Die ewige Stunde Null Fantastisch: „Licht als Vision“ – eine Ausstellung der Villa Grisebach in Berlin mit substanziellen Werken von Hermann Goepfert

Goepfert

Einfach schön und sogar witzig: „Knokke, statischer Reflektor“ heißt – fast futuristisch – dieses solide, an ein Fenster erinnernde Werk von Hermann Goepfert, das er 1967 schuf und das jetzt, aus einer beschichteten Hartfaserplatte und gewellter PVC-Folie bestehend, in der Ausstellung „Licht als Vision“ der Villa Grisebach in Berlin zu sehen ist. Es ist glatte zwei Meter breit. Foto: Gisela Sonnenburg

Die Atmosphäre in dieser Ausstellung ist meditativ – gerade richtig, um sich in eine andere Welt zu begeben, etwa mit dem Ziel, die gegenwärtige mit etwas Abstand zu betrachten. Eine gewisse Erhabenheit in der Stimmung ist dazu sinnvoll, vorangegangener Müßiggang kann den Kunstgenuss steigern. Aber auch Rastlose, die zwischen zwei Terminen mal reinschauen wollen, finden hier die notwendige Kontemplation, um ein Stück weit dieses heilsame Gefühl zu erfahren, alles würde auf Null gefahren, um von dort mit voller Kraft neu zu starten.

TV-Attrappe

Fluxus lässt grüßen – oder wird vielmehr gegrüßt, gleichermaßen antizipiert! Denn TV-Geräte sahen in den 60er Jahren noch ganz anders aus. – „Empire“ nannte Hermann Goepfert diese aus heutiger Sicht scheinbare TV-Attrappe aus einem Holzkasten, aus Kunststofffolie, Aluminiumstreifen und Nylonfäden von 1967. Schlaues Sehen! Foto: Gisela Sonnenburg

„Licht als Vision“ nennt die Kuratorin Beate Kemfert ihre Ausstellung mit Werken von Hermann Goepfert in der Galerie der Villa Grisebach in Berlin. Und während im Martin-Gropius-Bau (ebenfalls in Berlin) zeitgleich eine umfassende Sammelausstellung Werke der ZERO-Gruppe und von zahlreichen, von ZERO beeinflussten Künstlern zeigt – darunter auch Hermann Goepfert – bringt die Kemfert’sche Ausstellung allein mit dieser einen künstlerischen Handschrift zum Schweben.

Gold

Wie ein Entwurf für ein Bühnenbild: „Polaris“ stammt aus dem äußerst kreativen Goepfert-Jahr 1967, mit einer Höhe von 122 Zentimetern: Holz, Folie, Alu sind die Materialien. Und Benno Ohnesorg lebte noch! Foto: Gisela Sonnenburg

Man atmet ganz anders, wenn man eingetreten ist. Das liegt zum Einen an der Kunst hier, zum Anderen aber auch an der Ausleuchtung großzügigen, mitunter dennoch reizvoll verschachtelten Weite der Räumlichkeit. Man befindet sich ja nicht in der großen, alten, herrschaftlichen Villa Grisebach, in der die bekannten Auktionen stattfinden. Sondern man steht zwei Hausnummern weiter in einer modernisierten, ebenerdigen Galerie, die die Betreiber der Villa speziell für die Präsentation zeitgenössischer Kunst eingerichtet haben. Die zeitgenössische Moderne wird, wie üblich, hier mit der Mitte des letzten Jahrhunderts markiert – die Kunst von Hermann Goepfert nimmt auf diese Stunde Null sogar programmatischen Bezug.

Kryptisch

Auch in Schräglage der Ansicht nach interessant und über einen Meter breit: „RE III / 74“ von 1974, Hermann Goepfert verwandte Holz, Aluminium und drei Edelstahlscheiben. Foto: Gisela Sonnenburg

Beate Kemfert promovierte über Goepfert und ist insofern aus kunstgeschichtlicher Sicht sehr geeignet als seine Kuratorin. Allerdings lässt ihr exzellentes Arbeitsergebnis auch Assoziationen zu, die weit über ihre ursprünglichen Absichten hinaus gehen. So erinnert man sich an Christoph Marthalers Theaterarbeit „Die Stunde Null oder die Kunst des Servierens“, die ebenfalls auf 1945, auf das Ende des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs Bezug nahm. Sarkastisch kommentierte diese Theaterregie den mitteleuropäischen Neuanfang – im Stück getätigt durch alternde deutsche Männer in Turnhosen und in Singegruppen, wandelnd zwischen Echtholzpaneelen und weinend wie in einem Wettbewerb für Wehleidigkeit.

Marthaler ging nah ran mit seinem inspirierten analytischen und auch politischem Blick. Hermann Goepfert will das genaue Gegenteil, bei einer dennoch ähnlichen Zielsetzung: Er will mit seinen Werken stets weit weg gehen, um zu schauen – von oben, von unten, von allen Seiten. Und auch er will weg von der Vergangenheit, hin zu neuen Ufern – unter strikter Meidung aller Fallstricke der Vergangenheit sowie des Risikos, sich in ihren desaströsen Netzen zu verheddern.

LIchtrolle

Die „Lichtrolle, Lichtwalze“ auf zwei Meter langer Unterlage wurde 1967 vollendet; sie besteht aus Holz, Alu und PVC – und darf vom Betrachter angefasst und bewegt werden. Als kinetisches Objekt erinnert sie an eine überdimensionierte Spule oder auch an ein Wagenradpaar. Sie sensibilisiert für gleichmäßige harmonische Bewegungen! Foto: Gisela Sonnenburg

Das Nichts, das Monochrome (Einfarbige), das Hart-Metallische, das Abstrakt-Konkrete: Sie erscheinen als Auswege in Hermann Goepferts Kunst. Die Materialien, die er wählt, erinnern mal an Zitate seiner Künstlerfreunde Günther Uecker und Lucio Fontana, mal an die witzig-puristischen Ideen von Yves Klein. Kinetik, Bewegungsformen, Stromlinien, Schattenspiele und Spiegeleien – die Suche nach autonomer Reflexion in Form und Inhalt ist für Hermann Goepferts Werke substanziell. Es ist, als müsse er wie manisch immer wieder von vorn anfangen, jedes einzelne Werk stellt den Versuch zur perfekten Formulierung einer neuen Ästhetik dar.

EINE VERNICHTUNG DES NICHTS

Der 2004 verstorbene Poet Thom Gunn, der zu Goepferts Generation gehörte und bis heute einer der bedeutendsten modernen Lyriker in englischer Sprache ist, fasste die Fühligkeit ewigen Neuanfangs in seinem Gedicht „The Annihilation of Nothing“ („Die Vernichtung des Nichts“) in Worte: „Nichts blieb übrig: Nichts, der wolllüstige Name, / den ich nächtlich wiederholte vor der Entführung / zu dunklem Schlaf oder Schlaf, der einen Traum enthielt.“ Diese Wolllust an der Fokussierung des Nichts, die einerseits im Vergleich zu rauschhaften Ideen eine Ernüchterung bedeutet, andererseits aber auch den Boden für neue hochfliegende Träume bereitet, ist auch in Hermann Goepferts Werken spürbar.

Denn es ging ihm, der 1926 in Bad Naunheim geboren wurde und 1982 überraschend in Antwerpen starb, lebenslang darum, den Traumata und Schrecken des Dritten Reichs und des Zweiten Weltkriegs insofern zu entfliehen, als er nicht unmittelbar ideologisch wirken wollte, sondern indirekt versuchte, die Gesellschaft zu verändern.

Grau in Grau

Meterhoch: „Ohne Titel“ (Statischer Reflektor) heißt dieses Werk von 1976, das Grau auf Grau zwei Stäbchen wie aus dem asiatischen Restaurant verwendet. Es besteht aus Holz, Leinwand (grau) und Aluminiumlamellen. Hermann Goepfert bewies wie stets eine skurrile, aber zielgerichtete Fantasie. Foto: Gisela Sonnenburg

Die Beeinflussung, die von Kunst ausgehen sollte, könnte seiner Meinung nach durch eine neue, pure, utopisch orientierte Ästhetik sowie durch eine Art Wahrnehmungsschulung qua Kunstrezeption stattfinden.

SENSIBILISIERUNG

Stichwort Sensibilisierung: Es ist unmöglich, Werke wie die von Goepfert anzubrüllen oder ihnen anders als äußerst respektvoll zu begegnen. Sie sind reduziert auf Linien und Formen, auf Farben und Schatten, die sich aus natürlichem Weiß, Grau, Metallfarben ergeben. Bedeutend sind in diesem Zusammenhang die so genannten „Weißbilder“, die Goepfert seit den späten 50er Jahren schuf. Licht und Helligkeit sind Lebensthemen von ihm – er wollte sogar „Lebensräume“ mit Lichtobjektbestückung bauen. Damit begreift er einen Ansatz modernen Denkens, der erst Ende letzten Jahrhunderts begann, sich auszuformulieren. Etwa in der Licht-Schatten-Kunst des US-Amerikaners James Turrell, der seine Lebens(t)räume teils fern von den gängigen Museen unter freiem Himmel in der wüstenähnlichen Einöde errichtet.

WEISSBILD

Das Nichts ist nicht nichts – und auch nicht immer dunkel, sondern manchmal wie eine krumpelige Vernarbung: Dieses „WEISSBILD W54/60“ stammt von 1960, Hermann Goepfert zitiert seinen Künstlerfreund Lucio Fontana (der häufig Leinwände für die Kunst geschickt aufschlitzte): mit weißer Ölfarbe auf Leinwand und über 70 Zentimeter hoch. Foto: Gisela Sonnenburg

Hermann Goepfert war dem etablierten Kunstbetrieb und seiner damals zunehmenden Internationalität allerdings gern verpflichtet. Seine Ausbildung erhielt er an der Frankfurter Städelschule, und in Frankfurt am Main – und von dort aus auch in ganz Europa – gehörte er bald zu den am meisten beachteten Künstlern. Dabei stand ihm die 1958 von Heinz Mack und Otto Piene in Düsseldorf gegründete ZERO-Bewegung künstlerisch besonders nahe – der Gedanke vom Neubeginn aus dem Nichts heraus bewegte auch sie.

DIE PURISTISCHE POESIE DES BEAT

Da ist die Poesie der Beat Generation nicht allzu fern: Auch Thom Gunn, der 1929 geborene britische Dichter und Universitätsdozent, der ab 1954 in den USA lebte und wirkte, ließ sich vom Nichts, vom Nichtsein, vom Nichtvorhandenen faszinieren. In seiner „Vernichtung des Nichts“ heißt es: „Entkleidet zu Indifferenz gegenüber den Drehungen der Zeit, / deren Ende ich wusste, erwachte ich ohne Verlangen / und begrüßte die Null als Paradigma.“

Aber selbstverständlich ist das Erwachen ohne Verlangen nur scheinbar frei von jedwedem Begehren. Menschen, denen man im Leben mal alles nahm, erleben das Dasein oftmals als ständigen Neuanfang – eine ewige Stunde Null umhüllt sie wie ein Schutzwall. Verzicht und Bescheidenheit scheinen aufoktroyiert und sind dennoch aus freiem Willen entstanden: Sie bewahren vor allzu großen erneuten Verlusten. Die Sehnsucht nach dem Nichts, die schon Friedrich Nietzsche empfand und beschreiben konnte, wächst dann kontinuierlich, allerdings, um immer wieder an der handfesten  Tücke der Materie zu zerschellen.

Regen in Silber

Manche Werke wirken gerade im Zusammenspiel so frisch und unverbraucht und auch beredt. Hier „Regen am 25. Juli“ von 1967 (links), es besteht aus einem mit PVC-Folie gefüllten Holzkasten, in Korrespondenz zum quer stehenden bzw. hängenden rechten Werk von Hermann Goepfert. Foto: Gisela Sonnenburg

Und so endet das Gedicht von Gunn denn auch – nach beschriebener Erfahrung von Zerstörung und Zusammenbruch – lakonisch erregt in einem ganz anderen Gefühl als unbeteiligter Freundlichkeit: „Es ist Verzweiflung, dass Nichts nicht sein kann. / Sie zieht eine Leuchtspur im Geist und lässt eine Rauchmarke / vom Schrecken zurück.“ Und schließlich heißt es: „Weder fest noch frei // schwebt Materie im Dunkeln.“

In „Licht als Version“, der Ausstellung, schwebt die Materie nicht im Dunkeln, aber sei erhebt sich gewissermaßen über das Dunkle und auch über das Leere, indem sie es mit Licht und Formen füllt.

Klanglichtobjekt

Das „Optophonium III“ in seiner ganzen Schönheit in der Galerie der Villa Grisebach in Berlin. Es glitzert und wabert, aber die Klänge dazu muss man vor Ort erfahren. Foto: Gisela Sonnenburg

Zentral ist das „Optophonium“, eine Konstruktion, die Goepfert schuf, um Klang und bildende Kunst zu verbinden. Lichtspielerisch reflektieren Mobile-artig montierte Metallleisten von oben herab, während darunter ein Lautsprecher laute Gong-Laute absondert. Diese monotonen Klänge haben Sogwirkung. Obwohl es sich streng genommen um ein Dröhnen handelt, schmeichelt es dem Ohr und dem Gemüt – man fühlt sich magisch angezogen und steuert unwillkürlich, wenn man die Ausstellung durchmisst, immer wieder die Nische mit dem Optophonium an.

Optophonium III

Reliefs, die sich aus gebogenen oder reflektierenden Metallleisten ergeben: Das vermutete Regal gehört zum „Optophonium III“ von 1977. Hermann Goepfert schuf es aus Holz, Edelstahl, einem Magnettonband, aus einem Lautsprecher sowie Lampen. Foto: Gisela Sonnenburg

Dort versinkt man dann in Klang und Licht, und von oben scheint zusätzlich etwas herunter, das mühelos zur Kunst erklärt werden könnte, dennoch aber nur zur Ausstattung, zur Präsentationshilfe der Werke hier gehört. Es ist Licht, blaues Licht – durch ein Quadrat aus der modern aufgehübschten Kassettendecke einstrahlend.

Licht als Vision

Blaues Oberlicht fällt durch die hierfür geöffnete Kassettendecke: Licht ist in der Kunst alles, zumal, wenn die Ausstellung „Licht als Vision“ heißt. Foto: Gisela Sonnenburg

Solches Oberlicht ergänzt den ganzen Galerieraum, der keineswegs einem langweiligen White Cube gleicht, sondern vielmehr die Anmutung eines Museums, eines Mausoleums gar, hat. Hier geht es nicht um flüchtig hoch gepushte Kunst, sondern um die dauerhaften Werte der Moderne, suggeriert der Raum – er verleiht den gezeigten Exponaten die Weihe des Überzeitlichen. Das Nichts, es wird ein Alles.
Gisela Sonnenburg

Bis 18. April in der Galerie der Villa Grisebach, Fasanenstraße 27, 10719 Berlin

Es erschien zudem im Verlag Hatje Cantz der Katalog „Hermann Goepfert“, herausgegeben von Beate Kemfert, Kostenpunkt: knapp 50 Euro

www.villa-grisebach.de

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