind, hatte Schreiber zuvor den Hauschemiker gefragt, der abgewunken hatte. Dennoch riecht das pfützenbildende Geschehen etwas streng, unter anderem nach Schwefel.

Für die Verarbeitung von noch stärker stinkenden Chemikalien gibt es in der Kostümmalerei einen speziellen „Spritzraum“: mit starken Abzügen.

Die Rost-Klamotten hält Schreiber aber ohne besondere Lüftung aus.

Eine weitere Kostümgruppe hält sie ebenfalls auf Trab: Die „Ölkleider“. Sie stehen für von Ölpest betroffene Seevögel.

Zarte, transparente Kleider mit Glockenrock kamen dafür aus der Näherei. Schwarze, gummiartige Kleckse, auf jedes Kleid anders aufgebracht, mal von der Seite, mal von oben, mal von unten, bebildern das Öl.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Gummierte Flecken, die ölig glänzen: Mit Hilfe einer Plastikpuppe, auf der das Kostüm trocknet, wird’s was… so gesehen im Bühnenservice Berlin vor der Uraufführung von Nacho Duatos „Erde“. Foto: Gisela Sonnenburg

„Die Flecken sollen glänzen, und dafür mussten wir uns etwas einfallen lassen“, sagt Schreiber.

Sie fand heraus, dass eine glatte Oberfläche als Unterlage geeignet ist. Also wurde experimentiert: mit Plastikfolien auf den feuchten Flecken – und mit einer durchsichtigen Plastikpuppe unter dem Stoff.

Die Plastikpuppe machte das Rennen: Das Kleid muss dann nur linksrum aufgezogen oder getragen werden. Aber die schwarzen Flecken und Spritzer glänzen auch nach dem Trocknen noch schön ölig…

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Schwarz gefärbte Federn gehören zum Themenfeld der Ölpest – so von Beate Borrmann für Nacho Duato und dessen Ballett „Erde“ ausgedacht. Foto: Gisela Sonnenburg

Einige schwarz getränkte Federn, die auf den Kleidern mit zartem Draht befestigt werden, tun ein Übriges: die femininen Vogelkostüme wirken ästhetisch und prächtig, zugleich aber armselig und geschunden.

„Virus“, „Space“, „Laser“ , „Kohle“ sind die weiteren Titel von Figurinen.

„Space“ steht für kanisterplastikartige, milchig-weiße Plastikanzüge, deren Silhouetten an Astronautenoutfits erinnern. Der Auftritt des Ensembles in den wuchtig ausladenden Hosen sei ein wichtiger szenischer Effekt, verspricht Borrmann.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Knallblau und durchsichtig ist das extravagante Kostüm in „Erde“ für das „Laser“-Themenfeld. Beate Borrmann entwarf es, der Bühnenservice Berlin hat’s genäht. Foto: Gisela Sonnenburg

Erotischer scheint das „Laser“-Kostüm für die Damen in knalligem Blau: Durchsichtig und nur an den prekären Stellen dicht gerafft, wird es in rasantem Laserlicht auf der Bühne erstrahlen. Auch hier musste, wie für die Rost-Kostüme, erst gecheckt werden, ob da was gefährlich sein könnte, am Laserlicht auf der von Scheinwerfern ohnehin aufgeheizten Bühne.

Und auch passende Unterwäsche zu finden, ist nicht immer leicht bei tänzerischen Designs wie diesen – und gehört zu den Aufgaben der Kostümbildnerin.

Wie das „Virus“-Kostüm wohl aussehen wird? Oder das der „Kohle“?

Aber Tanz besteht ja nicht nur aus Kostümen, obwohl diese oftmals sowohl überschätzt als auch unterschätzt werden.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Diese Büste ist noch nicht fertig… aber man erkennt die Wirkung des Kostüms, das es in „Erde“ von Nacho Duato voll entfalten wird. Foto: Gisela Sonnenburg

Die Choreografie wird wohl das Entscheidende sein, zumindest sollte es so sein – die bunten, themengerechten Kostüme sollen indes die Wirkung der Tänzerinnen und Tänzer verstärken.

Deren Gesichter werden wohl, so lässt ein Foto vom letzten Jahr vermuten, grell geschminkt sein. Näheres ist noch nicht definitiv zu sagen. Immerhin bleibt den Künstlern eine juckende Maske aus Naturalien, etwa aus Heilerde – wie sie in Fällen von Naturgeistern, Elfen und Erdwesen am Theater manchmal üblich ist – aller Voraussicht nach erspart.

Die Kostüme von Beate Borrmann für die "Erde" von Nacho Duato

Verklebte Federn auf zarten Gewändern mit schwarzen Spritzern… so leiden in Beate Borrmanns Design die Seevögel in „Erde“ von Nacho Duato. Foto: Gisela Sonnenburg

Man darf gespannt sein: auf den Gesamteindruck wie auf die Details. Ob sich in irgendeiner Hinsicht ein Vorgeschmack auf die Arbeiten von Sasha Waltz ergibt, bleibt womöglich Interpretationssache – und eher keine der Bewertung.
Gisela Sonnenburg

Uraufführung von „Erde“ im Rahmen von „Duato / Shechter“ am 21.4.17 in der Komischen Oper Berlin:

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-duato-shechter/

www.staatsballett-berlin.de

ballett journal