Nicht noch ein Superlativ Der Stuttgarter Starballerino Friedemann Vogel ist Gegenstand eines zweifelhaften Videos, das am Karfreitag vom swr ausgestrahlt wird – zum Trost sendet der wdr am Ostersonntagmorgen „Romeo und Julia“ mit dem Stuttgarter Ballett

Experimente am Schneidetisch: Das Filmobjekt Friedemann Vogel tanzt, der Cut rotiert – in Katja Trautweins nicht eben gelungener Doku „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“, die der swr am Karfreitag 2020 zeigen will. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Wie kann man über einen so tollen Tänzer einen so holprigen und oberflächlichen Film machen? Dessen Titel „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ stapelt noch hoch, aber das ist auch schon fast alles, was außer einer Flut von mäßig ansehnlichen Bildern in ungeschickten Cuts auf uns herniederprasselt. Friedemann Vogel. Der deutsche Stuttgarter Superstar wird abgefilmt: beim Proben von Artistik im Ballettsaal, im Taxi zum Flughafen, tanzend für Fotos vor dem Brandenburger Tor, tanzend auf der Bühne, sitzend in der Maske, wieder im Taxi, beim nächsten Foto-Shooting im Teich, wieder im Taxi, wieder auf einer Probe, wieder im Taxi, wieder beim Foto-Shooting, in einer anderen DVD… Wie ein endloser Videoclip reiht das Filmchen von Katja Trautwein Momentaufnahmen aneinander, die sich zwar um Ästhetik bemühen, sie aber nur selten erreichen. Die wenigen eingeflochtenen Ausschnitte aus der DVD Onegin“ von 2018 mit Vogel in der Titelrolle sind dagegen schon von der videotechnischen Qualität her die große Labsal in diesem Streifen. Aber hallo! Im Klartext: Der swr bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm mit dieser Produktion, deren Copyright zudem der Baden-Württembergischen Filmakademie in Ludwigsburg zugeeignet ist. Rund 100 000 Euro hat der Spaß an Produktionskosten verursacht – und niemand, der sich ein bisschen auskennt, kann verstehen, warum eine unbegabte Nachwuchsautorin und nicht etwa der versierte swr-Autor Harold Woetzel, der 2015 ein bemerkenswertes Portrait der Ex-Ballerina Birgit Keil gedreht hat, hier den Auftrag bekam. Zudem würde dann das Copyright, wie es sich gehört, beim Sender liegen und nicht bei einer Ausbildungsstätte. Dürfen Gelder der GEZ eigentlich auf diese Art verschoben werden? Der Film, der unter der Redaktion von Harald Letfuß entstand und der zugleich auch den sie „betreuenden“ Professor Joachim Lang aus Ludwigsburg blamiert, verstößt zumindest krass gegen das einigermaßen hohe, immerhin übliche journalistische Niveau von öffentlich-rechtlichen Künstlerdokumentationen. Vielleicht macht er aus Friedemann Vogel, diesem göttlichen Ballerino, auch noch einen Hampelmann. Das kommt auf die Sichtweise an: Ist ein Künstler auch für seine Selbstvermarktung verantwortlich oder nur für seine Kunst?

Das Wort „Portrait“ wäre für dieses Filmchen wohl sowieso zu hoch gegriffen.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Friedemann Vogel mal ganz kurz außer Dienst – der Stuttgarter Tanzkünstler beantwortet leichthin alle Fragen in „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Man erfährt zwar, dass auch Friedemanns ältere Bruder Roland Vogel beim Stuttgarter Ballett tanzte. Aber schon die Info, dass Roland heute dort, wo Friedemann als Ballettschüler seinen brillanten Schliff erhielt, nämlich an der luxuriösen Académie Princesse Grace in Monaco, als Ballettlehrer arbeitet, wird uns im Trautweins Machwerk glatt vorenthalten.

Die Brüder wurden in Stuttgart geboren und starteten hier ihre Karrieren. Wie Friedemann und Roland aber aufwuchsen, was ihre Eltern machten, wie die Schule für sie war und was sie eigentlich – wie auf Engelsflügeln – zum Ballett trug – bleiben unbeantwortete Fragen.

Spielten die Jungs im Garten, wenn das Training ihnen Zeit ließ? Und gab es mal was Anderes als Ballett, dass die begabten Kinder interessiert hätte? Gab es Rivalitäten oder auch mal Zwist? Oder hält man bei Vogels immer feste zusammen?

War die Mutter eine typische schwäbische Hausfrau? Gab es sonntags Schweinebraten? Hat die Familie im Fernsehen zusammen Ballettfilme gesehen? Sind die Brüder manchmal ein bisschen gesellschaftskritisch erzogen worden? Oder fanden sie immer alles toll? Wird man darum heutzutage Künstler?

Nichts wird fasslich, keine Sphäre schwappt aus dem Monitor zum Zuschauer. Dass die Bildausschnitte oft fahrig und von den Kompositionen her grottenschlecht gewählt sind, erhärtet den Verdacht, dass diese Ludwigsburger Diplomarbeit besser nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden würde.

Aber sie steht am Karfreitag 2020 (10. April) um 14 Uhr auf dem Programm vom swr Fernsehen.

Sogar eingefleischte Friedemann-Fans sollten die Erwartungen daran nicht zu hoch ansetzen.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Tamas Detrich, Intendant vom Stuttgarter Ballett und zuvor dort langjähriger Ballettmeister, davor wiederum Erster Solist, kennt Friedemann Vogel seit langem. Nur kurz darf er hier sprechen, in „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Selbst Koryphäen wie Marcia Haydée, Reid Anderson und Tamas Detrich, die sich im Film über Friedemann äußern dürfen, werden so belanglos und kurzzeitig ins Bild gesetzt, dass es ist, als würden sie für irgendein minderwertiges Produkt Reklame machen.

Superlative sind Trumpf in dieser unbeholfenen Machart, und so erscheint der arme Friedemann als der Schönste, der Beste, der Begabteste, der Vollkommenste – und genau das ist er mit Sicherheit nicht.

Im Gegenteil: Wenn es einen Tänzer von Weltruhm derzeit gibt, der es geschafft hat, mit supersoliden, superguten, aber nicht exorbitanten oder gar absolut auffallenden Leistungen nach oben zu kommen, dann ist es Friedemann Vogel.

Er ist eben nicht das supererotische Attraktivitäts- und Kraftpaket wie einst Rudolf Nurejew, und er verkörpert auch keine Superspezialität etwa im Lyrischen wie einst Vladimir Malakhov.

Friedemann Vogel ist vielmehr der Musterjunge unter allen Ballerinos, er ist chamäleonsartig wie maßgeschneidert für alles und doch zu wenig außergewöhnlich, um sich über alle erheben zu können.

Kurz: Er ist zu brav für die Unsterblichkeit, aber genau richtig für die Gegenwart.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Friedemann Vogel: auch ein schöner Rücken kann entzücken. So zu sehen in „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Er ist von harmonisch gestalteter Figur, von männlicher Ausstrahlung – aber er ist bei weitem nicht der Schönste im internationalen Ballerino-Reigen. Roberto Bolle, obwohl fünf Jahre älter, gebührt hier wohl noch immer der Pokal, auch wenn pure Schönheit nicht alles im Ballett ist.

So ist Friedemann Vogel auch technisch sehr gut, aber an die Sprünge von Dennis Rodkin und an die Pirouetten von Kimin Kim kommt und kam er nicht heran. Und Vogel hat zwar eine starke Ausdruckskraft, ganz klar – aber bereits in Stuttgart gibt es Fachleute und Fans, die zum Beispiel Jason Reilly in allen Rollen vorziehen würden.

So ein Portraitfilm sollte aber auch gar nicht zum Ziel haben, Superlative anzuhäufen. Das versucht Katja Trautwein, und sie scheitert damit.

Das Originelle an Vogel, das Unverwechselbare, trifft sie hingegen nicht. In den Bildern nicht und leider auch nicht in den Lari-Fari-Interviews, die sie vor allem beim Taxifahren führt.

Was ihn bewegt, wenn er auf der Bühne tanzt – außer, dass es ihm etwas bedeutet und ihn zugleich erschöpft – bleibt sein Geheimnis. Zur Wunschrolle seines Lebens – „Onegin“ – erfährt man nur, dass sie es eben ist. Ob er es genießt, auf der Bühne ein ganz Anderer zu sein als im realen Leben oder ob es ihm manchmal auch Probleme bereitet, abwechselnd in die Haut einer desolaten Persönlichkeit (Kronprinz Rudolf in „Mayerling“) oder auch eines unbedarften Superprinzen („Dornröschen“) zu schlüpfen, dürfen wir offenbar nicht wissen.

Denn der Autorin Trautwein sind leider keine klugen Fragen eingefallen.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Wo sind denn nur die interessanteren Fragen? Friedemann Vogel tanzt und tanzt und tanzt, meist um sich selbst – in „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

So sind die einzig wertvollen Momente in diesem Film (außer den wenigen Sekunden von der „Onegin“-DVD) die ehrlichen und ungeschminkten O-Töne von Friedemann Vogel selbst.

Die Statements, die er lässig im Taxi oder in der Maske absondert, enthalten all die Lebensweisheit, die ein 40-jähriger Primoballerino, der zudem zum Stuttgarter Kammertänzer ernannt wurde, so haben kann.

Er selbst macht darauf aufmerksam, dass man nicht sagen könne, ein Tänzer sei der Beste im Vergleich zu allen anderen. Denn jeder Künstler hat etwas Eigenes, Unverwechselbares, ein Flair und eine „Farbe“, die ihn als Individuum bemerkenswert macht.

 Friedemann weiß das und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er dieser Autorin, die ihm wohl alles abgenommen hätte, nichts vom Pferd erzählt.

Dass er sich nur mit Tanz und nicht mit Pilates, Gyrotronics und Fitness in Form hält und auch keine Personal coaches durchprobiert – wie die meisten Profi-Tänzerinnen und -Tänzer heutzutage – ehrt ihn und erklärt zugleich seine natürliche muskulöse Schönheit.

Denn das klassische Ballett-Training macht in der Tat schön, Männer wie Frauen wie Diverse, hingegen die meisten gymnastischen und Kraftakte die Beine O-förmig werden lassen, die Taillen zum Verschwinden bringen und die Proportionen im Schulterbrustbereich unvorteilhaft verschieben.

Gegen ein paar Liegestütze und Floor-Übungen ist nichts zu sagen. Aber:

Wenn Tänzer im Laufe ihres Berufsleben einen hässlichen Körper entwickeln, so liegt das nicht am Ballett, sondern an den anderen Maßnahmen, die sie treffen, um „fit“ zu sein.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Der Künstler in der Maske, also vor der Vorstellung, um geschminkt zu werden. „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein ist Karfreitag 2020 beim swr zu sehen. Videostill: Gisela Sonnenburg

Außerdem geht es beim Tanz nicht nur um Muskelmasse. Auch nicht nur um Leistungen. Noch nicht mal nur um schauspielerische Unterhaltung. Sondern um etwas, das man als „magisch“ etikettieren kann, es ist etwas, das sich von Mensch zu Mensch übermittelt und eine heilsame Kraft hat.

So genau sagt Friedemann das nicht, aber es klingt an. Und wenn man ihn tanzen sieht, weiß man, dass es so ist!

Die Branche fixiert sich dennoch weltweit immer mehr auf zwei Dinge, die nicht ursprünglich aus dem Ballett kommen, sondern aus der Wirtschaft und der Industrie:

Magerkeit und Leistungswahn als höchste Ideale. Ballett hat damit aber eigentlich nichts zu tun.

Ballett steht eigentlich für Schlankheit und Ausdruckskraft, für Eleganz und vor allem auch für Anmut. Und, naja, immer wieder für Magie

Ballett ist nicht Sport“ – diesen Satz, den auch ich voll und ganz unterschreibe, zitiert Friedemann nicht nur, sondern er ist auch selbst ein wandelnder Beweis dafür.

Denn natürlich ist er ein bedeutender Tänzer, einer, der Maßstäbe gesetzt hat und den die meisten Menschen, die ihn live mal gesehen haben, unmöglich vergessen können.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Friedemann Vogel fliegt – beim Tanzen in „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Es ist allerdings nicht einfach nur „Niedlichkeit und Melancholie“, die er vereint – das behauptet ein japanischer Kritiker, der von Trautwein natürlich als der wichtigste japanische Kritiker überhaupt vorgestellt wird (wie viele japanische Kritiker kennt sie wohl?). Dafür ist Vogel mit Verlaub auch nicht mehr im richtigen Alter.

Vielmehr steht Friedemann Vogel für genau jene punktgenaue Konzentration, die einen Ersten Solisten typischerweise vom Corps-Tänzer unterscheidet.

Es ist genau diese Selbstentäußerung durch totale Kontrolle über den eigenen Körper, diese wackelfreie, stabile, emotional aufgeladene, verletzlich und doch stark wirkende Aura, die das Flair von Friedemann Vogel ausmacht.

Tänzer sind Schauspieler mit dem Körper: Man glaubt ihnen, wenn sie so gut wie Vogel sind, jede Geste.

Und Vogel hat Recht, wenn er über sich sagt, dass der Inhalt seines Tanzes das Wichtige ist, nicht die Tatsache, dass er überhaupt in einer bestimmten Art und Weise tanzt. Es geht um die Übermittlung von Inhalt im Ballett – und es wäre ein Vergnügen gewesen, wenn die Filmemacherin sich daran hätte halten können und Friedemanns Tanz in Verbindung mit den Inhalten gefilmt hätte.

Aber ich bezweifle, dass sie auch nur den Unterschied zwischen „Schwanensee“ und „Onegin“ kennt. Nicht ein Satz benennt die Ballette, die gezeigt oder vielmehr angetippt werden. Kein Wort interpretiert, was mit den Bewegungen, die Friedemann vor der Kamera ausführt, gemeint sein könnte.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Friedemann Vogel dreifach von hinten – Katja Trautwein findet’s toll in ihrem Film „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Besonders lächerlich wirken Trautwein und ihr Abziehbild von Vogel, wenn sie sich in technischer Modernität üben will. Da wird die Bildfläche horizontal in drei Bildbereiche aufgeteilt, und jeder Teilbereich zeigt eine andere Körperregion von Vogel. Kopf, Torso, Beine – ist da alles egal, Hauptsache, es ist irgendwie in Bewegung?

Man erfährt mehr über seinen Tanz, wenn man sein Rollenrepertoire liest als wenn man diesen Film ansieht.

Denn schließlich ist Friedemann Vogel die männliche Allzweckwaffe vom Stuttgarter Ballett: Ertanzt den selbstzerstörerischen Kronprinzen Rudolf in „Mayerling“ von Kenneth MacMillan ebenso überzeugend wie den sanften Prinzen in Marcia Haydées „Dornröschen“.

Er ist der wild-arrogante Titelheld in „Onegin“ von John Cranko ebenso wie der stürmisch unter Selbstaufgabe Liebende in Crankos „Romeo und Julia“.

Und sein „Boléro“ von Maurice Béjart ist eine weltweit begehrte Delikatesse: ein Mann, der auf einem Tisch die Melodie tanzt, während um ihn herum die Welt in rhythmischer Ekstase versinkt.

Sein Armand in der „Kameliendame“ von John Neumeier ist sagenumwoben, und sein Siegfried im „Schwanensee“ in der Cranko-Version so tragisch wie erhaben.

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Der Tänzer erklärt, wie es geht: „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ bei der Probe einer Hebefigur. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Jüngere Choreografen reißen sich um ihn als Muse, von Marco Goecke, der den wechselhaften „Orlando“ für ihn kreierte, über Itzik Galili, Sidi Larbi Cherkaoui und Christian Spuck bis zu Derek Deane. Wayne McGregor schöpfte für und mit ihm das exaltierte „EDEN / EDEN“, und Mauro Bigonzetti das liebenswerte Stück „Il Concertone“.

Kein Wunder, dass Friedemann Vogel weltweit gastiert, wie ein Jetsetter von Auftritt zu Auftritt, von Gala zu Gala fliegt (wenn nicht gerade der Corona-Virus den internationalen Betrieb lahm legt).

Katja Trautwein nahm seine Dienstflüge zum Anlass, ihm nachzureisen, was zu den besagten Taxi-Interviews führte. Dabei hätte nun gerade jemand wie Vogel in einem eindringlichen Gespräch auf Augenhöhe wirklich etwas zu sagen! Wenn die Reporterin sich hingegen selbst dazu degradiert, möglichst wenig inhaltlich zu arbeiten, mutet das Ergebnis an wie ein Entwurf oder wie ein Making-of– aber die eigentliche Doku mit Dokumentationsgehalt fehlt.

Auch bei den Proben mit Polina Semionova und anderen Stars (David Hallberg, der erste amerikanische Ballerino, der am Bolschoi in Moskau auftrat, ist zwar kurz im Backstage-Bild, wird aber noch nicht mal genannt) werden keine sensiblen, aufregenden Momente eingefangen, sondern es wird lediglich die artistische Befähigung der Tänzer beäugt.

Neugierig sollen Reporter sein – und nochmals neugierig!

Katja Trautwein aber hat davon wohl noch nie gehört. Sie begnügt sich mit dem Beschwören des Anscheins von Ruhm.

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Ein Tänzer, ein Haus: „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ und das (dringend sanierungsbedürftige) Stuttgarter Opernhaus. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Der Stuttgarter Romeo“ wird übrigens wie zum Trost am Morgen von Ostersonntag (12. April 2020, 8 Uhr, also wirklich in aller Frühe) beim wdr gezeigt, in der DVD-Aufzeichnung von 2018, die – ebenso wie die „Onegin“-DVD– von Reid Anderson als früherem, nach wie vor legendären Stuttgarter Ballettintendanten ermöglicht wurde. Allerdings tanzt hierin nicht Friedemann den Romeo, sondern sein jüngerer und im Ausdruck zarterer Kollege David Moore, an der Seite von Primaballerina Elisa Badenes als Julia.

Apropos Primaballerina: Alicia Amatriain, die zusammen mit Vogel vor einigen Jahren zur „Stuttgarter Kammertänzerin“ gekürt wurde, darf zwar ein, zwei Sätze über Friedemann im Film sagen. Aber sie bleibt damit weit unter dem, was man hätte zeigen können, wenn man ein guter Filmemacher wäre. Immerhin gibt es schon eine jahrzehntelange Berufspartnerschaft zwischen Alicia und Friedemann.

Insofern ist es doppelt schade, dass Trautwein, von Beruf Moderatorin, das Wesen seiner Kunst glatt verfehlt hat. Ballett ist nämlich Teamarbeit! Und kein Ballettstar – schon gar kein Tänzer – kann allein das bewerkstelligen, was notwendig ist für eine tolle Vorstellung. Das hätte man hier gern gesehen.

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

„Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ beim Foto-Shooting: „cool!“ Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Schließlich hätte man auch gern etwas Intimes in Erfahrung gebracht. Mit wem lebt Vogel, wie wohnt er, welche Musik bewegt ihn am meisten, was plant er für die Zeit nach der aktiven Bühnenkarriere?

Ein Interview in einer Regionalsendung des swr Fernsehens zeigte Vogel kürzlich daheim in der Corona-Isolation, nicht beim Trainieren, aber in einem hoch ästhetischen, hypermodernen Wohnzimmertraum aus Weiß und blitzblank geputztem Spiegel.

Apropos Luxus: Es ist keineswegs anstößig, im Journalismus auch mal über Geld zu reden. Was verdient ein Jetset-Ballett-Künstler wie Vogel eigentlich?

Von Vladimir Malakhov ist bekannt, dass er an guten Abenden Spitzengagen von umgerechnet 30.000 Euro bekam, und zwar in Japan, wo die Ballettfans für eine tolle Vorstellung fast alles tun würden. Im Vergleich zu dem, was berühmte Opernsänger heutzutage verlangen und bekommen, ist das allerdings noch bescheiden gewesen. Da geht es bei rund 80.000 Euro pro Abend erst richtig los.

Von manchen deutschen Ballettintendanten ist bekannt, dass sie ein Grundgehalt von über 16.000 Euro im Monat haben, wobei Lizenzgelder und weitere Extra-Vergütungen dann noch dazu kommen.

Ein fest angestellter Primoballerino in Stuttgart dürfte nach einigen Jahren bei mindestens 7.000 Euro Fixgehalt monatlich plus saftigen Zulagen pro Auftritt liegen. Hinzu kommen all die Gala- und Gastgagen, wobei die Reisekosten stets der Gastgeber zahlt. Da kommt es auf das Verhandlungsgeschick an, ob die Malakhov’sche Spitze von 30.000 Euro pro Abend erreicht oder sogar überschritten wird.

Ist es denn ein gutes Gefühl, mit einer schweißtreibenden Kunst wie Ballett superreich zu werden? Muss man aufpassen, dass man mit den Füßen auf dem Tanzboden bleibt? Fühlt man sich damit privilegiert – oder angesichts der vielen Mühen, die man erbringt, gerade mal angemessen entlohnt? Hat man überhaupt Zeit, all sein Geld gut zu verwalten? Macht man sich – auch wegen der hohen Verletzungsgefahr in diesem Beruf und auch wegen der Altersfrage – ab und an Sorgen wegen der Zukunft? Dass ihr der Sinn fehlt, wenn man nicht mehr so tanzen kann wie man will?

"Friedemann Vogel - Verkörperung des Tanzes" - oder auch nicht

Einer der beliebten Schwäne beim Stuttgarter Opernhaus, zu sehen in „Friedemann Vogel – Verkörperung des Tanzes“ von Katja Trautwein. Videostill vom swr: Gisela Sonnenburg

Und hat man das Bedürfnis, etwas von dem, was die Welt einem geschenkt hat, zurückzugeben?

Auch über solche Dinge würde man gern mit einem Star, der nichts zu verbergen hat, mal öffentlich sprechen. Vor der Kamera. In einem richtig guten Künstlerfilm.
Gisela Sonnenburg

www.stuttgarter-ballett.de

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