Der Reiter der Lüfte Dinu Tamazlacaru begeistert beim Staatsballett Berlin mit exorbitant hohen Sprüngen – und ausdrucksstarkem Spiel

Curtain Call nach Schwanensee

Das Verbeugen ist auch eine Kunst, die gelernt sein will (und darum sogar auch im Ballettsaal geprobt wird): Dinu Tamazlacaru und Iana Salenko mit dem Ensemble nach einer „Schwanensee“-Vorstellung. Foto: Gisela Sonnenburg

Der Prinz hat Weltschmerz im Blick. Wenn Dinu Tamazlacaru vom Staatsballett Berlin den Siegfried im „Schwanensee“ tanzt, dann strotzt die Rolle des Prinzen Siegfried nur so vor Gefühl. Unglück, Verliebtheit, Hoffnung, Verzweiflung – in Patrice Barts Version des beliebten Stücks steht der Prinz im Zentrum, mit ihm seine Träume und sein Scheitern. Und was wäre geeigneter als ein hoher Sprung, ein wahrer Ritt durch die Lüfte, um die Weltfremdheit und Entrücktheit so eines Charakters auszudrücken?

Dinu Tamazlacaru, 30, ist ein sensationelles Sprungtalent, ein Traumspringer, der höher, weiter, schwereloser springt als andere. Als bleibe er in der Höhe stehen, als fliege er, als habe er das Gesetz der Schwerkraft vollends überwunden. Seine Grands jetés sind legendär, seine Grands pas de chat, seine Cabrioles sind wie Sinnbilder der Leichtigkeit, vereint mit Willensstärke. Aber auch Dinus Pirouetten machen Kenner schwärmen. Er vollführt sie mit so einem gewissen Etwas, man könnte sagen: mit Raffinesse.

Dinu Tamazlacaru als Siegfried

Der Prinz mit Weltschmerz im Blick: Dinu Tamazlacaru im „Schwanensee“. Foto: Enrico Nawrath

„Ich habe viele Prinzen gemacht“, sagt Dinu schmunzelnd. „Aber der Prinz Siegfried ist einer meiner liebsten.“ Derzeit bereitet er sich auf einen neuen Part vor, auch er ein Nobler: Herzog Albrecht in „Giselle“; auch dieser Liebhaber wurde von Patrice Bart choreografiert. An einem regnerischen Vormittag ist im Ballettzentrum in der Deutschen Oper Berlin eine Probe angesetzt, ein Durchlauf.

Dinu hat ein Theaterschwert bei sich, und sein olivfarbenes T-Shirt passt irgendwie gut in den ersten Akt von „Giselle“. Vorab geht er, in sich gekehrt, einige Pantomimen durch, bis seine Tanzpartnerin, die virtuose Iana Salenko als „Giselle“, ihn bittet, ihr das Probenmieder enger zu schnüren. Wozu ein Erster Solist so alles gut ist! Holzquadrate, die senkrecht aufgestellt sind, markieren die Kulissen. Vom Klavier kommen die bekannten Klänge: Dadaadada… und Dinu, mittlerweile von einem roten Umhang bedeckt, stürmt durch den Saal. Auftritt Albrecht! Er schaut sich um, nimmt Witterung auf. Er hat hier ja was vor, da gibt es doch dieses hübsche Mädchen namens Giselle, das ein bisschen verrückt ist, ein bisschen anders als die anderen, keine elegante junge Frau, aber eine sinnliche.

Dinu Tamazlacaru als "Schwanensee"-Prinz

Man gibt so viel als Tänzer: Dinu Tamazlacaru nach einem „Schwanensee“-Ritt. Foto: Gisela Sonnenburg

Albrechts Knappe kommt, die beiden Männer genießen die Schönheit der dörflichen Landschaft. Obwohl es sich um eine Probe im Ballettsaal handelt, sieht man die ländliche Idylle genau vor sich. Der Knappe nimmt das Schwert an sich, denn die Dorfschönheit Giselle soll nicht wissen, dass ihr neuer Verehrer von hohem Stand ist. Dann würde sie ahnen, dass er es nicht ernst meint und mit ihr nur ein Abenteuer sucht. So einer ist dieser Albrecht, und Dinu Tamazlacaru spielt ihn mit der selbstverständlichen Verwegenheit eines Hasardeurs.

Die Sache mit dem Schwert muss allerdings ein paar Mal wiederholt werden; die Ballettmeister unterbrechen, wenn sie bemerken, dass etwas nicht ganz so flüssig oder deutlich abläuft, wie es sein soll. Das spitze Requisit, das Schwert, spielt auch am Ende des ersten Aktes wieder eine zwiespältige, gefährliche Rolle – auch dieses Hantieren muss extra geübt werden. Was später auf der Bühne ganz einfach und nichts anderes als logisch aussieht, ist das Ergebnis kniffliger Probenarbeit. Zunächst aber spult sich die getanzte Handlung weiter ab.

Dinu Tamazlacaru in "Giselle"

Dinu Tamazlacaru tanzte zunächst mit viel Verve den „Bauern-Pas-de-deux“ in „Giselle“, bevor er jetzt den erst verspielten, dann entrückten Herzog Albrecht tanzt. Foto: Enrico Nawrath

Albrecht klopft an Giselles Haustür, das altbekannte Spielchen beginnt. Er lockt sie heraus, versteckt sich, sie absolviert eine Runde Ballonnés. Er wirft ihr Kusshände zu und versteckt sich wieder, sie aber ist in freudige Aufruhr versetzt. Und er umgarnt, er umtanzt sie, er zeigt all seinen Charme – sie hat keine Chance zu entrinnen. Da ist die kleine Bank – hier: zwei zusammen gerückte Stühle – ganz praktisch. Aber Tänzer hält es nicht lange im Sitzen. Und bald wird es Zeit für die Liebeserklärung: wie hübsch ihr Gesicht sei, so richtig etwas für ihn zum Verlieben, erzählt Dinus selbstbewusster Albrecht beredt mit den Händen. Es folgt Giselles Blütenblattabzupfen nach dem Motto „Er liebt mich, er liebt mich nicht“, das Albrecht geschickt fälscht. Er ist ein ganz schöner Hallodri, Dinus Albrecht im ersten Akt von „Giselle“.

Sein Solo deutet er zum Teil nur an, hier auf der Probe, zum Teil aber zeigt er auch seine mannshohen Sprünge. Eine Delikatesse! Ob sie gerade deshalb so wirkungsvoll sind, weil Dinu ein eher klein gewachsener, zierlicher Mann ist? Oder liegt es daran, dass er statt Sehnen womöglich irgendetwas anderes im Körper hat? Etwas aus Gummiband oder so, etwas sehr Dehnbares? Eine solche Elastizität und Schnelligkeit beim Springen ist einfach umso schöner, desto weniger der Verstand sie sich erklären kann. Dinus Albrecht – ein quicklebendiger Jungspund.

Dinu Tamazlacaru als romantischer Kavalier

Und noch ein romantischer Part: Dinu Tamazlacaru mit Iana Salenko in den „Glories of the Romantic Ballet“. Foto: Enrico Nawrath

Im zweiten Akt dann ist er ein anderer. Albrecht besucht Giselles Grab im Wald – er trauert um sie, fühlt sich schuldig an ihrem Tod. Tamazlacaru spielt ihn stark vergeistigt, somnambul. So, als sei die ganze Nacht, auch das Zusammentreffen mit den Wilis – den untoten weiblichen Waldgeistern, die sich tödlich an den Männern rächen wollen – lediglich ein Traum. Aber er stirbt fast dabei. Und am Ende, als Giselles Geist ihn gerettet hat und er die riskante Nacht überlebt, trägt er die Lilien, die an sie erinnern, im Arm.

Doch zunächst legt er die Blumen an ihrem Grab nieder – und bettet seinen Kopf auf den sandigen Waldboden. Man meint, die feuchte Erde zu riechen, so plastisch spielt Dinu diese Szene. Dabei ist alles Imagination, keine Pantomime. Als Giselle – oder besser: ihr Geist – erscheint, kann er sie zuerst gar nicht sehen. Nur fühlen! Magisch sieht es aus, wie sie umeinander herum gurren. Was für seltsame Liebesleute!

Das nachdenkliche, traumverlorene Temperament behält Dinu diesen ganzen zweiten Akt bei. Es fasziniert, verzaubert, ist es doch so ganz anders als der spritzige Springinsfeld aus dem ersten Akt. Wenn er seine Giselle empor hebt, wirkt es, als sei die muskulöse Ballerina federleicht – und dennoch schwebt sie waagerecht voll Spannung in der Luft, auch dank seiner Muskelkraft.

LILIEN UND LIEBESWEH

Noch immer beschäftigen ihn die Lilien, Symbole der reinen Liebe. Giselle legt ihm noch weitere in den Arm. Sie verzeiht ihm – und er nimmt das dankbar an. Fast glaubt man, er wolle ihr ins Jenseits folgen, ganz unwillkürlich, er würde hinübertreten über die Schwelle ins Nichts, ohne es selbst zu bemerken. Er ist im Rausch in dieser Nacht!

Aber es wäre keine tolle Rolle für Dinu, wenn nicht auch hier die großen Sprünge und Drehungen die exquisiten choreografischen Mittel wären: Doppelte Cabrioles, Tours en l’air, zigfache Pirouetten – ach! Man möchte mitfliegen, hin zu diesem Zauberwesen, um herauszufinden, was es für eine Art magischer Trick ist, der ihn so durch die Luft fliegen lässt.

Am Ende legt er wieder den Schopf auf den imaginären Waldboden, nimmt Abschied von seinem Traum und der Vergangenheit, steht auf, mit Lilien im Arm, und im Nachvornkommen verliert er langsam, Stück für Stück, die Blumen – mit ihnen den Schmerz und die Depression. Dinus Albrecht ist ein anderer geworden durch die Erfahrungen, die er in dieser Nacht im Wald gemacht hat, er ist geläutert und gereift – aus dem verantwortungslosen Burschen wurde ein Mann, der die Nähe des Todes, aber auch die Kraft der Liebe begreifen lernte.

Es gibt ein Gedicht von Rainer Maria Rilke, das die Stimmung, in der Dinu Tamazlacaru einen aus der „Giselle“-Welt entlässt, gut wiedergibt: „Glücklich, die wissen, dass hinter allen / Sprachen das Unsägliche steht; / dass, von dort her, ins Wohlgefallen / Größe zu uns übergeht!“ Es entstand im Februar 1924, sozusagen zwischen der Uraufführung von „Giselle“ 1841 mit der Musik von Adolphe Adam und der heute getanzten Version von Patrice Bart. Das Lyrische liegt Dinu ohnehin, und das, obwohl er vom körperlichen Typus her eher der Dynamische, Sportive ist. Aber wenn die Rolle es verlangt, ist seine Motorik ganz weich, zart fließend, fast ätherisch.

Dinu Tamazlacaru als Lenski

Poetisch bis zum Anschlag, mit Linien wie aus einem Traum: Dinu Tamazlacaru als Lenski in John Crankos „Onegin“. Foto: Enrico Nawrath

Eine solche poetische Figur ist auch sein Lenski aus John Crankos „Onegin“. Da ist er ganz respektvolle Verliebtheit, ein fast Verlorener im Liebesrausch. Es gibt aber auch den anderen Dinu, den wirklich Sportlichen, den eleganten Macher, der seine Dame mit demonstrativer Körpermacht empor hebt und zu präsentieren weiß. Eine seiner Lieblingsrollen ist denn auch der Basil aus „Don Quixote“: mit Sprüngen, Sprüngen, Pirouetten und nochmals Sprüngen. Mit Auszügen aus diesem Ballettklassiker touren Dinu Tamazlacaru und Iana Salenko durch die Ballett-Galas dieser Welt – mal treten sie in Sankt Petersburg, im Mikhailovsky-Theater, damit auf, mal in Rom oder einem anderen Zentrum von Ballettomanen. Immer begeistern sie, entlocken ihren Fans Lustschreie und Bravo-Rufe – so hochkarätiges „Nummernballett“ ist eben auch eine Kunst für sich.

Dinu Tamazlacaru in "Don Quixote"

Dinu Tamazlacaru – wieder mit Iana Salenko – im „Don Quixote“: eine weltweit gern gebuchte Gala-Nummer, die stets Evotionen hervor ruft. Foto: Enrico Nawrath

Aber da sind noch mehr Rollen und Partien, die für den Traumspringer Dinu Tamazlacaru wie gemacht sind. Allen voran das ebenfalls bei Galas schwer beliebte Solo „Les Bourgeois“ nach einem Chanson von Jacques Brel in der Choreo von Ben van Cauwenbergh. Der geniale Wurf des sonst eher braven van Cauwenbergh erlaubt Tamazlacaru, die Geschichte eines verkrachten Bengels nach durchzechter Nacht zu erzählen – mit Corsaire-Sprüngen und Pirouetten in der Luft, schier ohne Ende. Hach!

Der „Bergkönig“ in Heinz Spoerlis „Peer Gynt“ ist aber auch so eine typische, nach Dinu Tamazlacarus Sprungkraft verlangende Partie. Ein merkwürdig-aufregendes Subjekt steht da auf der Bühne! Dubios-schrullig, dennoch sexy; jugendlich-punkig, dennoch alterslos; Dinu, der Reiter der Lüfte, war ein Augenschmaus in dieser Partie. Und durch die Lüfte konnte er zur Genüge reiten.

Dinu Tamazlacaru springt

Der Reiter der Lüfte in furioser Aktion: Dinu Tamazlacaru als Bergkönig in Heinz Spoerlis „Peer Gynt“. Foto: Bettina Stöß

In Maurice Béjarts Mammutwerk „Ring um den Ring“ war Dinu dann Mime, dieser durchgeknallte, bösartige, aber auch bitter einsame und auf der Ballettbühne sogar sprechende Gnom. Béjart, Jerome Robbins, John Cranko, William Forsythe – natürlich tanzt Tamazlacaru auch die Moderne, die Neoklassik wie die zeitgenössische. Da ist der Pas de trois aus dem „Ballet Imperial“ von George Balanchine, und da ist „Without Words“ von Nacho Duato, in dem Dinu schon vor Jahren voller Begeisterung tanzte.

Glück für Dinu: Er mag den Stil des neuen Hausherrn in Berlin. Nacho Duato hat einen ganz bestimmten ästhetischen Impetus, mit großen, schweren Armbewegungen, raumgreifend und intensiv. Dinu hat das genau erkannt und sozusagen im Körper auf Abruf gespeichert. Er probt bereits den Prinzen Desiré aus Nacho Duatos „Dornröschen“, mit Iana Salenko als Aurora.

Kleiner Einschub: Duato kreierte sein „Dornröschen“ nicht ganz freiwillig, sondern auf Bitten seines früheren Vertragspartners in Russland hin. Vladimir Kekhman, der Nacho Duato zum Ballettchef des Mikhailovsky-Theaters in Sankt Petersburg gemacht hatte, erwies sich somit als Impresario von Rang, nicht nur als Privatreicher, dem ein großes Haus gehört. Denn Duatos „Dornröschen“, das ohne Kekhmans Auftrag nie entstanden wäre, hat eine exquisite Feinheit, es ist geschmacklich rund und setzt ganz dezent einige moderne, neue Nuancen. Man darf sich auf die Übernahme des Stücks in Berlin freuen, zumal auch die Kostüme von Nacho Duato stammen und eine vor allem schöne, nicht kitschige Augenweide bieten.

Zur Premiere wird, soweit ich die Planung kenne, der ukrainische Superstar Leonid Sarafanov, der auch die Uraufführung tanzte, als Gast in Berlin auftreten. Aber später dann darf Dinu Tamazlacaru mal wieder zeigen, was er als Prinz draufhat. Nach dem „Nussknacker“- und dem „Schwanensee“-Prinzen ist damit dann sein Tschaikowski-Klassiker-Prinzen-Set komplett. Wie gesagt, er ist nicht neu in diesem Rollenfach. Aber jede Partie birgt neue Aufgaben, jeder Prinz hat eine eigene Note, zumal in den unterschiedlichen Choreografien – und gerade bei einem Vielkönner wie Dinu Tamazlacaru ist es spannend zu sehen, was er daraus macht.

Dinu Tamazlacaru im Ballettzentrum

Vor der Probe ist nach der Probe: Dinu Tamazlacaru im Ballettzentrum vor „seinem“ Plakat. Foto: Gisela Sonnenburg

Um Zeit für ein Interview zu haben, opfert Dinu seine Mittagspause. Ein Käsebrötchen und ein paar Früchte müssen reichen. Tänzer ist ein Wahnsinnsberuf. Nie hat man Zeit für sich, nach der Probe ist vor der Probe, es ist ein ständiges Leben am Limit der eigenen Kräfte. In der letzten Woche hatte Dinu keinen einzigen Tag frei oder auch nur eine nennenswerte größere Pause. Die Zeit reichte immer so gerade für die Nahrungsaufnahme (vor einer Vorstellung isst er am liebsten Pasta, ansonsten schwört er auf Haferflocken) – und abends für ein entspannendes Wannenbad.

Dinu ist in Moldawien geboren, in der Hauptstadt, und zwar als Künstlerkind. Seine Mutter ist dort zusammen mit ihrer Schwester ein VIP-Duo: Sie sind Folklore-Sängerinnen. Folklore, diese osteuropäische Domäne des Herzens! Wer glaubt, mit der russischen oder ungarischen Folklore seien bereits alle diesbezügliche Gipfel erreicht, sollte sich unbedingt mal mit den moldauischen Klängen und Tänzen anfreunden. Temperament ist dagegen nur ein Wort! Und Czárdás ist fast langweilig dagegen… Moldauische (oder moldawische) Folklore ist spielerischer, aber auch härter; variantenreicher, aber auch exzessiver, sozusagen.

Natürlich sollte Dinu im Sinne seiner Familie eigentlich auch in die Folklore-Branche einsteigen, und zwar als Musikant. Er lernte schon als Kind diverse Holzflöten zu spielen, große, kleine, dicke, dünne – und mit sieben Jahren spielte er bereits Klarinette. (Ob er daher diese starken Lungenflügel für seine Sprung-Orgien hat?) Aber sein jüngerer Bruder wurde immer zum Ballettunterricht in eine Privatschule geschickt, und einmal ging Dinu mit der Mutter hin, um ihn dort abzuholen. Die Lehrerin besah ihn sich – und meinte, da er schon neun Jahre alt sei, wäre es eigentlich schon ein paar Monate zu spät zum Anfangen. Das stachelte Dinus Ehrgeiz an. Natürlich wollte er auch zum Ballett!

Er drängelte und nervte, aber seine Mutter prüfte ihn erst einmal auf Herz und Nieren. Sie befragte ihn ganz ernsthaft, ob er sich denn sicher sei, dass er das wolle. Sie kannte sich aus – und ahnte, dass es dann mit ein paar Hoppsern einmal wöchentlich nicht getan sein würde. Ballett ist eine Sucht, wenn man begabt dafür ist. Tatsächlich bekam Dinu – zusätzlich zum regulären Unterricht – bald Einzelunterricht, um den Vorsprung der anderen in seiner Klasse aufzuholen. Auf dem Moldawischen Ballettgymnasium ging dann der Ernst des Lebens oder der Ernst des Tanzes so richtig los. Mit einer Neuigkeit schockiert mich Dinu Tamazlacaru aber: Er meint, er wäre als Kind zunächst gar nicht begabt für Sprünge gewesen. Huch?

Dinu Tamazlacaru im Ballettzentrum

Der Supertänzer kann auch lachen: Dinu Tamazlacaru nimmt es mit Humor, wenn die private Zeit eines Tänzerlebens eigentlich nicht ausreicht. Foto: Gisela Sonnenburg

„Ja, ich habe hart dafür arbeiten müssen!“ Dinu Tamazlacaru klingt glaubwürdig. Gerade die Tatsache, dass die anderen – und sogar sein kleiner Bruder – zunächst viel besser tanzten und vor allem sprangen als er, entfachte seine Willensstärke. Dass er ein so guter Tänzer wurde, sagt er, verdanke er aber auch seinem Lehrer in Moldawien, Alexander Iwanow, der leider nicht mehr lebt. „Du kannst springen!“, hat Iwanow dem Jungen Dinu immer wieder eingetrichert. Solange, bis die federnde Sprungkraft wirklich da war und sich immer stärker ausprägte.

Als Dinu nach Wien ans dortige Konservatorium ging, um sich in einer zweijährigen Abschlussausbildung den letzten Schliff zu holen, war er bereits ein auffallend talentierter Springer. Nicht umsonst gewann er beim wichtigsten internationalen Nachwuchswettbewerb den Prix de Lausanne. Nach der Ausbildung kam er direkt nach Berlin, begann als Gruppentänzer beim Ballett der Staatsoper Unter den Linden und tanzte sich langsam, aber sicher, in die erste Reihe der Berliner Solisten. Was heißt: Er tanzte sich hoch, er sprang sich natürlich hoch, und zwar in die Riege der weltweit am meisten gebuchten Ersten Solisten.

DAS SPRINGEN IST ES NICHT ALLEIN

Und doch: Das Springen allein ist es nicht. „Heutzutage haben viele Leute eine gute Technik“, sagt Dinu. „Meine Sache ist aber auch das Pfeffrige, das, jaaaaaa, das Temperamentvolle!“ Oh ja! Bei Dinu Tamazlacaru läuft darum kein Sprung ins Leere, sondern hinterlässt beim Zuschauer ein ungeheuer gutes, warmes Gefühl im Bauch.

Sicher deshalb hat er 2012 auch den „Daphne-Preis“ der TheaterGemeinde Berlin erhalten. Ein Preis, über den Dinu sich mehr freute als über die anderen, die er erhielt, weil er nicht von einer kleinen Jury kam, sondern ein Publikumspreis ist.

Wie hat er sich eigentlich auf den Albrecht in „Giselle“ vorbereitet? „Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich will dabei an das Publikum denken. Wenn ich ins Theater gehe, dann möchte ich auch die gesamte Geschichte wahrnehmen, die dort erzählt wird. Also: Am Anfang ist das ein Spiel für Albrecht, die Liebe, nur ein Spiel. Aber das wird – das ist so wie im wirklichen Leben – immer mehr, immer mehr. Und dann bin ich als Albrecht verliebt.“ So schnell geht das!

Soviel zum ersten Akt. Und zum zweiten? „Da darf man nicht zuviel machen.“ Eine vornehme Untertreibung. Er macht ja ganz schön viel – aber was er meint, ist: nicht zu dick aufzutragen beim Schauspielerischen sei angesagt, vieles ist da nur anzudeuten, nicht auszuspielen, das Somnambule ginge sonst verschütt.

Dinu und Iana beim Verbeugen

Noch einmal Curtain Call mit dem „Schwanensee“: Dinu Tamazlacaru und Iana Salenko, das strahlende Tanzpaar, mit dem Ensemble des Staatsballetts Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Ach ja, das Somnambule, das Ätherisch-Vergeistigte, das Entrückt-Verzückte, das Jenseitig-Schwebende, vereint mit diesen brillanten Ritten durch die Lüfte – man will es nicht missen, es ist so sehr etwas Besonderes. „Ich fühle schon, dass der Albrecht eine meiner Lieblingsrollen wird“, meint Dinu Tamazlacaru. Und ich weiß, dass er meine Berliner Lieblingsbesetzung wurde.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

Mehr zu „Giselle“ und „Schwanensee“ in Berlin:

www.ballett-journal.de/polinas-triumph/

www.ballett-journal.de/wenn-liebe-staerker-ist-als-der-tod/

www.ballett-journal.de/die-verzauberten/

UND BITTE SEHEN SIE HIERHIN: www.ballett-journal.de/impresssum/

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