„Tanz in der Kirche macht glücklich“ Vier Uraufführungen bei den Musikalischen Andachten in München erfolgreich absolviert: Laura Tiffany Schmid mit Soli von Gisela Sonnenburg

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Laura Tiffany Schmid am Ende von „Mit Mondlicht im Herzen“: Die große Künstlerin überzeugte mit Stil und Temperament, mit Aura und Innigkeit bei der Musikalischen Vorabendandacht in Sankt Ludwig in der Maxvorstadt in München. Foto: Franka Maria Selz

Wenn der letzte Applaus verklungen ist, kommt die Zeit des Nachdenkens. Was haben wir da eigentlich gemacht, war es gut genug oder sogar sehr gut – es ist ja immer alles relativ – und werden wir das Abenteuer wiederholen? – Laura Tiffany Schmid ist eine Tänzerin von exzellenten Fähigkeiten. Sie hat eine saubere Technik, eine superbe Ausdruckskraft, gerade auch für feine Nuancen, und ihre Arbeitsmoral ist schlichtweg großartig. Ich muss mich an dieser Stelle nicht nur bei ihr, sondern auch bei Frau Professor Caroline Llorca von der Ballett-Akademie in München herzlichst bedanken. Prof. Llorca brachte uns zusammen, die bezaubernde Münchner Ballerina und mich, und das Lob von ihrer Seite für die fertigen Werke war uns darum selbstverständlich besonders wichtig. Es gibt aber noch jemanden, dem wir danken möchten: Pfarrer Markus Gottswinter ist ein wahrer kirchlicher Impresario, dessen Kunstverständnis und Kulturliebe im Einklang mit seiner Kompetenz zu predigen, zu managen, zu ermöglichen und zu machen steht. Wenn er den Religionsphilosophen Romano Guardini zitiert, kommen einem die Tränen wie sonst in der Oper oder – natürlich – im Ballett. Und so war es uns eine große Ehre, die Musikalische Abendandacht in der Kirche Sankt Ludwig am Samstag und die Musikalische Andacht in Sankt Joseph am letzten Sonntag mit tänzerischen Gebeten mitgestalten zu dürfen. Fast zehn Minuten Applaus nach der ersten Premiere waren für uns die rasche Bestätigung unseres guten Gefühls mit der Sache. Das Experiment, Gott und Tanz zusammen zu präsentieren, kann in unseren Augen als höchst gelungen gelten.

Am Anfang stand der Psalm 22. In ihm geht es um existenzielle Bedrängnis, aber auch um die Gewissheit, dass das Gute letztlich siegen wird. Pfarrer Gottswinter regte den Psalm als Thema an, nachdem ich angefragt hatte, ob er sich eine Bereicherung seiner Arbeit durch von mir choreografierte Stücke vorstellen könne und er glücklicherweise bejahte.

Es kam mir auch zupass, dass die Termine in der Fastenzeit liegen würden. Ernsthaftigkeit ist für den Tanz immer fruchtbar.

Auch Laura Tiffany Schmid war sofort einverstanden. Auch das kam mir wie wunderbar vor.

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Die Arme vor dem Körper gekreuzt – da gibt es so sehr viele Möglichkeiten… aber nur eine ist jeweils richtig. Für Laura Tiffany Schmid mit den Choreografien von Gisela Sonnenburg kein Problem! Foto aus Sankt Ludwig: Franka Maria Selz

Die Probenarbeit war insofern ungewöhnlich, als wir wegen der Entfernung unserer Lebensorte voneinander, auch wegen der Studio-Preise, aber vor allem wegen der Corona-Pandemie nicht persönlich im Ballettsaal, sondern (und zwar bis zum Premierentag) ausschließlich per Zoom arbeiteten.

In drei Wochen entstanden die vier Soli zu Musiken, die die Kirchenmusiker Stephan Heuberger, Thomas Scherbel und ich ausgesucht hatten. Insgesamt sind das rund 20 Minuten Tanz – nicht ganz wenig für die angesagte Zeitspanne. Zumal wir ja nicht jeden Tag und schon gar nicht ausschließlich diese Arbeit machen konnten. Aber schnell fanden wir einen gemeinsamen Rhythmus.

Wir begannen mit „Mit Mondlicht im Herzen“ zum ersten Satz, dem Adagio, der „Mondschein-Sonate“ von Ludwig van Beethoven. Meine Vorbereitungen waren nicht umsonst, das stellte sich rasch heraus. Dennoch kommt es natürlich vor, dass etwas anders wird als gedacht oder auch im Nachhinein noch verändert wird.

Für mich ist zunächst entscheidend, dass meine choreografische Arbeit meinem kritischen Blick, den ich auch bei anderen – ich darf sagen: Kolleginnen und Kollegen – für angebracht halte, standhält. Wenn das Resultat einer Probe oder einer Probenszene das nicht leistet, verwerfe ich und kreiere neu. Man muss als Choreograf von jeder Sekunde Tanz, die man erschafft, überzeugt sein. Sonst sollte man es lassen.

Das Wort „Probenszene“ sagt es schon: Ich empfinde das Choreografieren als extrem kondensierten, im Ursinn theatralischen, eben wichtigen Akt. Jede Probe ist anders, hat eine andere Nachwirkung. Aber immer ist sie wie ein Fest, das mal so, mal so verläuft. Es ist eine  mit sehr intensiven Momenten verbrachte Zeit, und im Nachhinein gesehen, hat sie sogar etwas von einer Aufführung.

 

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Die Krise am Hals: Laura Tiffany Schmid ist auch eine dramatische, nicht nur lyrische Tänzerin. So zu sehen in „Mit Mondlicht im Herzen“ von Gisela Sonnenburg. Foto: Franka Maria Selz

Man weiß vorab ja nicht immer, wie weit man kommt. Diesen Luxus konnten wir uns glücklicherweise leisten: Wir nahmen uns vor, zügig zu arbeiten, aber sollte eine Sache oder ein Detail aufwändiger werden als erwartet, dann war das kein Problem. Ich kalkulierte beim Probenplanen Spielraum ein.

Und so hatten wir nach Fertigstellung der Kreationen noch zehn Tage Zeit, um zu proben und nur im seltenen Fall noch zu ergänzen oder zu ändern. Es war ein erleichterndes Gefühl zu sehen, wie schön alles wächst und gedeiht, sich fügt und schließt.

Es ist ja auch anstrengend, so ein Unterfangen! Es gibt Momente, da denkt man: Warum mache ich das, warum lasse ich es nicht einfach? Bewegungen und Musik zu vereinen, ist eine verantwortungsvolle Arbeit. Irgendeinen Schund hinzupfeffern – das kann man genauso einfach machen wie irgendeine Reihenfolge von Buchstaben in den Computer tippen.

Dass die gezeichneten Bilder Sinn ergeben, im Kontext Sinn ergeben, vielschichtig und mitteilsam sind – das ist die Kunst. Und der Druck lastet manchmal.

Und wie fest die an sich schon nicht immer einfachen Choreografien im Gedächtnis der Tänzerin sitzen müssen, damit sie ihre volle Konzentration dem Ausdruck und der Musikalität widmen kann! Es ist so bewundernswert, wenn auch das vorzüglich klappt.

Vier Soli auf einen Schlag sind wirklich nicht wenig. Meine Tänzerin ist tapfer, das bewies sie schon bei den Proben. Mehr noch:

Ich darf an Laura Tiffany Schmid loben, dass sie nicht nur höchst musikalisch ist, sondern diese Musikalität auch ungebrochen positiv einsetzt. Sie hat das notwendige Gespür für Musik, und wo ich mich auf den schöpferischen Akt konzentriere, bringt sie das Ganze in die melodische Form.

Das ist mir wichtig: Dass ich beim Kreieren auf den Inhalt des „Gesagten“, also des Kreierten achten kann, ohne mich allzu sehr in die starren Takt-Muster des allgemeinen musikalischen Empfindens einlassen zu müssen.

Schließlich wird Tanz langweilig, wenn man immerzu den Rhythmus der Musik als schöpferisches Maß der Dinge nimmt. Das kann man nur beim Training so machen, dort ist es sogar sinnvoll. Aber kreierter Tanz muss eine eigene Aussage haben – und nicht nur auf die Musik passen.

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Das ist die Schlusspose vom „Traum der Rettung“ von Gisela Sonnenburg, uraufgeführt von Laura Tiffany Schmid in Sankt Ludwig in München. Foto: Franka Maria Selz

Weiterhin ist mir wichtig, dass es im Tanz jene intensiven Momente gibt, die man als „Höhepunkte“ bezeichnen kann. Wenn alles nur gleichförmig dahinfließt, erscheint mir Kunst sinnlos und „einlullend“, es ist dann nur zu Berieselung, also zur leichten Konsumierbarkeit geeignet und kann keinesfalls aufrütteln, berühren, erwecken. Mitreißen.

Das aber ist Sinn und Absicht von Kunst.

Auch der Bewegungsfluss muss in sich akzentuiert sein. Sonst ist es Gymnastik oder Yoga – und fast jede Choreografie verliert an Geschmack, wenn die Posen nicht klar erkennbar sind, sondern verlaufen wie impressionistisch gewässerte Farbtupfer. Es mag hier Ausnahmen geben, wenn ein bestimmter Effekt erzielt werden soll. Aber prinzipiell ist es mir sehr wichtig, die innere Dynamik einer Bewegung sichtbar zu machen.

Schließlich muss das Ganze auch eine tänzerische Dramaturgie haben. Ein Stück, ob kurz oder lang, darf in sich nicht völlig austauschbar sein. Das ist das am schwersten umzusetzende „Geheimnis“ eines guten Stücks, meine ich.

Und genau dieser Punkt war besonders schwierig beim Stück mit der edelmütigen Musik von Johann Pachelbel. „Nie wieder Barock“, habe ich manches Mal gestöhnt, weil ich mich mit der scheinbaren Gleichförmigkeit der Musik, ihrem fast der minimal music ähnelnden Hang zur Wiederholung entsetzlich genervt fühlte. Heute bin ich Thomas Scherbel, von dem die Anregung zur „Ciacona in f-moll“ stammt, aber zutiefst dankbar für diese so gesetzte Aufgabe. Denn natürlich ist das großartige Musik, und natürlich lohnt sich die Mühe, sich für ihre „Vertanzung“ damit zu quälen. Es lohnt sich wirklich! Danke nochmals für die Inspiration!

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Getanzte Pose einer Denkerin… einer Ratsuchenden… einer Betenden: Laura Tiffany Schmid in „Mit Mondlicht im Herzen“ von Gisela Sonnenburg. Foto: Franka Maria Selz

Neun Minuten lang ist nun das Stück, und für ein Solo im Tanz – zumal auf ballettöser Basis – ist das sehr lang. Runde fünf Minuten sind „normal“ und üblich. Aber fast das Doppelte an Zeit sinnvoll zu füllen, und zwar so, dass die Tänzerin hinterher noch lebt und fit für ein weiteres Stück ist, das war schon nicht ganz easy.

Und so steckt am meisten Pflichtgefühl von mir in diesem Stück, obwohl ich mit dem Titel „Traum der Rettung“ alles Andere als Pflicht im Sinn hatte. Nämlich die Hoffnung und das positive Denken zu vermitteln, welche zweifelsohne auch in diesem Stück Weltmusik stecken.

Im Gegensatz zum „Mondlicht“ – dessen berauschend dramatische, innerlich anrührende  Musik von Ludwig van Beethoven heutzutage schon fast ein Gassenhauer ist – ist das Pachelbel-Stück eher unbekannt. Auch ich kannte es zuvor nicht. Stephan Heuberger erklärte mir, dass es, ohne an Authentizität zu verlieren, mit verschiedenen Variationen gespielt werden kann und es auch im Notenhandel in unterschiedlicher Facon einherkommt.

Thomas Scherbel bestätigte das – und nahm freundlicherweise nach der einmaligen Probe mit ihm vor Ort auf den Tanz Rücksicht. Er ließ die sonst für ihn in solchen Fällen wegen dem Hall wichtig gewordenen zusätzlichen Zäsuren beim Orgelspiel aus. Das war wohl auch für ihn eine Premiere, und es ist absolut schön, wenn alles so harmoniert. Der „Traum der Rettung“ war wirklich traumhaft.

Die Version des Pachelbel-Stücks, die ich mir hatte aussuchen dürfen, hat dabei vor allem das meiner Vorstellung gemäße Tempo und auch den strudelhaften Sog, den ich mir für ein Barockstück gewünscht habe.

Die Kraft, die das Gebet – diese überzeitliche Zwiesprache mit Gott – geben kann, steht hier im Stück im Vordergrund. Aber auch die Verbindung des Gebets zum Traum, zur Utopie, zur Sehnsucht sollten im Solo verankert werden.

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Beten, Schlafen, Tanzen – so zu sehen bei Laura Tiffany Schmid in den „Tänzen zum Psalm 22“ von Gisela Sonnenburg. Foto: Franka Maria Selz

Als Drittes kam die Nocturne ins Spiel. Die „Nocturne Nr. 55“ von Chopin habe ich gewählt, weil sie poetisch-weltliche Energie mit lyrisch-transzendierender Empfindsamkeit vereint – jedenfalls, wenn sie ruhig und langsam am Piano interpretiert wird.

Pfarrer Gottswinter sagte nach der ersten und einzigen Bühnenprobe, die wir in Sankt Joseph hatten (und zwar unmittelbar vor der Uraufführung), dass er bei dem Stück auch an den Bois de Bologne denke, in dem im 19. Jahrhundert, als Chopin komponierte, sozusagen tous le monde von Paris flanierte.

Die Suche nach dem richtigen Weg – das war das Thema, das ich mir für diese Nocturne vorgenommen hatte. Und siehe da: Die Strategie, den Weg mal ganz wörtlich, mal metaphysisch mit Körpersprache auszulegen, ging auf.

Das Kostüm, das Laura Tiffany Schmid trägt, war ursprünglich übrigens eine Notlösung und nur der Ersatz für das eigentlich bestellte Kleid, das aufgrund seines Weges (ha! Der richtige Weg wurde ja gesucht) über Großbritannien vielleicht nicht pünktlich würde eintreffen können.

Aber dann entpuppte es sich als ziemlich optimal. Ich hatte es am ersten Tag nach dem Komplett-Lockdown als erstes Shopping mit Anmeldung als Vorbestellung geholt. Ein schöner Symbolgehalt dieses Einkaufs! Und der Ersatz war tatsächlich besser als das Original! Die Farbe Schwarz ist zwar prekär im Tanz, weil sie soviel Licht aufsaugt und so wenige Binnenkonturen zeigt. Doch hier passt sie.

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Laura Tiffany Schmid hat traumhafte Arabesken und Attitüden, auch in der Promenade, auch im Stehen mit Balance. So zu sehen in Sankt Ludwig in München. Foto: Franka Maria Selz

Alle getanzten Stücke haben ja mit der Nacht, dem Traum, dem Reich des Schlafs zu tun.

Dazu wollte ich einen auflockernden Punkt hinter dem rechten Ohr, eine Blüte. Als ich überlegte, welche Blume ich der Tänzerin ins Haar stecken sollte, fiel mein Blick auf roten Klatschmohn. Genau: eine Schlafmohnblüte ist so kleidsam wie symbolhaltig, und zu Laura Tiffany Schmid mit ihrem zarten Teint und den gern mal richtig rot geschminkten Lippen passt die helldunkelrote Mohnfarbigkeit vorzüglich.

Ein schmales Band in silberschwarz sollte als Gürtel ihre Taille betonen – voilà! Als die ersten Komplimente für das Kostüm kamen, war ich denn auch gleichermaßen glücklich wie erleichtert.

Via Zoom war für mich ja nicht jeder Faltenwurf des Gewands detailgetreu zu erkennen. Aber beim Tanzen kann dieses „Geschehen“ mit dem Kostüm viel ausmachen…

Weshalb das eigentlich vorgesehene anthrazitfarbene Cocktailkleid, das bei der stehenden Tänzerin wunderschön aussieht, als Tanzkostüm für mich ein No go wurde. Zu bauschig, zu steif, zu wenig mitschwingend… Ich sitze nun auf einem hübschen Kleid, in das ich auch dann nicht hineinpassen werde, wenn ich für die Sommerfigur ein paar Kilos abspecke. Nun ja, so ist das Leben – die Firma, die es mir andrehte, war so clever zu behaupten, es werde extra angefertigt und könne darum nicht zurückgenommen werden. Unerhört.

Zur „Nocturne“ – das Stück von mir dazu trägt den Titel „Du bist immer da“, und es dürfte klar sein, an wen es sich wendet – passt das schwarze Kostüm meiner Meinung nach ganz besonders.

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Es kann vom Tod tänzerisch die Rede sein… in „Schicksal und Vergebung“ von Gisela Sonnenburg, uraufgeführt von Laura Tiffany Schmid in Sankt Ludwig. Foto: Franka Maria Selz

Die dunkle Farbe entspricht der nächtlichen Atmosphäre („Nocturne“ heißt soviel wie „Nachtstück“), und der etwas zipfelige Saum und die asymmetrische Bündelung versprechen, dass die Nacht ihre eigenen Regeln hat.

Das soll auch die Ruhe im Stück spiegeln. Die Pianistin Barbara Scherbel spielte es bei der Probe zunächst zu schnell, dann aber auf Ansage hin wunderbar langsam und ruhig, nachgerade schwelgend, also genau so, wie ich es wollte und wie es zu unserer Einstudierung passte.

Als es jedoch einige Zeit später Ernst wurde, also bei Uraufführung, kam erneut ein zügiges Tempo, im Wechsel mit besonderer Ruhe, um wieder zügig zu werden, was die Tänzerin und mich mehr als leicht irritierte. Die Pianistin  meinte es gut, sie wollte es lebendig und abwechslungsreich interpretieren, aber es wurde eine wilde Sache!

Bei einer Tanzaufführung ist der Tanz, die Kreation, das Entscheidende. Die Musiker müssen sich dem unterordnen. Eine Ansage oder Vorgabe ist nicht als freundliche Anregung gedacht. Sondern als Bitte, es wirklich so zu ermöglichen! Ich hätte das Barbara Scherbel, die nun mal nicht jeden Tag Tanz begleitet, sondern eigentlich Konzertpianistin ist, vorab deutlich sagen müssen. Die Vorbereitung hätte besser abgestimmt werden müssen. Man darf so etwas eben nicht voraussetzen. Das habe ich nun gelernt – sich einfach aufs Glück zu verlassen, geht auch beim Zusammengehen überhaupt nicht.

Laura Tiffany Schmid rettete die Situation meisterhaft. Außer uns „Eingeweihten“ war hoffentlich niemandem aufgefallen, dass es hier eigentlich auch musikalisch immer hätte lyrisch-sanft und keineswegs dynamisch sein sollen. Aus Tänzersicht ist so etwas dennoch ein kleiner Alp.

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Auf der Diagonalen, erst vorwärts, dann rückwärts: Laura Tiffany Schmid in „Schicksal und Vergebung“ von Gisela Sonnenburg in Sankt Ludwig. Foto: Franka Maria Selz

Die begnadete Ballerina parierte die wechselnden Tempi wirklich bravourös. Es wäre verzeihlich gewesen, wenn es sie völlig aus der Bahn geworfen hätte und eine kleine Katastrophe passiert wäre. Aber hallo! Nicht mit meiner Ballerina! Was für ein Vollblutprofi! Was soll man dazu noch sagen? – Ein dreifaches Hoch auf das tolle Münchner Kindl Laura Tiffany Schmid!

Zusätzlich ist beim Kirchentanz ja noch etwas zu berücksichtigen: Es ist nicht gerade warm im Winter in Kirchen. Und im dicken Mantel kann man nicht tanzen. Aber auch diese Schwierigkeit meisterte Laura Tiffany Schmid mit wirklich großer Tapferkeit.

Die Synergien der verschiedensten Menschen und Künstler ergaben solchermaßen etwas, das schon ans Gesamtkunstwerk an sich erinnerte.

Das letzte Stück, das wir uns für die Kreation vorgenommen hatten, war allerdings das Schwierigste, was das pure Tanzen angeht: „Schicksal und Vergebung“ – so habe ich das nur dreieinhalbminütige Solo zur modernen Orgelorgie „Jesus accepte la Souffrance“ von Olivier Messiaen genannt – hat eine extrem moderne, für mich „kantige“ Anmutung, die mit den fließenden, sanften Stücken vorab nicht viel gemeinsam hat. Aber auch von Kontrasten lebt die Kunst!

Der Anstoß zu diesem Messian-Stück kam von Stephan Heuberger, der ein absolut fantastischer Organist und Pianist ist – mit sehr viel individueller Power – und der außerdem einer der wenigen echten Spezialisten für die nicht eben leichte Musik von Messiaen ist.

Dieser Musik kann man nicht mit lyrischen Phrasen beikommen. Es reicht auch nicht, sie mit abgehackten Bewegungen als „irgendwie anders“ zu kennzeichnen. Mir geht es darum, ihren für die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts typischen Zeitgeist zu bewahren und dennoch eine eigene Utopie vom Überwinden des Leidens durch Annahme des Schmerzes zu entwerfen.

Und es ist ja so eine fantastische Gelegenheit, zu Messiaen zu kreieren! Ich bin mir sicher, dass man nicht überall willige Zuhörerinnen und Zuhörer dafür bekommt. Dank der jahrelangen Arbeit von Stephan Heuberger in Sankt Ludwig hat er aber viele Fans, die mit ihm Messiaen lieben und verstehen.

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Laura Tiffany Schmid – immer exzellent auch in „Schicksal und Vergebung“ von Gisela Sonnenburg nach Musik von Olivier Messiaen. Foto aus Sankt Ludwig: Franka Maria Selz

Ungewöhnlicherweise fand die Kostümprobe dieses Mal, also bei dem Messiaen-Solo, vor der Kreation statt: Der schwarzgoldene Strahlenkranz, den Laura Tiffany Schmid dabei trägt, verlangt ein reduziertes Körpervokabular, denn nicht jede Bewegung ist damit möglich. Da mussten wir vorab wissen, wie was damit aussehen wird.

Bei der Kreation setzte ich mich ein wenig unter Zeitdruck, damit auch wirklich genügend Probenzeit fürs so genannte „Putzen“ der Stücke bleiben würde. „Putzen“ – so nennt es die Tänzerin. Ich nenne es „Polieren“, und ich nenne es auch beim Schreiben so, wenn ein fertiges Stück überprüft und hier und da geschliffen wird. Der Unterschied zwischen Putzen und Polieren ist in diesem Fall aber nicht wirklich da.

In nur einer Probe – dieses Mal in eineinhalb Stunden – stand das Messiaen-Solo. Aber die Schnelligkeit rächte sich ein wenig: Ich musste noch ein bisschen daran „herumnähen“, bis es richtig passte.

Als ich es bei der Generalprobe in Sankt Ludwig erstmals mit ganzem Kostüm komplett getanzt sah, war ich beglückt, dass der Eindruck, den es macht, so ist, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Und noch eine Freude überkam mich bei der Generalprobe im allerdings nicht wirklich warmen Kirchenhaus: Pfarrer Gottswinter konnte uns die Nachricht überbringen, dass die Messe und die Musikalische Vorabendandacht als Live-Stream ins Internet übertragen und dort auch einige Zeit online bleiben würden.

Das freut vor allem all jene, die gern nach München gekommen wären, um die Gemeinsamkeiten von Predigt und getanztem Gebet zu erfahren.

An Reaktionen derer, die unsere Arbeit live in den beiden Kirchen sehen konnten, beglückte mich vor allem der Satz: „Tanz in der Kirche macht glücklich“.

Und auch, dass ein Paar, das eigentlich nur die Messe in Sankt Ludwig hören wollte und dann aus purer Neugier doch blieb, bis zum Ende mit steigender Begeisterung der für sie neuen Kunstform Tanz beiwohnte.

Tränen in den Augen eines eher als Verstandesmensch bekannten ehemaligen Münchner Politikers brachten mein Herz ebenfalls zum Schmelzen.

Mit der herzlichen Bitte, sich die „Kirchentänze zum Psalm 22“ nun online anzuschauen und gern auch Feedback zu geben, verbleiben wir, die Gläubigen und Tanzverliebten gleichermaßen, auch mit Dank an alle, die unsere Kunst im Namen des Gebets  ermöglichten. Gott ist damit selbstverständlich ebenso gemeint wie auch Franka Maria Selz, die für Videos und Fotos angereist war.

Vier Uraufführungen in zwei Kirchen mit Laura Tiffany Schmid und Gisela Sonnenburg

Laura Tiffany Schmid am Ende von „Schicksal und Vergebung“ von Gisela Sonnenburg in Sankt Ludwig in München. Danke! Foto: Franka Maria Selz

Ich danke allen Beteiligten für die Möglichkeit, diese Arbeiten zu erstellen und zu zeigen, und ich danke ebenso für die Geduld und Freundlichkeit derer, die sie gern erfühlen und verstehen. Amen.
Gisela Sonnenburg

https://www.youtube.com/watch?v=OQ322aIwB8k

Für Eilige die Zeitpunkte des Tanzes im Stream:

50:40 „Mit Mondlicht im Herzen“; 1:00:28 „Traum der Rettung“, 1:24:15 „Schicksal und Vergebung“

www.st-ludwig-muenchen.de

www.st-joseph-muenchen.de

 

 

 

 

 

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