Liebe unter spanischen Vorzeichen Samstagabend: Rudolf Nurejev brachte den russischen „Don Quixote“ in den Westen – jetzt ist diese Inszenierung aus Wien auf 3sat zu sehen

Don Quixote reitet durchs Internet.

Der „Fisch“ im freien Flug: Die tolle Maria Yakovleva (Kitri) und der hoch begabte Denis Cherevychko (Basil)  in der Wiener Inszenierung von „Don Quixote“, die auf Rudolf Nurejev zurück geht. Foto: 3sat / Wiener Staatsballett

Ole, ole, ole! „Don Quixote“, dieser spanisch inspirierte Bestseller der Klassik, ist der „Action-Thriller“ unter all den feinen Stücken, die der gebürtige Franzose Marius Petipa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Russland uraufführte: „Don Quixote“ strotzt nur so vor Tatendrang, besteht aus komisch-skurrilen, teils sogar absurden Handlungsmomenten, die sich dennoch zu einer runden Geschichte formen. Diese Spielzeit – 2016 / 2017 – ist im deutschsprachigen Raum zudem irgendwie ein heimliches Don-Q-Jahr: Nach einem enttäuschenden, neu inszenierten „Don Quixote“ beim Semperoper Ballett (www.ballett-journal.de/semperoper-ballett-don-quixote/ ) und einem auch nicht wirklich runden „Don Quichote“ beim Stuttgarter Ballett (www.ballett-journal.de/stuttgarter-ballett-dvd-don-quijote-quichot/ ) erfolgt jetzt ein weiterer Anlauf auf 3sat: mit einer Aufzeichnung vom Wiener Staatsballett von 2015, als die Inszenierung von Rudolf Nurejev auch als Outdoor-Event in Wien in einer Live-Übertragung zu genießen war.

Die Titelfigur – der Ritter von der traurigen Gestalt, er ist dem Episodenroman von Miguel de Cervantes aus dem frühen 17. Jahrhundert entlehnt – ist dabei aber gar nicht mal die Hauptperson. Sondern in Petipas Ballett brilliert, eingebettet in personalstarke, volkstümliche Szenerien, vor allem ein virtuos tanzendes Liebespaar, das um seine Verbindung kämpfen muss. Der Vater der Braut will sie nämlich unbedingt anderweitig verkuppeln. Bis zum temperamentvollen Happy End – im vierten Akt – ist darum viel Librettoplatz für „Äktschn“.

Don Quixote reitet durchs Internet.

Liebe und Heiterkeit trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen: Kitri und Basil wissen, wie sie sich durchsetzen, um heiraten zu können… Mit List, nicht mit Gewalt! Foto: 3sat / Wiener Staatsballett

Komik und Klamauk, Verwicklungen und Verwechslungen, Schwung und Scherzhaftigkeit bestimmen das Geschehen: „Don Quixote“ (bei dem das „x“ als „ch“ gesprochen wird) ist seit seiner Uraufführung 1869 am Bolschoi in Moskau ein familienfreundliches, rasantes, knallbuntes Turboballett. Auf also nach Bühnenspanien!

Kitri – also die bildschöne, bühnenwirksame Primaballerina Maria Yakovleva – und ihr Basil – dargestellt vom blutjungen Supertalent Denys Cherevychko – werden uns dort schon fast um den Verstand zu bringen wissen, so rasant und pfiffig, so charmant und schelmisch tanzen sie hier. Dass sie technisch die Verwicklungen mit Leichtigkeit bewältigen, davon ist auszugehen.

Die elegant-erotischen Wiener „StaatsballettlerInnen“ Roman Lazik, Ketevan Papava und Olga Esina (als Königin der Dryaden) tanzen gemeinsam mit Yakovleva und Cherevychko dieses wilde, schöne Stück Ballettkultur – mit Zigeunerschick, ritterlicher Trottelkomik und feenhafter Poesie, ferner mit einer fast absurden Amor-Einlage sowie mit dem unwiderstehlichen Charme der spanischen Landbevölkerung, wie man sie sich zum Beispiel im sowjetischen Russland vorgestellt hat.

Dabei wird der gute Geist von Rudolf Nurejev über allem schweben.

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Denn er brachte das dort traditionsreiche Petipa-Ballett „Don Quixote“ aus der Sowjetunion mit in den Westen; vorher war es, wie auch „Le Corsaire“, jenseits des Eisernen Vorhangs kaum bekannt. 1966 inszenierte „Rudi“ das Stück voll tollkühner Sprünge, die er dann selbst zum Besten gab, an der Wiener Staatsoper – und von hier aus trat es seinen Triumphzug über die Ballettbühnen der Welt an. Manuel Legris als aktueller Wiener Ballettchef ordnete die Neueinstudierung an – mit viel Erfolg! Die Tradition, den „Don Quixote“ ohne Pantalons und statt dessen nur in Strumpfhose zu tanzen, erfand Nurejev übrigens schon gegen den erbitterten Widerstand seiner Vorgesetzten in Russland: Er wollte attraktiv wirken und verweigerte bei den Aufführungen einfach die dort vorgesehenen „spanischen“ Pluderhosen. Im Westen dann setzte sich das Quixote-Kostüm à la Nurejev durch, ohne dass es als solches auch nur erwähnt oder gar diskutiert werden musste.

In Wien wurde indes auch schon das erste bekannte „Don Quixote“-Ballett überhaupt uraufgeführt, das mit dem von Petipa-Nurejev aber nicht zu verwechseln ist: um 1740 war das, am Wiener Kärtnertor-Theater, der choreografierende Inszenator hieß Frans Hilverding van Wewen. Der Schwerpunkt lag damals auf den Massenszenen, bei denen es mit viel Kledage halt viel zu gucken gab. Aber auch der Franzose Jean Georges Noverre (der oft als Vater des Ballets bezeichnet wird) schenkte Wien seinen eigenen „Don Quixote“: 1768. Und fast hundert Jahre später, 1855, machte der Pantomime Giovanni Gollinelli eine komische Posse mit deftiger Humtata-Musik aus dem anekdotischen Thema, ebenfalls im schönen Wien.

Don Quixote reitet durchs Internet.

Noch einmal das großartige Liebespaar Kitri (Maria Yakovleva) und Basil (Denys Cherevychko) aus dem Wiener „Don Quixote“. Foto: 3sat / Wiener Staatsoper

Allerdings: So großen Erfolg wie Nurejevs Petipa-Glamour hatten all diese historischen Wiener Teilchen mitnichten. Denn diese hochkarätige, aus Russland stammende Version verbindet den teils derben Humor der Geschichte mit feinsinnigen choreografischen Arrangements, sie unterfüttert die Groteske mancher Handlungsstränge mit technischer Grandezza – und auch mit körperlicher Ironie.

Getanzte Ironie – das ist ja oft schlicht Übertreibung.

In den Hebungen des Liebespaares aus „Don Quixote“ ist allerdings gar nichts übertrieben. Sondern auf den Punkt gebracht, also vor allem eins: virtuos.

Da darf das Mädchen mit dem Fächer spielen, lange Balancen auf einem Bein halten und sich im vertikalen Spagat weit über den Kopf des Jungen heben lassen. Er wiederum darf ein Bolerojäckchen tragen, mit Sprüngen und Pirouetten ungezügelt beeindrucken – und stolz wie Bolle (was ein altes Berliner Sprichwort ist) auf seine eigene, unverwüstlich gute Laune sein.

Besonders beliebt und berühmt sind zwei Tanzelemente: der „Kitri-Sprung“ der Hauptdarstellerin, der einem diagonal nach vorn tiefer gelegten Spagatsprung mit angewinkeltem Hinterbein bei starkem Cambré gleicht, und der Grand Pas de deux aus dem Schlussakt.

Letzterer ist als Bravourstück bei Galas heiß begehrt; es gibt kaum eine Starballerina noch einen Starballerino, die oder der damit nicht schon nach allen Regeln der Ballettkunst angegeben hat. Der technisch hohe, anspruchsvolle Standard wird ergänzt von Posen mit feurigem Flamenco-Temperament, welches das Stück in stilisiert-ballettöser Manier grundiert. Weitere Elemente spanischer Folklore kommen hinzu, sind aber stets verbrämt und eingefügt in die klassische Ballettästhetik.

Don Quixote reitet durchs Internet.

Don Quixote, der Titelheld, hier im Weanerischen Schmäh-Outfit… ob der Ritter von der eher lustigen als traurigen Gestalt ein richtig spanisch-österreichisch-russisches Flair haben wird? Anschauen! Foto: 3sat / Wiener Staatsballett

Besondere Erwähnung verdient außer dem vorzüglichen Ensemble auch der Zigeunertanz (ja, es ist unklar, ob er ein Roma oder ein Sinti ist) von Mihail Sosnovschi. Das ist Temperament, in Form gegossen, wow!

Das Orchester der Wiener Staatsoper wird von Kevin Rhodes durch die knallenden Rhythmen und treibenden Melodiebögen von Ludwig Minkus geführt. Minkus war übrigens Österreicher – und schuf mit der Musik für „Don Quixote“ so etwas wie einen der ersten musikalischen Multikulti-Mixe. Denn nicht nur für wenige Takte wird hier hörbar ein fremdes Land besucht… ole!
Gisela Sonnenburg

 „Don Quixote“ vom Wiener Staatsballett mit Maria Yakovleva und Denys Cheryvichko lief am Samstag, den 4.3.2017, ab 20.15 Uhr auf 3sat – und  erschien später auf DVD bei Unitel / C Major

 www.wiener-staatsoper.at

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