Polizeirazzia im Ballettsaal Das Gute setzt sich durch: Nach weiteren Protesten und einer Razzia tanzt das Bayerische Staatsballett ab sofort nur noch daheim, wie es sich in akuten Corona-Zeiten gehört

Proben sind das Schönste für eingeweihte Ballettfans.

Nur ohne Corona-Viren ist sowas so schön! Ivy Amista und Javier Amo 2015 während einer Probe zu „In the Night“ von Jerome Robbins. Foto aus dem Probenhaus am Platzl vom Bayerischen Staatsballett: Gisela Sonnenburg

Man könnte meinen, es handle sich um ein Drehbuch für einen besonders originellen „Tatort“. Aber es geht um die Realität. Am heutigen Vormittag fand im Ballett-Probenhaus am Platzl in München – dem Hauptsitz des Bayerischen Staatsballetts – eine Polizeirazzia statt. Die Tänzer mussten sich ausweisen, die Personalien wurden aufgenommen. Das war das letzte so genannte „freiwillige“ tägliche Training, das Ballettdirektor Igor Zelensky trotz der Pandemie in seiner Domäne abhalten ließ. Ab morgen werden die Profis – wie es sich in Corona-Zeiten gehört – nur noch daheim trainieren. Auch die Ballettproben, die weiterhin vorgesehen waren, sind nun gestrichen. Rückblick: Eine gute Woche ist es her, dass ich hier im Ballett-Journal als erste Presseinstanz enthüllte, dass die bayerische Truppe, an den allgemein geltenden Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie glatt vorbei, täglich trainierte und probte. Laufend erstattete ich Bericht. Gestern konnte ich hier mitteilen, dass das Bayerische Staatsorchester entgegen den Wünschen von Opernintendant Nikolaus Bachler die Proben für das ehrgeizige Opernprojekt „7 Deaths of Maria Callas“ verweigert. Damit werden Infizierungen ganz klar verhindert. Heute hat sich endlich das Richtige und Gute auch im Ballett durchgesetzt, durch starken Druck.

Auch das Pilates- und Fitnessstudio beim Probenhaus bleiben endlich morgen geschlossen. Höchste Zeit!

Blamiert hatte sich hingegen zuvor noch der Betriebsarzt vor Ort. Er hat am gestrigen Montag das umstrittene Training im Balletthaus inspiziert. Zu aller Überraschung war er aber damit hochzufrieden, dass die Ballettmeister beim Training an der Barre, also an der Ballettstange, auf Sicherheitsabstände zwischen den Tänzern achteten.

Die Umkleiden und Duschräume wurden von ihm vermutlich einfach gar nicht  bedacht.

Die Ballettdirektion hatte da auch keine Bedenken. Man muss schon mal deutlich sagen: So eine Fahrlässigkeit hätte es unter Zelenskys Vorgänger Ivan Liska sicher nicht gegeben.

So sieht der Arm eines Polizisten in Bayern aus: Wappen gut, alles gut, dieses Mal jedenfalls. Die Razzia im Ballettsaal war völlig berechtigt. Faksimile / Wikipedia: Gisela Sonnenburg

Was die heutige Ballettleitung nicht hinbekam, regelte dann die Polizei, teils in Uniform, teils in Zivil. Mit durchschlagendem Ergebnis:

Der Spuk von trotz Corona-Viren einfach weiter tanzenden Ballettprofis in München ist jetzt beendet.

Richtig so! Wir danken dem beherzten Einschreiten der Bayerischen Polizei – und müssen schmunzelnd anfügen, dass wir eigentlich nie gedacht hätten, dass es mal dazu im Ballett-Journal kommen würde.

Auch für die Polizisten war es eine Jungfernfahrt: Keiner von ihnen hatte zuvor einen Ballettsaal mit professionellen Künstlern von innen gesehen. (Schade, dass sie nun einen so schlechten Eindruck von unserer Branche haben müssen.)

Wir danken aber weiter allen Münchner Ballettkünstlern vom Staatsballett, die nicht an den sturen „freiwilligen“ Trainings und Probenveranstaltungen nebst krampfigen Auftritten auf der Opernbühne beim montäglichen Online-Stream teilgenommen haben.

Ich erlaube mir mal zu sagen: Charakter ist eben auch wichtig, sogar als Profikünstler!

Proben sind das Schönste für eingeweihte Ballettfans.

Noch ein Blick zurück ins Jahr 2015, lange vor der Corona-Krise: Ivy Amista vom Bayerischen Staatsballett bei einer edlen Arabeske, während Javier Amo sie hält, vor ihr kniend. Foto aus dem Ballettprobenhaus: Gisela Sonnenburg

Igor Zelensky und seine Ballettmeisterriege stehen nun vor den dankbaren Aufgaben, sich einerseits zu schämen und einzusehen, dass sie im Unrecht waren, und andererseits dürfen sie voll Tatendrang schleunigst Konzepte für Online-Trainings für ihre Truppe entwickeln.

Da sind ihnen die anderen Compagnien in Deutschland nun schon ein gutes Stück voraus, denn sie haben in den vergangenen Wochen bereits sehr tolle gegenseitige Hilfen ersonnen.

Bayern als trauriges Schlusslicht… das ist ja mal eine ganz andere Rolle, als die lokale Politik sie für das südliche Bundesland gern vorsieht.

Wir freuen uns aber umso mehr auf die hoffentlich originellen und nützlichen Trainingsideen, die nun auch das Bayerische Staatsballett haben wird.

Für Mundschutz für die Künstler sorgt fortan immerhin ihr eigenes Opernhaus, denn dort fertigen die Schneidereien jetzt statt bunter Kostüme tragbaren Stoffmundschutz an.

Vernunft, du hast endlich die Oberhand gewonnen – und jetzt geht es bitte für alle fleißig darum, den Corona-Viren zu zeigen, dass sie uns nicht zu Zombies machen können.
Gisela Sonnenburg

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