Jazzig, peppig, fetzig und poetisch: Schwedens kindlichen Dauersuperstar gibt es auch im Ballett, und zwar in einer Aufzeichnung aus dem Opernhaus in Helsinki. „Pippi Langstrumpf in der Oper“ heißt das Werk, das arte.tv noch bis zum 20. April 2020 online zeigt. Sollte der Familiensegen mal schief hängen und die Stimmung gen Null tendieren – um das Wort „Lagerkoller“ zu vermeiden – kann der Bildschirm zurzeit sowieso flugs helfen. Nicht nur die Fernsehsender, sondern auch die Opernhäuser und Theater strengen sich an, ihre „Juwelen“ an Aufzeichnungen aus dem Archiv zu holen und online zu setzen. Das Pippi-Ballett nach der 1944 ersonnenen Buchfigur von Astrid Lindgren wurde erst letztes Jahr, also 2019, aufgezeichnet.
Die Musik kommt von Georg Riedel und Stefan Nilsson. Von Riedel stammt auch der seit der Fernsehserie aus dem letzten Jahrhundert weltberühmte Gassenhauer „Hej, Pippi Langstrumpf“, hollerihollerahollehoppsassa!
Diese Melodie von 1969 wird uns hier selbstverständlich nicht vorenthalten.
Und Nilsson ist als Filmkomponist ebenfalls darauf spezialisiert, Musik nicht absolut zu sehen, sondern als umarmendes Crossover für optische Bewegungen zu entwerfen.
Karl Dyall und Pär Isberg schufen eine Choreografie, die vor allem im ersten Drittel (das von Karl Dyall kommt) die Eleganz melancholischer Kleinstadt-Langeweile mit der Buntheit einer deftig-fantasievollen Show vereint.
Von der ersten Sekunde an spritzt eine märchenhaft gute Laune durch das Stück.
Pippi (Abigail Sheppard) steigt hier aus den Publikumsreihen über den Orchestergraben hinauf auf die Bühne. Sie ist eine von uns, soll das heißen – und auf angemessen kesse Art und Weise stellt sie sich in einem Solo mit kecken Sprüngen und kommunikativer Gestik vor.
Sie trifft, wie bei Lindgren, auf die „normalen“ Kinder Annika und Tommy (Annika trägt hier allerdings reines Rosa – es fehlt das dazu munter kontrastierende Gelb). Zu dritt mischen sie fortan das Umfeld einer verklemmten und allzu konventionellen Allerweltsstadt auf.
Mit ihrem kleinen Affen Herrn Nielson und ihrem Apfelschimmel, vor allem aber mit ihren punkig-witzigen Klamotten und der abstehenden Zopf-Frisur ist das rothaarige Gör Pippi hier von Beginn an die Domina des Spaßkults.
Ihre Villa Kunterbunt wird ergänzt von einem auch sonst mit Details reich geschmückten Bühnenbild (Bo-Ruben Hedwall) und ebenfalls kunterbunten Kostümideen (Ann-Mari Anttila).
Doch je weiter das Musical ohne Musical – musikalisch und szenisch ist es außerordentlich leicht verdaulich – voranschreitet, desto mehr vermisst man ein psychologisches Innenfutter.
Einerseits bezaubern die Szenen, auch die Tänze mit Pippis Vater aus Taka-Tuka-Land, auch die ulkigen Orang-Utans in Tanzstimmung, auch eine surreale Traumreise unter Wasser .
Aber der Tiefsinn des Besseren, das nur durch die Konfrontation mit dem Anderen zu Tage tritt und wie er in Astrid Lindgrens Kinderliteratur zu spüren ist, wird im Ballett in Helsinki der puren Spaßmentalität geopfert.
Sehenswert ist es dennoch, und gerade in Corona-Zeiten kann eine so konsequente Aufmunterung niemals verwehrt werden.
Ganz nebenbei beweist das Corps de ballet der Finnischen Nationaloper, dass Ballett auch ohne Supersahnetechnik und sogar mit molligen Tänzerinnen sehr schön sein kann.
Insofern punktet diese Aufzeichnung gleich mit zwei Modernisierungstrends: Zum Einen wird ein populäres Literaturthema als Tanzstück inszeniert, zum Anderen wird auf die biedere Einheitsidealität superschlanker Körper glatt verzichtet. Das ist schick und schön, frech und flott und genau so, wie Pippi es sich auch gewünscht hätte.
Gisela Sonnenburg
Bis zum 20.4.20 auf www.arte.tv