Über den Traum von der ewigen Jugend „Das Bildnis des Dorian Gray“ nach Oscar Wilde, als Ballett von Lode Devos: Uraufführung beim Staatstheater Cottbus

Dorian Gray von Oscar Wilde ist eine topaktuelle Figur.

Jason Sabrou tanzt den Dorian Gray im neuen Ballett, das Lode Devos für das Ensemble vom Staatstheater Cottbus kreierte. Und Sabrou ist auch das Vorbild für „Das Bildnis des Dorian Gray“. Foto: Marlies Kross

Das Enfant terrible der englischsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts ist immer für ein Bonmot gut. „Es kommt darauf an, den Körper mit der Seele und die Seele durch den Körper zu heilen“, befand Oscar Wilde (1854 – 1900). Und: „Wer findig genug ist, eine Lüge glaubhaft darzustellen, mag lieber geradezu die Wahrheit sagen.“ So provokant glitzernde Aphorismen finden auch die Theaterleute beeindruckend, die aus der Vortäuschung keine Lügen, sondern Kunst zu machen wissen. Dirk Neumann, Ballettchef in Cottbus, ging die Idee, aus Wildes einzigem Roman, dem oft dramatisierten Werk „Das Bildnis des Dorian Gray“, ein Ballett fürs Tanzensemble in Cottbus maßschneidern zu lassen, jedenfalls nicht mehr aus dem Kopf.

Einen willigen Choreografen zu finden, war indes gar nicht so einfach: Die Neumann zuerst anfragte, zögerten, weil ihnen die Berühmtheit der Literarvorlage zu schaffen machte. Der einstige Chemnitzer Ballettdirektor Lode Devos, ehemals Tänzer von Maurice Béjart und versiert darin, in einem von Béjart geprägten Stil getanzte Biopics zu choreografieren, sagte jedoch gleich begeistert zu. Bisher hat der gebürtige Belgier Devos noch jedes knifflige Thema gut in den Griff bekommen: zu Melina Mercouri („Melina“), Tom Waits („Tom Waits – Getanzte Songs“) und Jacques Brel („Brel – Getanzte Chansons“) schuf er in seiner Chemnitzer Zeit Biopic-Abende, die weit über dem durchschnittlichen Niveau der kleineren Bühnen in Deutschland lagen.

Aus Guadeloupe, wo Devos eine kleine Compagnie aufbaut, ist er jetzt angereist, um wieder für ein hiesiges Stadttheater zu kreieren. Ihn inspirierte die Idee, für Neumanns motiviertes Ensemble ein kluges Stück zu machen. Lode Devos ist aber sozusagen im positiven Sinn ein künstlerischer Handwerker, ihn faszinierten weniger die intellektuellen Fragestellungen, die der „Dorian“ aufwirft, sondern er sah sich vor allem vor die Aufgabe gestellt, mit neun Tänzerinnen und Tänzern auszukommen, um eine Spieldauer, die im Buch mehrere Jahrzehnte umfasst, in eineinviertel Stunden zu fassen.

Dorian Gray von Oscar Wilde ist eine topaktuelle Figur.

Lode Devos (rechts) und Jason Sabrou auf der Probe: Es geht um nichts Geringeres als um „Das Bildnis des Dorian Gray“, das in Cottbus vom Roman zum Ballett mutiert. Foto: Marlies Kross

Mit „Eckszenen“ entwarf er sich ein Libretto, das dem Verlauf der Handlung stand hält, ohne sie zu einzuengen. Wie im Roman von Oscar Wilde, aber mit modernen ballettösen Mitteln, wird die Geschichte des vornehmen, verwöhnten Dorian Gray erzählt.

Der ihm befreundete Zyniker Lord Henry Wotton macht den lebenshungrigen Dorian mit Basil, einem Kunstmaler, bekannt. Prompt wird Dorian portraitiert, und das Bild spiegelt seine jugendliche Schönheit und Noblesse. Dorian wünscht sich, immer so zu bleiben – soll doch das Bild an seiner Stelle altern und die Spuren des Lebens zeigen!

Und tatsächlich: So geschieht es. Es dauert eine Weile, bis Dorian Gray es selbst bemerkt. Aber dann wird ihm klar, dass er das Bildnis besser vor den Besuchern seines Hauses versteckt. Denn während seine eigenen Gesichtszüge klar und ungetrübt bleiben, graben sich in das Portrait die physiologischen Abdrücke nicht nur des biologischen Alterns, sondern auch von charakterlicher Verkommenheit ein.

Dorian aber mutiert, verführt von Lord Henry und der Aussicht, ewig jung zu erscheinen, zu einem unmoralischen Ausbund der Ausschweifung und Skrupellosigkeit.

Die junge Schauspielerin Sybil, die sich in ihn verliebt, wird sein Opfer. Seine Herzlosigkeit treibt sie in den Freitod. Aber auch das bewegt Dorian nicht dazu, seine Lebensrichtung zu ändern: So unschuldig und makellos Dorian Gray aussieht, so verworfen ist er im Herzen.

Vor einem Mord schreckt er nicht zurück… Am Ende aber lauert auf ihn der Tod – und zwar kein gewöhnlicher.

Dorian Gray von Oscar Wilde ist eine topaktuelle Figur.

Die wahre Liebe hat keine Chance, wenn die Gier nach Oberfläche und Anschein regiert: Hier Jason Sabrou als Dorian und Greta Dato als Sybil in Lode Devos‘ „Das Bildnis des Dorian Gray“ beim Staatstheater Cottbus. Foto: Marlies Kross

Der junge französische Tänzer Jason Sabrou, der auf der John Cranko Schule in Stuttgart seine Ausbildung abschloss, tanzt den Dorian Gray. Lode Devos sagt, er sei sehr zufrieden mit ihm – wie er überhaupt mit der einzigen Brandenburgischen Balletttruppe ganz glücklich ist.

Zu Musiken von Franz Schubert, Sergej Rachmaninov und Arnold Schönberg entfaltet sich ein kleiner Kosmos des Guten und des Bösen – und auch der im wörtlichen Sinn geistreichen Rache…

Dass der 1890/91 zuerst erschienene dazu gehörige Roman damals als höchst brisant eingestuft wurde und dazu beitrug, den homosexuellen Oscar Wilde wegen „Unzucht“ vor Gericht zu stellen, dass der Dichter wegen seiner Veranlagung denunziert und verächtlich gemacht wurde, dass das Buch dennoch seinen Siegeszug durch die Weltgeschichte antrat, kann man sich außerdem sinnvollerweise dazu denken.

Der Traum von der scheinbar ewigen Jugend, der den Charakter indes umso schlechter werden lässt, war derweil wohl nie so aktuell wie heute. Gerade im internationalen Ballett wurde aus Schönheitssinn längst Schönheitsterror – mit Magerkeitswahn und Ohranlegungen und umoperierten Gesichtern – nicht ganz flächendeckend, aber doch in erheblichem Ausmaß.

Und es wird kräftig am vorgeblich idealen neuen Bildnis des Menschen verdient. Aber wer bestimmt, was schön ist und was nicht? Müssen sich denn alle immer stärker gleichen? Die kosmetische Industrie boomt, blutige und unblutige Manöver an Gesicht und Körper lassen Menschen um Jahre und Jahrzehnte jünger aussehen, bei manchen – auch prominenten – Zeitgenossen weiß man schon fast nicht mehr, ob sie noch ein Gesicht oder schon eine hauchdünne Maske aus Wachs und Plastik tragen.

Faltenfrei „therapierte“ Hände bei Sechzigjährigen; Silikonbrüste und Pobackenimplantate bei Siebzigjährigen; abgesaugte Bauchfettpolster bei Achtzigjährigen; schlauchförmig aufgespritzte Lippen bei Neunzigjährigen… Doch je mehr Aufmerksamkeit auch Jüngere nur auf ihr Aussehen fokussieren, umso eher sind ihre inneren Werte in der Gefahr, vernachlässigt zu werden.

Dorian Gray von Oscar Wilde ist eine topaktuelle Figur.

Der Traum von der individuellen Freiheit scheint so eng mit ewiger Jugend einher zu gehen… Hier Jason Sabrou (Dorian Gray) mit Stefan Kulhawec (Lord Henry Wotton) und Niko König (Basil) vom Staatstheater Cottbus in „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Lode Devos. Foto: Marlies Kross

Zufall oder Absicht? „Das Bildnis des Dorian Gray“ legt den Finger in die Wunde einer maximal jugendbesessenen Welt, in der sich Menschen gegenseitig viel zu oft nur nach der Oberfläche – und natürlich nach ihrem Vermögensstand – beurteilen. Als hätte man die verrückte Geschichte von einem, der sein Abbild mit sich selbst verwechselt, gerade erst heute erfunden… Aber lassen wir den Dichter Oscar Wilde selbst uns trösten: „Es gibt nur eine Sünde: die Dummheit.“ Und dumm ist der Plan, heute über Dorian Gray ein Ballett zu machen, auf gar keinen Fall!
Gisela Sonnenburg

Premiere in der Kammerbühne vom Staatstheater Cottbus (in Brandenburg): am 22. Januar.

Weitere Termine: 30.1., 13.2., 27.2., 24.3., 22.4., 8.5.16

www.staatstheater-cottbus.de

 

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