„Für uns ist das immer wie ein Geschenk“ Gigi Hyatt, Pädagogische Leiterin der Ballettschule des Hamburg Ballett – John Neumeier, über die Vorstellungen ihrer Studentinnen und Studenten mit der „Werkstatt der Kreativität“ in Hamburg

Gigi Hyatt

Gigi Hyatt, Pädagogische Leiterin der Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier, kennt sich gut aus und weiß, wie wichtig eine umfassende Ausbildung für den Tänzerberuf ist. Foto: Janusz Mazon

Sie füllen noch kein ganzes Opernhaus, aber im Ernst-Deutsch-Theater (EDT) in Hamburg können sie schon für ein begeistertes Publikum sorgen. Und das alle Jahre wieder: Die so genannten „Theaterklassen“ der Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier dürfen sich dann als Choreografen ausprobieren. Es sind die beiden Abschlussklassen der Ausbildungsstätte, die Klassen VII und VIII: Diese Schmiede  für kommende erfolgreiche Ballettkünstler hat als staatlich anerkannte Berufsfachschule für Ballett auch die offiziellen Weihen.

„Werkstatt der Kreativität“ heißen die Vorstellungen im EDT. Sie sind in zwei verschiedene Programme aufgeteilt. Insgesamt zeigen 21 junge Talente dieses Jahr ihre Arbeiten – und es sind richtige Vorstellungen, keine Workshops oder Teilergebnisse.

Eine große Rezension von 2017 finden Sie bitte hier: www.ballett-journal.de/hamburg-ballett-werkstatt-der-kreativitaet-viii/.

Dass Ballettstudentinnen und –studenten, die nicht das primäre Berufsziel „Choreograf“ haben, sondern zunächst Tänzer werden wollen und sollen, sich auf so professionellem Niveau schöpferisch ausleben können, ist ungewöhnlich – und mit vielen guten Absichten verbunden. Hierzu im Folgenden ein Gespräch mit Gigi Hyatt, der Pädagogischen Leiterin und Stellvertretenden Direktorin der Ballettschule.

Werkstatt der Kreativität - 1

Akrobatisch und ungewöhnlich: Diese Choreografie ist „Three People“ betitelt und stammt von Xianhao Jiang. Sie war kürzlich im Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg im Rahmen der „Werkstatt der Kreativität VI“ zu sehen. Foto: Marcus Renner

Ballett-Journal: Die „Werkstatt der Kreativität“ findet im 6. Jahr statt und somit zum zweiten Mal unter Ihrer Führung. Warum ist sie so wichtig für die künftigen Tänzerinnen und Tänzer?

Gigi Hyatt: Das ist eine besondere Gelegenheit, bei der sie ihre Kreativität entdecken können. Die kann über eine ziemlich große Zeitspanne bis dahin gewachsen sein. Dann gibt es insgesamt sechs Aufführungen, drei pro Programm, vor einem ziemlich großen Publikum. Das ist einzigartig für unsere Schule und spannend zu beobachten! Man sieht da ja auch, wie sich der einzelne Tänzer, die einzelne Tänzerin entwickelt. Dieser Prozess berührt mich schon immer sehr.

Ballett-Journal: Es ist ja auch eine nachgerade luxuriös zu nennende Situation.

Gigi Hyatt: Ja, und es passt sehr gut in das Konzept von unserer Schule und zu der Vision von John Neumeier, junge Künstler auszubilden. Damit sie später ein gutes Instrument für einen Choreografen sein können. Sie wachsen hier im Ballettzentrum auf, wo sie die Treppe runtergehen und sehen können, wie die erwachsenen Profis arbeiten. Die Türen zu den Proben des Hamburg Balletts stehen ihnen immer offen, sie sehen, wie dort gearbeitet wird. Und dann haben sie eine Chance, ihre individuelle Stimme zu finden.

Exuberance

„Exuberance“ wurde von William Dugan kreiert und in der „Werkstatt der Kreativität VI“ gezeigt. Der Paartanz hier ist keineswegs klassisch ausgerichtet! Foto: Marcus Renner

Ballett-Journal: Die Befähigung zu kreieren können sie gut als Tänzer brauchen und müssen sie nicht als Vorstufe zum Choreografenberuf sehen.

Gigi Hyatt: Genau. Und jeder von unseren Schülern muss das durchlaufen. Auch, wenn es nicht jedermanns Sache ist und mancher vielleicht lieber tanzt als choreografiert. Aber es ist wichtig, dass sich jede und jeder damit auseinander setzt und Verantwortung übernimmt. Also: Dass man den anderen Korrekturen gibt und ihnen sagt, wie man es haben will. Vorher muss man sich eine Gruppe zusammenstellen, mit der man arbeiten will. Man muss Verantwortung dafür übernehmen. Und auch dafür, dass zum Beispiel die Kostüme hinter der Bühne richtig platziert sind, damit sie schnell gewechselt werden können. Es gibt da so viele Kleinigkeiten, die man als selbstverständlich hinnimmt, aber man muss all diese Dinge erstmal lernen.

DER UNTERSCHIED ZWISCHEN TANZ UND CHOREOGRAFIE 

Ballett-Journal: Ist den jungen Leuten eigentlich schon klar, was der große Unterschied zwischen Tanzen und Choreografieren ist – oder geht es gerade darum, das bei der Arbeit für die „Werkstatt der Kreativität“ herauszufinden?

Gigi Hyatt: Es ist bestimmt so, dass diese Grenze manchmal mehr, manchmal weniger unklar ist. Es kommt auf den jeweiligen Tänzer und den Choreografen an, wie sie zu dem Punkt kommen, zu dem sie wollen.

Schwanensee à la moderne erschließt sich umso besser.

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Ballett-Journal: Sie haben selbst eine sehr gute Ausbildung gehabt, bei Tatjana Gsovsky in Berlin und dann in München bei Konstanze Vernon mit der Heinz-Bosl-Stiftung. Haben Sie damals auch choreografiert oder choreografieren müssen?

Gigi Hyatt: Wir hatten das gar nicht im Lehrangebot, zu meiner Zeit! Da denke ich oft, dass das für mich eine große Herausforderung gewesen wäre – und ich weiß nicht, mit welchem Ausgang. Aber es wäre auf jeden Fall wichtig für mich gewesen.

Ballett-Journal: Sie haben eine großartige Karriere als Erste Solistin in Hamburg hinter sich und wurden dann, in den USA, Ballettmeisterin und Lehrerin. Hatten Sie da mal mit dem Choreografieren zu tun?

Gigi Hyatt: Ja, ich musste manchmal choreografieren, und ich habe es gemacht, weil es nötig war, um meine Schülerinnen und Schüler zu fordern und zu fördern. Jetzt hier in Hamburg bin ich aber sehr froh, dass es andere gibt, die das viel besser machen können als ich!

Gigi Hyatt im Ballettsaal

Gigi Hyatt beim Unterrichten in der Ballettschule des Hamburg Ballett – John Neumeier. Mit Genauigkeit und Hingabe werden hier die täglichen Übungen absolviert, um professionell das Tanzen zu erlernen. Foto: Holger Badekow

Ballett-Journal: Wenn man als Ballettlehrerin ein Training komponiert, also das tägliche Exercise, dann sammelt man aber auch Erfahrung im Zusammenstellen von Schritten und Posen, oder? Und man bemerkt, welcher Tänzer auf was wie reagiert oder wer welche Übungen braucht?

Gigi Hyatt: Sicher, aber: Ich sehe mich trotzdem nicht als Choreografin. Dafür haben wir andere Dozenten an unserer Schule. Die Betreuerin dieses Projektes, der „Werkstatt der Kreativität“, ist die Lehrerin Stacey Denham. Sie ist auch die Lehrerin für modernen Tanz, etwa in der Horton-Technik, und da entwickelt sich eine ganz andere Körpersprache als im Klassischen. Es ist trotzdem interessant zu sehen, wer von den Schülerinnen und Schülern klassische Musik oder Spitzentanz wählt.

Ballett-Journal: Wie läuft das eigentlich ab und in welchen Zeiträumen? Wissen die jungen Choreografen denn schon von Beginn an, was sie machen wollen?

Gigi Hyatt: Manche überraschen uns tatsächlich und kommen mit genauen Vorstellungen und der von ihnen schon gewählten Musik an. Aber bei den meisten ist es eher nicht so. Stacey Denham beginnt darum mit dem Prozess der Vorbereitung schon in der VII. Klasse, wenn die Schülerinnen und Schüler 16 und 17 Jahre alt sind. Da haben sie jede Woche zwei moderne Stunden plus eineinhalb Stunden Komposition. Stacey fängt damit an, dass sie die erste Choreografie von einer Gruppe, nicht gleich von einem einzelnen Schüler allein, erstellen lässt. Und manchmal muss sie da mehr nachhelfen, manchmal weniger. Erst in der VIII. Klasse – der zweiten der beiden die Ausbildung abschließenden Theaterklassen – leitet sie dann die individuellen Choreografien an. Dabei geht es um die Auswahl der Musik, um die Länge des Stücks, um die Art der Raumausnutzung und um solche Dinge. Ich komme gerade von einer solchen Probe, von einem Durchlauf des zweiten Teils der „Werkstatt der Kreativität VI“, der am Freitag Premiere feiert – und ich denke, da ist Einiges sehr gut gelungen.

Ballett-Journal: Gibt es etwas, auf das das Publikum besonders achten sollte?

Gigi Hyatt: Wir sind gespannt, was dem Publikum auffällt! Für uns ist es immer wie ein Geschenk, von dem man nicht weiß, was drin ist, und dann sieht man erst auf der Bühne, wie die Stücke zueinander passen und wie sie sich als Vorstellung machen.

Ballett-Journal: Aber es gibt Bühnenproben vorab?

Gigi Hyatt: Es gibt für jedes der beiden Programme einen Tag zur Beleuchtung. Dann gibt es am Vormittag der Premiere die Generalprobe. Und zwei Wochen im Voraus gab es einen Tag, an dem wir alle Stücke „stellen“ konnten, also Stellproben auf der Bühne abhalten konnten. Damit beim Tanzen die Raumproportionen stimmen! Das ist ein Riesengeschenk vom Ernst-Deutsch-Theater, dass wir das so machen können, und wir sind da sehr dankbar.

junge Damen in Kreativität

Auch in 2014 lief die „Werkstatt der Kreativität“, damals die V., mit großem Erfolg. Die Studentinnen und Studenten lernen dabei, sich selbst auszudrücken – und bekommen Kenntnis auch von der Verantwortung, die ein künstlerischer Beruf bedeutet. Foto: Marcus Renner

Ballett-Journal: Ich nehme mal an, dass der Stil und der Esprit von John Neumeier die Arbeiten prägen?

Gigi Hyatt: Auf jeden Fall! Die Schülerinnen und Schüler fühlen sich geehrt, dass sie von jemandem wie Neumeier lernen können. Und sie dürfen vom ersten Tag an, an dem sie hier sind, bei Proben zugucken. Das schult sie. Wir haben in den beiden großen Ballettsälen, die nach Petipa und Nijinsky benannt sind, Balkone, und von dort können die Schüler ohne zu stören zusehen. Das soll wie ein Mikrokosmos sein, in dem die Kleinen von den Großen lernen – aber manchmal ist es auch umgekehrt. Dann kommen Tänzer vom Hamburg Ballett und sehen bei den Arbeiten für die „Werkstatt der Kreativität“ zu. Langweilig ist das sicher nicht!
Interview: Gisela Sonnenburg

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