„Das ist ein authentischer Film“ Am 25.1. sendet 3sat die Portrait-Dokumentation von Harold Woetzel über die Ballett-Ikone Birgit Keil

Birgit Keil in Woetzels Film

Birgit Keil im Film von Harold Woetzel: Grande Dame und gefühlvolle Streiterin für die Ballettsache in Deutschland. Foto: Videostill

Was ist das nur für eine köstlich ballettaffine Welt, die wir hier kennen lernen! Mit der Karlsruher Ballettdirektorin Birgit Keil qua Kamera durchs Leben zu gehen, bedeutet: Überall ist Tanz, weil Birgit Keil da ist! Sogar in der Straßenbahn, mit der die große Lady des deutschen Balletts häufig zur Arbeit fährt, verströmt sie das Flair von Eleganz und Anmut. So niedlich und charmant sie früher als Ballerina war, so einnehmend und graziös ist sie auch heute als ältere Dame noch: Es macht einfach Spaß, ihr zuzusehen, ob sie nun im Ballettsaal steht und arbeitet oder ob sie auf dem Weg von einer Wirkungsstätte zur nächsten ist.

Die Doku, die der renommierte Filmemacher Harold Woetzel über die heute 70-jährige Keil erstellte, langweilt lediglich mit ihrem etwas beliebig-einfallslosen Titel „Birgit Keil – ein Leben für den Tanz“. Dann aber beleuchtet der Film mit ansprechenden Bildern den Alltag einer agilen Vielbeschäftigten – und mit fein heraus gesuchten Archiv-Materialien auch Keils glorreiche Vergangenheit als zweite Primaballerina – gleich nach Marcia Haydée – beim Stuttgarter Ballett.

Reid Anderson

Reid Anderson, Stuttgarter Ballettchef, weiß Kluges über die Keil zu sagen. In Woetzels Doku „Birgit Keil – ein Leben für den Tanz“. Foto: Videostill

VIPs wie Reid Anderson, heute Ballettchef in Stuttgart, und Martin Schläpfer, Choreograf und Ballettchef vom Ballett am Rhein, sprechen voll Hochachtung über sie. Birgit Keils Karlsruher Tänzer und Jungchoreografen lassen uns derweil ein Stück weit hinein in ihre Proben, auch in ihre Wohnungen.

Martin Schläpfer

Auch Martin Schläpfer, Choreograf und Ballettboss vom Ballett am Rhein, kennt und schätzt Birgit Keil. Zu sehen in Harold Woetzels Doku. Foto: Videostill

Zusammen mit Keil fliegen wir dann nach Japan, um dort am 24. Dezember 150 minderjährige Talente heißblütig vortanzen zu sehen. Einen jungen Mann engagiert Keil danach denn auch für ihre Tanzstiftung: Er wird nach Deutschland kommen und von Birgit Keil unterrichtet werden. Vielleicht wird er ja ein großer Solist werden, so wie der Brasilianer Thiago Bordin, der, von Birgit Keil kommend, beim Hamburg Ballett berühmt wurde und heute beim Nederlands Dans Theater reüssiert.

Und auch aus Holland kommt Lob für Keil: Der Choreograf Hans van Manen fand sie schon immer einfach umwerfend. Man sieht ihm seine innere Begeisterung für sie an – und bedauert ihn fast, denn Birgit Keil ist seit 1968 in festen Händen: Der damalige Tänzerkollege Vladimir Klos angelte sich die Schöne, gab ihr Rückhalt, als sie verunfallt war, und er ist bis heute einfach bei allem ihr Partner. Was für eine Liebesgeschichte!

Klos und Keil

Vladimir Klos und Birgit Keil – auch im Parkett ein Team. Harold Woetzels Doku beleuchtet ihr Lebenswerk. Foto: Videostill

Keil und Klos gehen paarweise durchs Leben, sie steht dabei als Grande Dame im Vordergrund, aber privat wie beruflich sind sie ohne einander kaum denkbar. Die Energie, die von beiden ausgeht und auch zwischen ihnen fließt, ist äußerst anregend. Und: Das Paar sei wie „Eltern“ für die Tanzstudenten und die Tänzer, erklärt ein bemühter Zeitzeuge: Streng, aber verbindlich und fördernd ist der Keil-Klos’sche Stil. Das beweisen dann auch lebendige Nahaufnahmen, die Keil bei der Arbeit als Pädagogin und Ballettdirektorin zeigen.

Birgit Keil mondän

Birgit Keil, die Mondäne: eine Kunstbeflissene, die den Doku-Filmer Harold Woetzel bereitwillig mit in ihre Welt nahm. Foto: Videostill

Auch die mondäne Seite der Keil, die sich exquisit kleidet und am linken Zeigefinger gern große Ringe trägt, kommt gut rüber: Birgit Keil ist eine Frau, die ihren Weg konsequent gegangen ist und das auch gerne allen zeigt. Da ist es gar kein Widerspruch, dass sie viel lacht und kichert – und sich mit energischem Humor durchzusetzen weiß.

Schade nur, dass die liebreizende Sekretärin Keils, Frau Rindle („wie Öchsle“), nicht drin ist im Film. Und auch die FAZ-Journalistin Wiebke Hüster hätte man gern mit einem Statement gesehen, denn Hüster, die die Biografie von Keil schrieb, hat viel Gutes über die Ballettdoyenne zu berichten (siehe Rezension unter „Bücher“ hier im Ballett-Journal).

Auf die eher ungebildeten Kommentare einer Adligen mit Hausfrauenausstrahlung (vermutlich ist sie eine Geldgeberin) hätte man hingegen gern verzichtet. Aber das ist wohl ein Trend: Das Geld und die High Society dürfen sich ungeniert überall inszenieren und wichtig tun, während man nützliche Menschen und Experten einfach vergisst oder, noch schlimmer, ausklammert.

John Cranko

Der Entdecker und Förderer von Birgit Keil: John Cranko. Auch sein energetisches Flair kommt in der Doku von Harold Woetzel gut rüber. Foto: Videostill

Dennoch ist die Zusammenstellung von Szenen aus der Vergangenheit und der Gegenwart außerordentlich gelungen. Einige historische Aufnahmen, etwa mit dem Stuttgarter Ballettwundermacher John Cranko, der Keils Entdecker war, sind echte filmische Raritäten. Ebenso die Bühnenaufnahmen aus den 70er und 80er Jahren, die Keil als „Giselle“, in „Schwanensee“ und in „Dornröschen“ zeigen. Und auch die eine oder andere private Aufnahme nimmt mit in Keils ureigenen Kosmos: eine vor Vitalität nur so strotzende, selbstbewusste Ballettikone war sie schon immer. Sie habe viel Glück gehabt, sagt sie von sich selbst.

Keil ganz jung

Sie war eine bezaubernde Tänzerin: Birgit Keil, unsterblich hübsch in der Doku von Harold Woetzel. Foto: Videostill

Das Erlebnis von Birgit Keil live im Gespräch, wie sie sich und ihr Leben dem Publikum vorstellt, macht Woetzels Doku dann ebenfalls unbedingt sehenswert: Dieser Film ist für Ballettfans ein Muss. Zumal der Zeitpunkt der Ausstrahlung gar nicht dumm gewählt ist: Am Sonntagvormittag sollte man sich die Zeit fürs Fernsehen in aller Wachheit nehmen können.
Gisela Sonnenburg

Und noch etwas – Birgit Keil im Interview zum Film:

Birgit Keil mit 70er-Jahre-Flai

Eine Dame wie Birgit Keil verkörpert immer den jeweiligen Zeitgeist. Hier ein Archivbild aus der Doku von Harold Woetzel. Foto: Videostill

Ballett-Journal: Sie sind Sujet des swr-Portraitfilms „Birgit Keil – Ein Leben für den Tanz“, der auf 3sat ausgestrahlt wird. War es für Sie eine Art „Mutprobe“, sich zu entschließen, den Film mitzumachen?

Birgit Keil: Nein.

Ballett-Journal: Was finden Sie selbst besonders gelungen an dieser Doku?

Birgit Keil: Sie ist authentisch.

Ballett-Journal: Wie war das Verhältnis zu Filmemacher Harold Woetzel? Gibt es etwas, das auf Ihren Wunsch in die Doku mit hinein genommen wurde?

Birgit Keil: Der Film entstand in enger Zusammenarbeit und gemeinsamer Planung. Wichtig waren mir drei Säulen: Die private Tanzstiftung in Stuttgart, die Akademie des Tanzes in Mannheim und die Ballettdirektion am Staatstheater Karlsruhe. Nur wer diese enge Verknüpfung zeigt, kann ein realistisches Portrait von mir entwerfen. Darüber hinaus hat mich Harold Woetzel aber auch mit Archivaufnahmen des SWR überrascht, die ich bisher nicht kannte und die mich tief berührt haben.

Birgit Keil beim Tanzen

Sie war eine zarte Tänzerin mit viel „innerer Hingabe“, wie Hans van Manen es sagt. Foto: Videostill aus der Doku von Harold Woetzel

Ballett-Journal: Auf was sollten die Zuschauer besonders achten?
Birgit Keil: Auf alles! Menschen in meinem Umfeld haben den Film schon mehrfach gesehen und immer wieder Neues entdeckt.

Ballett-Journal: Was ist am ehesten die Essenz von Tanz: Leidenschaft, Disziplin oder Lebendigkeit?

Birgit Keil: Die Kunst an sich. Man kann nicht nur einen Aspekt hervorheben.

Keil im Ballettsaal

Birgit Keil, ganz in Lila, arbeitet leidenschaftlich gern mit jungen Leuten. Foto: Videostill aus der Doku von Harold Woetzel

Ballett-Journal: Sie stellen im Film auch Ihre Stiftung vor. Was sind deren Ziele?

Birgit Keil: Die Tanzstiftung Birgit Keil, 1995 gegründet, ist eine einmalige Einrichtung. Sie wirkt weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Das Besondere an der Stiftung ist der ehrenamtliche Einsatz von Gründerinnen und Kuratoriumsmitgliedern. Die Förderung des tänzerischen Nachwuchses ist die Hauptaufgabe. Im Mittelpunkt steht eine intensive fachliche und finanzielle Unterstützung während der Ausbildung und beim Übergang zur professionellen Karriere. Die Förderung erfolgt in Form von Stipendien zum Studium an der Akademie des Tanzes in Mannheim sowie in der Zusammenarbeit mit Choreografen und der Kreation neuer Werke. Auch die Erarbeitung bereits bestehender Ballette gehört dazu.

Ballett-Journal: Als Ballettdirektorin stehen Sie in Karlsruhe einer Compagnie vor, die seit letztem Jahr den Titel „Badisches Staatsballett“ trägt. Was sind die Vorteile dieses Namens?

Birgit Keil: Der Titel wurde verliehen und wertet die Stellung des Ensembles auf. Es ist eine Anerkennung und Ehre, sich Staatsballett nennen zu dürfen.

Keils Tänzer

Keils Karlsruher Ensemble tanzt auch die Arbeiten von jungen Choreografen. Foto: Videostill aus der Doku von Harold Woetzel

Ballett-Journal: Gibt es Grundprobleme des zeitgenössischen Balletts, deren Bewältigung Sie angestoßen sehen möchten?

Birgit Keil: Ja, die Anerkennung der stetigen Entwicklung und Leistung des zeitgenössischen Balletts, nicht zu verwechseln mit zeitgenössischem Tanztheater.

Ballett-Journal: Die jüngeren Tänzerinnen und Tänzer gelten heute weltweit als vor allem technisch sehr begabt und trainiert. „Alte Hasen“ der Branche beklagen aber nicht nur einen Mangel an Temperament und Persönlichkeit beim Nachwuchs, sondern auch an Belastbarkeit. So sollen die Verletzungsraten heutzutage viel höher sein als vor einigen Jahrzehnten. Stimmen Sie dem zu, auch aus Ihrer Erfahrung als Ballerina heraus?

Karlsruher Tänzer

Die Doku von Harold Woetzel zeigt Tänzer auch backstage und privat – und erzählt von ihren Problemen, zum Beispiel von Verletzungen. Foto: Videostill

Birgit Keil: Nur bedingt, aber an der Begabung liegt es nicht. Ausnahmetalente waren von jeher die Ausnahme. Die Ausbildung hat sich verbessert und technisch, athletisch wird immer mehr verlangt. Daraus kann ein erhöhtes Verletzungsrisiko resultieren. Bestätigen kann ich, daß zu meiner Zeit nie von Stressfrakturen die Rede war. Dies mag aber auch an der heutigen Diagnostik liegen, die differenzierter ist.

Ballett-Journal: Wie haben sich die Beziehungen zu Geldgebern und Sponsoren in den letzten Jahren verändert?

Birgit Keil: Meine Beobachtungen sind, dass es durch Fusionierung von Banken oder Unternehmen, die von großen Konzernen übernommen werden, weniger geworden ist. Meistens haben die Sponsoren ihre Schwerpunkte, Sport, Kunst oder Soziales. In wenigen Fällen werden mehrere Gebiete gleichzeitig berücksichtigt. Wo früher drei Banken unterschiedliche Schwerpunkte förderten, konzentriert man sich jetzt in den meisten Fällen durch den Zusammenschluss auf ein Thema. – Die Beziehung zu meinen Sponsoren ist glücklicherweise sehr gut.

Ballett-Journal: Welcher der drei Bereiche, in denen Sie vor allem tätig sind, fordert Sie am meisten?

Birgit Keil: Durch die enge Verknüpfung fällt mir eine Trennung der Bereiche schwer, denn jeder fordert mich auf seine spezifische Weise.

Ballett-Journal: Was soll man jungen Menschen sagen, die Profi-Tänzer werden wollen?

Birgit Keil: Man muß sie unterstützen oder im Zweifelsfalle abraten.

Ballett-Journal: Welche Rollen spielen dabei Leistungsdruck und das Risiko zu scheitern?

Birgit Keil: Das Leben an sich birgt Risiken.

Birgit Keil in "Schwanensee"

Birgit Keil tanzte den „Schwanensee“, so in Stuttgart und auf einer Tournee in New York. Foto: Videostill aus der Doku von Harold Woetzel

Ballett-Journal: Letztlich ist eine Stunde, in der getanzt wurde, niemals verlorene Zeit, oder?

Birgit Keil: Ja und nein.

Interview: Gisela Sonnenburg

 

„Birgit Keil – ein Leben für den Tanz“, swr 2014:

Sonntag, 25.1.15, 10.15 Uhr (bis 11.15 Uhr) auf 3sat

UND BITTE SEHEN SIE HIERHIN: www.ballett-journal.de/impresssum/

 

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