Was das Herz erfreut! Das perfekte Erlebnis bei der „Gala des Étoiles – Russian Seasons Mystery“ in Luxemburg

Francesco Daniele Costa, Evelina Godunova und Lou Thibert beim Schlussapplaus nach der „Gala des Étoiles – Russian Seasons Mystery“ 2019 in Luxemburg – Glück pur für alle! Foto: Franka Maria Selz

Georges Rischette schafft es einfach immer, eine Gala zusammenzustellen, die die Herzen bewegt! Der luxemburgische Gastgeber hat genau das richtige Händchen, um berühmte bravouröse Glanznummern und virtuose neue Kleinigkeiten zu einer explosiven Mischung zusammenzufügen. In diesem Jahr brillieren vor allem Maria Eichwald und Daniil Simkin, Liudmila Konovalova und Yong Gyu Choi mit exzellent dargebotenen Klassikern. Liudmila Konovalova zelebriert zudem ein flammendes Credo an den Tanz als Kunst des Dialogs mit Musik, welches die zunehmend international renommierte Jungchoreografin Xenia Wiest für sie und den Violinisten Yury Revich erschuf. Mit dieser Uraufführung profilierte sich die „Gala des Étoiles“ einmal mehr als Tribüne für echte Talente, die im Reigen der weltbekannten tänzerischen Juwelen bestens zur Geltung kommen können. Noch einmal funkelt und fetzt das Programm „Gala des Étoiles – Russian Seasons Mysteryheute, am Sonntag, nachmittags um 17 Uhr– dann müssen die Fans wieder ein Jahr warten, damit 2020eine neue Ausgabe der „Sternen-Gala“ bezaubert.

Xenia Wiest at work – bisher tanzte sie beim Staatsballett Berlin, machte sich als Choreografin bereits einen Namen und wechselt kommende Saison nach Hannover. Best wishes! Berlin weint ihr nach, aus gutem Grund, wie man jetzt auch in Luxemburg weiß. Foto: anonym / Facebook

Es beginnt mit dem serenadehaften Stück „Impact“ („Wirkung“) von Rafael Avnikjan, das die Wiener Ausnahmeballerina Ketevan Papava schon durch ihre starke Persönlichkeit zu einem ballettösen Leckerbissen macht. Ketevan wird später noch einmal in einem Solo resolut auftrumpfen, und zwar in dem berühmt-berüchtigten Meisterwerk „La Cachucha“ von Jean Coralli, das zu Ehren der betont sinnlichen romantischen Ballettkönigin Fanny Elßler 1836 kreiert worden war. Mit Fächer und im Flamencorock ist Ketevan Papava genau die Richtige, um diesem feurigen Happen, der aus der Idee des spanischen Volkstanzes geboren ist, neues Leben einzuhauchen. Was für eine Freude, diese vor Lebenslust förmlich sprudelnde Künstlerin in diesem Ornat mit dieser Nummer zu sehen! Fanny Elßler wurde in ihrem Einfluss auf das Ballett ja oftmals unterschätzt, und jetzt ist es an der Zeit, ihr endlich allen Tribut zu zollen, den sie verdient.

Georges Rischette von DanceXperience, als Direktor der Kopf und Macher der „Gala des Étoiles“, die alljährlich im Sommer in Luxemburg stattfindet: Die Ballettwelt verdankt ihm unvergessliche Momente. Foto vom Applaus: Franka Maria Selz

Die Elßler ist und bleibt, geschichtlich gesehen, die große Gegenspielerin zur ätherischen, stets superleicht scheinenden, „schwebenden“ Primaballerina, wie Marie Taglioni, die Miterfinderin des Spitzentanzes, sie verkörpert. Zu Lebzeiten galt Elßler sogar als Konkurrentin der Taglioni, wiewohl sie vom Rollenprofil her wirklich anders „gestrickt“ war.

Der Dichter Heinrich Heine, auch ein Zeitgenosse der romantischen Ära, unterschied zwischen „Sensualismus“ und „Spiritualismus“. Sinnlichkeit und Übersinnlichkeit! Wobei das Eine nicht ohne das Andere auskommen kann und beide sich auch gegenseitig nicht nur bedingen, sondern sogar beinhalten. Allein der Akzent macht den großen Unterschied.

Insofern stand die Elßler, die zudem Österreicherin war und von der Ausbildung her aus Wien kam, für den Sensualismus, und dieTaglioni, die von Paris aus wirkte, für den Spiritualismus. Hure und Heilige, die ewigen Kontrastbilder der Frauen im männlichen Blickwinkel, finden hier ihre vornehmere, ballettöse Ausprägung.

Igor Zaprevdin und Natascha Ipatova bilden die Künstlerische Leitung: ohne sie gäbe es keine „Gala des Étoiles“ in Luxemburg. Dankeschön! Foto: Promo

Ketevan Papava, in Tiflis geboren und bei Waganova in Sankt Petersburg ausgebildet, hat dieses heutzutage im Ballett so schrecklich selten gewordene Temperament, das aus einer Ballerina eine Sexbombe macht. BeimWiener Staatsballett weiß man das zu schätzen und räumt ihr seit 2015 den Status einer Ersten Solistin ein. Und wenn sie nun sogar als tanzendes Superego von Fanny Elßler in Flamenco-Schuhen über die Bühne rattert, dann dürfte das Herz eines jeden Ballettfreundes, einer jeden Ballettfreundin hüpfen, denn eben dieser folkloristische Sexappeal ist eine der ganz wichtigen Wurzeln der hehren Kunst des klassischen Tanzes. Das wurde nur im Gedränge all der weißen Geisterfrauen auf den Ballettbühnen allzu oft vergessen…

Ketevan Papava vom Wiener Staatsballett: eine Primaballerina mit besonders sinnlichem Flair. Foto vom Wiener Staatsballett: Michael Höhn

Ein ebenfalls sinnliches Stück ist der Tanz der Zobeide mit dem Goldenen Sklaven aus „Sheherazade“, und Ketevan Papava tanzt es in Luxemburg in der Originalchoreografie von Mikhail Fokine, gemeinsam mit dem muskulös-geschmeidigen Alessandro Staiano vom Teatro di San Carlo Napoli. An eben diesem neapolitanischen Opernhaus erhielt ihrerzeit Fanny Elßler übrigens ihr erstes Engagment. Und wo wir gerade nochmal bei der Elßler sind: Deren Vater war Kammerdiener bei dem immer etwas blutleer wirkenden Komponisten Joseph Haydn, und es ist, als habe Terpsichore von Haydns tändelnden, getragenen Feierlichkeiten in Notenform die Nase gestrichen voll gehabt und sich mit der Geburt der Elßler ins kulturelle Weltgeschehen vor Ort eingemischt. Sie setzte die Sinnlichkeit gegen das Übersinnliche!

Gegen so viel Verzauberung der Sinne hat es der Frauen-Pas-de-deux „How much do we dare to see?“ von der hoch geschätzen ehemaligen und künftigen Ballettdirektorin Marguerite Donlon (die beim Theater in Hagen antreten wird) nicht ganz einfach. Annick Schadeck und Rhiannon Morgan aus Luxemburg gleiten hier in hautfarbenen Bodies dahin wie zwei vor allem ästhetisch wirkende Schlangen, die sich noch nicht entschieden haben, ob sie einsame Kreaturen bleiben oder ein harmonisches Pärchen werden wollen. Am Ende tanzen sie synchron, aber getrennt voneinander, gen Bühnenhorizont. Diese Uraufführung war eine kleine Freude voller ungelöster Geheimnisse, was zum diesjährigen Motto der Gala („Russian Season Mystery“) durchaus passt.

Putzig, witzig, spritzig, larmoyant dagegen der gestisch-pantomimisch illustrierte „Hummelflug“ zur eindeutigen Musik von Nikolai Rimsky-Korsakov, von Alessio di Stefano choreografiert und von Francesco Daniele Costa aus Neapel vorgeführt. Das ist mal wieder ein Stich für die Sinnlichkeit!

Hier in „Le Corsaire“ zu sehen: Liudmila Konovalova und Young Gyu Choi, sie aus Wien, er aus Amsterdam – eine explosive Mischung fürs Luxemburger Gala-Programm. Immer wieder toll! Foto: Promo

Doch das Übersinnliche lässt nicht lange auf sich warten. Mit Liudmila Konovalova und Young Gyu Choi Konovalova kommt als Primaballerina vom Wiener Staatsballett, ihr Partner als Principal von Het Nationale Ballet in Amsterdam) rückt es verstärkt an, um uns in seinen Bann zu ziehen. Mit dem großen Pas de deux aus dem Weißen Akt aus „La Bayadère“ triumphiert die erhabene Schönheit aus dem „Königreich der Schatten“, in der Originalchoreografie von Marius Petipa.

Eleganz und Sprungfertigkeit, Feinfühligkeit und Präzision gehen hier Hand in Hand, um dem Miteinander von Mann und Frau eine ganz eigene, auch eigenartige Dimension zu verleihen. Nicht umsonst zählt dieses Stück Ballettkunst zu den am meisten verbreiteten Tanzszenen der Hochkultur überhaupt! Man kann sich gar nicht sattsehen an den elysischen Gefilden, die hier in Blau und Weiß schimmern und glitzern. Der optische Eindruck der Kostüme setzt sich in der Choreografie fort…

Direktor Georges Rischette und seine beiden Künstlerischen Leiter – seine Gattin Natascha Ipatova und Maestro Igor Zapravdin setzen in dieser Saison sowieso nochmal eins drauf, indem sie den Bühnenhintergrund mit einer Blue Wall ausstatteten, auf die, passend zu den einzelnen dargebotenen Szenen, Bühnenbilder projiziert werden.

Diese Illumination der Bühne macht sie noch einmal mehr zum Zauberkasten unserer Wünsche und Träume!

Laurent Beretta – ein zaubernder zauberhafter Moderator, zu sehen auf der Ballett-Gala in Luxemburg bei Georges Rischette. Foto: Franka Maria Selz

Und der gut aussehende Moderator Laurent Beretta steht dem in nichts nach: Versiert in allerlei Tricks und Zauberkünsten sowie mit glänzendem Humor ausgestattet, lockert er die Zwischenzeiten zwischen den einzelnen „Ballett-Bonbons“ auf, er spendet Pralinés der Satire oder auch Hingucker aus dem Neuesten der magischen Kniffe.

Es hat ja seinen Sinn, dass Ballett-Galas traditionellerweise von einem Zauberer konferiert werden. Und Beretta hat all das Rüstzeug, das uns immer tiefer in eine Welt der unterhaltsamen Bühnenkünste hinein zieht…

Der Gegensatz dieser Zirkus-Aspekte einer Gala zur hohen Tanzkunst in den Ballettauszügen ist dennoch manifest und nicht von der Hand zu weisen. Gerade das macht den Reiz aus – und gerade, weil ein Conférencier wie aus der Zirkusarena vor uns steht, wirken die edlen Tanzkünste umso intensiver.

Dieses im übrigen bewährte Konzept beweist, dass Programmmacher, die deutlich schlichter, aber eben auch oft eindimensional denken, an solche Delikatheit in der Stimmung niemals herankommen können!

Kyikoa Hashimoto vom Wiener Staatsballett – ein Hingucker auf der Bühne, hier auch in einem Pas de deux von Thierry Malandain. Foto: Wiener Staatsballett / Michael Pöhn

Mozart à 2“ ist dazu eine gediegen-leichte Petitesse aus dem Mittelmeerraum; der verdiente Thierry Malandain, Ballettchef aus Biarritz, vertraut sie der bildhübschen Kiyoka Hashimoto und dem sportiven Masayu Kimoto (beide vom Wiener Staatsballett) an. Ach, das ist Mozart, wie er vielleiht heute gelebt und geliebt hätte!

Doch was kann auf einer Gala mehr glänzen als „Le Corsaire“ von Marius Petipa?! Der „Pas d’esclave“ aus dem ersten Akt wird allerdings ziemlich selten im Rahmen einer Gala feil geboten. Hier vermögen es Evelina Godunova vom Staatsballett Berlin und Francesco Daniele Costa vom Teatro die San Carlo Napoli, die Mischung aus tragikomischen Aspekten, die in der Sklavenmarkt-Szene vereint sind, mit faszinierender Interpretationskraft zu übermitteln. Am Ende darf der Pirat seine entzückende Medora glücklich entführen und so dem rigiden Patriarchat des Paschas entziehen. Womit das Ballett erst so richtig losgeht… doch dazu später mehr.

Zunächst gibt es einen weiteren Leckerbissen aus dem Reigen bekannter Gala-Piecen: Die „Meditation“ aus „Thais“ von Roland Petit steht stilistisch, im Vergleich zum supersinnlichen „Corsaire“, eher wieder für das Übersinnliche, das Spirituelle. Aber inhaltlich geht es genau um diesen Kampf des Sinnlichen mit dem Übersinnlichen, der Erotik mit der Religion. Ha! Die beiden Beweggründe für Ballett finden sich manchmal auch thematisch nochmals gebündelt.

Die göttliche Maria Eichwald beim Applaus nach der „Gala des Étoiles“ 2019 in Luxemburg – voll Freude, voll Herz! Foto: Franka Maria Selz

Und wenn Maria Eichwald, die Göttliche, die hin- und hergerissene Thais tanzt, hier mit dem souverän-männlichen Alessandro Staiano aus Neapel als Partner, dann weiß man wirklich nicht, welcher Neigung des Menschen man den Vorzug geben soll. Am besten ist es wohl, wenn Sexus und Heiligtum zusammen kommen, gerade so wie hier…

Allein schon die fulminanten Hebungen und die noblen Arabesken in diesem Stück machen es übrigens zu einem absoluten Highlight auch dieser Gala. Man kann es gar nicht oft genug sehen.

Na, und Maria Eichwald, die Starballerina, die vom Stuttgarter Ballett aus ihren Weg durch die Welt macht, weiß der Sache ihren ganz besonderen Schmelz der Zartheit, Zärtlichkeit und auch Weiblichkeit zu verleihen. Voilà! Kunst auf höchstem Niveau!

Da wird es auch Zeit, endlich die beiden Live-Musiker des Abends näher zu würdigen und zu bedanken.

Maestro Igor Zapravdin zwischen zwei charmanten Damen: Ketevan Papava (links) und Liudmila Konovalova (rechts) – so gesehen beim Schlussapplaus nach der Gala in Luxemburg 2019 von Franka Maria Selz

Igor Zapravdin ist den Umgang mit Ballettkünstlern aus Wien gewohnt, er zählt zu den ganz Großen, die das Piano zu einem unabdingbaren Partner der Tanzkunst machen. Danke, Igor, für all die Geduld und die Weihe, für das im wahrsten Sinne des Wortes taktvolle Geleit des Tanzes, für seine auf den Moment genaue akustische Begleitung. Zapravdin steht für beste Ballettmusik as the piano can – die Künstlerinnen und Künstler von der Gala ebenso wie vom Wiener Staatsballett, denen Igor das ganze Jahr über zur Seite steht, sind da vom Rest der Ballettwelt nur zu beneiden.

Die schmeichelnde Violine, die in „Thais“ mit den sanftmütig schluchzenden Melodien von Jules Massenet aufspielt, verkörpert hier der junge Yury Revich, der ebenfalls aus Wien anreiste. Er ist auch in der Carnegie Hall in New York und in der Mailänder Scala gern gesehen und gehört, und dass er vor wenigen Jahren eine eigene Konzertreihe in Wien ins Leben rief, ehrt ihn als nonkonformistischen, der Erneuerung verpflichteten musischen Geist.

Mit seinem Spitzenhändchen für Talente angelte Georges Rischette hier mal wieder jemand ganz Besonderen für seine Gala!

Wie diese beiden Musiker beim Spielen harmonieren, ist ein Ohrenschmaus – und man möchte vier Ohren oder sechs haben, um alle Nuancen voll aufzunehmen. Im Grunde könnten es dann auch vier oder sechs Augenpaare sein, die man hat, um der Delikatesse des Bühnentanzes begierig zu folgen – wir führen jetzt bitte nicht die Diskussion, wie das praktisch aussehen würde und welche Auswirkungen es hätte.

Daniil Simkin, hier auf dem offiziellen PR-Foto vom American Ballet Theatre – immer ein zuverlässig umjubelter Star auf Galas.

Zumal unmittelbar vor der Pause noch ein typischer Gala-Knüller kommt, der international immer wieder bestaunt wird und den Daniil Simkin und Dinu Tamazlacaru (beide vom Staatsballett Berlin, SBB) weltweit abwechselnd und in jeweils auf sie zugeschnittenen Versionen anzubieten wissen: „Les Bourgeois“ heißt das sprunggewaltige Solo von Ben van Cauwenbergh zu einem Chanson von Jacques Brel, das in Anzughose und mit gelockerter Krawatte getanzt wird, aus der Situation einer nächtlichen Trunkenheit in den Straßen von Paris heraus.

Dieses Jahr tanzt Daniil Simkin, der von Berlin aus weiterhin beim American Ballet Theater (ABT) gastiert, seine Version, mit der er seit über zehn Jahren immer wieder Furore macht: Da wird der Oberkörper waagerecht in die Luft geworfen, während die Beine dazu ein Rad schlagen, da wird im leichten plié akkurat pirouettiert und der Arm lüstern in die Höhe gerissen, da wird hustend scheinbar die letzte Zigarette geraucht, bis das Hemd völlig verrutscht, und da werden Träume und nochmals Träume von Hubschraubersprüngen wahr. Voilà, voilà, voilà – die Fans jubeln, sowie die Füße des Tänzers gen Schnürboden schnellen.

Man kann die Pause gut nutzen, um zu verschnaufen und auf dem Platz vor dem Grand Théâtre de la Ville die Luxemburger Stadtluft auszutesten.

Und dann geht es auch schon weiter mit dieser Kollektion aus Pretiosen, wie man sie so eben nur bei Georges Rischette erleben kann.

Der zweite Teil beginnt mit einer Überraschung. Denn wer in Manuel Legris einen Verfechter bester Traditionen vermutet, hat natürlich nicht ganz Unrecht. Der leider bald scheidende Ballettdirektor des Wiener Staatsballetts, der dort ganz hervorragende Arbeit geleistet hat und eine weltbedeutende Truppe mit Nurejev’schem Flair konstituiert hat, ist aber – was nur wenigen bekannt ist – aber auch als eigenständiger Choreograf tätig.

Mit dem Pas de deux „Donizetti“ stellt sich Legris als schöpferischer Interpret der Musik des Belcanto-Spezialisten Gaetano Donizetti vor. Choreografisch erinnert das Stück allerdings an eine Chopin-Arbeit von Jerome Robbins („In the Night“), und auch hier wird ein Paar in galanter Eleganz schwelgend vorgezeigt.

Die Kostüme sind dabei bunt-violett-schimmernd, das charmant fliegende Tutu der Dame ist allerdings ein Kontrast zum Club-reifen Gentleman-Outfit des Herrn. Sie, das ist wieder die hinreißende Kiyoka Hashimoto, und ihr Partner ist – ebenfalls aus Wien – wieder der geradlinige Masayu Kimoto. Insgesamt zergeht dieser Paartanz auf der Zunge wie ein luftiges Macaron.

An das tragische Schicksal von Donizetti, dessen Gehirn von der Syphilis zerfressen wurde und der lange nach Beendigung seines musikalischen Schaffens in geistiger Umnachtung starb, erinnert dieser Paartanz nun eher nicht, auch wenn er im Titel die Person des Komponisten zitiert.

Igor Zapravdin, Liudmila Konovalova und Young Gyu Choi beim Schlussapplaus nach der „Gala des Etoiles“ 2019 – ein Erlebnis ohnegleichen! Foto: Franka Maria Selz

Nach diesem zeitgenössischen Pas de deux kommt eine Uraufführung: „Light-Touch“ von Alessio di Stefano, getanzt zu Klängen von Frédéric Chopin von Francesco Daniele Costa aus Neapel. Igor Zapravdin brilliert dazu höchst nuancenreich am Piano, während der Ballerino versucht, das Licht einzufangen… erst ein Spotlight, dann Streulicht, dann wieder einen Spot. Der Mensch auf der verzweifelten Suche nach Erkenntnis und Macht, hier ist er kein stolzer Prometheus, eher einer, der den Göttern nicht wirklich gefährlich werden kann – und der sich darum bescheiden muss.

Eine Gala lebt indes von Gegensätzen, und knallhart ziehen jetzt Maria Eichwald als „Cinderella“ im Ballkostüm und Alessandro Staiano als ihr Prinz ein. Die Choreografie zur beliebten Musik von Sergei Prokofiev stammt hier von Giuseppe Picone. Und hier wird sich mit nichts mehr beschieden! Hier wird vollauf aufgedreht, es geht um die Liebe, die sogar Standesschranken sprengt – und somit könnte man „Cinderella“ sowieso zum Ballettmärchen per se küren.

Was bei „Romeo und Julia“ noch tragisch zum Tode führt, mündet hier in ein Happy Ending, wie es glanzvoller kaum sein könnte. Die Eichwald erstrahlt denn auch im Brautornat, und ihr Prinz Staiano verführt sie mit aller Kraft, sich ihm ganz anzuvertrauen. Voilà! Und wieder macht die Luxemburger Gala einen Stich, den andere nicht haben.

Maria Eichwald zwischen Alessandro Staiano (rechts) und Navrin Turnball (links) – immer eine begehrte Frau! Schlussapplaus-Foto: Franka Maria Selz

Da darf das folgende Stück, das erneut eine Uraufführung ist, auch mal ein bisschen mau ausfallen. „Toothpicks“ („Zahnstocher“) von Francisco Banos Diaz, getanzt von Natasa Dudar und Lou Thabart vom Leipziger Ballett, lässt das Tanzpaar so schnell und flatterhaft  wie Schmetterlinge auf Speed erscheinen. Mehr Inhalt erschließt sich aber auch bei sehr blühender Fantasie erstmal nicht; die Zahnstocher aus dem Titel rühren wohl von der Musik von Rian Treanor. Immerhin: Leicht, süß und flockig wie Choco-Chips kommt das Stück einher.

Aber dann reißt „La Cachucha“ mit der Wienerin Ketevan Papava die Stimmung wieder sowas von hoch! Wie schon oben beschrieben, ist das hier eine heimliche Supernummer für Galas, und die anmutige spanische Foklore, die unter den strammen Rhythmen drin steckt, trifft absolut auch unseren Zeitgeistnerv. Die Musik von Casimir Gide unterstreicht das nur noch.

Danach kann hier nur Eines kommen: Der Grand Pas de deux aus „Don Quixote“, von der jetzt hinreißend-exotischen Evelina Godunova aus Berlin und dem stark präsenten, wunderbar gebauten Young Gyu Choi aus Amsterdam. Das ist jenes Ballettspanien, das Marius Petipa– der selbst als junger Mann in Spanien aufgetreten ist – speziell für dieses Stück austüftelte. Da gibt es Torero-Haltungen und Flamenco-Steps, gepaart mit artistisch angehauchtem klassischen Tanz vom Feinsten. Welcher Ballettomane könnte da widerstehen?!

Liudmila Konovalova beim Applaus nach der „Gala des Étoiles“ in Luxemburg 2019. Foto: Franka Maria Selz

Und man glaubt es kaum, aber auch danach ist der Stimmungspegel noch weit davon entfernt zu sinken. Denn Xenia Wiest lässt in ihrem „Rondo Capriccioso“ nach Musik von Camille Saint-Saens die Wienerin Liudmila Konovalova– die beiden waren mal Kolleginnen beim Staatsballett Berlin– mit Spitzentanz und fließendem Schwung im Kleid zeigen, was es heißt, die Musik auf der Bühne ernst zu nehmen. Es ist ein kleines Meisterwerk gelungen, das reflektiert, was Teamwork zwischen drei Menschen bedeutet – und dass die Hauptperson hier eine Frau ist, der zwei Männer zuarbeiten, fällt höchstens positiv auf.

Igor Zapravdin und Yury Revich sind allerhand damit beschäftigt, für die feurig auftanzende Liudmula Konovalova die Tanztöne herzugeben, und die Primaballerina lässt es sich nicht nehmen, die beiden Musiker regelrecht herauszufordern. Voilà! Was für eine glanzvolle, seelenvolle Gala-Nummer, ein Teilchen wie aus bester geschmolzener Butter mit Eischnee und eingerührten Him- und Holunderbeeren. Ach, das mundet! Xenia Wiest verleiht ihrer Arbeit eine klassische Anmutung, wiewohl das Konzept und die Schritte stark zeitgenössisch inspiriert sind. Da darf auch mal ein Stilbruch integriert sein, wenn die Tänzerin kurz ihre Anspannung löst, um sich dann erneut, wie ganz spontan, in den hoch artifiziellen Tanz zu stürzen. Bravo!

Für solche Uraufführungen fährt man gern nach Luxemburg, das sind Schmankerln, die hervorragend zwischen die großen Boten des klassisch-russischen Balletts – wie aus „La Bayadère“ und „Le Corsaire“, „Don Quixote“ und eben nochmals „Le Corsaire“ – passen.

Tatsächlich folgt danach noch der Grand Pas de deux aus „Le Corsaire“, der eigentlich ein Pas de trois ist, weil am Ende der Pirat Konrad seine Liebste Medora von seinem sklavischen Freund Ali übernimmt – für genau eine Hebung. Weil es sich nun eher nicht wirklich lohnt, für eine Hebung einen Tänzer auf die Bühne zu stellen, zumal, wenn diese ohne starke Einbußen bei der Choreografie auch von dem Darsteller des Ali erledigt werden kann, wird das Brillanzstück bei Galas meistens als Pas de deux aufgeführt und auch zu zweit vollendet.

Tatiana Melnik vom Ungarischen Nationalballett und Daniil Simkin vom ABT und SBB verleihen dem superbeliebten Paartanz ihre eigene Virtuosität, und ihre Verliebtheit fürs Publikum sprüht nahezu Funken.

Melnik pirouettiert, Simkin springt – die beiden sind ein Pärchen im Tanz, das Terpsichore (die antike Göttin der Tanzkunst) offenkundig gesegnet hat.

Muss man extra erwähnen, dass die Fans und Freaks hier vor Freude ausrasten?

Liudmila Konovalova als Kitri im Grand Pas de deux aus „Don Quixote“ – ebenso ein Burner auf Galas wie der Pas de deux, der eigentlich ein Pas de Trois ist, aus „Le Corsaire“. Wenn man alles so exzellent getanzt wird wir hier, in Luxemburg, auf der „Gala des Étoiles“! Foto: Promo

Um wieder auf die Erde zu kommen, hilft Eines sehr gut: Ein Blick hinter die Kulissen, in das Training, in die Proben, in Ausschnitte aus vorangegangenen Galas… und genau das liefert Georges Rischette jetzt mit einer filmischen Collage, die die Blue Wall bespielt, während Igor Zapravkin mit feinen Klängen von Alexandre Desplat den mitreißenden Strom des Balletts auch akustisch wahrnehmbar macht.

In besserer Stimmung könnte man gar nicht sein, als das Finale alle Mitwirkenden auf die Bühne ruft, ausnahmsweise mal nicht im Kostüm, sondern im privaten Party-Outfit, was die ganze Angelegenheit persönlicher macht.

Ob Dmitri Schostakowitsch für solche Gelegenheiten komponiert hat, sei mal dahingestellt. Aber das lockere Defilee der Stars beglückt, und die großblütigen Blumensträuße, die sie entgegen nehmen, krönen den Abend mit dem notwendigen Sommergruß.

Noch ein Blick auf den Schlussapplaus – bis 2020! Foto: Franka Maria Selz

Fantastisch ist in Luxemburg, dass es sowohl wiederkehrende Künstler gibt, die man von Jahr zu Jahr besser kennen lernt – wie Maestro Igor Zapravdin am Piano, wie Maria Eichwald, wie Liudmila Konovalova, wie Young Gyu Choi und auch wie Dinu Tamazlacaru, mit dem hoffentlich nächstes Jahr wieder zu rechnen ist – dass es aber eben auch neue Stars und Sternchen zu entdecken gibt, wobei alles komplex komponiert und wie zu einem fein duftenden Bouquet zusammen gefügt ist und niemals irgendwie zusammengesucht wirkt.

Das ist eine große Kunst, die Serge Diaghilev beherrschte, die John Neumeier beherrscht, die Vladimir Malakhov kann und die auch Georges Rischette zueigen ist – und wer sie nicht hat, der sollte keine Galas veranstalten.

In der luxemburgischen Ballettenklave hängen diesbezüglich aber die Bühnenhimmel voller Geigen – merci beaucoup nochmals an alle, die hierzu beigetragen haben.
Franka Maria Selz /Gisela Sonnenburg

Noch einmal heute um 17 Uhr! – Und die Gala-Termine in 2020 lauten: 4. und 5. Juli! 

https://www.luxembourg-ticket.lu/de/8/eid,15096/gala-des-etoiles-2019.html

 

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