Hoffen und Bangen am World Ballet Day 2020 Wie immer sind morgen weltweit viele Compagnien wie das Stuttgarter Ballett am World Ballet Day online – aber der Geschmack ist dieses Jahr ein anderer. In Hamburg und Berlin locken zum Glück Live-Vorstellungen ins Opernhaus. Außerdem ein Online-Glanzstück: „Beauty Papers“ von Laurence Ellis mit Edward Watson

World Ballet Day 2020 mit Edward Watson

Die Kamera in „Beauty Papers“ liebt den Körper von Edward Watson – und vermengt Tanz, Musik und kunstvolle Kameraführung zu einem Gesamtkunstwerk. Videostill: Gisela Sonnenburg

Wir haben uns an Ballett im Internet hineichend gewöhnt. Bisher war der World Ballet Day, an dem viele Compagnien konzertiert live Einblicke in ihr Training sowie in Proben gaben, etwas Besonderes. Er schärfte unseren Blick fürs Detail und machte neugierig auf kommende Vorstellungen. Dieses Jahr ist es ein bisschen anders. Vielerorts drückt die Angst vor einem kommenden Lockdown oder auch vor dem Corona-Virus auf die Stimmung. Da könnte das Internet die letzte Rettung sein – wenn es das nicht schon längst wäre. Das Stuttgarter Ballett zeigt immerhin musterhaft eine halbe Stunde Live-Probe: morgen, am Donnerstag, dem 29. Oktober 20, von 13.30 Uhr bis 14 Uhr. Es dürfte ein bisschen länger sein, aber die aktuellen Regeln spielen auch hier sehr wohl mit. Weltweit sind ohnehin etliche Compagnien wieder online, sodass man sich nicht nur auf eine konzentrieren sollte. Manche zeigen – wie das Staatsballett Berlin – kurze Aufzeichnungen jüngerer Heldentaten, andere drehen voll auf und beliefern uns mit viel gepowerter Live-Kunst. Ebenfalls in Berlin lockt dafür am Abend die „Giselle“ mit Yolanda Correa und Dinu Tamazlacaru als neuem Glanzpaar leibhaftig in die Staatsoper Unter den Linden (um 19.30 Uhr beginnt’s), und das Hamburg Ballett trumpft (ebenfalls um 19.30 Uhr) sogar mit einer Wiederaufnahme des kultigen John-Neumeier-Stücks „Tod in Venedig“ auf, in neuer Besetzung der beiden Hauptrollen. Christopher Evans wird den Meisterchoreografen Aschenbach tanzen, und Atte Kilpinen den von ihm begehrten Tadzio. Edvin Revazov hingegen, der Tadzio der Uraufführung, wird die fantastische Gestalt von Friedrich dem Großen tanzen, und am Piano – das hier auch einen Schauspielpart beinhaltet – wird der junge Sebastian Knauer mit den Finger tanzen.

World Ballet Day 2020 mit Edward Watson

Yolanda Correa als „Giselle“ von Patrice Bart: am World Ballet Day 2020 live in der Staatsoper Unter den Linden zu genießen. Foto: anonym / Facebook

Die meisten Ballettfans aber werden vor dem Bildschirm sitzen. Besonders empfehlenswert ist hier mal wieder das Royal Ballet aus London, das alljährlich beim World Ballet Day online brillert. Mit Trainings, mit Proben, mit Stars, mit dem Ensemble!

Das Wiener Staatsballett versucht zudem mit Outlooks auf die kommende Uraufführung zu punkten, und das Bolschoi Ballett in Moskau wird – wie das Royal Ballet in London – auch wieder mit einem groß angelegten Programm begeistern.

World Ballet Day 2020 mit Edward Watson

Atte Kilpinen, der Shooting Star vom Hamburg Ballett, probt die Partie des Tadzio für den „Tod in Venedig“ von John Neumeier. Zu sehen als komplette Vorstellung am World Ballet Day 2020 – live in der Hamburgischen Staatsoper! Foto: Kiran West

Aber noch eine Besonderheit verführt seit kurzem ins Internet, auch sie kommt gewissermaßen vom Royal Ballet, ist aber nicht zeitlich limitiert: Londons Startänzer Edward Watson tanzt ein Solo von Alastair Marriott in einem höchst kunstvoll-erotisch gemachten Video in der Regie von Laurence Ellis.

Die Musik ist ein moderner Klassiker: „Claire de Lune“ („Mondlicht“) von Claude Debussy, für das Video eingespielt von Colin J. Scott.

Die Kunstfigur, die Watson tanzt, ist eine Mixtur aus Faun und Petruschka, wobei manche Posen des Gesichts an den schlafenden Faun – den Barberinischen Faun – in der Glyptothek in München erinnern. Die Glyptothek wird übrigens derzeit renoviert und nach aktuellem Stand am 27. Januar 2021 festlich wiedereröffnet.

World Ballet Day 2020 mit Edward Watson

Edward Watson himself in „Beauty Papers“ online – eine Mischung aus sinnlichem Faun und traurigem Petruschka. Videostill: Gisela Sonnenburg

Das Faunische, Überirdisch-Sinnliche, das Göttlich-Verwegene und dennoch Launisch-Melancholische der Figur, die Edward Watson hier verkörpert, besticht mit jedem Atemzug. Das ist sicher auch der hervorragenden Kameraführung zu verdanken, aber natürlich auch der ausgereiften Ballettkunst von Watson, der von „Mayerling“ bis zu „Chroma“ sein Profil im Repertoire vom Royal Ballet im Laufe seiner Karriere immer stärker geschärft hat.

Für all jene, denen der World Ballet Day dieses Jahr nicht so richtig genügt und die – aus welchen Gründen auch immer – nicht in den Genuss kommen, Ballett live und leibhaftig zu erleben, dürfte Watsons neues Juwel ein absolutes Glücksstück sein.

Rätselhaft bleibt nur der Titel: „Beauty Papers“ („Kosmetikpapiere“, „Schönheitszeitungen“) passt irgendwie so gar nicht zu der faunisch-elegischen Choreografie.

World Ballet Day 2020 mit Edward Watson

Wie der schlafende Faun, den Kardinal Barberini in die Sammlung der Münchner Glyptothek einbrachte: Edward Watson im Tanzvideo „Beauty Papers“ von Laurence Ellis. Videostill: Gisela Sonnenburg

Dafür tanzt Watson aber umso energiegeladener, mit einer Emotionsbandbreite, die sich zwar nobel zurückhält, dennoch aber in vielen Schattierungen zu erahnen ist. Ein schönes tänzerisches Denkmal für einen fantastischen Ballerino.

Man genieße also in aller Ruhe live wie online möglichst alles, was man vom Ballett an Luxusstückchen derzeit haben kann!
Gisela Sonnenburg

 Trailer World Ballet Day 2020:

 https://www.youtube.com/watch?v=IuYEA7srsq8

 Zum Royal Ballet: https://www.youtube.com/watch?v=9Gw8rDvOlPg

 Zum Bolschoi Ballett: https://www.youtube.com/watch?v=WeYU-OeWuyM

 www.stuttgarter-ballett.de

 www.staatsballett-berlin.de

 www.hamburgballett.de

 Zu Edward Watson in „Beauty Papers“:

 www.youtube.com/watch?v=9Gw8rDvOlPg

 

 

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