Glamour aus dem Hinterzimmer Der Film „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ holt gealterte Travestie-Stars auf die Bühne zurück – und vor die Kamera, arte zeigt das Werk am 3.11.16

Männer als Frauen

Früher war es noch schwieriger als heute, sich als Transvestit durchzusetzen. IN „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ wird davon erzählt. Videostill vom Werbetrailer: Gisela Sonnenburg

Man sieht: Ein Hochhaus in der Wintersonne, an den Bäumen raschelt vertrocknetes Laub. Eine symbolträchtige Kameraeinstellung, denn die Filmdoku „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“  lässt Männer von sich erzählen, die einen Großteil ihres Lebens ziemlich aufgedonnert en travestie verbrachten, jetzt aber mit dem Altwerden kämpfen. Sie tun das privat, so wie Richard, der in dem Hochhaus wohnt und im bürgerlichen Leben Pfleger auf einer Säuglingsstation ist. Sie tun das aber auch auf der Bühne, indem sie Chansons singen und dazu modern performen. Denn Alain Platel, Vater der Trash-Ästhetik in der freien Tanzszene, holte ein halbes Dutzend belgische Transvestiten erst zu einem Workshop, dann für ein Tourneestück auf die Bühne zurück.

„Gardenia“ heißt das Stück, das die glamourösen „Mannweiber“ in 25 Ländern der Erde aufführten. Man erkennt schon am Tourneeplan, der über alle fünf Kontinente führt, wie groß das internationale Interesse ist, diese Menschen künstlerisch-persönlich zu erleben. Thomas Wallner, nicht nur Filmemacher, sondern auch Computerspielentwickler, traute sich, seine Interviews und Show-Mitschnitte zu collagieren. Der Film stammt übrigens von 2014, nicht von 2012, wie es auf der Site von arte steht.

Das Ergebnis von Wallners Arbeit ist jedenfalls rührend, weil es mit Vergänglichkeit zu tun hat; es ist alarmierend, weil es auf die Diskriminierungen in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart hinweist.

Männer als Frauen

Hier geht es um Drag Queens aus dem echten Leben: „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ läuft am 3.11.16 kurz vor Mitternacht auf arte, zu etwas zu verschämter Zeit. Videostill vom Werbetrailer: Gisela Sonnenburg

Heimliches Leitmotiv: der Glamour, der hier aus dem Hinterzimmer kommt. Schnell wird klar, dass Paillettenschimmer und Perlenglanz nur angeschminkt sind: Die Realität der bis 68-Jährigen war nie besonders rosa. Da ist Vanessa, die dreizehn Jahre als „Fensternutte“ anschaffen musste. Weil es für zur Frau operierte Männer kaum andere Jobs gab. Als junge Frau hatte Vanessa, die vor ihrer OP Jean-Pierre hieß, Glück, sie konnte als Model Anerkennung einheimsen. Doch mit den ersten Falten kam der soziale Abstieg. Für sie war „Gardenia“ eine echte Chance: Heute tourt Vanessa mit einem eigenen Programm durch die Lande.

Ebenfalls auf den Strich ging Danilo, klein und rundlich. Für ihn war das aber keine Demütigung: „Manchmal kann man das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden“, schmunzelt er lüsternen Blicks. Privat geht er übrigens als Mann durchs Leben, mit einer Beziehung zu einem Bisexuellen. Auf der Bühne ist Danilo ein Liza-Minelli-Verschnitt: eher eine Karikatur als eine Doppelgängerin. Aber im Unfertigen, auch im Gewollten liegt bei Transvestiten sowieso das Charmepotenzial.

Männer und Frauen

Noch einmal zurecht gezupft… Frauen, die sonst Männer sind, gibt es in „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“. Videostill vom Werbetrailer: Gisela Sonnenburg

Nicht jede ist allerdings so hart im Nehmen wie Danilo. Gerrit zum Beispiel lebt heute wieder als Mann, weil er die Diskriminierungen nicht mehr ertrug. Traurig erzählt er vom Gefühl, nicht überall akzeptiert worden zu sein. Früher mussten „verkleidete“ Männer oft um ihr Leben laufen, wenn aggressive Bürger auf die Schutzlosen losgingen. Der gut situierte Rudy arbeitete hingegen zeitweise bei der Regierung. Nur durfte man dort nicht wissen, dass er homosexuell ist. So trug er den Schnauzbart als Zeichen mit doppelter Signalwirkung: Eingeweihte erkannten den Schwulen, andere hielten ihn schlicht für besonders männlich.

Den nüchternen Berichten stehen Bühnenmomente entgegen. Einblicke in den Backstage-Bereich sind von einer eigenartigen Poesie erfüllt: Pinselstrich für Pinselstrich wird beim Schminken aus einem Mannsbild ein Frauengesicht, bis die Perücke das Tüpfelchen auf dem „i“ abgibt. Die Freiheit, jemand anderes zu sein, ist ja eines der ältesten Spiele der Menschheit – hier wird sie auch zur Lust, sich gegen Vorurteile zu stellen.

Andrea, die ganz als Frau lebt, hört mit ihrem Kampf auch nach dem letzten Vorhang nicht auf: Sie verteilt Werbebroschüren für die kommunistische Partei, diskutiert über Lokalpolitik und hofft auf eine Verbesserung der politischen Verhältnisse. Privat verwöhnt sie einen Labradorhund, der sein Frauchen ganz schön zum Parieren bringt.

Richard, der Pfleger, ist seit einiger Zeit in einen Chinesen verliebt. Doch diesem wurde sein Sohn aus einer früheren Beziehung wichtiger. Den Mut, dem Teenager zu sagen, dass er mit Richard ein Paar ist, hat er nicht. Richard, mit Fassung: „Wenn du jemanden liebst, muss du ihn gehen lassen.“

Männer als Frauen

Sie haben ihre Handtaschen, ihre Perücken, ihre Freiheit auf der Bühne: die „Gardenia“-Stars in Aktion. Videostill vom Werbetrailer: Gisela Sonnenburg

Die melancholische Mischung hier ist stimmig, auch wenn der Filmanfang mit einem obszönen Text beinahe schockiert.

Doch spätestens, wenn Rudy Fotos zeigt, die sein Vater als Kriegsgefangener von den Nazis und ihren erhenkten homosexuellen Opfern machte, weiß man, dass die Ängste vieler Schwuler vor Übergriffen keineswegs paranoid sind. Der Hass gerade rechtslastiger Gruppierungen und Parteien auf sexuell Nichtangepasste ist immens. Ein Grund mehr, sich den Film anzusehen.
Gisela Sonnenburg

arte sendet „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ am 3. November 2016 um 23.45 Uhr 

www.arte.tv

ballett journal